Tödlicher Schwitzhüttenunfall, gammeliger Journalismus
Eigentlich kann bei sachgemäß durchgeführten Schwitzhütten nicht viel passieren. Dass Schwitzhütten, unsachgemäß durchgeführt, gefährlich sein können, zeigt ein tragischer und vermeidbarer Unfall in Sedona im US-Bundesstaat Arizona: Drei Menschen starben am 8. Oktober 2009 nach dem Besuch einer Schwitzhütte (Sweat-Lodge).
Veranstalter war James Arthur Ray. Der kalifornische „Selbsthilfeguru“ gehört zu den Stars der amerikanischen Esoterik-Szene, und gilt – meiner Ansicht nach zurecht – als Musterbeispiel eines Plastikschamanen.
Ray verspricht in seinen Büchern und bei seinen Fernsehauftritten „Wohlstand, Abenteuer und Erfüllung“. Jeder der rund 60 Teilnehmer des so tragisch endenden Seminars zahlte 9500 US-$ – ein happiger Preis für Wanderungen durch die Wüste, Fasten und Meditationsunterweisung. Diesen Kurs nennt Ray hochtrabend „Spiritual Warrior“ und verspricht (laut FDT Deutschland) dass
(…) Sie Techniken erlernen (viele davon seit Generationen geheim), die ich in den Bergen Perus und im Dschungel des Amazonas gefunden habe.
Höhepunkt und Abschluss sollte die Schwitzhütte (bei Ray „Mega-Sweat-Lodge“ genannt) sein. Zwei Stunden lang zwängten sich über 60 Menschen bei Saunatemperaturen in einen engen Holzverschlag, bedeckt mit Planen und Decken, geheizt mit heißen Steinen und nur 39 Quadratmeter groß. Nun ist Hitze und Enge in Schwitzhütten normal, allerdings ist es gefährlich, so viele Teilnehmer zusammenzupferchen – die Hütte hat nur einen kleinen Ausgang. (Normalerweise finden höchstens acht Menschen in einer Schwitzhütte Platz.) Außerdem wäre die Hütte nach Aussagen von Zeugen mit Plastikplanen (!) abgedichtet gewesen.
Ray machte, wieder nach Zeugenaussagen, so ziemlich alles verkehrt, was ein „Feuermann“ verkehrt machen kann. Er habe vor der Eingangstür gesessen und sie nur geöffnet, um heiße Steine nachzulegen. Nur kurz sei frische Luft hereingeströmt und nur etwa jede Viertelstunde. Bei der praktisch luftdichten Konstruktion der Hütte (normale Schwitzhütten werden mit Decken bedeckt und sind niemals wirklich „dicht“) ist Sauerstoffmangel unvermeidlich. Schlimmer noch: Wer gehen wollte, sei von Ray animiert worden, zu bleiben. Manche Teilnehmer hätten gehen wollen, aber es hätte ihnen die Kraft gefehlt. Sidney Spencer, eine Teilnehmerin, sagte, seine Parole wäre „Haltet durch! Ihr müsst über diese Grenze gehen“ gewesen. Nur drei Teilnehmer, die gehen wollten, hätten es geschafft, die Hütte zu verlassen.
Am Ende der Zeremonie wären die die meisten Teilnehmer benommen aus der Hütte geklettert. Rays Mitarbeiter überschütten sie mit Wasser, um ihre Körper zu kühlen. Manche hätten kaum noch geatmet und blutunterlaufene Augen gehabt. Eine Frau sei beinahe ins Feuer gelaufen, nicht wissend, wo sie sei. Und Ray hätte nichts getan, nicht geholfen und keine Hilfe herbeigerufen. Er hätte nur einfach nur da gestanden.
James Shore (38) und Kirby Brown (40) starben noch am selben Abend auf dem Weg ins Krankenhaus. Liz Neuman (49) wachte aus dem Koma nicht mehr auf und starb am 17. Oktober.
Ray follower discusses sweat lodge ceremony (az family.com).
Leider nicht ganz klischeefrei berichtet „Spiegel Online“: Lebensgefährliches New-Age-Ritual – Selbstfindung bis in den Tod (Spon)
Nun ist die Schwitzhütte an und für sich kein „New Age-Ritual“. Ich hätte mich auch gefreut, wenn Spon erwähnt hätte, dass die „Mega-Sweat-Logde“ von Ray mit einer buchstäblich atemberaubenden Mischung aus Leichtsinnn, Geldgier, Dilettantismus und Selbstüberschätzung betrieben wurde, und mit einer seriösen Schwitzhütte nichts zu tun hatte. Nach einem tödlichen Unfall bei einem schlecht organisierten Volks-Marathon würde Spon ja auch nicht titeln: „Lebensgefährliches Fitnesswellen-Ritual – Selbstüberwindung bis in den Tod“.
Deutlich seriöser Out of Office: Tod in der Heiler-Welt (ftd.de).
Die FTD geht in angemessener Form auf die Hintergründe ein – und stellt klar:
„Wer immer diese Zeremonie geleitet hat, hatte keine Ahnung, was er da tut. Die Sweat-Lodge ist ein sakraler Ort, und ich habe noch nie erlebt, dass jemand darin krank wurde“, sagt RJ Joseph, ein Cree-Indianer, der seit vier Jahren das Native American Program im Enchantment Resort nahe Sedona leitet. „Was hier betrieben wurde, ist die Illusion von Spiritualität.“ Zwischen 200 und 400 $ berechnen Heiler und Schamanen pro Stunde, für Paketprogramme zahlt man einige Tausend Dollar. In einer authentischen Sweat-Lodge dagegen ist es tabu, eine Bezahlung zu verlangen.
Der allerletzte Gammel – auch wenn es ihm, wie auf „Twitter“ leicht geschieht, nur „rausgerutscht“ ist, ist allerdings dieser Spruch von Mario Sixtus (bekannt als der Elektrische Reporter), der den tödlichen Schwitzhütten-Unfall so kommentierte:
Evolution ist, wenn New-Age-Hanseln sich selbst aus selbiger entfernen.
Um es deutlich zu sagen: die Teilnehmer waren schlimmstenfalls naiv und glaubten wohl einfach, sie täten sich etwas Gutes – und wurden durch einen von vielen Mainstreamedien hofierten Scharlatan über den Tisch gezogen. Jens meint, das wäre so, als ob jemand einen Flugzeugabsturz verlinke und sage Evolution ist, wenn sich die Technikgläubigen selbst ausmendeln.
Natürlich ist es schrecklich, dass so etwas passiert, und dass der Pseudo-Guru Ray keine Ahnung hat von korrekt durchgeführten Schwitzhüttenritualen, scheint auch klar zu sein. Aber die Meldung wird in vielen Kreisen falsch und moralisch interpretiert. Schon in den ersten Tagen nach der Tragödie war in den amerikanischen Medien klar zu lesen, dass definitiv kein Sauerstoffmangel als Todesursache vorlag, sondern ausschließlich Dehydrierung. Das Argument mit den Plastikabdeckfolien, die ja so gefährlich sein sollen, zieht einfach nicht – hunderte selbst erlebte und tausende in Deutschland und anderswo durchgeführte Schwitzhüttenzeremonien haben nicht nicht ein einziges mal zu Sauerstoffmangel, geschweige denn zu einem Todesfall geführt. Und auch die Tatsache, dass Ray Geld genommen hat für die Schwitzhütte dürfte schwerlich als Todesursache in Betracht kommen, auch wenn das von konservativen Natives und noch konservativeren weißen „echten“ Schamanen und selbsternannten Hütern der Tradition jetzt wieder verstärkt ins Feld geführt wird. Wer 9500 $ zahlt für eine Woche intensiver Selbsterfahrung, wird´s wohl haben. Aber auch bei der Kritik von solchen Geschehnissen sollte der Kopf eingeschaltet werden. 60 Leute in einer Hütte ist verdammt viel – aber Inti Cesar Malaquez, ein südamerikanischer Native, hat das auch gemacht, und es war kraftvoll, sehr achtsam, und heilsam. Das alleine ist es nicht. Eine Hütte von aussen zu leiten, wie Ray, geht gar nicht, ohne Kontakt zu den Menschen im Innern. Sie über ihre physische Grenze zu pushen auch nicht. Nicht rechtzeitig Hilfe zu holen ebenfalls nicht. Und dann abzuhauen diskreditiert ihn ein für allemal. Die Todesursache aber ist totale Dehydrierung aufgrund einer vorangegangenen 24 oder 36-stündigen „Vison Quest“ in der Wüste (sei´s dahingestellt, ob man es so nennen sollte). Diese Kombination ist völlig unverantwortlich.
Bleiben wir bei den Tatsachen, die schlimm genug sind, und beginnen nicht wieder, mit irrationalen Argumenten wie dem Totschlagargument „Plastikschamane“ den einzig richtigen religiösen Richtungen wie „echten“ Schamanen das Wort zu reden. Schwitzhütte ist, nach fundierter Ausbildung und vernünftig und aus dem Herzen geleitet, für Natives und Weiße gleichermassen ein Weg zur Erde, den Spirits und zur Heilung.
Danke für den ausführlichen und wirklich sachkundigen Kommentar, Gerhard! Als ich den Artikel verfasste, war in den Medien noch von Sauerstoffmangel die Rede, und da lag der Verdacht nahe, dass das mit den m. E. bei Schwitzhütten wirklich nicht wirklich zweckmäßigen Plastikplanen zusammenhängen könnte.
Dehydrierte Menschen in eine Schwitzhütte (oder auch eine Sauna) zu schicken, ist meiner Ansicht nach grob fahrlässig.
Vielleicht ist es möglich, eine Hütte mit 60 Leuten gefahrlos zu betreiben – allerdings muss sie dann auch entsprechend konstruiert sein und von einem erfahrenen Schwitzhütten-Team geleitet werden (einer allein ist damit meiner Ansicht nach überfordert) . Ich bin bei solchen „Massenveranstaltungen“ skeptisch.
Den „Plastikschamanen“ habe ich nicht als „Totschlagargument“ ins Spiel gebracht, oder um eine „einzig richtige“ spirituelle Richtung zu propagieren, sondern weil Ray sehr wahrscheinlich ein spiritueller Hochstapler und Kurpfuscher ist, der sich „uraltes indianisches Wissen“ anmaßt, das er aller Wahrscheinlichkeit nicht hat. (Wie ich dazu stehe, habe ich hier ausführlich dargelegt: Ist Neoschamanismus kultureller Diebstahl? und hier: Wer ist eigentlich ein Schamane, und wer nicht?)
Die Haltung, dass für eine Schwitzhütte auf keinen Fall Bezahlung genommen werden sollte, ist die Ansicht von RJ Joseph – ich sehe das persönlich etwas anders, d. H. eine finanzielle Aufwandsentschädigung geht völlig in Ordnung. Man kann eine Schwitzhütte auch als „Therapie“ sehen, weshalb unter Umständen, d. h. vor allem unter entsprechenden Leitung, auch eine Bezahlung sozusagen nach Heilpraktikersatz akzeptabel ist.
Bei Ray artete das aber in Geschäftemacherei aus, und das missbillige ich! (Aus genau dem selben Grund, aus der ich künstlich überteuerte Arzneimittel oder aufgeschwatzte unnötige und meist teure Behandlungen bei einem Arzt ablehne. Und Pfuscher, Schwindler und Hochstapler haben im „therapeutischen Umfeld“, einschließlich Spiritualität und sogar „Wellness“ nichts, aber auch gar nichts verloren. Es geht immerhin um das Leben und die Gesundheit der Klienten!)
Ich stimme mit Dir völlig darin überein, dass Schwitzhütten, von fundiert ausgebildeten und vernünftig und verantwortlich handelnden Menschen geleitet, ein sehr guter Weg zur Erde, den Spirits und zur Heilung sind. Schließlich gibt es sogar Mitglieder der Nornirs Ætt, die mit gutem Erfolg Schwitzhütten veranstalten.
Ich kenne Inti Cesar Malasquez persönlich und habe an von ihm veranstalteten Schwitzhütten teilgenommen. Es war wunderbar und liebevoll von ihm durchgeführt worden. Die Flasche mit Wasser in die Schwitzhütte mitzunehmen war ebenfalls selbstverständlich, wie auch den erstmals an einer Schwitzhütte Teilnehmenden nahe dem Eingang einen Platz zu geben – dort ist es etwas kühler, und man kann notfalls schnell hinaus. Weiters wurde laufend gelüftet. Einfach perfekt durchgeführt.
Außerdem obliegt es der Selbstverantwortung, an einer Schwitzhütte teilzunehmen. Wer herkömmliche Sauna nicht verträgt oder ein Kreislaufproblem hat, sollte es sich überlegen, einer derartigen Zeremonie beizuwohnen. Oder zumindest dem Schwitzhüttenleiter bekannt geben, dass er oder sie Probleme mit dem Kreislauf besitzt.
Die Schwitzhütte ist für mich ein wundervoller Teil der Persönlichkeitsentwicklung und ich genieße sie jedes Mal. Der oben zitierte Fall sollte auch dahingehend Informationen im besten Fall geben, ob die so unglücklich Betroffenen zuvor Alkohol oder andere beeinflussende Drogen oder Medikamente zu sich genommen haben. Beispielsweise weist Inti vor seinen Zeremonien immer darauf hin, Alkohol zu meiden, weil dies den Körper in der Schwitzhütte schwächt. Neutrale Berichterstattung gerade im „New Age“-Sektor sind leider oftmals Mangelware. Und was wir in Europa „Spiritualität“ oder „Esoterik“ nennen, wird in den USA pauschal mit „New Age“ tituliert. Darauf sollte Rücksicht genommen werden, wenn englischsprachige Artikel gelesen werden.
Hallo Angelika,
das Problem bei diesem Schwitzhüttenunfall war ja gerade, dass offensichtlich elementare Sicherheitsregeln nicht eingehalten wurden. Alkohol oder Drogen sollen dabei nicht im Spiel gewesen sein, aber die Teilnehmer waren ofensichtlich erschöpft und dehydriert. Außerdem – und das ist das Schlimmste – wurden sie dazu animiert, über ihre Grenzen zu gehen.
Mir ist geläufig, dass im amerikanischen Sprachgebrauch alles und jedes, was nur entfernt mit nicht mainstream-christlicher Spritualität zu tun hat, „New Age“ genannt wird – genau so, wie bei uns Vieles unter „Esoterik“ läuft, was tatsächlich nicht dazu gehört. Weshalb ich ja auch den Ausdruck „tödliches New Age Ritual“ im „Spiegel“ kritisierte: die Schwitzhütte an und für sich kein “New Age-Ritual” und auch nicht „esoterisch“.
Nebenbei: was immer man von Inti Cesar Malasquez halten mag, daran, dass er wirklich was von Schwitzhütten versteht und sie sachkundig durchführt, zweifle ich nicht.