Vom großen „Danach“

22. Januar 2014 | Von | Kategorie: Hain & Trommel, Ætt Feature

Obwohl es wohl das Thema ist, über das jeder und jede früher oder später ins Grübeln kommt, hat es sich in 15 Jahren aus irgendeinem Grund nie ergeben, mich darüber mit anderen Praktizierenden auszutauschen. Das Folgende ist demgemäß höchst subjektiv – wobei ich allerdings davon ausgehe dass es einige Gemeinsamkeiten mit den Erfahrungswerten anderer gibt.

Das „Land der Toten“ wie ich es für mich nenne – oder im Sinne germanisch-heidnischen Denkens das Totenreich „Hel“, dessen Schilderungen in der Edda man wohl vor dem Hintergrund der Glorifizierung des Schlachtentods in der Wikingerzeit und auch einfließenden christlichen Vorstellungen betrachten muss, hat in meiner praktischen Erfahrung nichts, aber auch gar nichts mit den Schilderungen in den schriftlichen Quellen zu tun.

Zunächst mal ist dieses eine Totenreich (nebst anderen) meinen Eindrücken nach nur Teil der verschiedenen Regionen und Ebenen der Unteren Welt… wozu erwähnt sei, dass an dieser Stelle eigentlich etwas Grundsätzliches über Topographie und Bewohner der Anderswelt geplant war – aber da komm ich derzeit nicht recht voran. Zum Anderen ist mir persönlich nur eine Möglichkeit, bzw. ein Grund begegnet, warum man es überhaupt betreten sollte:

Schamanentrommel
Darstellung der tengristischen Drei-Welten-Kosmologie. Der senkrechte Pfeil symbolisiert den Weltenbaum, der in der Mitte der Welt steht. Er verbindet Unterwelt, irdische Welt und Himmel miteinander. Diese Darstellung findet man auf Schamanentrommeln der Türken, Mongolen und Tungusen in Zentralasien und Sibirien. Graphik: Wikimedia Commons, Erdaal

Wenn man… in diesem Falle ich… mal damit konfrontiert wurde, Verstorbene – oder Seelenteile Verstorbener (auf die Thematik „Seelenverluste“ bzw. „-rückführung“ gehe ich zu anderer Zeit nochmal ein) ins Totenreich zu begleiten, dann ging diese Reise ansich immer nur bis an eine klar definierte Grenze, nämlich die zum Totenreich selbst.
Entsprechend ist der einzige mir bekannte nennenswerte Grund diese Region überhaupt zu betreten, der Seelenteile noch Lebender zurückzuholen, etwa weil sie mit dem Tod eines geliebten Menschen „versehentlich“ auf die andere Seite mit hinüber gewechselt sind. Ich belass es an dieser Stelle mal bei diesem zugegeben unvollständigen Beispiel. Alles darüber Hinausgehende würde jetzt zu weit in den Bereich der Möglichkeiten für Verluste von Seelenteilen hineinreichen.

Wie erwähnt ist das Totenreich meinen Eindrücken nach „nur“ ein eindeutig abgegrenzter Teil der Unteren Welt, übersehen oder versehentlich überschreiten kann man diese Grenze nicht, und auch wenn ich grundsätzlich eine kultivierte Neugier befürworte, was das Reisen in die Anderswelt angeht, nehme ich den Bereich hinter dieser Grenze aus dem einfachsten aller Gründe aus: Die Lebenden haben dort per se nichts zu suchen!
Um genau zu sein, wurde ich seinerzeit von meinen Spirits auf ihre Initiative hin auf den ersten Eintritt in diesen Bereich in einer sehr spezifischen Weise vorbereitet – und auch das hat (für mich jedenfalls) offenbar seine Gründe. Ob ich darauf noch mal genauer eingehe, überlege ich mir noch.

Was ist also auf der anderen Seite – oder näher an der eigentlichen Frage: Was passiert nach dem physischen Tod?

Sofern ich Verstorbene an die Grenze zum Totenreich führte, hatte ich oft das Erleben, dass sie von ihnen bekannten Personen in Empfang genommen wurden. Hinter dieser „Wand“ allerdings gestalteten sich meine Erfahrungswerte etwas anders:

Bei den Gelegenheiten, in denen ich dieses „Reich“ tatsächlich betreten habe, waren die für mich berührendsten Momente, dass ich – soweit ich mich entsinne – immer das Lachen spielender Kinder hörte. Als Vater weiß ich, wie das klingt.
Auch habe ich bei diversen Gelegenheiten Menschen gesehen, die hingebungsvoll verschiedenen Alltagstätigkeiten nachgingen – etwa das Hegen eines Schrebergarten-Beets.

In der Summe haben mir diese Erlebnisse den Eindruck vermittelt, dass zumindest manche Menschen an diesem Ort in den Erinnerungen weiterleben dürfen, was ihnen zu Lebzeiten am Herzen lag.
Es gab auch andere Situationen, die ich gesehen habe – aber alles in allem lief es immer darauf hinaus, dass dieser Aufenthaltsort grundsätzlich ein Ort der Heilung ist !
Auch die Wesenheit… die Totengöttin – als germanisch orientierter Heide nenne ich sie „Hel“ – war in meinen Augen eine in dunkelblau gekleidete mütterlich-fürsorgliche Person.

Daraus ergibt sich für mich persönlich die Frage: Sollte der Tod das Ende von allem sein – wozu bräuchte es dann einen solchen Ort der Heilung?!
Auf der anderen Seite bin ich trotz etwaiger Erfahrungen, die in eine solche Richtung deuten doch immer noch sehr ambivalent, was das Thema „Wiedergeburt“ angeht. Die modellhaften Erklärungen, die mir diesbezüglich im Lauf der Jahre untergekommen sind, haben im besten Falle an irgendeiner Stelle gehinkt – im schlimmsten Falle haben sich mir innerlich die Zehennägel aufgerollt. Und auch mit dem Begriff „Karma“ im Sinne einer Lebensspanne übergreifenden Aufgabenstellung kann ich persönlich nichts anfagen – aber das muss ich ja auch nur für mich entscheiden, wie jede_r Andere auch.
Auch die Überzeugung, dass Ahnen zuweilen ihre noch lebenden Angehörigen aufsuchen können, scheint vor der relativen Endgültigkeit dieses Aufenthaltsortes eher paradox… aber man muss auch nicht alles rational erklären können, denk ich – auch das hat seine Grenzen.

Spätestens wenn man nun eine gewisse Erfahrung mit dem Reisen hat, macht man irgendwann die Feststellung, dass sich manche Erlebnisse im Sinne einer Überzeugung festsetzen. So geht es mir unter anderem mit ebendiesem Ort. Dass ihm eine friedvolle Atmosphäre anhaftet – und dass er, so denke ich – eine glaubensübergreifende Existenz hat. Dass ich ihn halt „Hel“ nenne, ist nur Sache meines persönlichen Geschmacks.

Der Vollständigkeit halber möchte ich an dieser Stelle noch einen weiteren Ort nennen, der allerdings einen explizit germanischen Charakter hat und noch expliziter – meines Wissens – so nur von mir vertreten wird:
Dieser Aufenhthaltsort für die Toten, ist unter germanisch orientierten Heiden als „Folkvang“ geläufig: Der Wohnsitz Freyjas.
Den schriftlichen Quellen zufolge hätte Freyja die erste Wahl bei der Auswahl der „Gefallenen“. Ich bin geneigt dem zuzustimmen, weil ich diesbezüglich folgende… “Theorie“ habe: In der historisch germanischen Weltsicht war die Sippe der Dreh- und Angelpunkt im Leben eines jeden Menschen.
Darüber hinaus wurde die Sippe als Gemeinschaft der Lebenden und der Verstorbenen gedacht.

Und nach dem, was ich an diesem Ort gesehen habe, gehe ich davon aus, dass Freyja diejenigen zu sich nimmt, die künftig über das Wohl ihrer Sippe wachen. Die „Disen“ sind in diesem Zusammenhang ein Begriff – die weiblichen Schutzmächte einer Sippe. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen möchte ich allerdings ergänzen, dass diese Aufgabe nicht ausschließlich von Ahninnen wahrgenommen zu werden scheint.

Nunja – ich wollt’s mal erwähnt haben. Nehmt’s als Denkanregung oder streicht es einfach wieder aus dem Gedächtnisprotokoll… 😉

Wie gesagt… manche unmittelbaren Erlebnisse in der Anderswelt haben das Zeug, sich als Wahrheit im Bewusstsein festzusetzen. Mir persönlich haben meine diesbezüglichen Reisen geholfen, Unwissenheit zu beseitigen… was jedoch nicht heißt, dass es den Gedanken ans Sterben weniger beängstigend macht.

(Da)Nach_trag

Nach der Lektüre des Vorangegangenen könnte man den Eindruck gewinnen, der Nachtod würde automatisch einen… mehr oder weniger… „vorherbestimmten“ Weg oder Ort nach sich ziehen. Dem ist nicht so.
Was immer Seele ist, sofern man eine solche Idee überhaupt als gegeben annimmt – gibt es je nach Epoche und kulturellem Hintergrund durchaus unterschiedliche Vorstellungen diesbezüglich. Und ich kann dieses Thema auch weder hier noch für mich selbst abschließend beantworten. Daher beschränke ich mich auch auf die Schilderung meiner Erfahrungswerte in der schamanischen Praxis.

In diesem Sinne… es kann durchaus vorkommen, dass Menschen ihr eigenes Ableben nicht als solches registrieren. Ein konkretes Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung war eine ältere Dame, die nach Schilderung ihrer Angehörigen, zwei Jahre vor ihrem Tod wegen Altersdemenz in ein Pflegeheim gegeben worden war.
Die Demenz war offenbar Ursache dafür, dass sie sich weder ihres Todes bewusst war – noch der letzten örtlichen Veränderung, weg von dem Zuhause, in dem sie die meiste Zeit ihres Lebens verbracht hatte.
Eine weitere Möglichkeit kann meines Wissens ein sehr plötzlicher Tod sein. Und auch die Weigerung den Tod überhaupt zu akzeptieren kann eine Rolle spielen. Ein Loslassen aus verschiedensten Gründe zu verweigern.
Selbst ein Suizid durch Erhängen wurde mir mal vom Freund des Verstorbenen geschildert… weil die Art des Todes den erfahrenen Eindrücken gemäß ein Ablösen vom Körper verhinderte. (Wobei mir gerade bewusst wird, dass ich im Lauf der Zeit wohl doch ein paar Erfahrungswerte Anderer erzählt bekommen habe.)

In solchen und anderen Fällen kann abseits eines akuten Todesfalls eine Intervention nötig werden, weil es diesen Menschen ja im Grunde nicht gut geht mit der bestehenden Situation. Etwas ist nicht zu dem nötigen Abschluss gelangt. Sie sind „hängen geblieben“ ist diesbezüglich eine saloppe Redewendung. Ähm… was kein morbides Wortspiel auf den oben genannten Fall sein soll!

Entsprechend werden solche Menschen nach Möglichkeit aus dieser Situation des Stillstands befreit (was mitunter erheblichen diplomatischen Aufwand erfordert) und – zumindest oft – unter Rücksprache mit den eigenen Helfern an den Ort oder zumindest dessen Grenze verbracht, der für sie notwendig ist.

Umgekehrt kann es – daran wurde ich erst jüngst wieder erinnert – sinnvoll sein, zum Beispiel mittels einer oder auch mehrerer Reisen den Hinterbliebenen eine Erleichterung im Umgang mit der Trauer zu ermöglichen.
Weil sich im besten Falle infolge dessen eine klar empfundene Überzeugung einstellen kann, dass es der verstorbenen Person, oder durchaus auch dem Haustier, gut geht. Beides habe ich so erlebt und auch geschildert bekommen. Der Trauer ist es egal, auf wen sie sich bezieht…

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2 Kommentare
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  1. Schöne Trommeldarstellung ! Ich hab übrigens mal irgendwo gelesen, dass eine solche anthropomorphe Figur den der Trommel innewohnenden Geist darstellt – oder zumindest darstellen kann.

  2. […] der interessantes zum schamanischen Reisen zu sagen hat: Aller Anfang ist manchmal schwer und Vom großen Danach. Mehr theoretisch ist mein sechsteiligen Aufsatz von 2009: Auf der Suche nach der europäischen […]

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