Wie antisemitisch ist Ásatrú?

8. September 2008 | Von | Kategorie: Odins Auge Artikel

Schon vor 14 Jahren hat der Bonner Skandinavist Rudolf Simek in seinem Buch „Erde und Kosmos im Mittelalter“ belegt, dass altnordische Schriften des 11. Jahrhunderts die Erde ganz selbstverständlich als Kugel beschrieben.

Was hat das mit Antisemitismus und Ásatrú (oder Odinismus) zu tun? Ich finde sehr viel. Das Beispiel illustriert gleich zwei eben so grundfalsche wie allgemein übliche Vorstellungen: einmal jene, dass sich erst in der Neuzeit die Kugelgestalt der Erde herumgesprochen hätte – also die Vorstellung eines unwissenden „finsteren Mittelalters“ – und dann die Vorstellung, der „barbarische Norden“ sei kulturell rückständig gewesen.

Fügt man noch ein drittes, ebenso unzutreffendes, Klischee hinzu, nämlich dass Antisemitismus eine Spezialität der Rechtsextremisten sei, und addiert die Vorliebe der alten und neuen Nazis für germanische und pseudogermanische Symbolik, dann sind die Zutaten beieinander, aus denen fast alle Antisemitismusvorwürfe gegenüber Ásatrúarn („Odinisten“) zubereitet werden.

Das geht etwa so: Wenn jemand an die Kultur räuberischer Barbaren aus dem finsteren Mittelalter anknüpft und gar deren Götter verehrt, dann kann das nur als Bekenntnis zu Barbarei verstanden werden. So etwas kann höchstens primitive (je nach Epoche und Ideologie) „Halbstarke“, „Rocker“, „Chaoten“, „Hooligans“, „Boneheads“ usw. ansprechen. Für intelligente und gebildete Menschen kann so etwas eigentlich nicht attraktiv sein, also steckt bei ihnen etwas ganz anderes dahinter: Vermutlich getarnter Neo-Nazismus (weil: Nazis haben es ja mit den Germanen). Der Antisemitismus ist die einigende Klammer alter und neuer Nazis, also kann ein „Odinist“ gar nicht anders als antisemitisch sein.

Gibt es antisemitische Ásatrúar? Leider Ja!

So gesehen könnte man auf Antisemitismus-Vorwürfe gelassen oder allenfalls mit einem Achselzucken reagieren. Leider ist das nicht so einfach, denn es gibt tatsächlich nicht wenige Antisemiten unter „echten“ Asentreuen – nicht zu verwechseln mit Neonazis, für die der Thorshammer nur ein Ausweichsymbol für verbotene Symbole und das Bekenntnis zum Germanentum in erster Linie Ausdruck einer Mischung aus aggressivem Nationalismus und Rassismus ist. Damit meine ich auch nicht etwa den „Artglauben“ der offen rechtsextremistischen Artgemeinschaft und ähnliche braune Sekten, sondern ganz ehrenwerte, ansonsten weder rechtsextreme noch rassistische Anhänger der „Alten Sitte“, die eine zutiefst antisemitische Vorstellung in ihr Weltbild integriert haben: die „Wüstenreligionen“.

Hinter dem Begriff „Wüstenreligion“ steckt die (unzutreffende) Vorstellung, die monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam seinen in der Wüste entstanden, also unter völlig anderen, lebensfeindlichen, Umweltbedingungen, als die heidnischen „Feld, Wald und Wiesen“-Religionen des vorchristlichen Europas. Schon wegen ihrer sich aus der Wüsten-Herkunft erklärbarer Lebens- und Leibfeindlichkeit würden diese Religionen nicht nach Europa passen, seien vor allem in Nordeuropa stets kulturfremde Importe gewesen.
Erweckt schon das Wort „Wüstenreligion“ antisemitische Assoziationen, bekommt diese Vorstellung bei einigen – auch bei ansonsten keineswegs „rechten“ – Heiden einen ideologisch-historischen Dreh: das „Judäo-Christentum“ hätte die europäische Religion und Kultur angegriffen. (Das Christentum wird hierbei lediglich als Variante des Judentums begriffen, ungeachtet der jahrhundertelangen Judenfeindschaft der christlichen Kirchen.) Dieser Angriff sei vor allem dem Monotheismus zu verdanken, in dem sie die Wurzeln eines imperialistischen Totalitarismus sehen, der einer „vielgestaltigen“, also „polytheistischen“ Welt feindlich gegenüber stehe. Gehen sie noch ein kleines Stück weiter, sehen sie Insbesondere den Liberalismus und die westlichen Demokratie als Produkte des „Judäo-Christentums“ an – und sind, auch wenn sie es nicht merken, mitten im rechtsradikalen Denken angekommen. Der Schritt zu antisemitischen Verschwörungstheorien im Stile der „Protokolle der Weisen von Zion“, den „Illuminaten“ oder der „Ostküste“ ist dann nicht mehr groß – irgendwo im Hintergrund lauern dann „eine handvoll Juden“, die alles Böse in der Welt anzetteln.

Um Missverständnisse gar nicht erst aufkommen zu lassen: Kritik an den Kirchen, am Christentum und am Monotheismus aus neuheidnischen Kreisen ist nicht automatisch antisemitisch. Sogar die unter Heiden und Hexen weit verbreiteten Vorstellungen von einer blutigen Zwangsmission, in der das heidnische Europa von der christlichen Kirche im Bündnis mit eroberungssüchtigen Herrschern im Stile der spanischen Conquistadores in Amerika unterjocht und seiner Kultur beraubt wurde, oder die fixe Idee vieler Wiccas, die Hexenverfolgung sei ein Feldzug der Kirche gegen die letzten verbliebenen Heiden gewesen, sind, so wenig sie den historischen Tatsachen entsprechen, nicht zwangsläufig antisemitsch. Es ist ein gern von kirchlichen Weltanschauungsbeauftragten gemachter Denkfehler, Angriffe auf das Christentum aus neopaganer Ecke per se als antisemitisch motiviert zu betrachten.

Es gibt also antisemitische Ásatrúar – wenn auch sicher nicht in jenem Ausmaß, dass jeder Thorshammerträger im Zweifel als Judenfeind zu betrachten ist.

Es stellt sich allerdings die Frage, ob die „alten Germanen“ und die „Wikinger“ fremden Kulturen im Allgemeinen und Juden im Besonderen feindlich gegenüber standen. Ob es, wie einige völkisch-antisemitische „Germanenfreunde“ meinen, eine germanische Xenophobie und eine „alte Feindschaft“ zwischen Juden und Germanen gegeben hätte.

Die Legende vom „Stammesnationalismus“

Eine besonders ausgeprägte Xenophobie oder gar Rassismus lässt sich bei germanischen Stämme nicht nachweisen. Entgegen einer im 19. und frühen 20. Jahrhundert gängigen Auffassung lässt sich auch der Nationalismus nicht auf die Stammesgesellschaften des Altertum zurückführen.
Noch der von mir hoch geschätzte Karl Popper meinte in „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“, dass der Nationalismus sich an unsere „Stammesinstinke“ wenden würde, an unsere nostalgischen Wünsche, von der Last individueller Verantwortlichkeit befreit zu werden, die wir durch kollektive oder Gruppenverantwortlichkeit zu ersetzen versuchen.
Allein: auf reale „Stammesinstinkte“ kann diese bedauerliche Neigung zur nationalen „Volksgemeinschaft“ nicht zurückgeführt werden. Der Grundirrtum sowohl der „Stammes-Nationalisten“ wie ihrer Gegner liegt in der Annahme, dass Stammesgemeinschaften durch Blutsverwandschaft zusammengehalten würden – schließlich hätten sie das selbst behauptet. Fremde blieben darum grundsätzlich aus dem Stamm ausgeschlossen.
Die neuere ethnologische und historische Forschung hat diese alte Annahme längst widerlegt: germanische Stämme definierten sich nicht über reale Blutsverwandtschaften, sondern spirituelle Bindungen. Ihre Kultur und Sprache war das, was die Stammesangehörigen wirklich gemeinsam hatten. Was sie einte, war im Kopf und nicht „tief im Blute“.
Der Gesamtheit der germanischen Stämme – also derjenigen Stämme mit germanischen Dialekten und Sitten – fehlte jedes Gemeinschaftsbewußtsein über den eigenen Stamm hinaus. Ein Gefühl „wir sind doch alle Germanen“ gab es nicht, und der Begriff „Germane“ wurde nicht zufällig von Außenstehenden, den Römern, geprägt. Tatsächlich ist diese Haltung, die nur den „Stamm“, aber keine „Nation“ kennt, bei Stammeskulturen in aller Welt bis heute die Regel. „Mit Stämmen lässt sich kein Staat machen“ – ein Grund, weshalb das „Nation Building“ in stark von Stämmen geprägten Ländern wie Afghanistan so schwierig ist.

Der Grund in der Verwirrung liegt darin, dass die Stämme offensichtlich behaupteten, Abstammungsgemeinschaften zu sein, es aber ebenso offensichtlich nicht waren.
Die Goten behaupteten, ihre Vorfahren seien aus dem heutige Schweden gekommen. In Wirklichkeit dürften die wenigsten späteren Eroberer Roms von Menschen aus dem heute noch „Götaland“ genannten Landschaften abgestammt haben. Die Gotenwanderung ging, glaubt man den teils mythischen Stammesüberlieferungen, von drei Auswandererschiffen aus – einer maximalen Anzahl von etwa 100 bis 150 Menschen. Die eigentliche Stammesbildung fand im heutige Polen, an der Weichselmündung statt. Die Goten – für die die paar Skandinavier allenfalls Kristallisationskerne waren – wanderten später in den pontischen Steppenraum, von dort aus um das Schwarze Meer herum in den Karpatenraum und an den Unterlauf der Donau. Dann kamen sie über Italien bis nach Spanien.
100 Jahre nach dem Aufbruch der drei Schiffe zählte der Stamm der „Wandergoten“ schon mehrere tausend Köpfe, später waren es zehntausende, ja hunderttausende. Eine derartige Massenvermehrung ist auf biologischem Wege nicht vorstellbar – sie konnte nur erreicht werden, indem ganze Sippen anderer Stämme und Kulturen in den Stamm der Goten aufgenommen wurden.

Stämme, auch und gerade die der Germanen, sind Personenverbandsgesellschaften; sie definierten sich nicht nach Territorien wie Staaten, sondern nach Zugehörigkeit zu Personen und zu Göttern. Der Gedanke eines faktischen oder auch nur theoretischen „germanischen“ Nationalstaates ist ein Widerspruch in sich: Wie schon erwähnt, ist mit Stammeskulturen buchstäblich kein Staat zu machen.
Erst in der Spätantike gab es erste „germanische“ Staatenbildungen, zuerst auf dem Territorium des untergegangenen Weströmischen Reiches. Nationalstaaten waren sie nicht. Tatsächlich scheiterte die Staatsgründung der Langobarden in Italien daran, dass das Stammesdenken noch in der Köpfen der langobardischen Herrscher steckte. Selbst die mittelalterlichen Königreiche Skandinaviens stülpten sich sozusagen über die vorhandenen Stammesgemeinschaften. Was die Normannen zu überaus erfolgreichen Staatengründern machte, war nicht ihr „Stammesnationalismus“, sondern ihr politischer Pragmatismus, mühsam erworben in Staaten, die ständig Kompromisse mit dem vorhandenen Stämmen und ihrem gruppenegoistischen Stammesdenken eingehen mussten.

Aus dem Stammesdenken ergibt sich sicherlich ein stetes Misstrauen gegenüber „Stammesfremden“. Insofern gab es bei „den Germanen“ auch so etwas wie Fremdenfeindlichkeit. War ein „Fremder“ aber erst einmal in den Stamm integriert (besser wohl: adoptiert), dann gehörte er ohne
„Wenn“ und „Aber“ dazu. Soziale Ausgrenzung von Teilen der Gemeinschaft ist historisch belegbar das „ungermanischste“ was man sich überhaupt vorstellen kann.

Waren die „alten Germanen“ judenfeindlich?

Eine „instinktive Abneigung“ gegen Juden konnte sich bei den „alten Germanen“ der Römerzeit schon deshalb nicht entwickeln, weil die vereinzelten Juden unter der ethnisch bunt gemischten „römischen“ Bevölkerung von außen gesehen keine abgegrenzte Sondergruppe waren. Schlimmstenfalls war ein Jude für einen rechtsrheinischen Germanen nur ein weiterer „komischer Fremder mit seltsamen Sitten“, wie alle „Römer“, egal, ob sie ursprünglich aus Italien, Spanien, vom Balkan, aus Nordafrika oder aus welchem Teil des Imperium Romanum auch immer sie stammten.

Ab der Völkerwanderungszeit änderte sich das Bild. Für die bereits christianisierten Germanen bildeten die „andersgläubigen“ Juden eine abgrenzbare Minderheit. Dennoch und trotz der antijüdischen Tendenzen des Christentums weisen die Chroniken und archäologische Funde aus, dass es keine ausgeprägte Judenfeindschaft gab. Erst mit den Kreuzzügen wurde der Antijudaismus gewalttätig, schlug in etwas um, was man mit Fug und Recht „Frühantisemitismus“ nennen kann. Das hat aber mit der längst verschwundenen germanischen Stammesgesellschaft oder auch nur einer besonderen germanischen Mentalität nichts zu tun.

Anders die Situation im heidnischen Nordeuropa. Hier standen sich jüdische Fernkaufleute und germanische Händler gegenüber. „Freundschaft“ oder „Feindschaft“ wird davon abgehangen haben, ob der jeweilige jüdische Händler Konkurrent oder Geschäftspartner war. Der Hauptgrund des Neides und der Missgunst christlicher Kaufleute auf „die Juden“ fehlte in heidníscher Zeit noch: das christliche Verbot des Geldverleihs gegen Zinsen. Das lag übrigens nicht daran, dass im frühen Mittelalter im Norden vor allem Tauschhandel getrieben worden wäre. Fränkische, oströmische und arabische Münzen waren im Umlauf, es gab schon vor der Wikingerzeit Ansätze einer „einheimischen“ Münzprägung und auch das Hacksilber war kein Tauschgut, sondern eine „Kurrant-Währung“: bezahlt wurde mit einer abgewogenen Menge Silber. Missmutig berichteten christliche Chronisten, dass die religiöse Haltung der Kaufleute aus dem Norden vom geschäftliche Opportunismus bestimmt wurde. Waren zu einem Markt oder einer Messe nur christliche Kaufleute zugelassen, ließen sich die geschäftlich interessierten Nordländer eben kurzerhand taufen – zumal es üblicherweise ein Taufhemd als kostenlose Zugabe gab. (Es ist der Ausspruch eines friesischen Händlers überliefert, der sich über die schlechte Qualität seines Taufhemdes beklagte. Bei keiner seiner vorangegangenen Taufen hätte man ihm so ein grobes Hemd angedreht.) Es könnte durchaus sein, dass für manche nordischen Kaufleute eine Konversion zum jüdischen Glauben eine interessante Alternative zur christlichen Taufe gewesen sein mag. (Übertritte von Normannen zum Islam scheint es jedenfalls gegeben zu haben.)
Damit dürfte klar sein, dass Antisemiten sich nicht auf die „alten Germanen“ berufen können, jedenfalls nicht ohne erhebliche Geschichtsklittierungen.

Wenn die „historischen Vorbilder“ nicht durch „Blutsbande“ zusammengehalten wurden und keine Judenfeinde waren, wie konnte dann der Antisemitismus in den germanischen Neopaganismus hineingeraten?

„Deutsche Germanen“ – die fixen Ideen der deutschen Nationalromantiker

Die Idee, dass Germanen und Juden sozusagen „natürliche Feinde“ seinen, stammt, wie vieles andere auch, aus der deutschen Nationalromantik. Ihr lag gleich ein ganzes Bündel unhaltbarer Annahmen zugrunde, etwa, dass „germanisch“ und „deutsch“ im Grunde dasselbe seien, dass die germanischen Stämme auf Blutsverwandschaft – „Blutsbanden“ – beruht hätten, oder dem später so genannte „Blut und Boden“-Denken: Zu einer bestimmten Landschaft gehöre „natürlicherweise“ ein bestimmtes Volk einer bestimmten „Rasse“ mit einer ihrer „Art“ gemäßen Kultur und Religion, alles andere sei widernatürlich. Die Juden sind nach dieser Vorstellung ein aus einem „wüstenhaften“ Land stammendes Nomadenvolk, das im kühlen, feuchten Norden, wo seit Urzeiten sesshafte Bauern das üppig grüne Land bebauten, ja zwangsläufig „degenerieren“ musste, und zwar zu einer Art „Parasitenvolk“. Alles in Allem stellen die Juden für „deutschvölkische“ Germanenschwärmer das genaue Gegenbild zu den idealisierten und romantisierten Wunsch-Germanen dar – in „Rasse“ – groß, blond, athletisch (eben so wie Nazis gerne aussehen würden, aber selten aussehen) – wie im Charakter und in der Kultur.
Bestandteile dieses „völkisch-antisemitischen“ Weltbildes finden sich auch z. B. in den Schriften Richard Wagners – und leider auch in den Libretti einiger seiner Opern.
Schon im 19. Jahrhundert kam deshalb in völkischen Kreisen die Frage auf, ob das Christentum überhaupt eine „artgemäße“ Religion für Nordeuropäer sei und beeinflusste die ersten neuheidnischen Gruppierungen.

Den entscheidenden Schritt zum Rasseantisemitismus machte Wilhelm Marr, interessanterweise ein eher linker Demokrat mit teils liberalen, teil anarchistischen Ideen. 1879 erschien seine Propagandaschrift „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum – Vom nichtconfessionellen Standpunkt aus betrachtet“. Marr grenzte sich von der traditionellen religiösen Judenfeindschaft ab und behauptete, dass die Juden eine fremde, parasitäre Rasse seien, die erfolgreich die Ausbeutung Deutschlands betreibe. Es war Marr, der den Begriff „Antisemitismus“ in den politisch-gesellschaftlichen Diskurs einführte. Dieser Rasseansemitismus fand bei den völkischen Germanenschwärmern Anklang, da er ihrer Weltanschauung eine (pseudo-) wissenschaftliche Begründung gab.
Das antisemitisch-völkische Weltbild lag auch der ersten „Germanischen Glaubens Gemeinschaft“ Fahrenkrogs zugrunde, es findet sich bis heute, in mehr oder weniger verhüllter Form auch in einigen völkischen Ásatrú-Gruppen.

Die fixen Ideen der Germanentümler des 19. Jahrhunderts wirkten also weiter, vor allem bei den Ariosophen und ihren Nachbetern. Bei Ariosophen ist die Frage, wie der Antisemitismus ins „Germanische“ kam, leicht zu beantworten: sie projizieren einfach ihren ausgeprägten Antisemitismus in ihre Vorstellung von den Germanen hinein und erfanden eine völkisch-rassistische, antisemitische und antidemokratische „uralte Religion“, die in etwa so historisch ist wie „Conan der Barbar“ – aber weniger amüsant. Aber nicht alle antisemitischen Neuheiden stehen in der üblen Tradition der Ariosophie.

Antimonotheismus

Ein Teil der Antwort liegt im Antimonotheismus. Der Antimonotheismus, jedenfalls in seiner politisierten Form, gehört seit Anfang des 20. Jahrhunderts zum geistigen Marschgepäck intellektueller Rechtsextremisten. Wobei der Antimonotheismus ursprünglich ein Kind der Aufklärung und keineswegs „rechts“ war, und sich ursprünglich gar nicht gegen die Juden, sondern die christlichen Kirchen wandte.
Kern des Antimonotheismus ist die – zutreffende – Beobachtung, dass Glaubenskriege eine „Spezialität“ monotheistischer Religionen sind und dass sich polytheistische „Religionen“ „fremde Götter“ tolerieren. („Religionen“ in Anführung, da unser gebräuchlicher Religionsbegriff auf den Monotheismus zugeschnitten ist. Heidnische „Religion“ hebt sich gegenüber anderen kulturellen Feldern kaum ab und es gibt keine scharfen Grenzen z. B. zwischen Gottheiten auf der einen und Naturerscheinungen, herausragenden Menschen oder normativen Prinzipien auf der anderen Seite.)
Das Gundproblem des Monotheismus ist die Unterscheidung zwischen „wahrer“ und „falscher“ Religion, „wahrem“ Gott und jeder Menge „falscher Götter“. Der Monotheismus ist deshalb im Kern intolerant – was allerdings nicht bedeutet, dass ein Monotheist automatisch religiös intolerant sein muss, so, wie ein Polytheist nicht automatisch religiös tolerant ist.
Damit einher ging die Entwicklung eines absoluten Wahrheitsbegriffes, der tief in das kulturelle Gedächtnis des modernen Menschen eingegangen ist.

Es entbehrt nicht der Ironie, dass der Antimonotheismus sich genau diesen absoluten Wahrheitsbegriff in Verbindung mit dem in der Spätantike entstandenen dualistischen Denken zueigen machte: „Der Monotheismus ist an allem Schuld“. Ein typischer Antimonotheist neigt dazu, sich die polytheistische antike Welt als eine Idylle der religiösen Toleranz vorzustellen – es gibt aber Formen der religiösen Intoleranz, die nichts mit „falschen Göttern“ oder „falschem Glauben“ zu tun haben.
Der nächste Kurzschluss liegt darin, „den Juden“ (als Anhänger der ältesten und radikalsten monotheistischen Religion) die „Schuld“ für alle Übel aus 3000 Jahren Monotheismus zu geben. Der (mythische) Bund Gottes mit Moses habe die glückliche Ordnung der heidnischen Antike gesprengt und der brutalen Intoleranz des Mittelalters und der Neuzeit den Weg bereitet. Im Grunde seien die Juden für den Antisemitismus selbst verantwortlich, schließlich hätten sie ja den Monotheismus mit seinem religiösen Ausschließlichkeitsanspruch in die Welt gebracht. Damit ist der entscheidende Schritt vom radikalen Antimonotheismus zum Antisemitismus getan!

Nun ist es aber so, dass viele, wenn nicht gar die meisten Ásatrúar, Antimonotheisten sind. Woraus sich ergibt, dass es tatsächlich ein breites Einfallstor für antisemitisches Denken gibt. Ein Einfallstor, das allerdings mit etwas Bereitschaft zur Selbstkritik und zum differenzierten Denken – anstelle des bequemen Schwarz/Weiß-ohne-Grauwerte-Denkens – leicht verrammelt werden kann.

Vom aggressiven Antimonotheismus der „Neuen Rechten“ zum neurechten Neuheidentum

Es geht aber auch anders herum: Rechtsextremisten, die das Neuheidentum für sich entdecken. Ein modernes Beispiel ist die „Neue Rechte“, vor allem ihr wichtigste Vordenker, Alain de Benoist. Er macht den politischen Antimonotheismus – mit deutlich antisemitischem Einschlag – zum zentralen Bestandteil seiner Ideologie. Benoist vertritt einen Neopaganismus, der eine polytheistische indogermanische Ur-Religion postuliert, von der dann alle heidnischen Religionen Europas abstammen würden. (Die Ähnlichkeit zur „Ariogermanischen Ur-Religion“ der Ariosophen und mancher Nazi-Ideologen ist unübersehbar, auch wenn Ariosophen strenggenommen keine Polytheisten sind.) Das von ihm so bezeichnete „Judäo-Christentum“ – er sieht, wie andere Rechtsextremisten auch, das Christentum als „verlängerten Arm“ des Judentums an – hätte die ursprüngliche europäische Religion und Kultur angegriffen. Dies sei vor allem dem Monotheismus zu verdanken, in dem Benoist die Wurzel des Totalitarismus sieht, und der einer „vielgestaltigen“, also „polytheistischen“ Welt feindlich gegenüber stehe. Benoist sieht, entgegen den historischen Tatsachen, im Liberalismus und in den westlichen Demokratien Produkte des „Judäo-Christentums“. Er lehnt sie ab, da sie den Individualismus begünstigen und dem Egalitarismus Vorschub leisten.

Obwohl die „Neue Rechte“ eher eine in sich gespaltene Splittergruppe ist, haben sich „etablierte“ rechtsextreme Vereinigungen, z. B. die NPD, durch Übernahme neu-rechter Theorien ideologisch modernisiert. Was den Zulauf ehemaliger Linker erleichtert, denn die Feindbilder der Neuen Rechten und vieler orthodoxer Linker stimmen weitgehend überein – man braucht etwa als Stalinist oder Maoist eigentlich „nur“ noch den Kapitalismus für eine jüdische Erfindung zu halten, um den Anschluss an die „Neue Rechte“ zu finden.

Fazit:

Es gibt innerhalb von Ásatrú tatsächlich eine völkische-antisemitische Tradition. Das heißt nicht, dass die meisten Ásatrúar in irgend einer Form antisemitisch seinen, es sind eher einige „braune Schafe“, die solchen Gedankenmüll vertreten. Leider sind diese Schafe lautstark. Und leider gibt es zu viele Schafsköpfe, die sie tolerieren.

Schwer wiegt auch, dass Jürgen Riegers Menschenzuchtverein „Artgemeinschaft“ als Glaubensgemeinschaft des Ásatrú bzw. der Forn Siðr auftritt.
Bei den Neonazis sind echte oder vermeidliche germanische Symbole traditionell beliebt. Allerdings glaubt man in diesen Kreisen eher an göttliche Germanen (sprich: nordische Übermenschen) als an germanische Götter.

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4 Kommentare
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  1. Hallo,

    so sehr ich der Grundthese dieses Beitrages, dass unsere Ahnen keineswegs das waren, was völkische Gruppen daraus gerne machen wollen, zustimmen mag, wird ein Kritiker davon kaum zu überzeugen sein, denn:

    1. Ist der ganze Beitrag lediglich auf Behauptungen aufgebaut, dem die wirklich relevanten und die These stützenden Belege (Stichwort:Quellen) schlichtweg fehlen. Das ist schade, weckt es doch den Eindruck einer weiteren halbherzigen Distanzierungsschrift.

    und

    2. Tut der saloppe Grundton sein übriges dazu. So wird halb spöttisch darüber hinweg gegangen, dass die natürliche Umgebung sehr wohl Einfluss auf die Glaubensvorstellung der Menschen gehabt hat und die war in einer kargen, eher lebensfeindlichen Umgebung eine andere, als in üppiger bestückten Gegenden unseres Planeten. Dies sagt noch lange nichts über eine verschieden gewichtige Wertung derselben aus und schon gar nicht, ob diese dann in anderen Gegenden weniger Existenzberechtigung hat. Am Enstehungsprozess von Glaubensvorstellungen hat die Umgebung aber maßgeblichen Anteil gehabt.

    Dies wirft leider ein fahles Licht auf die heren Absichten dieses Beitrages.

    Ásaheil ok Vana

    Solsten

  2. Hallo Solsten,

    danke für die wohlmeinende Kritik!

    Dass mein Beitrag auf die Nennung von Quellen (und erst recht auf den für wissenschaftliche Arbeiten nötigen Fußnotenapparat) verzichtet und eher salopp formuliert ist, hat zwei Gründe.
    Einerseits habe ich mich für eine meinungsorientierte journalistische Darstellungsform entschieden, und nicht etwa die eines wissenschaftlichen Aufsatzes.
    Anderseits verstehe ich meinen Artikel ausdrücklich als Diskussionsbeitrag und nicht als „abgesichterte Wahrheit“ – und erst recht nicht als Distanzierungsschrift (ich nehme an, von antisemitischen Heiden) – ob nun „halbherzig“ oder nicht. Das Ergebnis des Diskurses kann durchaus sein, dass Asatru antisemitische Tendenzen enthält.

    Ich verdeutliche mal an einem Beispiel, was ich meine: Antisemitismus ist ohne Zweifel ein wichtiges Element der deutschen Kulturgeschichte. Dennoch mag ich mich, als Nicht-Antisemit, nicht von meinem „Deutschtum“, meiner Zugehörigkeit zur deutschen Kultur, distanzieren. Ich mag andererseits nicht die deutsche Kultur von Antisemitismus distanzieren, bzw. in Abrede stellen, dass antisemitische Vorstellungen wichtige Elemente des „deutschen Geisteslebens“ spätestens seit Luther waren und manchmal leider noch sind, weil ich das für falsch und unaufrichtig halte.

    Es wäre deshalb sinnlos, Asatru als Solches und Ganzes vom Antisemitismus distanzieren zu wollen, und etwa zu behaupten, es sei nur ein isoliertes Häufchen von Nazitrus, die antisemitische Sprüche kloppen wurden.
    Ich und die Nornirs Ætt distanzieren sich in der Tat und auch durch Taten vom Antisemitismus, und zwar, wie ich hoffe, so deutlich, dass es offenkundig absurd wäre, die Nornirs Ætt für antisemitisch zu halten.

    Außerdem bestreite ich in meinem Artikel gar nicht, dass die natürliche Umgebung Einfluss auf die Glaubensvorstellungen der Menschen hat. Allerdings bin ich der Ansicht, dass von strukturell antisemitischen „völkischen Heiden“ und neurechten Antisemiten, die nicht so genannt werden wollen, der Einfluss der „Wüste“ auf die Entstehung des Judentums grotesk überschätzt wird.

    Ár ok fríðr,

    Martin

  3. jepp. Ich habe das auch nicht so verstanden, als ob hier ein Einfluss der Umgebung auf kulturelle Phänomene, wie z.B. religiöse Vorstellungen, in Abrede gestellt würde. Nur eben die völlig hanbüchene Überhöhung dieser Einflüsse, damit die dann als Rechtfertigung dienen kann, um z.B. so Blödsinn wie „Artgemäßheit“ und solchen Unfug auf den Tisch zu legen. Im Antisemitischen Kontext eben, wie Martin auch sagte, dieser Unfung der „Wüste“ versus „Wald“ oder was auch immer da herhalten darf. Und da bin ich völlig einer Meinung mit Martin.

    Es steht also nicht der Einfluss in Frage, sondern die Frage nach dessen Bewertung und Funktion in Kontexten und Argumentationen.

  4. […] Antisemitismus war schon etliche Male Thema auf diesen Seiten. Daher sollte er “kein Thema” – im umgangssprachlichen Sinn von “das ist doch selbstverständlich” – sein. “Kein Thema” – im ebenfalls umgangsprachlichen Sinne von “das ist für uns nicht wichtig” – ist Antisemitimus meiner Ansicht nach nicht. Aus gleich drei Gründen: […]

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