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Christliche Privilegien

Weil mich die Debatte um die „stillen Feiertage“ um Ostern herum nervte (ich meine, daß in einem weltanschaulich neutralen Staat ein Feiertag einer Religionsgemeinschaft, wie groß die auch immer sein mag, kein Grund sein darf, Menschen ihr Vergnügen zu verbieten), habe ich ein kleines Projekt ausgegraben, das ich schon vor einiger Zeit begonnen habe: ein Projekt, das sich mit christlichen Privilegien auseinandersetzt.

Was meine ich damit?
Wenn von Religion die Rede ist, denken die meisten Leute hierzulande automatisch an das Christentum in der einen oder anderen Ausprägung. Mittlerweile vielleicht an den Islam; nicht-abrahamitische Religionen werden vollkommen übersehen, erst recht nicht-standardisierte, nicht-kodifizierte Formen von Spiritualität. Letztere sind bestenfalls ein Rätsel, das vom Mainstream nur insofern wahrgenommen wird, als es den Großkirchen Konkurrenz macht.

Christentum stellt also, zusammen mit einer unkritischen Areligiosität, den „Normalfall“ dar, der Menschen, über deren Religion $mensch nichts weiß, erst einmal unterstellt wird, ähnlich wie heutzutage die große Mehrheit der Leute annehmen, ein Mensch sei heterosexuell, cisgender und monogam, wenn er_sie nicht explizit etwas anderes sagt.

Exkurs: Was sind Privilegien?

Privilegiert zu sein, bedeutet, sich in einer gesellschaftlichen Machtposition zu befinden und mehr oder minder alltäglichen Komfort zu genießen. Privilegierte Identitäten sind meistens die, die in unserer Gesellschaft unhinterfragt als Normalzustand angesehen werden; Merkmale, die dem Durchschnittsmenschen zugeschrieben würden, wenn nicht anders angegeben, wie: weiß, besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft, männlich, cisgender, heterosexuell, nichtbehindert, berufstätig, der Mittelschicht zugehörig. Der Blickwinkel und die Bedürfnisse dieser Gruppen werden als „normal“, richtig und wichtig verstanden und als allgemeingültig angesehen, während die von Menschen, die diesen Gruppen nicht angehören, als unwesentlich, „anders“, Sonderbedürfnisse oder „Minderheiten“ verstanden werden.

Ein Privileg in diesem Sinne ist kein Vorrecht, das eine bestimmte Gruppe zu Recht genießt, sondern etwas, das eigentlich allen Menschen gebührt. Privilegierte Menschen merken oft nicht einmal, daß sie privilegiert sind, oder es wird geleugnet, daß die Nicht-Privilegierten davon ausgeschlossen sind, oder es werden Rechtfertigungen an den Haaren herbeigezogen, warum die Nicht-Privilegierten gar kein Recht darauf haben, wie Menschen erster Klasse behandelt zu werden.

Ich genieße in einiger Hinsicht Privilegien: Als cisgender-Frau wird z.B. über mich mit einem Pronomen gesprochen, das ich als für mich passend empfinde und ich werde mit einer Anrede angesprochen, die für mich stimmig ist. Als weiße Mehrheitsdeutsche muß ich mich nicht dafür rechtfertigen, welche Musik ich mag oder nicht mag und ich werde nicht gefragt, woher denn ich (oder meine Eltern) kommen, wie lange ich schon in Deutschland lebe und es wird nicht lobend bis verwundert erwähnt, daß ich aber gut Sprache XY spreche (nicht immer ist das Deutsch, in meinem Alltag wird viel Englisch gesprochen); wenn ich Probleme habe, passende Kosmetika für meine Hautfarbe zu finden, dann liegt das nur sehr selten an meiner hellen Haut.

In anderer Hinsicht erfahre ich, wie es ist, nicht privilegiert zu sein. Als Frau ist z.B. Belästigung auf der Straße ein Phänomen, mit dem ich fast alltäglich konfrontiert bin – sei es, daß sie mir tatsächlich widerfährt oder daß ich nachts mit erhöhter Aufmerksamkeit unterwegs bin, weil die Notwendigkeit, irgendwie zu reagieren, wenn ich belästigt werde, mir ständig präsent ist. Als Lesbe finde ich mich in den meisten Kulturerzeugnissen (Opern, Bühnenstücken, Romanen, Kinofilmen) übergangen, negiert und für unwesentlich erklärt; und wollte ich gemeinsam mit meiner (hypothetischen) Partnerin eine Wohnung mieten, ist das unter Umständen sehr viel schwerer, als wenn ich mit einem männlichen Partner zusammenziehen wollte. In heidnischen Zusammenhängen muß ich mich rechtfertigen, wenn ich mich an heteronormativen Vorstellungen und Praktiken reibe und Alternativen praktizieren will, während eben diese heteronormativen Vorstellungen als ganz selbstverständlich und das Normalste der Welt gelten.
Und als Nicht-Christin stoßen mir immer wieder einige Dinge auf, um die es weiter unten gehen soll.

Privilegien kann ich als jemand, der sie hat, nicht einfach ablegen. Es ist auch nichts falsch daran, daß ich diese Freiheiten und Sicherheiten genieße – es ist nur verkehrt, daß andere das nicht tun. Will ich also etwas dafür tun, daß andere auch in diesen Genuß kommen, kann ich durchaus etwas tun: vor allem solidarisch sein. Etwa, indem ich auch als weiße Person den Mund aufmache, wenn ich Zeugin von Rassismus werde; indem ich mich auch als berufstätige Mittelschicht-Angehörige der üblichen Hetze gegen Arbeitslose und „die Unterschicht“ verweigere; indem ich für das Recht anderer eintrete, Kinder großzuziehen, auch wenn ich keine eigenen Kinder haben will, oder indem ich mich für barrierefreie Gebäude und Websites einsetze, auch wenn ich selbst keine Behinderung habe.

Christliche Privilegien – ein Übersetzungsprojekt

Wie sieht es denn nun mit dem Alltag aus? Welche Vorrechte genießen christliche Menschen, Gruppen und Einrichtungen, ohne überhaupt zu bemerken, daß nicht-christliche Menschen (ob das nun Muslime, Taoist_innen, Heid_innen oder Atheist_innen sind) und Gruppen davon ausgeschlossen sind?

An dieser Stelle kommt ein Dokument ins Spiel, das ich vor einiger Zeit fand: die Christian Privilege Checklist. Den_die ursprüngliche_n Autor_in konnte ich nicht ermitteln, dennoch habe ich mich einfach mal daran gemacht, dieses Dokument zu übersetzen.

Diese Checkliste hat im verlinkten Original eine gewisse US-amerikanische Perspektive, und diese habe ich jetzt noch nicht „rausgerechnet“, z.B. wird in Deutschland offensives christliches Missionieren von Privatpersonen eher als peinlich empfunden.

In Deutschland gibt es m.W. auch massive regionale und konfessionelle Unterschiede, bereits Christ_in der jeweils nicht dominanten Konfession zu sein, kann in Bundesländern, in denen die andere Konfession dominiert, Effekte zeitigen. Die sind natürlich erheblich viel schwächer als die, denen Leute mit nonstandard beliefs, Muslime, Hindus, … oder teilweise auch Atheist_innen ausgesetzt sind. Und in Berlin Atheist_in oder Moslem/Muslima zu sein, ist etwas ganz anderes als in Oberbayern.

Checkliste: Christliche Privilegien

  • Es ist wahrscheinlich, daß meine religiösen Feiertage mit staatlichen Feiertagen zusammenfallen und dadurch wenig bis keine Auswirkungen auf meine Berufstätigkeit und/oder meine Ausbildung haben.
  • Ich kann offen über meine religiösen Praktiken sprechen, ohne Sorge, wie das von anderen aufgenommen wird.
  • Ich kann sichergehen, Musik im Radio zu hören oder Sondersendungen im Fernsehen zu sehen, die die Feiertage meiner Religion zelebrieren.
  • Wenn über die Geschichte der (westlichen, A.d.Ü) Zivilisation gesprochen wird, kann ich sicher sein, daß mir gezeigt wird, daß Leute meiner Religion sie zu dem gemacht werden, was sie ist.
  • Ich kann mir über religiöse Privilegien Gedanken machen, ohne als „an mir selbst interessiert“ oder „selbstsüchtig“ angesehen zu werden.
  • Ich kann einen „Jesus ist der Herr“-Aufkleber oder einen Icthus (den christlichen Fisch) an meinem Auto haben, ohne daß ich mir Sorgen machen muß, daß es jemand deswegen demoliert.
  • Ich kann Feiertagsgrüße machen, ohne daß ich mir vollkommen bewußt bin, welche Auswirkungen das auf diejenigen hat, die nicht dieselben Tage feiern. Ich kann auch sicher sein, daß die Leute die Feiertage meiner Religion kennen und mich mit den angemessenen Grüßen grüßen (Frohe Weihnachten, Frohe Ostern usw.).
  • Ich kann wahrscheinlich annehmen, daß es eine Universalität religiöser Erfahrung gibt.
  • Ich kann christliche Privilegien leugnen, indem ich behaupte, alle Religionen seien im wesentlichen dasselbe.
  • Ich muß wahrscheinlich nicht die religiösen oder spirituellen Gebräuche Anderer lernen, und ich werde wahrscheinlilch nicht bestraft, wenn ich sie nicht kenne.
  • Ich bin wahrscheinlich nicht belastet dadurch, daß ich erklären muß, warum ich Dinge, die mit meinen religiösen Normen zu tun habe, auf einer täglichen Basis tue oder nicht tue.
  • Ich werde wahrscheinlich nicht nach den unangemessenen Handlungen von anderen in meiner religiösen Gruppe beurteilt.
  • Wenn ich will, kann ich gewöhnlich ausschließlich unter Menschen von meiner eigenen religiösen Gruppe sein (bei der Arbeit, in der Schule, zu Hause).
  • Ich kann davon ausgehen, daß meine Sicherheit, oder die Sicherheit meiner Familie, nicht in Gefahr gebracht wird, wenn ich meine Religion anderen bei der Arbeit oder in der Schule offenbare.
  • Es ist wahrscheinlich, daß die Massenmedien meine Religion in einem großen Umfang und positiv repräsentieren.
  • Es ist wahrscheinlich, daß ich relativ leicht Gegenstände kaufen kann, die meine religiösen Normen und meine Feiertage repräsentieren (z.B. Essen, Dekoration, Grußkarten usw.).
  • Ich kann relativ leicht und ohne viel Furcht vor Vergeltung über meine Religion sprechen oder schreiben, und sogar andere Religionen kritisieren, und meinen Perspektiven wird zugehört bzw. sie werden veröffentlicht.
  • Ich könnte einen Artikel über christliche Privilegien schreiben, ohne meine eigene Religion auf den Prüfstand zu stellen.
  • Ich kann reisen, ohne daß andere annehmen, daß ich sie wegen meiner Religion einem Risiko aussetze; und meine Religion wird mich nicht Risiken von anderen aussetzen, wenn ich reise.
  • Ich kann finanziell erfolgreich sein, ohne daß andere annehmen, daß dieser Erfolg mit meiner Religion verbunden ist.
  • Ich kann mich selbst (und meine Kinder) vor Leuten schützen, die mich (oder sie) aufgrund meiner Religion vielleicht nicht mögen.
  • Gesetzesvollstreckungsbehörden werden wahrscheinlich annehmen, daß ich eine nicht-bedrohliche Person bin, wenn meine Religion ihnen offenbart wird. In der Tat kann eine Offenlegung ihnen sogar dazu verhelfen, mich als „im Recht“ oder „unvoreingenommen/unparteiisch“ wahrzunehmen.
  • Ich kann mit Sicherheit annehmen, daß jede Autoritätsfigur generell jemand von meiner Religion ist.
  • Ich kann über meine Religion sprechen, sogar missionieren, und als „sharing the word“ charakterisiert werden, anstatt als jemand, die_der anderen ihre_seine Ideen aufdrängt.
  • Ich kann sanft und bejahend zu Leuten sein, ohne daß ich als Ausnahme für meine Religion beschrieben werde.
  • Ich werde nie gebeten, für alle Christ_innen zu sprechen.
  • Meine Staatsbürgerschaft und mein Aufenthaltsstatus werden wahrscheinlich nicht in Frage gestellt und mein Hintergrund wird nicht überprüft wegen meiner Religion.
  • Mein Kultplatz wird wahrscheinlich nicht wegen Ressentiments gegen meine Religion zur Zielscheibe von Gewalt.
  • Ich kann sicher sein, daß meine Religion nicht gegen mich arbeiten wird, wenn ich medizinische oder rechtliche Hilfe suche.
  • Meine Religion wird nicht dazu führen, daß Lehrer_innen mich wegen der angenommenen Fähigkeiten meiner religiösen Gruppe in eine bestimmte berufliche Schublade stecken.
  • Meine Kinder werden mir nicht weggenommen, wenn Regierungsbehörden meine religiöse Zugehörigkeit kennen.
  • Wenn ich meine Religion gegenüber einer für Adoptionen zuständigen Stelle offenlege, wird das wahrscheinlich nicht verhindern, daß ich Kinder adoptieren darf.
  • Wenn ich meinen Kindern eine religiöse Bildung in einer Gemeinde geben will, habe ich wahrscheinlich eine Auswahl von Optionen in der Nähe.
  • Ich kann sicher sein, daß meine Kinder Lehrmaterial bekommen, das die Existenz und Bedeutung meiner Religion bezeugt.
  • Ich kann sicher sein, daß, wenn jemand in den Medien sich auf Gott bezieht, mein (der christliche) Gott gemeint ist.
  • Ich kann leicht akademische Kurse und Institutionen finden, die sich nur auf Leute meiner Religion konzentrieren.
  • Meine religiösen Feiertage sind so vollkommen „normal“, daß sie in vielerlei Hinsicht überhaupt keine religiöse Bedeutung mehr zu haben scheinen.
  • Die gewählten und nicht gewählten Vertreter_innen meiner Regierung sind wahrscheinlich Mitglieder meiner religiösen Gruppe.
  • Wenn ich einen Eid leiste, lege ich ihn wahrscheinlich ab, indem ich meine Hand auf die Schrift meiner Religion lege.
  • Ich kann ohne Angst vor Ablehnung, Gewalt und/oder Vandalismus ein Symbol/Symbole meiner Religion offen an mir oder meinem Eigentum zeigen.

Meine Zusätze

  • Ich kann davon ausgehen, daß meine Kultstätten als solche bekannt sind und respektiert werden. Wenn ich dort meinen Glauben praktizieren will, kann ich das tun, ohne Sorge zu haben, mich lächerlich zu machen oder angefeindet zu werden. Jede_r wird wissen, was ich da mache.
  • Meine Religion hat die Begriffe von „Glauben“, „„Gott“, „Religion“ (u.a.) so tief geprägt und setzt sie derart absolut, daß es zu Mißverständnissen kommt, wenn diese Begriffe auf andere Religionen angewendet werden.

Diese Liste ist mitnichten vollständig. Die deutschen Zustände z.B. hinsichtlich Einschränkungen von Arbeitnehmerrechten in kirchlichen Betrieben, Kirchenfinanzierung etc. habe ich in dieser Liste nicht berücksichtigt.

Was wäre ein wünschenswerter Zustand? In meinen Augen: Alle Menschen sollten diese Sicherheiten, diesen Zugang zu Bildung, staatlichen Leistungen, Arbeitsplätzen etc. haben; niemand sollte sich Gedanken machen müssen, ob er_sie Nachteile davon hat, seine_ihre religiösen/weltanschaulichen Überzeugungen zu erkennen zu geben oder nicht; sich über verschiedene kulturelle, religiöse und spirituelle Ansichten zu informieren oder zumindest nicht gnadenlos ignorant aufzutreten, sollte zur weitverbreiteten Selbstverständlichkeit werden. Davon ist unsere Gesellschaft noch weit entfernt. Aber das ist kein Grund, nicht darauf hinzuarbeiten!

Dieser Artikel ist eine erweiterte Version des Artikels Christliche Privilegien auf riesenheim.net.

English version: Some thougts about Christian privilege

2 Gedanken zu „Christliche Privilegien

  • Die Liste der Privilegien ist erschreckend wahr. Ich glaube selbst als Heide ist einem die Dominanz der christlichen Selbstverständlichkeit im Alltag nicht so ausführlich klar. Man merkt nur, dass es eine Menge Dinge gibt, die sich einfach nur falsch für uns Heiden anfühlen. Danke thursa!

  • Luna

    Ich kann Jane nur zustimmen – es ist praktisch normal sich als Heide/Nicht-Christ auf die Zunge zu beißen wenn in beliebiger Runde das Thema Religion angeschnitten wird……schon so etwas harmloses wie z.B. die Frage eines Arbeitskollegen `Na, wie hast du denn die Feiertage verbracht?‘ zwingt einen zu lügen will man nicht ellenlange Erklärungen/Rechtfertigungen abgeben müssen.
    Von dem Aufwand, sich heimlich Ritualgegenstände+Zutaten zu besorgen, alles was für Besucher ‚merkwürdig‘ aussehen könnte zu verstecken, zu bestimmten heidnischen Feiertagen Urlaub zu nehmen, ect. ganz zu schweigen…..

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