Auf der Suche nach der europäischen Schamanentradition
Versuch einer Annäherung in sechs Fragen.
Von Martin Marheinecke
Schamanisch oder genauer gesagt, neoschamanisch arbeitenden Europäern wird oft der Vorwurf gemacht, sie begingen kulturellen Diebstahl an traditionellen Stammeskulturen. Diesen Diebstahl würden manche neoschamanisch Arbeitende mittels der „historischen Fiktion“, es gäbe „eigene Wurzeln“ des Schamanismus in Europa, bemänteln.
Ist also Neoschamanismus kultureller Diebstahl? Gibt es einen europäischen Schamanismus, beziehungsweise gab es ihn?
Foto: Wikimedia commons, Erdaal
Für jemanden, der sich nur oberflächlich mit dem Thema befasst, sieht die Entwicklung des Neoschamanismus oft ganz einfach aus:
Irgendwann, so um 1980, wurde es unter Esoterikern, spirituellen Sinnsuchern und Späthippies modern, sich mit Schamanismus zu beschäftigen.
Ein paar Jahre später fanden einige dieser meist indianisch inspirierten Neoschamanen es irgendwie blöde, fremde Kulturen nachzuahmen. Sie suchten nach eigenen Wurzeln, nach einem europäischen Schamanismus.
Nun gibt es zwei Versionen:
Die wohlwollende geht davon aus, dass die wackeren Neoschamanen tatsächlich irgendwo ein paar Überreste eines europäischen Schamanismus gefunden hätten, an die sie, mehr oder weniger gelungen, anknüpfen.
Die Anhänger der weniger wohlwollenden Version wollen wissen, dass europäischer Schamanismus Mumpitz und pures Wunschdenken sei, und dass Neoschamanen, gern pauschal „Plastikschamanen“ genannt, lügen oder bestenfalls sich selbst etwas vormachen. Ihre ganze Brisanz entfaltet diese Version, wenn sie mit dem Vorwurf des kulturellen Diebstahls kombiniert wird.
Ganz böse wird es erfahrungsgemäß, wenn vom „germanischem Schamanismus“ die Rede ist. Wer davon redet, fängt sich schnell das Wort „Gewäsch“ ein: Wer von germanischen Schamanen faselt, sei entweder betrunken, nicht bei Trost – oder heimlicher Nazi.
Eine durchaus nachvollziehbare Ablehnung, angesichts der kühnen und im doppelten Sinne blauäugigen Behauptungen über die „uralte“ (am besten Steinzeit oder noch ein paar Steine weiter) und „allumfassende“ „germanische Spiritualität“, wie sie sich auf rechtsextremen „Heimseiten“ und in den Büchern braunstichiger Esoteriker finden. Politisch und moralisch motivierte Ablehnung bringt uns aber in der Frage, ob es bei germanischen Völkern Schamanismus gab oder nicht, nicht weiter.
Für die neoschamanische Arbeit ist es grundsätzlich egal, ob es eine authentische alte europäische Schamanentradition gibt oder eben nicht. Sogar für die germanisch ausgerichtete Gemeinschaft Nornirs Ætt, in der auch schamanisch gearbeitet wird, ist das in der Praxis eher zweitrangig.
Dennoch ist die Frage nach dem europäischen Schamanismus im Allgemeinen und dem germanischen Schamanismus im Besonderen für uns nicht nur von akademischem Interesse.
Die erste, und meine Ansicht wichtigere Frage ist:
Die zweite Frage: „Gibt es einen europäischen Schamanismus, beziehungsweise gab es ihn?“ unterteile ich in fünf Teilfragen, in denen ich mich schrittweise der Antwort annähere:
Ein überaus interessanter Aspekt wurde in diesem Artikel beschrieben, und zwar der des kulturellen Diebstahls – und dieses insbesondere im Zusammenhang mit dem Thema Schamanismus.
Wenngleich ich die Ergebnisse dieser Überlegungen nur bedingt für mich annehmen kann, finde ich doch die Frage an und für sich genommen sehr richtig und auch wichtig. Warum? Weil es für mich zumindest wichtig ist, nicht nur „Wissen“ zu sammeln, sondern auch um das Woher und Wohin (..will ich damit) zu bestimmen und alle mit diesen Vorhaben zusammenhängende Aspekte. Martin erwähnt in diesem Kontext die „westliche Sichtweise“. Diese ist nun per se weder besser noch schlechter als irgendeine andere, sie ist nur eben eine andere. Wenn also die Parameter, die Maßstäbe, ja die Wertmaßstäbe, die jemand seinem kulturellen Hintergrund entsprechend anwendet, andere sind als die der Kultur, der er ein bestimmtes Wissensgut entnimmt, dann sind unter Umständen die Ergebnisse und Folgen, die sich aus der Anwendung dieses Wissens in einem neuen Kontext ergeben, grundlegend andere.
Martin erwähnt auch die „ewige“ Kolonialisierung. Richtig – wir ach so modernen Menschen, die wir anscheinend aus den unterschiedlichsten Gründen ständig auf der Suche sind, gehen oft genug immer noch mit einer ungeheuren Arroganz durch die Welt, und entnehmen hier sowohl wie dortens Versatz- und Bruchstücke aus dem Gut anderer Kulturen, um diese im Stil unserer zeit, also im Schnellverfahren, zu etwas „Neuem“ zusammenzustückeln. Eine echte Auseinandersetzung findet selten statt. Damit schaden wir nicht nur den Menschen „hier“, denen wir eine neue „Wahrheit“ aufoktroyieren wollen, OHNE mögliche schädliche oder zumindest noch nicht abwägbare Konsequenzen zu bedenken, sondern auch den Kulturen, denen wir ihr Wissen entnehmen oder von denen wir kopieren. Das ist in meinen Augen zwar kein Diebstahl, denn sie (die anderen Kulturen) haben das Wissen ja immer noch, aber wir rücken aufgrund unseres Verhaltens eben dieses Wissen in eine Ecke des Exotischen, nicht verifizier- und erklärbar. Damit kann es leicht angezweifelt werden oder gar belacht – und so bleibt der „Edle Wilde“ zwar vielleicht im Geiste der Romantik immer noch edel, aber eben auch wild = primitiv = minder…was auch immer.
Aber kann man deshalb das Abschöpfen von Wissen oder Kenntnissen auch als Diebstahl bezeichnen? Nun, ich denke, und zwar mit meiner westlichen Denke, wenn ich beispielsweise zu einem „Stamm“ gehe und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ganz gezielt dessen Kenntnisse über die Wirkung bestimmter Pflanzen und deren Anwendung entnehme und dieses nicht zu meinem privaten Nutzen und Frommen tu, sondern mittels großer Konzerne zu Millionen verarbeite, OHNE die Erlaubnis des Stammes zu haben und OHNE den Stamm an den Ergebnissen vereinbarungsgemäß an den Ergebnissen teilhaben lasse – dann ist das gewiss Diebstahl. Gleiches gilt m. E. für Wissen über Heilpraktiken, die ich mitnehme und hier zu neuen Verfahren ummodele und sie mir evtl. noch patentieren lasse. ( Exkurs: Es wäre dieses Vorgehen auch immer dann völlig absurd – und zeugt von tiefem Nichtwissen -,wenn jemand vorhat, schamanisch zu arbeiten; denn niemand, der schamanisch arbeitet, nimmt etwas von einem Platz etc. weg, ohne zumindest symbolisch um die Genehmigung dafür zu bitten, und ohne einen Gegenwert zu hinterlassen.). Im Denksystem eines „indigenen“ Stammes hingegen mit einer schamanischen Tradition ist dieser Diebstahlsgedanke unserer Ätiologie und Genese nicht Tradition. Im Vordergrund steht dort die Sicherung und der Erhalt des eigenen Lebenssystems. Anders verhält es sich mit all jenen Völkern und Stämmen mit einer ursprünglich der Natur als solchen noch näherstehenden Tradition (um es hier mal allgemein zu halten), deren Bezug zu dem „modernen“ Leben, aus welchen Gründen auch immer, nun mal bereits gegeben ist. Hier finden wir kulturelle, religiöse und soziale Mischformen, oft mit einem Schwerpunkt auf den alten originären Traditionen bei gleichzeitigem Wissen um alle monetären Aspekte. Hier gewinnen die Aspekte „Kulturdiebstahl, Ausbeutung von Ressourcen ohne eigenen Vorteil, Kenntnis-, Wissens- und Materialdiebstahl“ natürlich an Bedeutung – und m. E. auch durchaus zu recht.
Mich treibt nun die Frage um: Unbeachtet aller philosophisch –akademischer und rechtlicher Aspekte in Bezug auf Eigentum an Kultur – DARF ich fremdes Wissen nehmen und es in mein Leben einweben, es verändern, etwas Neues daraus machen und dieses vielleicht dann irgendwann meinem Lebensumfeld als spirituelle oder medizinische Ergänzung zum bereits Vorhandenen anzubieten?
Ich persönlich denke: ja ich darf. Warum auch nicht? Und wenn ich im Sinne eines gesunden Energieaustausches gewisse Prinzipien dabei beachte, ist für mich alles in Ordnung. Kultur und Traditionen verändern sich, moment by moment. Es gibt nichts Statisches. Und auch das, was wir bei einigen verblieben indigenen Völkern sehen, ist letztlich eine Momentaufnahme.
All unsere Bemühungen, der Welt gesamten Spiritualismus und Kultur fein säuberlich in Kästchen zu sortieren, ist m. E. obsolet. Wer ist ein Schamane per definitionem (und wessen Definition…), wer arbeitet immerhin noch schamanisch, Dürfen „wir“ schamanisch arbeiten, wo „wir“ vielleicht niemals eine schamanische Tradition hatten?
Besonders Mitteleuropa bis in den Norden hinein war immer eine Hauptverkehrs- und Durchgangsstraße. Zu den unterschiedlichsten Zeiten haben „hier“ die unterschiedlichsten Menschen gelebt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass einige von ihnen eindeutig schamanische Traditionen mit im Gepäck hatten, die dann in eine vielleicht nicht mehr schamanische Gesellschaft eingesickert sind. Oder es war genau umgekehrt, die schamanisch arbeitenden Menschen gingen (nachdem sie mal gekommen waren) und nahmen nun wieder wesentliche Kulturgedanken mit. Oder, oder………….Schamanische Aspekte gab es zumindest auch in unseren Breiten. Und heute fehlt vielen Menschen auf alle Fälle etwas. Sie sind auf der Suche, und manche finden, für sich oder für andere. Manche integrieren diese Fundstücke in ihr Leben, manche extrahieren beinah wissenschaftlich Kernstücke – wie die Foundation – und erschließen dieses Wissen interessierten Menschen. Um sich Schamane nennen zu können, muss man mal eine Gesellschaft, einen Stamm um sich haben, der die schamanischen Sichtweisen kennt und lebt. Schamanisch arbeiten können aber auch andere, grundsätzlich zumindest.
Um den Bogen zum Diebstahlsgedanken zurückzuspannen: Wenn ich etwas nehme, muss ich auch etwas geben (und zwar etwas, das gewollt, gewünscht, benötigt ist). Ansonsten begehe ich nach westlicher Lesart Diebstahl oder verhalte mich zumindest unmoralisch, Nach der Auffassung aller „natürlich“ lebender Menschen störe ich die Energie und bringe die „Welt“ in Ungleichgewicht.
Dieser Gedanke ist für mich einfach nachzuvollziehen; denn mit allem, das ich tue, verändere ich, habe und nehme Einfluss und bewirke somit für mich und meine Umwelt Gutes oder Schlechtes. Und es wäre in meinen augen sehr wünschenswert, wenn wir Menschen diese Sichtweise etwas mehr verinnerlichen könnten!
Dies ist zugegebener Maßen nur ein kurzer Kommentar – für ein solch wichtiges Thema, das viele andere wichtige Themen beinhaltet, die alle letztlich einander bedingen. Aber ich habe versucht, meine wichtigsten Gedanken dazu vorzustellen
Hallo Carola!
Danke für den ausführlichen Kommentar.
Zum Begriff des „kulturellen Diebstahl“. Es ist ein zugegebenermaßen etwas irreführender Begriff, denn wie Du ganz richtig schreibst, kommt niemanden dabei etwas abhanden. Es gibt aber den stehenden Begriff des „Diebstahl geistigen Eigentums“, der meiner Ansicht auch dadurch nicht entwertet wird, dass er z. B. von der Musikverwertungsindustrie sogar auf die (an und für sich legalen) Privatkopien angewendet wird. (Von Wortprägungen wie „Raubkopierer“ oder „Musikpiraten“ gar nicht zu reden.) Wir sind, wenn ich Dich richtig verstehe, beide bereit, ein Plagiat als „geistigen Diebstahl“ zu bezeichnen, wenn der Plagiator dem wahren Urheber dessen Rechte streitig macht. „Kultureller Diebstahl“ ist es, wenn etwa südamerikanische Vegetalistas, deren Wissen einem pharmazeutischen Unternehmen zu einen patentierten Medikament verhilft, gar nicht oder äußerst unzulänglich honoriert werden. Dasselbe gilt im großen und ganzen auch für bestimmte psychotherapeutische Methoden: der Urheber darf nicht vergessen werden. Wenn ich mit Schamanisieren nach der Methode der Tuva gutes Geld verdiene, bin ich moralisch verpflichtet, die eigentlichen Urheber angemessen zu beteiligen. Darin sind wir, denke ich, einer Meinung.
Da stellt sich mir unweigerlich die Frage: Woher willst Du das wissen? Bzw. woher wollen Deine Gewährsleute das wissen? Schon das Verhältnis zum persönlichen Eigentum kann bei verschiedenen Völkern sehr unterschiedlich sein. Bei den kanadischen Inuit gibt es z. B. persönliches Eigentum, Gemeinschaftseigentum, Dinge, die der Allgemeinheit gehören (im Sinne der Allmende) und Dinge, die aus prinzipiellen Gründen niemanden gehören können. (Letzteres oft im Gegensatz zur „weißen“ Auffassung – Land kann z. B. niemanden gehören.) Es konnte durchaus vorkommen, dass ein Angakok (Schamane) sauer auf einen anderen Schamanen war, der seine spezielle, oft mühsam erarbeitete, Methoden ungefragt anwendete. Fraglos steht die Sicherung des Überlebens in einer rauen Umwelt im Vordergrund – weshalb es bei den Inuit auch zahlreiche Sitten gibt, die Notfälle und gegenseitige Hilfe regeln. Es macht einen Unterschied, ob ich mich bei einem fremden Nahrungsmitteldepot bediene, um nicht zu verhungern – oder weil ich nur zu faul bin, selbst zu arbeiten (jagen, fischen, beerensammeln usw.).
Genau so ist das bei den Tricks und Methoden eines Schamanen.
Es kann natürlich bei Völkern mit komplizierterer Gesellschaft und in weniger gefährlicher Umwelt völlig anders sein. Etwa in dem Sinne, dass alles dem Stamm als Ganzem gehört. Oder das bestimmtes Wissen nur von Eingeweihtem zu Eingeweihtem weitergegeben werden darf – was bei den Lakota übrigens der Fall ist. In diesem Falle gilt der Verrat des geheimen Wissens an einen Außenstehenden als moralisch verwerflich und als mögliche Ursache dafür, dass die traditionellen Methoden nicht mehr funktionieren, weil sie durch den Verrat entweiht wurden.
wo kann mir hier bloß zitiere??????
Hi Martin,
“ Da stellt sich mir unweigerlich die Frage: Woher willst Du das wissen? Bzw. woher wollen Deine Gewährsleute das wissen? Schon das Verhältnis zum persönlichen Eigentum kann bei verschiedenen Völkern sehr unterschiedlich sein.“ Zitat
Du hast damit natürlich völlig recht! Das kann ich nicht wissen. Und die Ansichtgen von Völkern zu Diebstahl etc. sind natürlich ebenso völlig unterschiedlich. D´accord. Ich wolte mit meinen Gedanken auch nur darauf aufmerksam machen, dass wir unter Umständen uns selber mit unseren Gedanken, unseren „westlichen“ Gedanken oft selbst ein Bein stellen, indem wir einerseits (schnell) „unser“ Denken und Handeln kritisieren, gleichsam aber als Grundlage/Beweis für diese Kritik wiederum unseren Denkansatz nehmen. Insofern habe ich in der Kürze der Zeit zwei unterschiedliche (mögliche) Sichtweisen gegenübergestellt, und diese als (eine) Basis für ein Umgehen mit kulturellem Eigentum herangezogen.
Zitat “ Wenn ich mit Schamanisieren nach der Methode der Tuva gutes Geld verdiene, bin ich moralisch verpflichtet, die eigentlichen Urheber angemessen zu beteiligen. Darin sind wir, denke ich, einer Meinung.“ Zitatende
Hier sind wir in der Tat einer Meinung. Wie schon gesagt, gehe ich hier noch weiter und denke, unter Berücksichtigung des o.a. Diebstahlgedankens, dass dieses Handeln „quid pro quo“ eine wesentliche Voraussetzung für das Gleichgewicht der Energien und Kräfte ist. WIE dieses in den einzelnen Kulturen gelebt wird, mag sehr unterschiedlich sein. Ich glaube nur, bzw.gehe mittels meines bescheidenen Wissens über indigene Kulturen davon aus, dass dieser Gedanke/dieses Prinzip als unmittelbar wirkendes Prinzip in manch anderen Kulturen Vorrang hat vor unseren Prinzipien der „Rechtslage“ – wobei meine ehrliche Meinung die ist: Entweder ist man ehrlich und nimmt nicht ungefragt (und unerlaubt) und ist FÜR das Geben genauso wie für das Nehmen – oder eben nicht. Insofern auch hier wieder: d´accord :).
Besonders interessant finde ich hier wieder den von dir aufgezeigte Vorgehensweise bei den Lakota:
Auch hier steht m.E. das Aufrechterhalten der Traditionen und damit der spezifischen Lebensform im Vordergrund. Nur dass hier das Wissen gehütet wird wie ein Schatz – der er ja auch ist für die Lakota. Hier stiehlt also nicht nur derjenige, der unerlaubt Wissen mitnimmt, sondern auch der, der es weitergibt, ohne die Befugnis dafür zu haben. Für das Nachsinnen über die möglichen Konsequenzen eines solchen modus operandi, einer solchen Denkweise, muss ich mir wirklich erst einmal ein wenig Zeit nehmen. Obwohl ich natürlich schon von solchen Gebräuchen gehört habe, wird mir hier in der Diskussion erst bewußt, welch unterschiedliche Auswirkung ein solches Vorgehen auf ganze Sozialstrukturen haben kann- und damit auch auf die Einstellung zu Eigentum und Diebstahl…………..Ich komme also darauf zurück.
Nachtrag………..
Mit diesem „Geheimhaltungsgedanken“ habe ich mich zugegebener Maßen etwas schwer getan. Ich musste erst einmal ein Gefühl dafür bekommen. Da drängte sich mir der Begriff „Esoterik“ auf. Und im Wunsch, diesen Begriff weder positiv noch negativ, sondern ihn einfach als Begriff mit einer Inhaltszuordnung zu sehen, habe ich diesen „überprüft“. Esoterik ist seit der Antike bereits bekannt und beinhaltet geheimes Wissen, (vor anderen) geheim gehaltenes Wissen. Die Weitergabe dieses Wissens geschieht nur von Befugten zu Befugten oder von Eingeweihten zu Eingeweihten.
Warum Wissen geheim gehalten wird – oder gehütet wird wie ein Schatz – hat m. E. durchaus verschiedene Ursachen. Es kann die Einstellung vorherrschen, dass nur bestimmten Menschen die geistige oder spirituelle Fähigkeit gegeben ist, ein solch besonderes – spezifisches – Wissen zu erwerben. Es kann sein, dass um die Reinerhaltung des Wissens gefürchtet wird, dass jenes Wissen, welches „allen“ zugänglich gemacht wird, eine Verflachung der jeweiligen gesellschaftlichen Strukturen und Traditionen im Gefolge haben könnte, die verhindert werden will. Es kann aber auch sein, dass eine u. U. feindliche Umwelt eine möglichst „reine“ Struktur oder Spiritualität nötig macht. Es kann aber auch sein, dass es ganz allein um Vormachtsgedanken geht, um Einfluss und Deutungshoheit – um Macht schlechthin. Dies ist in jeder Kultur möglich.
„Oder das bestimmtes Wissen nur von Eingeweihtem zu Eingeweihtem weitergegeben werden darf – was bei den Lakota übrigens der Fall ist. In diesem Falle gilt der Verrat des geheimen Wissens an einen Außenstehenden als moralisch verwerflich und als mögliche Ursache dafür, dass die traditionellen Methoden nicht mehr funktionieren, weil sie durch den Verrat entweiht wurden.“
Wie es sich bei den Lakota verhält, kann ich weder sagen noch das, was ich höre und lese, beurteilen. Ich könnte mir vorstellen, dass aufgrund der Jahrhunderte andauernden Unterdrückung und der versuchten Auslöschung der Kultur(..en) (was ja in weiten Teilen funktioniert hat), hier ein Zusammenrücken und ein geheimes Wahren aller noch erhaltenen oder wiedergefundenen Traditionen wirklich überlebenswichtig ist, wollen die Lakota verhindern, dass ihr Wissen im großen amerikanischen Einheitsmischmasch verschwindet. Ihr – mal vereinfacht ausgedrückt – Energiehaushalt würde in jedem Fall durch die Wegnahme ihrer Identität nachhaltig gestört werden. Ob die Lakota wirklich glauben, dass bestimmte Rituale nicht mehr wirken, weil z.B. ein europäischer Mensch über diese Rituale etwas gelernt hat?? Ich weiß es wirklich nicht…………
Unterm Strich spielt es aber auch glaube ich keine Rolle. Wenn es in einer Gesellschaft Konsens ist, dass Wissen nicht nach außen gegeben wird, und ein Mitglied dieser Gesellschaft tut es dennoch, so ist dieses Mitglied der Gesellschaft des Diebstahls/Verrats schuldig. Auf alle Fälle ist es zunächst einmal Sache der betroffenen Gesellschaft, diese Problematik selbst und unter sich zu regeln. (Aber cave: Da ist man schnell auch bei der grundsätzlichen Frage der Legitimität der Einmischung in die Angelegenheiten…..usw.). Ob aber jetzt auch derjenige, der Wissen unbefugter Weise erhält, auch ein Dieb ist, hängt m. E. von vielen Faktoren ab. Eine pauschale Zuordnung „Armer edler Wilder“ versus „böser weißer Mann“ ist mir zu simpel. Ich persönlich halte jedoch alles, was ich mir zu meinem Nutzen oder Befriedigung meiner Neugierde „hole“, ohne dabei den Geber in der jeweils angemessenen Form (Fragen, Erlaubnis, etwas Gleichwertiges zurückgeben) zu berücksichtigen, für zumindest moralisch verwerflich.
In diesem Gesamtzusammenhang stellt sich mir jedoch auch ein anderer Aspekt entgegen – aus einem quasi weiteren Blickwinkel. Wir Menschen auf diesem Planeten, die wir jetzt hier leben, haben irgendwo die selben oder gleichen Ahnen; wir sind gleicher maßen indigen und eben auch nicht, weil „wir“ immer von irgendwoher kamen und auf unserem möglichen Weg irgendwohin gerade jetzt „hier“ sind. Einige Völker/Stämme sind „hier“ etwas länger, ihre Kultur und sozialen Strukturen konnten sich aufgrund meist abgeschiedener Lebensweise differenzierter entwickeln oder auf bestimmtem Niveau erhalten als die solcher, die auf einer „Durchgangsstraße“ leben, wie sie Europa stets war und auch heute noch ist. Ich kann und will die damit verbundenen soziologischen, ethnologischen und was-weiß-ich für-…logischen Standpunkte gar nicht alle durchleuchten oder überhaupt nur aufgreifen. Aber soviel doch: WENN z.B. ein indigener Schamane nach Stammeskonsens sein Wissen nur einem anderen Eingeweihten weitergibt, weil sonst die Medizin ihren Wert verliert oder das (kosmische) Energiegleichgewicht verloren gehen könnte, weil eben diese (Stammes-)energie (eigentlich für mich logische Schlussfolgerung) nämlich dann auch an einem anderen Ort wäre, an den sie originär nicht gehört, muss man doch auch berücksichtigen, was der Umkehrschluss bedeutet. WENN nämlich die Gesellschaft (z.B. die der Europäer) aufgrund ihrer spezifischen Entwicklung und aufgrund von Migrationsbewegungen und Missionierungen ihrer Traditionen und Spiritualität depriviert sind, ist es dann nicht richtig, sie suchen sich die Teile wieder zusammen, von denen ihnen – jedem einzelnen – früher in der Vergangenheit der Menschheit, auch einmal etwas gehört hatte? Vielleicht hatten ja der Schamane im Amazonas und der neoschamanisch arbeitende Westler gemeinsame Wurzeln……….Wie auch immer, ist es nicht sinnvoller, eine eines Animismus ´ oder/und naturreligiösen Denkens und Handelns verlustig gegangene Gesellschaft lernt wieder etwas darüber, und wenn es zunächst wie Kraut und Rüben durcheinander fällt, und ist dadurch auf alle Fälle in der Lage dazu beizutragen, dass das eher aggressive Denken und Handeln unserer Neuzeit gepuffert wird und ein Verständnis für andere „Sitten und Gebräuche“ dazu führt, auch diese zu schützen? Und wäre es nicht aus diesem Grunde sinnvoller, indigene Völker gäben etwas ab von dem, was sie haben? Aber das sind mehr philosophische Fragen zu einem komplexen Thema.
Ich stimme Dir grundsätzlich darin zu, dass es meines Erachtens sinnvoll wäre, wenn indigene Völker andere an ihrem „spirituellen Reichtum“ teilhaben ließen. Nicht „abgäben“, denn sie behalten ihn ja. Denn ich bin grundsätzlich der Ansicht, dass Wissen und Weisheit geteilt werden müssen, um vermehrt zu werden. (Ganz im Sinne des „Open Acess“, um einen Brücke zu einem Diskurs innerhalb unserer Kultur zu schlagen). Aber die Entscheidung, ob sie andere teilhaben lassen, liegt allein bei den Urhebern, also bei den Indigenas selbst. Ich kann es ihnen nicht verdenken, wenn sie dazu, angesichts einer langen und andauernden Geschichte der Ausbeutung und Bevormundung durch „Weiße / Abendländer“, sie dazu nicht bereit sind.
Mit dem Begriff des „Plastikschamanen“ habe ich zunehmend Schwierigkeiten. Als Polemik gegen Möchtegerns und Scharlatane ist er brauchbar. Allerdings hat er von Anfang an auch die Bedeutung, dass jemandem, der nicht die „richtige“ Abstammung hat oder sich nicht an das „richtige“ Publikum wendet, die „Echtheit“ grundsätzlich abgesprochen wird.
So verwendet, ist der Begriff „Plastikschamane“ gar nicht so weit entfernt vom rassistischen und ultranationalistischen Jargon des NPD-Funktionärs Klaus Beier : NPD-Spitzenkandidat beleidigt Nationalspieler Özil als „Plaste-Deutschen“.
Hallo,
ich beschäftige mich seit einigen Jahren mit Schamanismus. Praktische Studien habe ich bei der FSS Europe absolviert. Die Frage, ob es in Europa Schamanismus gegeben hatt, kann meiner Ansicht nach eindeutig mit „Ja“ beantwortet werden. Um mehr über eine Kultur zu erfahren, die den Schamanismus erst vor relativ kurzer Zeit zwangsweise aufgeben musste, mag man sich in das Land der Samen begeben. Im Kultur-Museum „Ajite“ in Jokkmokk (Schweden) (http://www.ajtte.com) befinden sich im Original erhaltene Schamanentrommeln. Der Gebrauch ist historisch und schriftlich verbürgt ebenso wie die Anwendung von unterschiedlichen schamanischen Ritualen. Meine Frage Vorort, ob heute noch Schamanismus praktiziert wird, wurde mit äußerster Scheu mit „Nein“ beantwortet. Die Scheu der Samen vor „Fremden“ ist verständlich, weil diesen Menschen bis in die jüngere Vergangenheit sehr arg mitgespielt wurde. Von der sicherlich auch im schamanischen Denken wurzelnden Kultur der Samen ist ein Gesangsstil erhalten geblieben, der „Joik“. Gejoikt wird alles mögliche. D.H. man singt nicht ÜBER etwas, sondern gestaltet den Gesang IN der Empfindung des jeweils Gejoikten. Das kann z.B. eine wandernde Rentierherde sein, das Frühjahr, bestimmter Schnee. Ähnliche Gesangsformen gibt es auch bei Indianern in Alaska.
Die Frage, ob der Schamanismus in die südlicher lebenden germanischen Stämme hineinwirkte, kann ich nicht beantworten. Umgekehrt wirkte allerdings die Asen-Religion in den samischen Bereich hinein – also ist der umgekehrte Weg auch gut denkbar. Bei der Effektivität von schamanischen Heilspraktiken, gehe ich davon aus, dass diese Methode(n) von den Nachbarvölkern sicher nicht ausgelassen worden sind. Leider erhalten sich die charakteristischen Trommeln im feuchten Klima sehr schlecht. Ich weiß nicht, ob es Funde von solchen Trommeln aus Mitteleuropa gibt. In Nordskandinavien werden noch heute in abgelegenen Gebieten immer wieder Trommeln entdeckt, die vor der kirchlichen Verfolgung im 17. Jahrhundert, vom „Noaid“ sorgfältig versteckt worden sind.
http://en.wikipedia.org/wiki/Sami_shamanism
LG Berndt
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