Wissenschaft

„Wie Rassismus aus Wörtern spricht. Ein kritisches Nachschlagewerk“

Da ich selbst dieses wahrscheinlich sehr interessante und wichtige Buch noch nicht gelesen habe, zitiere ich eine Pressemeldung der Uni Bayreuth.

„Große Worte sollten plötzlich zu pfeifen beginnen, wie Teekessel, in denen Wasser erhitzt wird, als Warnung.“ Was sich der Literaturnobelpreisträger Elias Canetti von hohlen pathetischen Phrasen gewünscht hat, sollte wohl auch für manche Begriffe der Alltagssprache gelten. Vor deren Ursprüngen und Wirkungen zu warnen, ist die Absicht des Handbuchs „Wie Rassismus aus Wörtern spricht. (K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache“, herausgegeben von den Bayreuther Literaturwissenschaftlerinnen Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard.
„Ein kritisches Nachschlagewerk“ haben die Herausgeberinnen ihre Publikation im Untertitel genannt. Und tatsächlich müsste beim Aufschlagen des Bandes ein ganzes Pfeifkonzert ertönen. Denn die mehr als 120 Einträge fördern zutage, wie viele Alltagsvokabeln des Deutschen scheinbar unschuldig daherkommen, doch in Wahrheit von Vorstellungswelten und Machtstrukturen des europäischen Rassismus wesentlich geprägt sind.

Die Beiträge im ersten Teil des Handbuchs arbeiten verschiedene Traditionslinien des Rassismus heraus, der von den Herausgeberinnen bestimmt wird als „ein Denksystem, das in Europa erfunden wurde, um aus einer ‚weißen’ Machtposition heraus Ansprüche auf Macht, Herrschaft und Privilegien zu grundieren und ihre gewaltvolle Durchsetzung zu legitimieren.“ Dabei werden nicht allein die Begründungen und Erscheinungsformen kolonialer Herrschaft thematisiert. Auch Antisemitismus, Antiziganismus und antiislamischer Rassismus werden mit Blick auf ihre historischen Verflechtungen untersucht – bis hin zu den Diskussionen, die in jüngster Zeit durch Veröffentlichungen von Thilo Sarrazin ausgelöst wurden.

„Kultur“, „Integration“ und „Diversität“ sind dabei nur einige Beispiele für Schlüsselbegriffe, die in der Auseinandersetzung mit sozialen und politischen Fragen eine prominente Rolle spielen. Sie werden im Handbuch daraufhin abgeklopft, welche ausgrenzenden und abwertenden Denkmuster sich darin eingeschrieben haben, so dass sie bis heute – oftmals unbewusst – in öffentliche Diskurse einfließen. Zudem enthält das deutsche Alltagsvokabular zahlreiche Begriffe, die im Laufe der Geschichte gezielt verwendet wurden, um Ressentiments und vermeintliche Überlegenheit auszudrücken: und zwar durchweg in Bezug auf Menschen oder Kulturen, die in der Perspektive ‚weißer‘ Europäer als fremdartig und daher als minderwertig klassifiziert wurden. Vokabeln wie „Mohr“, „Naturreligion“ oder „Schutzgebiet“ sind daher Gegenstand historisch tiefenscharfer Überlegungen.

Ein weiteres Kapitel des Buches zeigt aber auch, wie es Menschen gelingt, sich erfolgreich gegen alltagssprachliche Übergriffe und Vereinnahmungen zu wehren. Neubildungen wie „Schwarze Deutsche“ oder „People of Color“ werden als Beispiele einer kreativen Widerständigkeit vorgestellt. Sie dokumentieren, dass die Weigerung, aus rassistischen Denkmustern abgeleitete Begriffe zu übernehmen, nicht notwendig ins Verstummen führen muss, sondern aus sprachschöpferischer Autonomie neue Kraft gewinnt. Gerade am Beispiel ihres eigenen Nachschlagewerks wollen die Bayreuther Herausgeberinnen deutlich machen, wie sich auch die Sprache der Wissenschaft von Begriffen freihalten kann, die geeignet sind, inhumane Vorstellungswelten zu tradieren. Sie wollen – indem etwa das Wort „Rasse“ gelegentlich durch die Abkürzung „R.“ ersetzt wird – die Gefahr bewusst machen und zugleich vermeiden, dass wissenschaftliche Prosa in genau diejenigen sprachlichen Fallen hineinläuft, die sie kritisch zu analysieren beansprucht.

Wissenschaftliche Analysen bilden aber nur einen Teil des Buches. Auch Texte völlig anderer Gattungen sind darin zu finden – beispielsweise satirische Einlagen, Gedichte und Kurzgeschichten. Diese ungewöhnliche Komposition soll nicht zuletzt dazu anregen, auch über die Formen der wissenschaftlichen Analyse nachzudenken. Literarische Texte, in denen sich Verletzungen durch rassistische Denk- und Sprachmuster widerspiegeln, erinnern daran, auf welche konkreten Lebenserfahrungen eine wissenschaftliche Prosa bezogen bleiben muss, die in humaner Absicht aufklärerisch wirken will.

Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard haben ihrer Einleitung ein Zitat von Viktor Klemperer vorangestellt: „Worte können sein wie winzige Arsendosen, sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ Das kritische Nachschlagewerk lässt es nicht dabei bewenden, die „Arsendosen“ als solche zu benennen. Es vertraut zugleich darauf, dass sprachbewusste Reflexionen als Gegengifte wirken können.

Veröffentlichung:

Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.),
Wie Rassismus aus Wörtern spricht.
(K)Erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache.
Ein kritisches Nachschlagewerk
Münster, 2011, 780 S.

Kontaktadressen für weitere Informationen:

Prof. Dr. Susan Arndt / Nadja Ofuatey-Alazard
Englische Literaturwissenschaft und Anglophone Literaturen
Universität Bayreuth
D-95440 Bayreuth
Tel.: +49 (0)921 55 3551
E-Mail: susan.arndt@uni-bayreuth.de / nadja.ofuatey-alazard@uni-bayreuth.de

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