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Verbotene Symbole – Exkurs: „Null Toleranz“

Null-Toleranz bzw. Zero Tolerance ist ein kriminaltheoretischer Ansatz, der in den USA aufgrund von Erfahrungen mit Alltagskriminalität entwickelt wurde.

Schon seit langem ist Soziologen, aber auch erfahrenen Polizisten und Sozialarbeitern, bekannt, dass geringe informellen Sozialkontrolle (z. B. schlecht entwickelte nachbarschaftliche Beziehungen) zu einer sozialen Desorganisation führt, durch die kriminelles Verhalten begünstigt und verfestigt wird. Darauf bauten James Wilson und George Kelling ihre Theorie des „broken window“ auf: Durch städtebaulichen Verfall in „schlechten Gegenden“ wird die ohnehin schlecht entwickelte Sozialkontrolle weiter geschwächt, was wiederum als Anziehungspunkt für Kriminalität wirkt. Die Bürger betreiben einen inneren Rückzug oder ziehen fort. Als Beispiel nennen Wilson und Kelling gerne das eingeworfene Fenster. Wird es nicht umgehend repariert, werden erfahrungsgemäß anschließend weitere Fenster in der Umgebung eingeworfen.

Das Prinzip „nichts durchgehen lassen“ bewährt sich seit langem bei der Bekämpfung von Ladendiebstählen – wenn jeder auch noch so kleine Diebstahl sofort angezeigt wird, wirkt das auf potenzielle Diebe auch dann abschreckend, wenn nur geringfügige Strafen drohen. Hingegen schrecken drastische Strafen, die aber nur für substanzielle Diebstähle verhängt werden, weniger ab. Das Rezept der „Zero Tolerance“ ist Konsequenz und „Grenzen setzen“, ein passender Slogan wäre: „Gleichgültigkeit? Nein danke!“

Berühmt wurde die Politik der „Zero Tolerance“ im New York der frühen 1990er Jahre: Mit drastischen Maßnahmen wurden die „kriminalitätsverseuchten“ Stadtviertel durch die Polizei „zurückerobert“. Vor allem konservative deutsche Kriminalisten sind von den New Yorker Erfolgen beeindruckt, zumal „Zero Tolerance“ der alten Tradition des „hart Durchgreifens“ entgegenkommt. Allerdings entsprach und entspricht nicht alles, was vor allem rechtspopulistische Politiker und Publizisten als „Null Toleranz“ ausgeben, dem originalen, auf soziale Kontrolle, schnelles Reagieren auf Missstände (wie zerbrochene Fenster) und rasch und konsequent verhängte, aber angemessene, meist milde Sanktionen setzenden „Zero Tolerance“-Ansatz. Der sich später als Politiker versuchende Ronald B. Schill z. B. verhängte als Amtsrichter gerne „abschreckend“ drastische, oft unverhältnismäßig hohe Strafen („Richter Gnadenlos“). „Null Toleranz“ gilt als Patentrezept gegen Kriminalität aller Art und wird entsprechend gerne als Schlagwort verwendet.

Ob die gegen Kleinkriminalität bewährte „Null Toleranz“ auch bei planmäßig begangenen Verbrechen, bei Überzeugungsdelikten oder gar im Bereich der politischen Kriminalität überhaupt funktioniert ist durchaus nicht unstrittig. Wie Toralf Staud richtig schrieb, sind Mitläufer schon beeindruckt, wenn sie nach einem Hitlergruß „zur Gefahrenabwehr“ von der Bierparty direkt in Polizeigewahrsam kommen und dort übernachten. Überzeugungstätern geht dergleichen „drei Kilometer weit am Arsch vorbei“, wie es ein langjähriges Mitglied der Hamburger Nazi-Skin-Szene ausdrückte. Tatsächlich gilt Arresterfahrung in diesen Kreisen sogar als Initiationserlebnis, oder, wie sie es nennen: „Feuertaufe“.

Die Absätze (3) und(4) 10 des § 130 StGB (Volksverhetzung) lauten:

(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.

(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.

Faktisch läuft dieses Gesetz auf eine Einschränkung der Meinungsfreiheit hinaus. Angesichts der beispiellosen Verbrechen der Deutschen zur NS-Zeit ist diese Einschränkung nicht nur legitim, sondern ein moralisches Gebot allerersten Ranges. Ihm liegt eine Rechtsauffassung zugrunde, nach der nur ein einziges Recht das Recht auf freie Meinungsäußerung bricht, nämlich Artikel 1 des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Der industriell aus niederen Motiven verübte millionenfache Mord, den die große Mehrheit der Deutsche hinnahm, billigte, sehr oft sogar begrüßte, war ein derart ungeheuren Angriff auf die Würde des Menschen, dass jede nachträgliche Rechtfertigung der ultimativen Verbrechen ebenfalls zum Verbrechen wird.

In der klassischen Formulierung der Antifa: „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“.
Das moralische Dilemma: wo fängt der „Faschismus“ an? Und ab wann ist der „öffentliche Frieden“ gefährdet? Eine „Null Toleranz“-Linie ist ein Ausweg aus diesem Dilemma – möglicherweise der einzig praktikable.

Bezogen auf Symbole und dem § 86a StGB zeigt diese praktikable Linie ihre Tücken. Juristische Probleme gibt es erfahrungsgemäß immer wieder bei Satiren. Wenn die Gefahr besteht, eine Satire könne von einem unbefangenen Beobachter für ernst genommen werden, kann sie verboten werden – denn auch die scherzhafte Verwendung von NS-Symbolen ist verboten, wenn keine distanzierende Absicht erkennbar ist.

Im Regelfall kommt eine Satire aber nur auf den Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPS). Das geschah z. B. mit dem satirischen Science Fiction Roman „Der stählerne Traum“ von Norman Spinrad. Der Roman ist eine Satire des Juden und engagierten Antifaschisten Spinrad gegen faschistisches und faschistoides Gedankengut in der Science Fiction und Fantasy: In einem glücklichen Paralleluniversum ist Adolf Hitler ein bombastisch-brutale Weltraum-Abenteuer verzapfender SF-Autor. Die BPS war der Ansicht, die satirische Absicht könne allzu leicht übersehen werden. Das Buch stand jahrelang auf dem Index, bis es dem Heyne-Verlag nach langem Rechtsstreit gelang, die Indizierung als unbegründet aufheben zu lassen.

Noch problematischer ist die „Verbannung gemäß § 86 a verbotener Kennzeichen und verwandten Symbolen aus der Öffentlichkeit“.

Eine besonders harte Auslegung dieses Prinzips – in Verbindung mit einem sehr eng gefassten „Null Toleranz“-Ansatz lag dem bekannten Urteil des Tübinger Amtsgerichts zugrunde, in dem ein Button mit durchgestrichenem Hakenkreuz als Verstoß gegen den § 86a gewertet wurde. Allerdings fiel auch in diesem Fall auf, dass der Staatsanwalt sich um die mögliche Wirkung der durchgestrichenen Hakenkreuze auf Touristen sorgt. Die (in der „Antifa“ meines Erachtens zu Recht als nationalistisch verdächtigte) Sorge um das „Ansehen Deutschlands in der Weltöffentlichkeit“ ist geradezu ein Standardargument, wenn eine „strikte Auslegung“ der Symbolverbote gefordert wird.

Zu geradezu kuriosen Auswüchsen führen einige den § 86 a ergänzende Verordnungen, die der Verbannung der NS-Symbolik aus der Öffentlichkeit dienten – obwohl sie ursprünglich durchaus segensreich wirkten.

In den 1970ern kamen massenhaft Waffenrepliken mit NS-Symbolik und Flugzeug- und Panzermodelle mit ebenso originalgetreuen wie unübersehbaren Hakenkreuzen in den Handel. Etwa zur gleichen Zeit gab es einen Boom marktschreierischer „historischer Dokumentationen“ überwiegend fragwürdigen Inhalts, die vorzugsweise mit Abbildungen von NS-Symbolen aufmachten. Um diesen unschönen Erscheinungen ein Ende zu machen, gibt es seitdem unter anderem die so genannte Flugzeugmodel-Verordnung: Hakenkreuze auf Flugzeugmodellen, die in den Handel kommen, sind strafbar. Auch verboten sind z. B. Bücher, die ein Hitler-Porträt auf dem Umschlag tragen oder Zeitschriften mit Fotos von SA-Standarten auf dem Titelblatt. Hier ging es darum, eine von Nazi-Apologeten gern genutzte Gesetzeslücke zu schließen, nämlich die, dass zu Zwecken der „historischen Dokumentation“ die Abbildung von NS-Symbolen straffrei ist.

An sich eine klare Linie – wenn sie mit Augenmaß angewendet wird und das sachfremde Argument „des guten Bildes im Ausland“ außen vor bleibt. In der Praxis läuft es allerdings oft auf ein simples „unter den Teppich kehren“ nicht in das Bild des sauberen nazifreien Deutschland passender Erscheinungen hinaus. Denn plakativer Protest gegen Neo-Nazis weist überdeutlich auf die unangenehme Existenz von Neo-Nazis trotz „hart durchgreifender“ Staatsanwaltschaft hin.

Kritische Stimmen aus der antifaschistischen Richtung, wie der bekannte Journalist und Buchautor Burkhard Schröder, halten wenig von dieser Symbolverbots-Praxis: Sie sei reine Kosmetik und wäre bei der Bekämpfung rechter Tendenzen in der Gesellschaft völlig nutzlos. Im Gegenteil würden solche Verbote genau das bedrohen, was sie zu schützen vorgeben: Meinungsfreiheit und demokratische, offene Gesellschaft.

Mitunter sind die weit gefassten Verbote auch nur lächerlich, auch und gerade für die immer wieder genannten kritischen ausländischen Beobachter. Zum Beispiel mussten die gewiss nicht als Nazi-Band bekannten Altrocker von „KISS“ für den deutschen Markt ihren markanten Schriftzug ändern, da das kantig geschriebene Doppel-S den SS-Runen „zum verwechseln ähnlich“ sah.

Es gibt aber auch ein nicht so leicht von Tisch zu wischendes Argument, um Nazi-Symbole immer zu verbieten, egal ob sie von Rechtsradikalen oder gegen sie verwendet werden:
Nazi-Symbole stehen für etwas so Schreckliches und sind so ekelerregend, dass sie einfach nicht in die Öffentlichkeit gehören.

Egal, für was die Runen oder die Swastika einst gestanden haben mochten: Heute ist ihr Symbolgehalt untrennbar verbunden mit dem größten und skrupellosesten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, dem industriell betriebenen systematischen gefühlskalten Mord an Millionen Menschen, einzig aufgrund einer aberwitzigen Ideologie.

Denkt man im magischen Sinne weiter, was religiös-spirituell orientierte Neonazi-Gegner mitunter tun, dann gewinnt das Argument noch an Brisanz. Ein Symbol ist mehr als nur ein Kennzeichen – es erzeugt Wirkung, vermittelt Willen. Es war nicht zuletzt die schwer zu fassende faszinierende Wirkung der Symbole, die den Nazis den Aufstieg zur Macht und die Manipulation der Massen ermöglichte.
So gesehen wären die von den Nazi geschändeten Symbole vielleicht nicht nur zu „brauner Scheiße“ geworden, sondern zu purem Gift!

Wer so argumentiert, sollte sich aber darüber im Klaren sein, dass er auf metaphysische Argumente zurückgreift, die für einen moralischen, nicht aber für einen juristischen Diskurs taugen.
Leider bleibt diese Reflexion meistens aus, übrig bleibt naives, ja kleinkindhaftes, uneingestandenes magisches Denken – wenn die bösen Symbole weg sind, ist auch „das Böse“ weg. Möglicherweise dachte auch der Tübinger Staatsanwalt so – ohne es sich einzugestehen. Wie überhaupt „magisches Denken“ bei „Zero Tolerance“-Fanatikern eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen dürfte.

Ein weiteres Problem der „Null Toleranz“ besteht darin, dass Rechtsextremisten immer wieder neue Symbole schaffen bzw. besetzen. „Null Toleranz“ läuft unter diesen Umständen auf eine Art „Positivliste“ hinaus, welche Symbole noch in welchen Zusammenhang gezeigt werden dürfen. Etwa Regelungen, wie es sie in der DDR gab: Ein mir persönlich bekannter Tier-Bildhauer berichtete mir, dass er zu DDR Zeiten einen Bronzeadler nicht öffentlich ausstellen dürfte – das Symbol war eben „faschistisch besetzt“, auch im Umfeld eines Wildparks mit Greifvogelgehege. Verbote z. B. der Sportbekleidungsmarke „Loansdale“ (die über ihre Beliebtheit in Nazikreisen keineswegs erfreut ist und sich entschieden von „rechten Sportsfreunden“ distanziert) sind dem durchaus vergleichbar. Oder die Forderung, Runen sozusagen „auf Verdacht“ zu verbieten – „Runen sind nur was für Fachhistoriker, und damit basta!“

Da läge es eigentlich nahe, das Autokennzeichen HH für „Hansestadt Hamburg“ als viel verwendetes Nazi-Erkennungszeichen (Abkürzung für „Heil Hitler“) endlich zu verbieten! Und die „88“ als verschleiertes „HH“ gleich dazu. (Keine Satire: es gibt Internet-Foren, in denen Beiträge, die die Ziffer 88 enthalten, automatisch gesperrt werden. Weil dies automatisch geschieht, fliegt auch die Mitteilung jemand sei letzte Woche im Alter von 88 Jahren gestorben aus dem Forum.)

Martin Marheinecke, 18. Februar 2006

Zum Teil 1: Verbotene Symbole
Zum Teil 2: Suspekte Symbole

2 Gedanken zu „Verbotene Symbole – Exkurs: „Null Toleranz“

  • Sa Vánatrúar

    Ja das ist typisch Deutsch! (Tut mir leid, ist aber so)

    Ich würde ja zu PROTEST raten, aber da bin ich dann bestimmt der einzige.

    Wie wäre es, wenn wenn alle Heiden (und wir sind gewiss eine Menge) und Buddhisten fordern würden, daß die Svastika als religiöses Symbol wieder erlaubt wird? Immerhin kann man doch nicht alles, wasdie Nazis benutzen vernazifizieren. z.B. Die Nazis benutzen Zahlen und Buchstaben wie 88 ect. Soll die Acht jetzt verboten werden?!

    (Hinweis: Symbole entfernt, da ich den Kommentar sonst nicht hätte freigeben können.)

    So und wird mein Kommentar jetzt gesperrt von irgendwelchen Deutsch-Ärschen?!

    Ich bin Heide und ich will, das die Svatika als RELIGIÖSES SYMBOL erlaubt wird!

  • Liebe(r) Sa Vánatrúar,

    Du schlägst vor:

    Wie wäre es, wenn wenn alle Heiden (und wir sind gewiss eine Menge) und Buddhisten fordern würden, daß die Svastika als religiöses Symbol wieder erlaubt wird?

    In realistischer Einschäzung unsere Lage rate ich ab. Wir sind, auch zusammen mit den Buddhisten und evt. den Hindus, eine winzige Minderheit. Dem gegenüber steht die Tatsache, dass die Swastika von der überwältigenden Mehrheit der deutschen Bevölkerung aussschließlich als das NS-Symbol „Hakenkreuz“ wahrgenommen wird. Ich halte es für fahrlässig, den Nazis die Verwendung „Ihres“ Symbol wieder zu erlauben (auch wenn die Swastika nur so aussieht, aber für etwas anderes steht). Eine Wiederzulassung des HKs würde nämlich von diesen in der Regel denkfaulen und streng in „Freund-Feind“-Kategorien denkenden innwändig braunen „Kameraden“ als insgeheime Zustimmung für ihre (gefährliche und verbrecherische) politische Weltanschauung gesehen werden. Und sie damit stärken.

    Ansonsten gilt für Heiden, was für Buddhisten und Hindus in Deutschland (und anderswo in der EU) gilt: Einer Verwendung als religiöses Symbol steht im geschlossenen Rahmen nichts entgegen, aber in der Öffentlichkeit darf die Swastika, wegen der Verwechslungsgefahr mit dem NS-Symbol, nicht gezeigt werden.

    Dass ich den Aktionismus, möglichst alles, was NS-verdächtig ist, zu verbieten, nicht gutheiße, dürfte aus meinen Texten deutlich werden. Allerdings auch, dass mir im Zweifel bei der Verfolgung von Neonazis und ähnlichen Verbrechern übereifrige Staatsanwälte, Richter, Polizisten usw. allemal lieber sind als solche, die – wie so viele ihrer Berufskollegen – auf dem rechten Auge blind sind.

    Viele Grüße,
    Martin Marheinecke

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