Neonazis in Wikingerpelzen?
Es ist eine unangenehme Tatsache, dass „die Wikinger“ für völkisch gesonnene Menschenfeinde attraktiv sind. Wobei die völkischen Wikingerfans regelmäßig ihre Macht-, Gewalt- und Männlichkeitsphantasien auf die frühmittelalterlichen Nordeuropäer projizieren. Eine weitere unangenehme Tatsache ist, dass Neonazis gern auf „germanisch-nordische“ Symbolik zurückgreifen. Daher ist es auch nicht überraschend, dass auch Reenactment-Gruppen mit entsprechender Thematik für unsere inwändig braunen „Freunde“ interessant sind. Anderseits ist das Problem seit langem bekannt und die „Wikinger-Szene“ wachsam.
Die Frage ist also, in welchem Ausmaß Wikinger-Gruppen wirklich unterwandert sind.
Anfang August geriet das leidige Thema in die Presse. Wie jedes Jahr fanden in Schlewig am letzten Juliwochende die Wikingertage statt, mit ca. 25.000 Zuschauern, Wikinger-Markt, Handwerkspräsentationen, Konzerten und selbstverständlich auch Schaukämpfen. Darüber berichteten die „Schleswiger Nachrichten“ ausführlich und mit einem großen Foto auf der Titelseite. Es zeigt rund ein Dutzend Männer, als wikingerzeitliche Krieger gewandet. Beim genaueren Hinsehen erkennt man, dass auf einem der Rundschilde der „Krieger“ ein achtgliedriges schwarzes Hakenkreuz auf rot-weißem Grund prangt.
Dieses als „Kolovrat“ bekannte achtarmige Hakenkreuz ist ein gängiges Symbol vor allem bei russischen Neonazis.
Sachkenner sind sich einig, dass der Schild nicht zufällig so bemalt wurde: Die Schildbemalung ist nämlich nicht historisch belegt. Das Kolovrat taucht nur sehr selten bei vorgeschichtlichen, antiken und mittelalterlichen Funden auf, umso häufiger jedoch im Neonazi-Kontext. Da das Kolovrar nicht ausdrücklich verboten ist, verwenden es Neonazis als „Ersatzsymbol“ für das verbotene Hakenkreuz.
Die Presse griff den Vorfall auf – auf eine Weise, bei der die Reenactment- und Living-History-Szene sehr schlecht wegkam.
„Nazi Verdacht auf den Wikingertagen“ (SHZ) und „Mit Rüstung und Hakenkreuz“ (taz).
Zum Fall selbst ist zu sagen: So etwas darf nicht vorkommen – wobei es letzten Endes egal ist, ob unter dem Helm ein Neonazi, ein „Neurechter“ oder einfach ein Provokateur steckte. Anderseits sieht alles nach einer Panne, schlimmstenfalls nach Nachlässigkeit aus.
Stephan Vollbehr, verantworlicher Veranstalter der Wikingertage, zeigte sich überrascht über das Symbol auf dem Schild. Die Wikingertage hätten nicht nur eine klare Distanz zur rechten Ideologie, sondern „solche Menschen“ (Rechtsextremisten) hätten bei ihnen nichts zu suchen. Es gäbe „einen schmalen Grat, in welchem Zusammenhang alte mythologische Symbole genutzt werden“. Diese würden teilweise missbraucht. Das Problem sei ihm mehr als bewusst. In früheren Jahren hätte die Wikingertage immer wieder einmal rechtsradikale Besucher, worauf sie sehr deutlich und unter anderem mit einer starken Polizeipräsenz reagierten.
Vollbehr sagt, dass durch die klare Positionierung das Event für Rechtsradikale komplett uninteressant geworden sei.
Ausßerdem sollte man den Vorfall auch deshalb nicht zu hoch hängen, weil der Schild kaum beachtet wurde und auch dem Fotografen und der Redaktion der Schleswiger Nachrichten nicht auffiel. Ohne die Berichterstattung der Presse hätte der Schild mit der hakeligen Symbolik kaum Beachtung gefunden und damit auch keine Propagandawirkung erreicht.
Mir selbst sieht es ganz nach einem Streich nach dem Motto: „Mal sehen, ob es jemand merkt“ aus – was einen Neonazi-Hintergrund selbstverständlich nicht ausschließt. Ärgerlich? Ja. Ein Skandal? Eher nicht. (Ein Skandal wäre es etwa, wenn der Veranstalter selbst einschlägig bekannte Symbole verwenden würde, oder etwa völkische oder rassistische Propaganda im Wikinger-Tarnmantel verbreiten würde.)
Gemäß dem „taz“-Artikel findet Karl Banghard, Leiter des Archäologischen Freilichtmuseums Oerlinghausen, den Schild weniger problematisch, als den Umstand, auf den er verwiese: Neonazis seien in der Reenactment- und Living-History-Szene „sehr aktiv“. „Die extreme Rechte betreibt hier unterschwellig Geschichtspolitik und führt einen Kulturkampf“, behaupte Banghard. Etwa, wenn Wikinger immer in Verbindung mit Kampf dargestellt würden.
Nun ist Karl Banghard nicht nur ein ausgewiesener Experte für Ur- und Frühgeschichte, er beschäftigt sich seit einigen Jahren auch mit der Unterwanderung der „Reenactment-Szene“ durch Neonazis. Er ist Autor der Broschüre „Nazis im Wolfspelz“, für die zur Zeit eine Neuauflage in Vorbereitung ist.
Dass die „Wikinger immer in Verbindung mit Kampf“ dargestellt würden, kann ich persönlich nicht bestätigen – auch Darstellungen von Handwerkern, Händlern und Bauern sind auf Events durchaus beliebt. Es ist allerdings so, dass, egal welche Epoche dargestellt wird, also auch z. B. bei „Römern“ oder „Rittern“, Schaukämpfe große Publikumsmagneten sind, auf die kein Veranstalter gern verzichten möchte. Ansonsten habe ich den Eindruck, dass gerade die Wikinger-, Germanen-, Kelten- und Slawendarsteller sehr bemüht sind, überkommenen Klischees und tradiertem völkischem bzw. nationalistischem Gedankengut etwas entgegen zu setzen. Etwa der Vorstellung, „Germanen“ und „Slawen“ wären quasi „von Natur aus“ Feinde und niemals gut miteinander ausgekommen.
Tobias Molz, ein langjähriger Reenactor, selbständiger Reenactmentbedarfshändler und nicht zuletzt Veranstalter von frühmittelalterlichen (Kampf-)Veranstaltungen, schrieb in einem ausführlichen Leserbrief an „SHZ“ und „taz“, dass Symbole wie das achtarmige Hakenkreuz nicht toleriert werden dürfen, auch wenn das Symbol selber nicht auf dem Index stünde. Aus diesen Gründen hätte er als Veranstalter diesen Schild auf dem Schlachtfeld nicht zugelassen.
Er fände es aber zutiefst befremdlich, aus diesem Vorfall eine Tendenz für die gesamte deutsche oder sogar europäische Frühmittelalterszene festzustellen.
In der sogenannten „Wikingerszene“ spiegele sich ein Querschnitt der Gesellschaft wieder. Er würde sogar so weit gehen, dass gerade durch den hohen Bildungsstand der Reenactor und Handwerker, die Tendenz in der Szene in Richtung Weltoffenheit und Toleranz ginge. Das soziale Mitteinander, die Unterstützung in schweren Lebenslagen und der Austausch unter den vielen Kulturen und Nationen seinen wichtige Bestandteile des Lebens in der Szene. Es gäbe unzählige Freundschaften von Russland bis Großbritannien und von Norwegen bis Spanien.
Er schreibt:
„Ich selbst durfte z.B. im Januar Teil einer Hilfsaktion sein, die nichts mit dem Reenactmenthobby zu tun hatte, sondern sich ganz einer aktuellen Problematik stellte. Kurz vor Weihnachten gründeten wir mit einigen Freunden aus der Szene die Facebook Seite „viking-refugee-support“. Wir sammelten innerhalb kürzester Zeit Kleider und Geldspenden, um am Ende mit drei vollen Lieferwagen und etlichen Tonnen Hilfsgütern in eine Erstaufnahmeeinrichtung auf der Balkanroute in Kroatien fahren zu können. Der Großteil dieser Spenden stammte aus der deutschen Reenactmentszene, die Szene, über die Herr Banger schreibt, sie sei von extremen Rechten unterwandert und würde zum „Kulturkampf“ der Rechten benutzt.
Ich sehe eine weltoffene Gemeinschaft voller geschichtsinteressierter Menschen, die in weiten Teilen ein außergewöhnliches Hobby zum Lebensstil oder zum Beruf gemacht haben. Nicht mehr und nicht weniger.“
Das passt, genau so wie das politische Engagement vieler „Freizeitwikinger“ gegen den europaweit festzustellenden Rechtsruck oder für Flüchtlinge, zwar alles nicht in das Bild einer rechtsblind-unpolitischen oder gar nazi-affinen „Wikingerszene“. Allerdings weiß ich aus der „Heidenszene“ der 1990er-Jahre, dass das leider nicht gegen Banghards These spricht, Neonazis seien in der Reenactment- und Living-History-Szene sehr aktiv, und dass die extreme Rechte hier unterschwellig Geschichtspolitik betreibe. Auch wenn die meisten Heiden auch damals nicht „rechtsaußen“ unterwegs waren, waren doch gerade bei den germanisch orientierten Heiden völkische Ideologie und der Einfluss extrem rechter „Heidenfürsten“ und diverser völkischer „Heidengemeinschaften“ sehr spürbar. Heute hat sich das Bild aber deutlich gebessert, vor allem dank des Engagements demokratisch gesonnener Heidengruppen.
Ich sehe Parallelen, und vermute sehr stark, dass die „Wikingerszene“ vor Jahren „rechtsoffener“ war als heute.
Laut Banghards Heft „Nazis im Wolfspelz“ begann die rechtsextreme Unterwanderung der „Wikingerszene“ schon in dem 1980er Jahren. Und gleich treffen wir auf „alte Bekannte“: Damals waren vor allem völkische neuheidnische Gemeinschaften (z. B. die „Artgemeinschaft“) oder rechtsextreme Jugendorganisationen (z. B. die unzufällig so heißende „Wikingjugend“) als Unterwanderer aktiv. Banghard geht auch auf das (seit 2000 in Deutschland verbotene) „Blood & Honour“-Netzwerk ein, das viel zum „Wikinger- und Germanenkult“ der Rechtsextremen beitrug. Auch auf rechten „Neofolk“ und „Viking Death Metal“ mit faschistischem bzw. rassistischem Inhalten geht er ein.
All das sind wichtige und richtige Informationen, berühren aber die Reenactment-Gruppen allenfalls am Rande.
Auch nicht neu, aber oft übersehen, sind „Wikinger-“ bzw. „Germanenfeste“, die von neonazistischen und „identitär“-völkischen Gruppen veranstaltet werden. Man erfährt auch, dass die mutmaßlichen Terroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Holger Gerlach auf polizeilichen Kontrolllisten eines im Sommer 1997 vom „Thüringer Heimatschutz“ ausgerichteten „Wikingerfestes“ auftauchen.
Dass die „neurechte“ „Identitäre Bewegung“ auch auf die „alten Germanen“ und die Wikinger zurückgreifen, überrascht nicht.
Was haben Rechtsextreme davon, hartnäckig die „Mittelalter“ bzw. „Wikingerszene“ zu unterwandern? Laut Banghard stellt Geschichte als ein zentrales Thema der extremen Rechten dar.
„Diese Vorgehensweise bezeichnen rechte Theoretiker als ‚Metapolitik‘. Ziel ist eine Kulturrevolution von rechts, Mittel ist Geschichtspolitik und indirekte Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Wer Geschichte deutet, liefert auch eine glaubhafte Erzählung, wie es zu unserer heutigen Gesellschaft gekommen ist. Und prägt damit nachhaltig politisches Bewusstsein. Diese jahrzentelange Grundlagenarbeit hat ihren Anteil am derzeitigen Wahlerfolg der extremen Rechten in Europa.“
Da gebe ich Banghard voll und ganz recht! Allerdings wird nicht nur, und nicht einmal in erste Linie, die „Wikingerszene“ von metapolitisch taktierenden Rechtsextremisten unterwandert. Gerade Naturschutzgruppen, Bürgerinitativen für oder gegen Großprojekte, Elterngruppen und Schulpflegschaften, aber auch Sportvereine und sogar freiwillige Feuerwehren sind für die „Kulturrevolutionäre von rechts“ als „vorpolitische Räume“ interessant.
Im Falle der „Wikingerszene“ sehe ich eine Entwicklung, die es ähnlich in der „Heidenszene“ gibt: Die rechtsdrehenden Germanenschwärmer bauen ihre Parallelstruktur auf. So wie es völkisch-rassistische Heidengruppen gibt, die weitgehend unter sich bleiben, so gibt es „Germanendarsteller“ und „Wikingerfeste“ in völkisch-rassistischer Regie. Das ist allerdings eher das Gegenteil einer Unterwanderung, bzw. ein Hinweis darauf, wie schwer es rechtextreme „Wikingerkrieger in Unterwanderstiefeln“ mitlerweile in den etablierten Reenactment-Gruppen und bei den wachsam gewordenen Veranstaltern haben.
Ein eigenes Kapitel widmet die Broschüre der Germanendarstellung in der Nazizeit. Das bedeutet auch eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen, das eine Nazi-Gründung war und in dem auch die entsprechende Germanenideologie verbreitet wurde.
Die Broschüre „Nazis im Wolfpelz“ ist an und für sich wichtig, gerade mit Blick auf rechte Geschichtsdeutungen und Geschichtsmythen. Allerdings habe ich den Eindruck, dass Banghard wenig Kontakt zur Reanactment-Gruppen hat und – vielleicht mit Blick auf die Entwicklung in Osteuropa – generell misstrauisch gegenüber der „Wikingerszene“ ist.
Hallo,
jedoch stehen Symbole/Runen bei uns auf dem Index und in anderen Ländern nicht. Und hat die Band Kiss nicht zwei Sowilo Runen? Und die Bundeswehr Othala als Abzeichen?
Und bei der Kirche, von denen ja die Verfolgungen ursprünglich ausgeht, steht gar nichts auf dem Index!
Zudem werden wir bereits schief angesehen, wenn der Hammer getragen wird.
Abgesehen davon halte ich das nur für Augenwischerei, wenn Jagd auf Heiden gemacht wird. In den USA sind es Christen, die immer noch Schwarze töten.
Rose, ich empfehle Ihnen, sich einmal gründlich auf unserer Website umzusehen.
Thema „NS-verdächtige Symbole“: Verbotene und suspekte heidnische Symbole – Teil 1: Verbotene Symbole,
Verbotene und suspekte heidnische Symbole – Teil 2: Suspekte Symbole,
Verbotene Symbole – Exkurs: „Null Toleranz“ (geht auf auf den Fall „KISS“ ein),
Aufklärung mit „Kollateralschaden“.
Speziell zu „Thors Hammer“:
Ich und mein Thorshammer, Wo der Hammer hängt und Tragen „coole Kids“ wirklich keinen Thorshammer?
Von einer „Jagd auf Heiden“ kann, jedenfalls hierzulande, keine Rede sein.
@Martin
Na, waren Sie schon einmal im tiefsten Bayern im Urlaub? Bekannte von mir müssen oberflächlich das Christentum leben und ihre Eltern wegschicken, wenn sie mal das Heidentum praktizieren möchten.
Es reicht auch schon, wenn ich Verwandte im Raum Münster besuche.
Glauben Sie es mir, wir haben schon alles mögliche erlebt, vom einbehalten des Hammers in der Schule, weil er angeblich ein Nazisymbol sei bzw. Christen in der Familie, die uns meiden, weil Heiden „böse“ und „Christen“ gut sind!
Die Diffamierungen als Nazis ist auch ein eigenes Thema! Wenn ich telefoniere und gedankenverloren rum kritzel, ohne mir was dabei zu denken, ist es mir schon öfter passiert, dass mir unterstellt wird, ich sei ein Nazi!
Und Glauben Sie es mir: Viele Neo-Nazis fahren früher oder später ein!