Symbole wirken subtil
In der Umgangssprache bedeutet „nur symbolisch“ „nicht wirklich“. Wer sich mit Symbolen befasst hat, und sei es nur auf der Ebene der Werbepsychologie, weiß jedoch, dass Symbole wirken.
Der Eintrag in der „Wikipedia“ enthält viele, sich widersprechende Definitionen von Symbol. Es lässt sich aber sagen, dass Symbole und Zeichen nicht dasselbe sind: Symbole, „Sinnbilder“, stehen für etwas, haben eigene Inhalte. Das Verkehrszeichen „Stopschild“ als Zeichen weist Autofahrer darauf hin, dass er anhalten und den Fahrzeugen auf der kreuzenden Straße Vorfahrt zu gewähren hat. Außerhalb des Kontextes „Straßenverkehr“ sind Verkehrszeichen normalerweise ohne Sinn. Normalerweise, denn das Stopschild ist eines der wenigen Verkehrszeichen, das es zu eigener symbolischen Bedeutung gebracht hat; als Symbol steht es etwa für: „Bis hierhin und nicht weiter!“ oder „Aufhören, aber sofort!“
Das selbe Zeichen kann in unterschiedlichen Zusammenhänge eine andere symbolische Bedeutung haben. (In Indien hat das Symbol „Swastika“ eine völlig andere Bedeutung und ruft auch andere Emotionen hervor, als das Symbol „Hakenkreuz“ im europäischen Kontext. Swastika und Hakenkreuz mögen gleich aussehen, es sind aber unterschiedliche Symbole.)
Symbole haben in aller Regel eine emotionale Note und wirken, über die geweckten Gefühle, an unserer Meinungsbildung mit. Wie werden die Symbole mit Gefühlen „aufgeladen“?
Ein psychologischer Vorgang, der dabei wichtig ist, nennt sich „Priming“ (auf Deutsch manchmal „Bahnung“ genannt). Wie ein Reiz (etwa das Bild eines Brotes) verarbeitet wird, wird dadurch beeinflusst, dass ein vorangegangener Reiz (etwa das Bild einer Küche) implizite Gedächtnisinhalte aktiviert hat. Weshalb Versuchspersonen, denen vorher das Bild einer Küche gezeigt wurde, das Bild des Brotes viel leichter identifizierten, als Bilder von Objekten, wie Briefkästen oder Trommeln, die nicht in ein Küchenbild passen.
Solch ein bahnender Reiz kann ein Wort, ein Bild, ein Geruch, eine Geste oder ähnliches sein. Sie wecken Erinnerungen und die mit den Erinnerung verbundenen Gefühle.
Symbolische Reize können unbewusst bestimmte Assoziationen wecken, und damit automatische Handlungstendenzen hervorrufen.
Stephanie Heyl stellt im „Gehirn & Geist“-Blog ein interessantes Beispiel für subtile Symbolwirkung vor:
Angemerkt: Im Fadenkreuz
Im Zusammenhang mit dem Attentat von Tucson, und der Rolle, die Sarah Palins PAC-Wahlkampfkampagne, die eine Karte veröffentlicht hatte, auf der mit Fadenkreuzen Wahlbezirke markiert waren, welche die Republikaner von den Demokraten zurückerobern wollten. Einer der Bezirke war der von Gabrielle Giffords, der das Attentat galt.
Der Psychologe Claus-Christian Carbon von der Universität Bamberg wollte daraufhin herausfinden, ob solche Symbole tatsächlich die Gewaltbereitschaft steigern. Zusammen mit seinen Kollegen Jan Schoormans und Valentin Gattol von der Universität Delft (Niederlande) befragte Carbon 170 zufällig ausgewählte Probanden zu einem fiktiven Szenario. Angeblich streunten zu viele Füchse in der Nähe von Utrecht umher. Die Tiere ernährten sich vom Wohlstandsmüll und seien für die Bevölkerung zur Plage geworden. Die Wissenschaftler zeigten der Hälfte der Teilnehmer eine Karte, auf der die betroffenen Orte mit fadenkreuzähnlichen Emblemen markiert waren. Die Kontrollgruppe sah an denselben Stellen lediglich leere Kreise. Anschließend sollten sich die Probanden entscheiden, ob man die Füchse erschießen oder lieber einfangen, sterilisieren und wieder frei lassen sollte.
Tatsächlich entschieden sich vor allem diejenigen für eine gewaltsame Lösung, die zuvor durch Fadenkreuze auf die Problemzonen hingewiesen worden waren. Wer dagegen nur Kreise gesehen hatte, sprach sich deutlich häufiger für die tierfreundliche Variante aus. Fazit der Autoren: Durch subtile Symbole lässt sich Gewaltbereitschaft provozieren – unabhängig von Alter und Geschlecht der Teilnehmer.
Stephanie Heyl schließt:
Dass es sich bei den Emblemen um „bloße Markierungen“ handelt, wie Sarah Palin entschuldigend meinte, ist ein fataler Irrtum. Fadenkreuze sind eindeutig mit dem Akt des Schießens assoziiert und werden in der Öffentlichkeit aus gutem Grund kaum verwendet. Allein am Sonntagabend im „Tatort“-Vorspann entdeckt man ein solches Symbol, und jedem Kind ist klar, dass es hier um Gewalt geht.
Die Folgerung aus Carbons Experiment ist damit offensichtlich: nie Sinnbilder der Gewalt mit Menschen verbinden! Denn derartige Anspielungen können schlimme Konsequenzen haben. Selbst bei friedfertigen Menschen weckt der Anblick solcher Zeichen unter Umständen Aggressionen. Wir können uns der Macht der Symbole nicht entziehen. Gehen wir also verantwortungsbewusst und behutsam mit ihnen um!
„It’s time to take a stand“: Depicting crosshairs can indeed promote violence (abstract)
Einige ergänzende Gedanken:
Mir fällt auf, dass Vertreter von aggressiven Ideologien das Symbol Fadenkreuz aus (aus ihrer Sicht) „gutem“ Grund verwenden. Das Fadenkreuz auf den Titelbildern „verschwörungstheoretischer“ Bücher ist schon
Klischee, man kann sich beinahe sicher sein, dass ein Buch mit Fadenkreuz auf dem Titelbild, wenn es nicht gerade ein Krimi oder Kriegsroman ist, verschwörungsideologische Inhalte hat. (Ich habe das hier parodiert.) Auch ohne psychologische Studien wissen Propagandisten aus Erfahrung, dass das Symbol Fadenkreuz, in Verbindung mit Hass und Angst, besonders „wirksam“ aggressiv macht, und zwar buchstäblich „gezielt“ aggressiv.
Vielleicht hängt die Beliebtheit des stilisierten Keltenkreuzes bei Neonazis über den „Hakenkreuz-Ersatz“ hinaus mit seiner Ähnlichkeit mit einem Fadenkreuz zusammen.
Allerdings sind nur wenige Symbole derart eindeutig wie das Fadenkreuz – und noch wenigere erhalten so klare „Handlungsempfehlungen“.