Woran glaubst du? – Christozentrische Themenwoche
Die Frage „Woran glaubst du?“ ist ohne Kontext in den Raum gestellt, eine Aufforderung, die verschiedenen Bedeutungen von „Glaube“ – auch religiöser Glaube hat deren mehrere – munter durcheinanderzuwürfeln. Der Begriff „ich glaube“ kann einerseits bedeuten: „ich bin fest davon überzeugt, auch ohne Fakten und Beweise“, aber auch: „ich nehme an“ und ganz wage: „ich vermute“. Es kann aber auch bedeuten: „ich vertraue“ – mit all den Facetten, die der Begriff „Vertrauen“ haben kann.
Schon das Motto der ARD Themenwoche „Woran glaubst du?“ biegt offensichtlich auch andere Bedeutungen von „Glauben“ auf „Glauben in religiöser Bedeutung“ zurecht.
Wenn (zum Bespiel) ein überzeugter Christ behauptet, auch Atheisten würden an „irgend etwas“ glauben, dann bringt er die Kategorien mutwillig durcheinander. Genau das wird im Trailer der ARD-Themenwoche gemacht:
Glauben. Ein Wort, unzählige Auslegungen. Viele Menschen glauben an Gott, einige an die Wissenschaft, andere an sich selbst. Manche haben ihren Glauben verloren. Andere haben ihn gefunden. Und selbst, wer an nichts glaubt, glaubt zumindest daran. Glauben hat viele Gesichter. Wir zeigen sie ab dem 11. Juni in der ARD Themenwoche Woran glaubst du?
Ja, ja, „Glaube an die Wissenschaft“ ist grundsätzlich dasselbe wie „Glaube an Gott“! (Wobei offen bleibt, ob damit unkritische „Wissenschaftsgläubigkeit“ gemeint ist, oder vielleicht auch der „Glaube“ im Sinne von Vertrauen in wissenschaftliche Methoden.) Der „Glaube an sich selbst“ ist, entgegen der Alltagssprache, so etwas wie Selbstvergottung, sieh an! „Und wer an nichts glaubt, glaubt wenigstens daran“ – an was, an das Nichts? Und ich dummer Heide dachte immer, „nicht glauben“ wäre das Gegenteil von „glauben“.
Dabei fallen mir einige Klassiker des deutschen Kalauers ein:
Glaubst du an den lieben Gott?
Oder an Guevara?
Ich glaube an die Deutsche Bank
denn die zahlt aus in bar.
Marius Müller Westernhagen
„Ah, Herr Pfarrer, dann sind sie sicher derjenige, der mir aus meiner Glaubenskrise helfen kann!“
„Nun ja, junger Mann, soweit mir das möglich ist …“
„Ich glaube nämlich, ich krieg‘ hier nichts mehr zu trinken.“
Otto Waalkes
„Nicht-Glauben“ ist keine Unterart des „Glaubens“ und „Glaube“ läuft nicht zwangsläufig auf „religösen Glauben“ hinaus!
Nun macht ein Motto und ein Trailer noch keine Themenwoche – die ist ein Sammelsurium diverser Sendungen, die alle „irgendwas“, mit Religion, religösem Glauben oder Sinnfragen des Lebens zu tun haben. Wobei gelegendlich der Bezug zum „Glauben“ an der Haaren herbei gezogen werden muss. Irgendwie werde ich den Verdacht nicht los, dass die gesamte ARD Themenwoche eine Werbeveranstaltung der Kirchen ist, natürlich mit Beiträgen, die Andersgläubige, Agnostiker und Atheisten „da abholen, wo sie stehen“. „Wir sind ja tolerant.“
Vielen Menschen, die mit dem religösen Glauben nichts am Hut haben, geht diese Themenwoche gewaltig auf den Geist.
Wie Mario Sixtus, der twitterte:
„Woran glaubst du?“ ist eine Frage wie „Was rauchst du?“ Damit macht man Nichtraucher und Nichtgläubige zu Außenseitern.
Der Humanistische Pressedienst setzte sogar mit einer „Themenwoche Nicht-Glauben“ einen Kontrapunkt zur Glaubens-Woche der ARD.
Mir, als Heiden, fällt auf: Die Blickwinkel der ARD-Themenwoche und im geringeren Maße auch jener der hpd-Themenwoche sind christozentrisch. Unter „Christozentrik“ versteht man in der christlichen Theologie die Auffassung, dass Jesus Christus die zentrale Stellung in der Schöpfungs- und Heilsgeschichte einnimmt, die alles andere bedingt und ordnet. Da ich weder Christ noch Theologe bin, verstehe ich unter „Christozentrismus“ etwas ähnliches wie den Eurozentrismus“. Nicht-christliche Gesellschaften und nicht-christliche Religionen und Lebensphilosophien sowie nicht-christliche Formen der Spiritualität werden von christozentrisch denkenen Menschen nach christlichen Vorstellung beurteilt, nach christlichen Werten und Normen. Oft denken Christozentriker auch eurozentrisch. Sie konnen aber durchaus z. B. Ostafrika für den Mittelpunkt des Universums und den Ursprung aller Zivilisationen, die diesen Namen verdienen, halten. Das ist unter den fundamentalistischen Christen Ugandas nicht unüblich, kommt hier in Europa aber eher selten vor. Übrigens braucht man kein Christ, und schon gar nicht ein gläubiger Christ zu sein, um christozentrisch zu denken: Unsere Kultur ist „sittenchristlich“ geprägt, christozentrisches Denken ist auch unter Nicht-Christen „normal“. Es kostet daher auch Andersgläubigen, Agnostikern und Atheisten, die in unserer „westlichen“ Kultur sozialsiert wurden, einige Anstrengung, nicht christozentrich zu denken und zu fühlen. Die meisten merken nicht einmal, dass sie christozentrisch denken.
Das christozentrische Denken passt „in etwa“ auch auf die anderen „abrahamitischen“ monotheistischen Religionen, Islam und Judentum. „In etwa“, denn es ist z. B. ohne weiteres möglich, Jude und Atheist zu sein. („Judentum“ ist nicht nur Religion, sondern u. A. auch eine Traditionsgemeinschaft, die als eigene Volksgruppe in Erscheinung treten kann – und oft auch als Schicksalsgemeinschaft.)
Eine ungewollte Satire auf den Christozentrismus ist der „Credo-mat“, ein Selbsttest: „Woran glauben Sie?“
Hinduist, Buddhist, Christ, Jude oder Muslim? Nein, in diesem Test geht es nicht um die fünf Weltreligionen. Vielmehr geht es um den Glauben als Ganzes – ob an die Kraft der Natur, ein höheres Wesen, an die Gemeinschaft oder an einen selbst. Machen Sie den Test und erfahren, was Sie, was Sie im Leben hält.
Also ein „Test“, der die Selbsteinschätzung abfragt und dann zeigt, wie ich mich selbst einschätze: „Zeige mir deinen Personalausweis und ich sage dir, wie alt du bist“. Übrigens sind viele Fragen nur im Kontext einer monotheistischen Auffassung sinnvoll zu beantworten: „Ich wende mich Gott im Gebet zu.“
Da scheint jemand nicht gemerkt zu haben, dass es einige Millionen Hindugötter gibt – und dass die meisten Buddhisten in der Praxis eher polytheistisch sind. Womit diese und ähnliche Fragen für zwei der fünf „Weltreligionen“ nicht passen.