Schamanen und Archäologie
Was sind die archäologischen Merkmale des Schamanismus?
Christine VanPool gibt im Journal of Anthropological Archaeology eine Beschreibung der kulturellen Charakterzüge von Schamanen und Priestern. Kurz gesagt, sieht VanPool Schamanen und Priester an entgegengesetzten Enden eines „Berufspektrums“ religiöser Spezialisten.
Was sind religöse Spezialisten?
Religöse Spezialisten sind jene Menschen, die in einer Gesellschaft den Kontakt zu den Gottheiten aufrecht erhalten, die jene Dinge kontrollieren, die Menschen nicht beeinflussen können.
Religöse Spezialisten sind, in der nüchternen Sprache der Archäologen, spezialisierte „Handwerker“, die in der Archäologie und der Ethnologie als Merkmal einer komplexen, weil arbeitsteiligen, Kultur gelten.
Schamanen, die normalerweise mit Jäger- und Sammler-Kulturen in Verbindung gebracht werden, kann man als Teilzeitspezialisten sehen, die sich hauptsächlich um die Probleme einzelner Menschen kümmern. Schamanen nehmen von nichtöffentlichen Orten aus Kontakt mit dem „Jenseits“ auf, und werden dabei tatsächlich selbst zu spirituellen Wesen. Sie bedienen sich veränderter Bewusstseinszustände, um sich mit der anderen Welt zu verbinden.
Im Gegensatz dazu werden Priester normalerweise mit Ackerbaukulturen in Verbindung gebracht. Sie haben stärker formalisierte Rollen und arbeiten in Vollzeit in ihrem Beruf, und sie arbeiten für die Ziele des gesamten Gesellschaft.
Priester folgen liturgischen Texten und Kalendern, und kommunizieren an öffentlichen Plätzen und vor Publikum mit dem „Jenseits“. Priester sind Vertreter der Götter, nicht etwa selbst Götter, und sie sind normalerweise nicht in veränderten Bewusstseinszuständen, wenn sie zu ihnen sprechen.
VanPool betont, dass diese beiden Kategorien von Archäologen und Ethnologen geschaffen wurden, und sich im wirklichen Leben nicht gegenseitig ausschließen. In einer Gesellschaft kann es beide Arten Spezialisten geben. In einigen Kulturen gibt es Schamanen-Priester, die Züge beider Berufe kombinieren. Außerdem wurden viele „eingeborene“ Religionen schwer von Kolonisierung und Missionierung betroffen, was ihre Vielfalt stark verringerte. Aber Kolonisation, aufwändiger Ackerbau und sogar Verstädterung führen nicht notwendigerweise dazu, dass man sich völlig vom Schamanismus abwendet.
Normalerweise nehmen Archäologen dann an, dass es Schamanen in einer Kultur gegeben haben könnte, wenn typische rituelle Gegenstände oder eine Felszeichnung einer menschenähnlichen Gestalt mit tierischen Merkmalen gefunden werden. VanPool stellt fest, dass Archäologen inzwischen eine Reihe kulturübergreifender Merkmale kennen, die mit archäologischen Mitteln identifiziert werden können, und die deshalb brauchbare Hinweise auf schamanische Praktiken an einer Fundstätte sind.
Zu diesen Merkmale gehören:
- der Gebrauch von Halluzinogenen, mit denen die Bewusstseinszustände verändert wurden (nachweisbar durch den Fund von Samen oder Überresten der benutzten Pflanzen, oder den chemischen Nachweis der Substanzen selbst),
- Abbildung „innerer Eindrücke“, wie Gitterlinien, Sterne, Spiralen, auf Felsbildern oder Töpferwaren,
- Nachweis von Pilgerschaft oder Pilgerrouten (Inwieweit gerade das als Hinweis auf Schamanismus zu werten ist, ist mir nicht ganz klar, MartinM.)
- menschenähnliche Figuren (mit tierischen oder pflanzlichen Merkmalen)
- Tier-Fetische
- Kristalle
- Trommeln und Rasseln
- Räucherwerk
- provisorische Altäre (wohl im Gegensatz zu festen Altären, die auf Priestern hinweisen würden)
- Bildpfeifen (Pfeifen in Tier-, Menschen- oder Pflanzengestalt)
usw.
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Nur wenn es mehrere dieser Hinweise zusammen gibt, können wir, laut VanPool, mit einigem Recht vermuten, dass es schamanische Elemente in unserer Vorgeschichte gab.
about.com:archaeology – Shamans and Archaeology
Weiterführende Literatur:
VanPool, Christine The signs of the sacred: Identifying shamans using archaeological evidence. Journal of Anthropological Archaeology (Im Druck.)