„Hexen“-Hinrichtung in Saudi-Arabien führt kaum zu Reaktionen

13. Dezember 2011 | Von | Kategorie: Gjallarhorn Weblog, Ætt Feature

In Saudi Arabien wurde am 12. Dezember 2011 das Todesurteil gegen eine Frau vollstreckt. Ihr Verbrechen: „Hexerei und Zauberei“.
Frau wegen „Hexerei“ hingerichtet (spon).
Amina bint Abdul Halim bin Salem Nasser wurde schon vor zwei Jahren wegen des „Verbrechens der Hexerei“ festgenommen und später von einem klerikalen Gericht zum Tode verurteilt.
Vorgeworfen wurde ihr, Geld dafür genommen zu haben, um Menschen durch „Zauberkraft“ von Krankheiten zu heilen. Der Grund für dieses harte Urteil war nicht der (mögliche) Betrug, sondern das Praktizieren von Hexerei.
Erst im vergangenen September war ein Sudanese in der Stadt Medina wegen „Hexerei“ hingerichtet worden. Den meisten „Hexen und Hexern“ wirft man vor, sie hätten Menschen auf Wunsch von Angehörigen oder Bekannten verflucht oder für Geld Zauberamulette hergestellt.
Damit sind diese Urteile völlig mit denen während der frühneuzeitlichen Hexenverfolgung in Europa vergleichbar. Anders gesagt: in Saudi-Arabien ist die von Staat und Klerus unterstützte Hexenjagd Gegenwart.

Obwohl die Menschenrechte erfreulicherweise in Politik und Medien Thema sind, scheint Saudi Arabien diesbezüglich Sonderrechte zu genießen.
Mit Amina bint Abdul Halim bin Salem Nasser steigt die Zahl der Hinrichtungen in Saudi-Arabien bereits auf mindestens 73 in diesem Jahr. Damit ist Saudi-Arabien, gemessen an der Bevölkerung, der „hinrichtungsfreudigste“ Staat der Erde.
Saudi-Arabien ist eine absolutistische Monarchie, oder anders ausgedrückt, eine Erbdiktatur. Der Islam hanbalitischer Rechtsschule bestimmt in Saudi-Arabien das Leben, die Rechtsprechung und die staatstragende Ideologie, das öffentliche Religionsbild im Land ist, gemessen selbst an anderen sich als islamisch bezeichnenden Staaten besonders strenggläubig und islamisch-konservativ. Der Einfluss der Geistlichen im Lande ist sehr groß und hat in den letzten Jahren weiter zugenommen. Es gibt keine legalen politischen Parteien. Opposition, Streiks und Gewerkschaften sind vom König offiziell verboten. Dass es um die Menschenrechte in Saudi-Arabien katastrophal bestellt ist, ist wirklich kein Geheimnis.

Warum scheint sich von politischer Seite niemand der Opfer anzunehmen? Warum steht Saudi-Arabien, anders etwa als Nordkorea, nicht am Pranger der Weltöffentlichkeit? Warum gilt der Iran als „aggressive religiöse Diktatur“ (meiner Ansicht nach nicht ganz zu Unrecht), während über die weitaus aggressivere saudische religiöse Diktatur kaum ein Wort verloren wird? Warum exportiert Deutschland Waffen nach Saudi-Arabien, ein Land, das nicht „nur“ seine eigene Bevölkerung unterdrückt, sondern sich auch, sogar mit militärischen Mitteln, in die Angelegenheit von Nachbarstaaten einmischt – und das außerdem von jeher eine eindeutig anti-israelische Politik verfolgt (normalerweise ein K.O.-Kriterium für deutsche und übrigens auch US-amerikanische Rüstungsexporte)?

Die bedrückend naheliegende Erklärung: „It’s the economy, stupid!“
Saudi-Arabien ist das Land mit den größten Erdölreserven der Erde. Infolgedessen ist es auch eines der reichsten Länder der Erde. Saudisches Kapital ist an praktisch allen großen internationalen Konzernen beteiligt. Der deutsche Staat ist bei Saudi-Arabien verschuldet. Die wirtschaftlichen Interessen der USA sind mit denen Saudi-Arabiens verflochten. Die Deutschlands übrigens auch.
Obwohl in Saudi-Arabien auf Korruption die Todesstrafe steht (die auch vollstreckt wird), funktioniert die saudische Politik nach dem Prinzip der aktiven Bestechung: das Recht ist da, wo man es sich kauft. Gegebenenfalls verstärkt durch diskrete Erpressung.

Dass es überhaupt noch die Todesstrafe gibt, ist eine Schande.
Eine noch größere Schande ist es, dass es Länder gibt, in denen nicht „nur“ auf Mord die Todesstrafe steht (wie immer noch in den meisten Bundesstaaten der USA) sondern z. B. – im Glauben an eine „harte Abschreckung“ (ein auch bei uns nicht eben seltener Irrglaube) – auf Drogenhandel und oft schon auf Drogenbesitz, wie in Malaysia und Singapur.
Der Katalog der Delikte, für die man in China hingerichtet werden kann, ist lang: für mindestens 68 verschiedene Delikte wird die Todesstrafe verhängt, darunter neben Mord, schwerem Raubüberfall und Vergewaltigung auch für Bestechung, Geld- und Scheckfälschung, Steuerhinterziehung, verschiedene Diebstahlsdelikte und Zuhälterei.
„Abfall vom rechten Glauben“ ist in einigen Ländern mit islamischem Recht ein todeswürdiges Verbrechen. Ebenso Homosexualität. Das ist zum Beispiel im Iran der Fall.
Aber all das wird von den „Rübe ab“-Justiz in Saudi-Arabien getoppt. Saudi-Arabien betrachtet sich als Gottesstaat und hat die islamische Scharia fest in der Verfassung verankert. In Saudi-Arabien folgen die Richter der konservativen und dogmatischen Richtung der Wahhabiten bzw. Salafiyya. Anders gesagt, sind sie islamische Fundamentalisten.
Unklar definierte Straftatbestände lassen den Richtern großen Ermessensspielraum. Todesurteile werden für eine Reihe religiöser Vergehen (hudud) ausgesprochen, die zugleich als Angriff auf die staatliche Ordnung gelten: Koranschändung, Gotteslästerung, Abfall vom Islam. Außerdem können Sexualdelikte, worunter nicht nur Vergewaltigung, sondern auch Ehebruch, Homosexualität und Prostitution gehören, mit dem Tod bestraft werden. Schon die sexuelle Belästigung von Frauen − ein unscharf definierter Straftatbestand − kann ein Todesurteil begründen. Die Todesstrafe kann auch für Drogenhandel (worunter nach saudischem Verständnis auch Alkohol gehört) verhängt werden. Es gab auch Todesurteile wegen Sabotage und Korruption. Weil sie „die Korruption im Land gefördert und die Sicherheit gefährdet“ hätten, wurden z. B. am 4. April 2005 sechs Somalier enthauptet, die Autodiebstahl und Bedrohung von Taxifahrern begangen haben sollen.
Todesstrafen werden durch öffentliche Enthauptung mit dem Schwert vollstreckt.
Die Todesstrafe für „Hexerei“ fügt sich, so absurd so ein Delikt auch ist (und immer war), nahtlos in diese von religiösen Fanatismus und meiner Ansicht nach paranoider Angst vor gesellschaftlichen Veränderungen gespeisten Rechtsordnung ein. Gegenüber Saudi-Arabien mutet der Iran wie ein hochmoderner Rechtsstaat an.
Anders als die heute noch stattfindenden Hexenjagden in einige Regionen Afrikas und Indiens finden die saudischen Hexenprozesse nicht etwa außerhalb der geltenden Rechtsordnung statt – sondern sind Teil dieser Rechtsordnung!

Von welchem Kaliber die – und hier passt das Wort! – islamofaschistische Kreise in Saudi-Arabien sind, zeigt sich gerade in Ägypten, wo die eher soziale und durchaus demokratisch gesonnene Muslimbruderschaft durch die Salafisten, die mit finanzieller Unterstützung aus Saudi Arabien einen teuren Wahlkampf führen und angeblich sogar massiv Stimmenkauf betreiben, eine auf religiös legitimierte Diktatur gebürstete Konkurrenz hat.
Aber, siehe oben: Saudi-Arabien ist einer der wichtigsten Handelspartner Europas und der USA. Es gilt, meiner Ansicht zu Unrecht, als treuer Verbündeter „des Westens“. Schon eine kleine Palastrevolution oder eine Verschiebung des inner-saudischen Machtgefüges zugunsten der fanatischen Jihadisten, und es ist Schluss mit „pro-westlich“!
(Eines Westens, der viele westliche Werte, die Werte des Humanismus, der Aufklärung und der französischen und amerikanischen Revolution immer wieder verrät. Um oft kurzfristiger ökonomischer beziehungsweise machtpolitischer Erwägungen. Und aus Angst vor Veränderung, weil gesellschaftlicher Wandel Machtverlust für die „Eiite“ bedeuten könnte.)

Wo bleiben der Aufschrei und die Massenkundgebungen vor den Saudi-Botschaften in aller Welt? Ich fürchte, darauf werden wir noch lange warten müssen!

Amnesty International gegen die Todesstrafe
Amnesty International Länderbericht Saudi-Arabien

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4 Kommentare
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  1. Auch wichtig in diesem Zusammenhang:

    Während mutige Menschen in der arabischen Welt Dikatoren entmachten, will Angela Merkel die Despoten in Saudi Arabien mit Leopard-Kampfpanzern ausrüsten, die optimiert sind für die Bekämpfung von Volksaufständen in städtischen Gebieten — es sei denn, öffentlicher Druck kann den Plan vereiteln.

    Merkels intime Treffen mit Waffenkäufern zeigen, dass die Förderung von weltweiten Waffenexporten eine Priorität für ihre Regierung ist — ohne Rücksicht auf die Folgen für die Zivilbevölkerung. Deutschland ist so zum drittgrößten Waffenexporteur aufgestiegen. Experten haben ausgiebig von der Angst Saudi-Arabiens vor Protesten gegen die Monarchie berichtet, und es besteht kein Zweifel, dass die Panzer dort gegen demokratischen Wandel eingesetzt würden. Saudi-Arabien rangiert derzeit auf Platz 160 des Economist-Rating für Demokratie, nur wenige Plätze vor Nordkorea.

    Indem sie der Waffenlobby nachgibt, demontiert unsere Kanzlerin einen Eckpfeiler deutscher Politik, der vom ehemaligen Außenminister Genscher eingebracht und von Nachfolgern aller Parteien respektiert wurde: Keine Waffenexporte in Krisenregionen. Und die Tatsache, dass der deutsche Sicherheitsrat diese Exporte unter Ausschluss der Öffentlichkeit absegnet, verweigert uns Bürgern das Recht, diese tödlichen Pläne anzufechten.

    Stoppt den Panzerdeal

    Via: Che: Stoppt die Waffen-Lobby!

  2. […] religiöses Weltbild. Das gilt für die frühneuzeitliche Hexenverfolgungen genau so, wie für die Verhältnisse in Saudi-Arabien wie die ansonsten völlig verschiedenen Hexenjagden in Teilen […]

  3. […] – und sie wird auch vollstreckt. Als “Schadenzauber” gelten, wie die Hinrichtung Amina bint Abdul Halim bin Salem Nasser zeigte, schon einfache “sprirtuelle Dienstleistungen”, wie das Verfertigen von […]

  4. finde den Text sehr interesssant, ich bin recht geschockt, darüber dass selbst in der heutigen Zeit grosse mächtige Staaten solch schreckliche Gesetze haben und unschuldige Verfolgen und umbringen…dass die Saudis auf „Hexerei“ die Todesstrafe haben hätte ich niemals gedacht…für mich ist es schon unvorstellbar wie vor 300-400 Jahren Hexenverfolgungen grassiert haben in Westeuropa, aber schlicht unvorstellbar in der heutigen Zeit…ich versuche die schlimmen Zustände von damals mit den klimatischen Veränderungen zu erklären…ernteausfällen und so…aber im 21. jahrhundert….dass Saudi-arabien ein rückständiges Land ist das wusste ich schon aber dass die sogar noch an Hexerei glauben….krass…
    es geht schlussendlich in der heutigen zeit nur ums geld…wer geld hat hat macht, macht andere von sich abhängig, die trauen sich dann nicht mehr etwas gegen die saudis zu sagen weil sie abhängig sind….unter dem strich kann man doch sagen, Saudi-arabien ist ein völlig rückständiges konservatives Drec..sland das nur wegen ihrem Öl weltweit eine recht bedeutende Rolle hat und sich sehr viel leisten kann auch menschenunwürdiges….aber es wird in nicht allzu ferner Zukunft soweit sein dass die saudischen Erdölvorkommen versiegen…das ist dann für die saudis etwa so wie wenn man das licht abschaltet …

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