Wer erleuchtet das Meer? (Teil 2)
Thors Fest
Dies Fest ist ein für meinen persönlichen Stilmix ganz typisches Beispiel. Bei Thor: Ohne Rückfrage wüßt´ ich nicht mal zu sagen, ob dieser jahresfestliche Anlass überhaupt irgendwem bekannt ist (selbst im Kreis meiner Gruppe), geschweige denn irgendwo gefeiert wird. Termin und Inhalt übernahm ich vor ca. neun Jahren von einem damaligen Freund.
Nebenbei: erscheint es mir als „germanentypisch“, Einflüsse, Ideen und Bräuche anderer, ggf. mittels einiger anpassender „Umbaumaßnahmen“, in den eigenen Kultus zu übernehmen und diesen damit zu bereichern und auszuformen. (Gerade in der Geschichte historischer Germanenkulturen gibt es dafür, soweit recherchierbar, etliche Beispiele.)
Und selbstverständlich darf mir herzlich schnurz sein, ob „Thors Fest“ nun irgendeine historische oder auch nur zeitgenössisch belegbare Wurzel hat oder nicht. Es hat keine nationalromantische oder schlimmere; Idee und Inhalt aber taugten mir, das reichte. Eine Lieblingsgeliebte von mir drückte dergleichen mal so aus: „Hier ist ein Asatrú-Kultplatz“, meinte sie – auf die Betonplatte zu ihren Füßen deutend… auf einem schmalen Weg durch einen Weinberg, den die Freundin morgens durchjoggte, um regelmäßig an jener Stelle anzuhalten und einen einfachen, persönlichen Ritus für Sonne und Tag durchzuführen. Ja: So machen das Leute, die ich gern verstehe.
Alljährlich, um Mitte Januar, feiere ich also Thors Fest – und zuweilen auch nicht. Es macht nämlich nur Sinn, wenn man dabei in Gesellschaft ist (was terminkalenderbedingt nicht immer der Fall sein muss). Mehr noch als bei oben erwähntem „Ahnentrinken“ lässt „Thors Fest“ auf Anhieb überhaupt keinen spirituellen Bezug erkennen: für ggf. Außenstehende. Der „Ritus“ besteht im Wesentlichen aus einer möglichst reich, gut und lecker gedeckten Tafel nach persönlichem Gusto, sein Inhalt aus möglichst geselligem fröhlichen Spachteln. Na, selbstverständlich trinken wir dabei auf den Donnergott und den, eingedenk bald wieder rascher fließender Flüsse und allmählich zunehmenden Tageslichts, hoffentlich bald spürbaren Vorfrühling. Die dunkelste Hälfte des Winters heil überstanden: Das ist eigentlich die ganze Botschaft des Ganzen. Für einen wie mich, der sich winters – fern jeder Zentralheizung – aus Finanzgründen oft den Holz- und Kohlevorrat rationieren muss, ein sinnlich spürbarer Anlass zum Krafttanken, Mut schöpfen, und Danken. Thor, der Donnerer: der haut nicht nur Gewitter vom Himmel, sondern stärkt auch das Mark meiner Knochen, meine Muskeln und Gemüt. Hoch das Horn, und dir den Teller extra! Raus ins Grün damit.
Die Schlichtheit dieses Beispiels mag extrem sein. Aber Asatrú-Riten sind schlicht. Die Menschen, mit denen ich feiere, vermeiden auch bei größeren oder zeremonielleren Feierlichkeiten jeden überflüssigen Zierrat und Popanz. Wo immer „magische“ oder sonstwie kultische Symbole auftauchen, sind sie – zumindest für unseresgleichen – alle lesbar. Etwa wie Verkehrszeichen. Okkulte Geheimnisse, nur für „Eingeweihte“ zugängliches „höheres Wissen“ oder dergleichen gibt es genauso wenig wie irgendwelche Sonderrechte für etwaige „Amtsinhaber“. Wer bei uns irgendeinen „Titel“ trägt, weist sich damit nur als Spezialist/in für den entsprechenden Bereich aus: ansprechbar für alle, und dem Ansprechenden ggf. dienstbar in der Sache (auf deren Durchführung der „Spezialist“ indes keinerlei Monopol hat: niemand von uns muss ausgewiesene „Seiðkona“ oder ein „Seiðmaðr“ sein, um ggf. schamanische Tätigkeiten auszuüben. Die so Betitelten geben damit lediglich ihre entsprechende Bereitschaft – bis hin zu einer gewissen „Verfügbarkeit“ für andere – bekannt. Logisch, dass die Anerkennung entsprechender Fähigkeiten auf empirischen Grundlagen beruht – für speziell der ganzen Gemeinschaft angebotene Dienste wird der / die Betreffende sogar ein Jahr lang beobachtet, geprüft, und über die Anerkennung dann konsensdemokratisch entschieden.)
Thing
Gestatten: unser Chef. Wer? Na, das Thing (ist unser Chef). Sein Schutzherr ist Tyr, der zur Eröffnung dieser Art Versammlung denn auch angerufen wird. Das übernimmt, wer das Thing moderierend leitet. Je nachdem, ob es ein regionalgruppenspezifisches „Fylkithing“ oder das die ganze Gemeinschaft betreffende (alljährliche) „Allthing“ ist, übernimmt diese Leitung ein Fylkir / eine Fylkire (sowas wie „Sekretär/in“, freilich ohne Schriftprotokoll), oder eine Løgkona / ein Løgmaðr (Rechtshüter/in). Wir haben keinerlei Hierarchien – weder offene noch versteckte, und die Versammlung auf dem Allthing ist unsere „gesetzgebende“ Instanz: Chef ist nur die Gemeinschaft selbst.
Things sind für uns Sakralhandlungen und haben Regeln. Zum Beispiel den „Thingfrieden“, der das „Waffentragen“ auf solchen Versammlungen verbietet. Nun rennt bei uns eh keiner mit Schwert oder etwa Revolver durch die Botanik. Aber z.B. Mobiltelefone bleiben auf dem Thing außen vor: praktischerweise. Und auf dem Thing wird geredet. Alles besprochen, was ansteht. Solange, bis einstimmige Beschlüsse gefaßt werden können in jeder Angelegenheit (für bestimmte Beschlüsse sind konsensdemokratische Verfahren bei uns Bedingung, für halb so Wichtiges reicht gelegentlich Basisdemokratie). Das heißt nicht etwa, dass auf Einzelne solang eingequasselt würde, bis jene ermattet abnicken, was eine Mehrheit will. Eben nicht. Es wird solange verhandelt und erwogen, bis alle, wirklich alle hinter dem schließlich gemeinsamen gefassten Beschluss stehen können. Nicht selten gibt das Veto Einzelner erst Anstoß zu jenem – mitunter langwierigen, aber lohnenden – Prozess, an dessen Ende ein Beschluß steht, den die Gemeinschaft ebenso geschlossen tragen kann wie er sie.
Freilich: Wir haben jahrelang geübt dafür. Bis wir ein vernünftig geregeltes Prozedere erreicht hatten, das auch und gerade diejenigen berücksichtigt und ermuntert, deren Sache es nicht ist, sich in gewandten Worten auszudrücken. Aber inzwischen ist es unmöglich geworden, auf einem Thing irgendwas lediglich stumm „abzunicken“: etwa, weil man grad die rechten Widerworte nicht findet, oder womöglich insgeheim fürchtet, von den Eloquenteren in Grund und Boden argumentiert zu werden. Nein: Die Redegewandten müssen tunlichst warten, bis auch noch der/die Schüchternste oder Wortkärgste ihre/seine Bedenken, Eindrücke, Einwände oder Wünsche ausreichend zum Ausdruck gebracht hat. Und vorher geht es nicht weiter. Im Gegenteil: alle achten genau darauf, ob nicht noch etwa irgend wessen Bedenken oder Unbehagen vorliegen, bezüglich anstehenden Beschlusses. Denn dieser Beschluss ist dann „Gesetz“: bis zum nächsten Thing. Ja, unsere allgemeinen Regeln haben wir – aus Gedächtnisgründen sozusagen – auch aufgeschrieben, kodifiziert. Im Zweifelsfall aber gilt nicht der „Buchstabe des Gesetzes“, sondern sein Gedanke und Geist: das, was der Gemeinschaft bzw. ihren Beteiligten und Betroffenen nützt. (Und eine Regel, die nicht praktisch funzt, wird so lange bearbeitet, bis sie´s tut – oder, per Thingbeschluss natürlich, entfällt.)
Gewisse wiederkehrende Vorgänge auf Things – z.B. Beitritt (probeweiser) Neulinge, oder deren verbindliche Aufnahme nach Probejahr (beides konsensdemokratisch beschlossen) – sind natürlich von bestimmten Ritualen begleitet, die sich mit der Zeit herausbildeten. Bei aller liebevollen Gestaltung bleiben die Zeremonien jedoch schlicht und unprätentiös. Gekichert und gelacht wird ggf. auch viel.
Bliebe noch zu sagen, daß Anwesenheit von Gästen – sowie deren Rederecht auf Things – auf dem Allthing Usus ist und auf den (regionalen) Fylkithings ebenfalls immer wieder mal vorkommt. (Bei krisengeschüttelten oder von besonderen Interna geprägten Allthings baten wir Gäste unserer Treffen auch schon mal um Abwesenheit vom Thing selbst, aber das war – tyrseidank – bisher seltene Ausnahme; auch in schwereren Zeiten war bisher das Gegenteil die Regel.)
Alle Jahre wieder
Das Beispiel von „Thors Fest“ mag schon angedeutet haben, daß meine rituellen Jahresstationen von den heidnisch allbekannten „acht Festen“ abweichen. Hier im kurzen Überblick:
Mein wichtigstes Jahresfest ist Jul, die Wintersonnenwende (hier gehe ich konform mit allen Asatrú, die ich kenne: über meine Gruppe deutlich hinaus). Mit Jul endet mein Asatrú-Jahr, mit dem Julritual (meist geht dem ein Thing voran: denn Jul feiere ich nicht alleine) beginnen die zwölf Rauhnächte, die denn auch meine einzige wirklich arbeitsfreie Zeit darstellen. Während Odin sich mir dabei eher als „Wotan“ zeigt (in „diesem Aspekt“, könnte man´s nennen), als sturmwütender Herr der „Wilden Jagd“ (den ich aber zwischen den Jahren eher „Draugadróttinn“ heiße: Herrn der Geister), lasse ich die vergangenen zwölf Monde Revue passieren – dies eher mit dem Bauch als analytisch – und vermeide: jede überflüssige bzw. ambitioniertere Arbeit (über den nötigsten Alltag hinaus, inklusive entsprechender „Geschäfte“), jeglichen Projekt-Start, jeden Streit (inklusive auf konkrete Folgen / Einigungen etc. abgerichtete schwerwiegende Diskussionen).
Denn all dies fiele „zwischen die Jahre“ und ginge sozusagen „in Ginnungagap hops“ (G. bezeichnet den gähnenden All-Abgrund zwischen den Welten). Jeglicher Streit bräche zudem „Freyjas Frieden“: jenen auszurufen, ist Höhepunkt des – wie auch immer sonst gestaltbaren – Julrituals. Dieses aber endet nicht mit dem rein zeremoniellen Abschluss (der meist ein gemütliches Gelage einläutet), sondern erst mit den Raunächten selbst: beim Wiedereintritt in die „Welt der Zeit“, kalendarisch hat das neue Jahr dann meist schon begonnen. (In der Praxis dauern bei mir die Raunächte immer etwas länger – mal liegt der faktische Jultrefftermin wochenendbedingt vor oder hinter dem Sonnwenddatum, was die Ritualgestaltung und -inhalte allein beeinflusst. Immer aber beginnen sie spätestens mit jenem Ritual, gleichwohl mir inzwischen mein Bauch, mein Instinkt sagt – oft begleitet vom ein oder anderen leiseren Ereignis-Zeichen – wann und wie´s für mich jeweils in „Raunachtzeit“ hineingeht, und, nach idealerweise wie in Halbtrance durchlebter Tiefe, denn auch wieder hinaus. Durch die Raunächte aber lasse ich mich gern treiben wie ein Blatt in Draugadróttinns Geistersturm oder -wind. Die Intensität liegt in seiner Hand.)
Nächste Jahresstation (bzw. erste des neuen) ist dann für mich besagtes „Thors Fest“, gefolgt von „Disirsblót“ Mitte Februar. Jenes eher private „Opferfest für die Familiengeister“ (in ungefährer Übertragung) begehe ich gewöhnlich allein (zumal ich niemanden kenne, der das außer mir feiert). Bevor ich Asatrú wurde, feierte ich Imbolc, und heute liegen dessen Zeitqualitäten für mich sozusagen zwischen den Wochen ab Thors Fest und bis Disirsblót: diese ganze Spanne über, die ja eh eine allmähliche ist. Das Opfer für die Disen fällt unterschiedlich aus, bei mir auch (ganz pragmatisch) vom Zeitpunkt her, und Ritual kann ich´s kaum nennen, da ich, mehr noch als sonst, da komplett situations- und stimmungsabhängig improvisiere: Wer mich dabei beobachtet, sieht mitunter nicht viel. (Diesjahr stand ich, vielleicht ein oder zwei Wochen davor – eher „zufällig“ zum klassischen Imbolctag – mit meiner Liebsten am gefrorenen, langsam auftauenden Main, und wir schickten Wünsche unters Eis und an die stärker werdende Sonne und gossen einen Rest Met auf die Schollen.)
„Ostara“, die Frühlings-Tagundnachtgleiche, richtet sich terminlich nach dieser. Ich rufe eine Göttin dieses Namens an, obgleich ich inzwischen weiß, daß die nämliche mythologische Gestalt eher und nur auf die Gebrüder Grimm zurückgeht (und ich fand bislang keinen Hinweis auf ältere Zurückreichungen bzw. Herkunft). Aber Götter sind für mich nicht in jeder Hinsicht derart klar definierbar oder trennbar wie Menschspersonen, obgleich ich auch erstere wohlweislich unterscheide. Ich rufe also „Ostara“: ist es Idun, die Apfelbringerin, deren Früchte den Göttern die Jugend erhält (so das mythologische Bild aus der Edda)? Ist es Freyja in einem jung-taufrischen, sozusagen „vor- oder frühpubertierenden Aspekt“? Gna, die Götterbotin? Egal: Überall zeigt sie sich mir rings, und eh. Frühlingskünderin heiße ich sie, und mein Opfer gestalte ich am liebsten wie oder als Begrüßung des jungen Jahres selbst. Einmal stand ich an einem Sumpf in einem kleinen Wald, ließ eine meiner Lieblingsschalen (aus der Küch´) langsam davondümpeln, gefüllt mit „Leckereien der Saison“, garniert mit frischen Blüten und gespickt mit düftelnden Räucherstäbchen. Und auf den Sumpfgrund wanderte dazu ein Ritualmesser. Natürlich im hellsten Tageslicht: So nächtlich die Julzeit, so taghell die Feste des aufsteigenden Jahres, und ihr Idealzeitpunkt.
Hoch im Jahr
Beltane ist kein Asatrúfest. (Und wenn ich mir so anschaue, wie andere Heiden das so „feiern“, dann hab ich, will mir scheinen, zumeist nicht die Welt versäumt… Nicht, solange ich mich als ein „Diener der Ekstase“ fühle, zumindest.)
Na schön: Vor dem runden Maimond feiere ich seit sechs Jahren mit andern Freunden noch alljährlich in einer Waldhöhle; die mehrtägigen Riten und Übungen dort sind aber schamanisch-psychopraktischer Natur. Gleichwohl sie mir viel bedeuten, sind sie hier irrelevant (nur zwei der sechs bis zehn Beteiligten sind Asatrú, der Rest nichtmal alles Heiden).
Die Sommersonnenwende im Juni begehe ich meist unzeremoniell (mal wieder), dafür umso lieber: am allerliebsten in einem privaten Steinkreis (tatsächlich: sowat gibt´s) bei lieben Asatrú-Freunden und deren Bekanntschaft. Lagerfeuer, geselliges Beisammensein und so.
Und du, lieber Gast, liebe Leserin, wunderst dich: schon wieder kein erkennbarer Gottesdienst?
Ich lächle dir ins Auge, Menschin. Auf den Spiegeln der Wirklichkeit zerläuft unser Zerrbild von Zeit. Gieß dies Horn aus ins Gras, oder lass ein Tränchen tropfen in den Brunnen deiner Trauer. Ich könnte dir sagen, wer das Meer erleuchtet – doch nützte dir das? Nur wie wir fahren, und wohin, ist von Folgen: nicht nur zur hohen Jahreszeit. Wer hier mitrudert, kennt Sonne und Wind, ob gleißend, ob stürmisch, ob blass oder nasskalt. Schnapp dir eine Trommel, oder tauch ab zu meiner. Tanz dich schweißnass im sengenden Glanz der großen Mardøll, die mehr als den Tag regiert, und deren gleißenden Blick kein Mensch lange erträgt, ohne ob ihrer Schönheit zu weinen. In Sunnas sanfteren Strahlen aber, die dir Haut und Gemüt wärmen, grüßt dich der schöne Baldur. Wer immer heute „Runen auf der Zunge“ trägt, hat sie (wette ich was) von Bragi, meinem Dichtergott. Öhh – ist das nicht Odin? Wieso – stürmt es etwa gerade? Wisse, der alte Wanderer verantwortet so manches, aber sich und die seinen dir hier auseinander zudividieren nach Menschenart, lehrte er mich noch nicht. Achte lieber auf den Trommeltakt, der dir pocht: schnurlosstracks und ekstatisch gehalten von mir, virtuos aufpoliert und herrlich variiert von jenen Freunden, die besser trommeln als ich. (Einer sagte mal scherzhaft, wo Leute beharrlich trommeln, die dies partout nicht vermögen, also jenseits von Takt, Beat und Rhythmik, „hält es kein Asatrú lang aus…“: keiner von unsereinen, korrekt!)
Tanz weiter, und vielleicht reiß´ ich dir, wenn ich mich trau´, den Kopf nach hinten und drück dir einen Kuss in die fliegende Seele (was ich zu Beltane versäumte). Träum´ ich nur wieder? Selbst dann wirst du´s spüren, haha! Nimm´s als Gruß von einer Asatrú-Göttin, deren Liebling ich bin. Fall nicht ins Feuer! Meins kommt von Freyr, der ist ihr Bruder, in mir pocht er nackt, prall und drängend. Ich opfere ihm gerne. Aber nicht dich. Menschenopfer sind Legende, aus Zeiten, die ich zu ersehnen ich keinerlei Grund sehe. Mir reicht die Gegenwart, samt ihrer Gefahren. Schön bist du. Tanz weiter. Ich geh nur mein Horn füllen – bei Fulla, bei Lofn – und streichel kurz die Katze, die mir begegnet. Der Takt läuft auch ohne mich. Lei´wande Fete!
Und wieder runter…
Von Juli auf August findet das alljährliche (oben bereits erwähnte) Allthing der Nornirs Ætt statt. Auch jenen Termin nutze ich – über die Gruppenangelegenheiten hinaus – gern zum privaten Resümee der Vormonate, anders als zu Jul aber eher analytisch-bewusst: mit dem Denkekopf. Angesichts des hohen Jahres, das sich nun bald zu „überblühen“ beginnt: noch ist voller Sommer, aber in die (unmerklich sich verkürzenden) Tage fließt keine neue Energie mehr hinein. Elfenzeit, für mich: manchmal täuschen sie mich derart, dass ich meine, welche zu sehen zwischen Zweig und Blüte. Barfuß-Tage, wo immer Asphalt nicht hinreicht! Liebe im Freien: mein Lieblings-Gottesdienst. Im beruflich eher terminarmen August (Urlaubszeit für die meisten), bereite ich mich auf arbeitsintensiven Herbst vor.
Den markiert mir das „Alfarblót“ zum Jahresdämmer der Herbst-Tagundnachtgleiche. Den Alben und all jenen Kräften pack´ ich die Früchte des Jahres zusammen, die Stunde der Rune Dagaz zwischen Tag und Abend ist mir da Lieblingszeitpunkt; ich verabschiede mich vom kleinen Fluß in meiner Wohnnähe, von ein paar Bäumen, ein paar Ecken. Hocke im Gebüsch und spreche mit Göttern oder mit meinem (Kraft-)Tier. Es mag ein Asatrútermin sein (auch: „Mabon“ nicht unähnlich), ich für meinen Teil fühle mich da aber meistens ziemlich steinzeitlich – auf Elementares reduziert auch meine persönlichen Bräuche. Selten leider Gelegenheit, sich zwischen Baum und Busch zu entkleiden (da ich nicht im Wald wohnend, sondern nur mitbewaldeten Wiesengrund zur Verfügung habend, dessen Wege Jogger und Radfahrer bevölkern). Dennoch ist mir da immer recht tierisch zumut´, und ich agiere es aus wie´s grad kommt und geht: auf allen Vieren, kriechend, kauernd, und tierhaft laufend-verharrend-schnuppernd- und weiterlaufen. Zuhaus pack ich gern die Trommel von der Wand: die alte, große. Lasse mich von ihrem Zittern in Trance tragen: lang und visionsoffen, ohne die Bilder, die mir da kommen, groß deuten zu wollen.
Wenn andere Heiden später Samhain feiern, habe ich mein Ahnengedenken (so´s der Alltag erlaubte) schon bis zu zwei Wochen als (zumeist absichtsvoll allein begangenes) „Vætnót“ hinter mir. Den Ahnenbegriff fasse ich weit über die leiblichen Vorfahren hinaus.
All jene Toten, die meinen Weg mitbeeinflussten oder mich sonst wie prägten, sind mit dabei. Auch wenn ich viele gar nicht kannte: Zum einen trifft das auf die Mehrzahl meiner leiblichen Vorfahren genauso zu, zum andern sind´s ja inzwischen eh „alles Geister“. Man lernt/e ja nicht nur von Oma und Opa. Da hat´s Größen oder Namen aus Kunst und Kultur, oder Geschichte (wes Teils der Welt, und welcher Ära auch immer), deren Werk oder Beispiel (ob „verbürgt“ oder „Legende“) einem selbst mal Richtung gaben oder finden halfen. Nichtmal „real gelebt“ haben müssten sie, m. E. nach. Ich würde mich nicht scheuen, Winnetou anzurufen, wenn der denn bei mir je Rolle gespielt hätte. (Bei mir war´s – aus jener Kultur – eher Tatanka Yotanka, besser bekannt als „Sitting Bull“: und der hat gelebt.) Einzig der Einfluß zählt: der persönlich empfundene. Nicht dadurch wirkungslos, daß er nur subjektiv existiert. Sowas gehört zu meinem Magie-, ja: meinem Heidenverständnis.
Wenn ich „gut drauf“ bin, erlaube ich mir (selten, aber kam schon vor) das Gedenken an tatsächlich gehabte, aber mittlerweile verstorbene Freunde (für mich zu den Ahnen wie selbstverständlich gezählt: obwohl´s Zeitgenossen waren. Aber sie sind ja tot! Und sie fehlen mir so!) als praktisches, klammheimliches Spiel zu inszenieren: Ich gehe dann „downtown“ und unternehme irgendetwas im Sinne solch eines verstorbenen Freundes. Harmlos: inne Kneipe gehen und dessen Lieblingskram bestellen. Schon ausgefuchster: mich dabei benehmen, als wär ich der Freund. In seine Haut oder Schuhe schlüpfen. Was tun, was er/sie getan hätte. Ich komme nicht immer dazu, aber ich mag diesen Brauch. Woher? Eigenbau. Vielleicht gaben´s mir die Toten selbst ein. Die so schmerzlich Vermissten! Solcherlei Brauch: auch jenseits von Asatrú wärmstens empfehlbar. Hinterlässt heilend-tröstliche Gefühle. Für alle, die je eines Freundes Tod zu beklagen hatten.
Efeu der Erinnerungen
Wann immer ich mal (Heidenboards querschmökernd z.B.) auf das olle Begehr stoße, wo irgendeine „hex“ oder ein „heid“ beklagt, zu irgendeinem Hochfest „nicht frei“ zu kriegen vom Jobchef (und darob die überfällige „Anerkennung von Heidentum als Religion“ fordert…), muss ich müd´ grinsen oder herzhaft lachen. Den möcht´ ich sehen, der mich überhaupt anstellte in einem Betrieb: mich, mit meinen (derzeit) vierundneunzig Feiertagen im Jahr – oben genannte „Hochfeste“ nicht mitgerechnet.
Ich erspare euch die Aufzählung: von „Fenrirs Abend“ bis zur „Nacht von Sökkvabekkr“, von der „Nacht des Totems“ bis zum „Tag der Winterfee“. Jedes Jahr kommen ein oder mehrere solcher Denkmal-Terminchen dazu. Wild verschlungen reihen und ranken sie sich durchs Jahr als privatheidnischer Erinnerungs-Efeu, beständig wachsend: zuweilen treffen zwei oder drei auf dasselbe Datum (obzwar aus verschiedenen Jahren stammend). Es sind Gedenken an urpersönliche Ereignisse und Begebenheiten – und ihre blumigen Namen markieren mir die Stationen. Um mich – immer aufs Neue – zu erinnern (nicht mehr als das meist, aber nie weniger): wann was war, auf meinem Weg. Spirituelles verquickt sich mit Scheinprofanem (was ich aber entsprechend „festhalte“, bestimmen allein Bauch und Instinkt). Vom Beginn einer neuen Liebe – oder anders wichtigen Begegnung – bis zu einem Abschied von sanft bis bitter, quälend oder befreiend: alles dabei. Mal war mir eine bloße Traumvision wichtig genug, mal schien mir ein reales Ereignis relevant: als ich dem Tod eines Bussards beiwohnte. Als mir spät nachts der Schlüssel im Türschloß feststak – mit Folgen. Als ich den Amethyst verlor – doch drohender Trunksucht um Haaresbreite entkam. Als ich den einen Namen bekam, und wann und wie einen andern. Als ich eine Trommel baute – und die meinen ersten Tempel. Als ich floh. Als ich dem Schwan schwor: tanzend, weil heiser und aller Sprache beraubt. Als ich die Sonne anschrie, derweil mich drei Freunde rücklings aufs Gras drückten, daß ich nicht gar durchdrehte, als grad – nach entsprechender Seelenarbeit – alles in mir hochschoß. Als ich meinen Runenbeutel verlor, als ich ein Schwert bekam, als ich mich zwei Frauen beschmusten, als ich an der Felswand hing… und/oder als ich nackt und nachts im stockdusteren Wald den Hügel heruntertapste und weinend im Regen blindlings meinen zerbrochenen Stab zusammenklaubte, umtost von meinem Obergott selbst, und wieder zurückfand zum Feuer, das ich unversengt durchschritt, als hätt´ ich´s geübt oder mich sowas planvoll getraut, in den Flackerlichtschein der Grotte oben, wo Freunde für mich trommelten und sangen. Als ich naturreligiös wurde, als ich mit dir schlief, als du mich fortjagtest, als mich mein Krafttier fand, als mich die Asatrúgötter auflasen, als ich alles verlor, als ich Eibensang wurde. So Zeug halt! (Reihenfolge obiger Auswahl hier wilddurcheinander!)
Pingback: Wer erleuchtet das Meer? (Teil 1) - Asatru zum selber Denken - die Nornirs Ætt