Wissenschaft

Von wegen“in uns allen schlummert noch der Steinzeitjäger“

Die Grundthese der Evolutionspsychologen lässt sich mit „In uns allen schlummert noch der Steinzeitjäger“ zusammenfassen. Eine scheinbar plausible Erklärung für „irrationales Verhalten“, von Krieg bis Fremdgehen, von der Vorliebe von Männern für großbrüstige Frauen bis zum „Sammeltick“. Wir wären eben biologisch an ein altsteinzeitliches Leben angepasst, in den letzten paar tausend Jahren, so die Evolutionspsychologen, habe sich unser Leben rapide verändert – viel zu schnell, als dass die Evolution schritthalten könnte.

Ich hatte seit jeher meine Schwierigkeiten mit diesem Erklärungsmodell. Vor allem auf der Ebene der populären Darstellungen und der „Ratgeberliteratur“, weil dort bei evolutionsbiologischen Argumenten regelmäßig der naturalistische Fehlschluss um die Ecke lauert: „Das (z. B. die ungleiche Aufgabenverteilung zwischen Mann und Frau) ist eben natürlich, und daher ist es auch gut so!“
Allzu oft dienen evolutionsbiologische Argumente dazu, die bestehenden Verhältnisse zu rechtfertigen. So oft, dass ich manchmal den Verdacht habe, dass die These, ein bestehender Zustand sei eben „von Natur aus“ so, am Anfang stand, wofür dann, entgegen der üblichen wissenschaftlichen Methode, nach passenden Belegen gesucht würde. Also ein „Rosinenpicken“, das für Pseudowissenschaften typisch ist.

Außerdem befasse ich mich ein wenig mit Ethnologie und mit Archäologie. Auch wenn ich beileibe kein Fachmann bin, erschien es mir immer seltsam, wieso so viele Evolutionspsychologen offensichtlich von einer „Standard-Altsteinzeit“ ausgingen. Tatsächlich waren die äußeren Bedingungen unter denen unsere Vorfahren lebten, höchst unterschiedlich – mehrere Eiszeiten und Zwischeneiszeiten werden sogar in der ostafrikanischen Savanne mehrmals für drastisch unterschiedliche Lebensbedingungen gesorgt haben. (Wobei „Steinzeitjäger“, abgesehen von einigen eiszeitlichen bzw. unter arktischen Bedingungen lebenden Kulturen, ohnehin falsch ist: das Sammeln von Früchten, Wurzeln usw. ist für die Ernährung von Menschen auf „altsteinzeitlichem“ Kulturstand in aller Regel viel wichtiger als die Jagd. Damit relativiert sich die vermeidliche Bedeutung der wohl zumeist männlichen Jäger.)

Im einem Artikel mit dem leicht überspitzten Titel Licht aus für die Evolutionspsychologie legt Stephan Matthiesen dar, das der populären Theorie wohl das wissenschaftliche Fundament weggebrochen sei.

Doch um konkrete Aussagen machen zu können, muss die Evolutionspsychologie vier starke Grundthesen annehmen. Und genau an dieser Stelle wird es laut den Autoren eines aktuellen Positionspapiers kritisch: Der Evolutionspsychologie sei in den vergangenen Jahren das wissenschaftliche Fundament weggebrochen, meinen Johan Bolhuis, Gillian Brown, Robert Richardson und Kevin Laland von den Universitäten Utrecht, Cincinnati und St. Andrews [3].

Im Einzelnen lauten die vier Grundannahmen der Evolutionstheorie wie folgt:

  • Die Evolutionspsychologie muss annehmen, dass es irgendwann in der Geschichte der Menschheit eine hinreichend stabile Umwelt gab. In dieser „Umwelt der evolutionären Angepasstheit“ bildeten sich die fraglichen psychologischen Mechanismen des Menschen heraus, auf diese Umwelt sind sie bezogen.
  • Evolutionäre Veränderungen dürfen nur langsam und graduell ablaufen – die Evolutionspsychologie vertritt also einen evolutionären Gradualismus.
  • Um spezifische Verhaltensweisen wie die Aggression oder die Partnerwahl erklären zu können, muss unser Verhalten aus vielen Einzelprogrammen oder „Modulen“ zusammengesetzt sein, die sich jeweils als Anpassung auf spezifische Anforderungen der Umwelt entwickelt haben – die Evolutionspsychologie nimmt also eine massive Modularität des menschlichen Geistes an.
  • Und schließlich postuliert die Evolutionspsychologie eine universelle menschliche Natur: Unabhängig von Kultur und individueller Entwicklung würden wir vor allem durch ein universelles, artspezifisches Verhaltensprogramm gesteuert.

Genau diese elementaren Grundthesen sind nach Meinung der vier Forscher mit den Erkenntnissen benachbarter Wissenschaftszweige nur schwer vereinbar – etwa dort, wo sie Aussagen über die Evolution des Menschen treffen, wie die Thesen eins und zwei: Sind wir überhaupt an eine spezifische Umwelt angepasst? Und wenn ja, an welche?

Der evolutionspsychologische Ansatz ist, laut Bolhuis und Kollegen, nicht vom Tisch. Aber die Methodik muss sich grundlegend ändern und erweitern. Bisher gehen Evolutionspsychologen meist so vor, dass sie Hypothesen darüber aufstellen, welches Verhalten in einer urzeitlichen Umwelt sinnvoll gewesen sein dürfte, und bestätigen dies dann durch psychologische Tests an heutigen Menschen.
Dabei bleiben zu viele Alternativmöglichkeiten offen, um als Beleg für ein mögliches Steinzeiterbe wirklich zu überzeugen, finde Bolhuis und Kollegen. Sie fordern daher in ihrer Bestandsaufnahme, dass eine zukünftige Evolutionspsychologie viel stärker in benachbarte Disziplinen wie die Genetik und die Neurowissenschaften integriert werden muss. Zudem muss sie dabei gezielt zwischen verschiedenen evolutionären und nicht evolutionären Erklärungen unterscheiden können.

Offensichtlich wird unser Verhalten nicht nur von vererbten, evolutionären Anpassung an die Steinzeit beeinflusst, sondern zu einem großen Teil von kulturellen und individuellen Entwicklungsfaktoren.

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