New Age und der Ökospritualismus
New Age
Die New Age Bewegung entstand in den 1960er Jahren, erreichte ihren Höhepunkt in den 1980er Jahren und wirkt in der “Esoterik”-Szene bis heute nach.
Sie ist extrem vielfältig und in sich widersprüchlich. Als gemeinsames Merkmal der New Ager gilt die Überzeugung, dass die Menschheit an einem historischen Wendepunkt steht, und dass ihr zukünftiges Schicksal davon abhängt, ob es gelingt, ein neues Bewusstsein zu entwickeln.
Ursprünglich ging die Idee des “Neuen Zeitalters” auf die Astrologie zurück: Der Frühlingspunkt wandert derzeit vom Sternbild der Fische in das des Wassermanns, womit eine Epoche der Toleranz, Humanität, Spiritualität und Brüderlichkeit beginnen soll – wenn die Krise des Übergangs überwunden ist. Wie so vieles andere in der Esoterik lässt sich diese Vorstellung auf die Theosophie Helena Blavatskys zurückführen.
Die Ideologie des New Age ist millenialistisch und im – gar nicht so seltenen – Extremfall jener religiöser Endzeitsekten nicht unähnlich: Der Welt droht der Untergang in Form globaler Umweltkatastrophen oder eines neuen Weltkrieges. Einzig die New Ager (der jeweiligen Richtung) haben die richtigen Rezepte, wie der Weltuntergang doch noch abgewendet werden kann. Bei richtiger Anwendung führen sie in eine neue, gerechte, harmonische, spirituelle und ökologisch einwandfreie Weltgesellschaft.
Im Unterschied zu z. B. sozialistisch bzw. kommunistisch orientierten “Weltrevolutionären” setzen die New Ager nicht auf das marxistische “Das Sein bestimmt das Bewusstsein”, sondern darauf, dass das richtige Bewusstsein, wenn es nur genügend verbreitet ist, die Welt schon zum Besseren wenden wird.
Ungemein typisch für viele New Ager ist ein verallgemeinerndes Weltbild – Gegensätze werden “wegharmonisiert” und in einem nebulösen Wortgemisch verborgen. Nur wenige der New Age-Denker versuchen sich mit verschiedenen Weltbildern kritisch auseinanderzusetzen.
Im krassen Gegensatz zur wattigen Ideologie des “Wir-haben-uns-alle-lieb” kennen und pflegen erstaunlich viele New Ager Feindbilder, wobei der offensichtliche Lieblingsfeind der “Materialist” ist: Materialisten hängen dem catesianischen, mechanistisch-rationalistischen, linear-kausalen Weltbild an und leugnen das Übersinnliche, weshalb man mit ihnen über nichts Spirituelles reden kann. Oft sind sich Materialisten noch nicht einmal darüber klar, dass sie welche sind. Materialisten sind habgierige Kapitalisten, verbohrte “Altlinke”, skeptische Naturwissenschaftler, dogmatische Weltanschauungsbeauftragte, machiavellistische Politiker, konsumgeile Spießer usw. usw., so wie man es gerade braucht.
Außer dem Millenialismus, dem Glauben an ein “neues Zeitalter”, ist ein zentraler theoretischer Begriff des New Age der der “Ganzheitlichkeit”: alles hängt mit allem Zusammen. Dennoch neigen New Ager in der Praxis dazu, viel auszuklammern, und zwar möglichst alles, was ihren Frieden stören könnte. Dazu gehören auch geistige Auseinandersetzungen, weshalb sich viele einstige “Vordenker des New Age” wie Morris Berman und Fritjof Capra Ende der 80er Jahre deutlich vom New Age distanzierten: Im New Age wurde ihnen schlicht zu wenig gedacht, philosophische Weiterentwicklung und skeptische Reflexion blieben aus. Der Ausstieg der Denker und Visionäre führte dazu, dass seitdem zunehmend Nachbeter und Trittbrettfahrer als Verkünder des “Neuen Zeitalters” auftraten: Was bei den kulturellen Rebellen der 60er Jahre begann, endete in der weitgehend kommerziellen, geistig seichten und durch und durch “bürgerlichen” Esoterik-Welle der 80er und 90er Jahre: Nicht mehr eine neue Gesellschaft, sondern der persönlicher Lebensstil stand im Mittelpunkt. Seit der Jahrtausendwende ebbt selbst die kommerzielle “Eso-Welle” ab, der Begriff “New Age” ist außer Mode gekommen.
“Öko-Totalitarismus”
In den 80er Jahren verbreitete sich in der Umwelt-Bewegung vor allem des deutschsprachigen Raums die Idee, dass die drohende Weltkatastrophe nur mit einer Öko-Diktatur abgewendet werden kann. Von ihrer ideologischen Herkunft her ging das Spektrum von Ökostalinisten wie Wolfgang Harich, über “bürgerliche Rechte” wie Herbert Gruhl bis zu Ökofaschisten der “Neuen Rechten” wie Karl Richter. Gemeinsam war ihnen allen, dass sie im liberalen, demokratische “Westen” mit seiner angeblichen Überbewertung des Individuums die eigentliche Ursache der drohenden Weltkatastrophe sahen.
Für die “Fusion” der Ideologien der Öko-Diktatur mit denen des damals noch blühenden New Age stand in Deutschland niemand so wie der frühere DDR-Dissident und Mitgründer der GRÜNEN, Rudolf Bahro. In seinem Buch “Logik der Rettung” und späteren Werken verband er “esoterisches” Gedankengut, das er u. A. aus der Osho-Bewegung übernahm, mit den apokalyptischen Vorstellungen sowohl “rechter” wie “linker” Befürworter eines Öko-Totalitarismus.
Die Anhänger Bahros vernetzten sich nach 1990 mit Teilen des in Europa im Gegensatz zu der in den USA überwiegend nationalistischen bzw. “völkischen” Bioregionalismus, mit Tiefenökologen, aber auch mit Teilen der entstehenden Ökodorf-Bewegung. Trotz seiner Vorliebe für Zwangsmaßnahmen galt Bahro bis zu seinem Tod 1995 als Vertreter eines “Sozialismus mit menschlichen Gesicht”. Typisch für öko-totalitäre Ansätze ist die Vorstellung des bevorstehenden Weltuntergangs, der sich mit pragmatischen Maßnahmen (Umweltschutz, Entwicklungspolitik, Reformen usw.) nicht mehr abwenden lässt, sondern nur mit einer drakonisch-strengen Weltdiktatur verhindert werden kann. Vor dem düster-dräuenden Hintergrund des ökologischen Zusammenbruchs heben sich selbst millenialistische Utopien mit dem Charme eines globalen Umerziehungslagers leuchtend grün ab.
Sprituell und öko-spirituell
Die um 1990 aus dem abebbenden New Age ideologisch hervorgehende ökospirituelle Bewegung bezieht Esoterik, Apokalyptik, Umweltschutz und das alte “68er” Konzept der “sexuellen Befreiung” in ihre Lehren ein. Damit nähern sich diese New Age-Nachfolger wieder den New Age-Ursprüngen bei den Hippies der 60er Jahre an – allerdings ohne deren antiautoritären und zutiefst individualistisch-nonkonformistischen Lebensstil. Im ökospirituellen Umfeld gibt es unanzweifelbare “Wahrheiten” und den festen Glauben daran, dass einzig wirksame Rezept zur Abwehr des drohenden Weltuntergangs gefunden zu haben.
“Spirituell” hat in der Esoterikszene und damit dem New Age-Umfeld eine besondere Bedeutung. Oft versteht man unter Spiritualität die Ausrichtung des Lebens auf das Geistige hin. Tatsächlich ist Spiritualität ein Merkmal der Persönlichkeit wie Kreativität oder Musikalität. Sie hat sehr viel mit der Fähigkeit zu tun, sich in ein größeres Ganzen eingebettet zu fühlen, in bestimmten Tätigkeiten aufzugehen, sich also selbst zu transzendieren oder zu vergessen – bis zu mystischen Bewusstseinszuständen. Religiosität hängt in Gegensatz dazu eng mit bestimmten theoretischen Vorstellungen, etwa Gottesbild, Dogmen, Heilsvorstellungen und Praktiken wie Gebeten und Ritualen, zusammen. Es gibt hochspirituelle Atheisten, während gerade unter strenggläubigen Religionsanhängern erstaunlich viele völlig unspirituelle Menschen sind.
In der Eso-Szene werden allerdings oft einfach gewissen Aktivitäten und Vorlieben als “spirituell” bezeichnet. Das ist etwa so, als ob man Tätigkeiten wie “Bilder malen” an sich als “kreativ” bezeichnen würde, selbst stures “Malen nach Zahlen”. Dieses Prinzip macht es aber leichter “Spiritualität” zu verwirklichen: Man muss nur das “Richtige” tun, z. B. vegetarisch essen, spirituelle Literatur lesen, meditieren, Tai Chi dem Fußballspielen vorziehen usw. . Natürlich ist das keine Spiritualität, sondern nur das Befolgen eines gruppenspezifischen Verhaltenskodexes.
“Ökospiritualität” meint einen Verhaltenskodex, der neben “spirituellen” Verhaltensnormen auch solche zum ökologischen Verhalten, menschlichen Zusammenleben, zur Politik, Wirtschaft und sogar Sexualität umfasst. Er ist im Grunde Ausdruck einer allgemeinen Ideologie.
“Ökospitualität” im Sinne der Beaulieu-Bewegung und des Holon-Netzwerkes
Wie das “öko-totalitäre” entwickelt sich das “ökospirituelle” Denken der Beaulieu-Bewegung, vor dem Hintergrund der Krise der weltweiten Industriegesellschaft. Folgen dieser Krise sind Zerstörung der Natur und moralisches Elend. Sie manifestieren sich mit Tod und Verwüstung in den Entwicklungsländern und mit einer psychisch kranken Gesellschaft bei uns. Der Mensch in der Industriegesellschaft ist für die Ökospirituellen ein krankes, verkümmertes und unglückliches Wesen.
Die gegenwärtige ernste Krise wollen die vor allem im “Holon-Netzwerk” organisierten Okospirituellen als Chance nützen, um eine neue Gesellschaft zu entwerfen. Wie die Öko-Totalitären trauen sie der Demokratie, mit den schwerfällig arbeitenden Parlamenten, höchstens Symptombekämpfung zu, aber keineswegs genügend effizientes Eingreifen. Im Gegensatz zu öko-totalitären Vorstellungen soll der weltweite Umbruch ohne Gewalt und Aggression durchgeführt werden. Der Mensch wird, gemäß ökospirituellen Vorstellungen, im Idealzustand autonom und frei sein, und dadurch zur Bedrohung für jede autoritäre Macht werden. Das soll eine Öko-Diktatur ausschließen. Der als notwendig angesehene asketische Lebensstil wird freiwillig, aus Einsicht in die Notwendigkeit, praktiziert.
Die momentane Krise wird als eine Krise der abendländischen, christlichen Welt gesehen. Schuld ist der Anthropozentrismus, der den Menschen vor aller übriger Natur auszeichnet und zum Mittelpunkt der Schöpfung macht. Das führt aber nicht dazu, dass die Ökospirituellen etwa das Christentum ablehnen. Tatsächlich ist ihr Gegner eher der Rationalismus bzw. der Materialismus. Eine neue Spiritualität soll alle Religionen zulassen; sie soll Wege außerhalb des Materialismus aufzeichnen, Wege, die dem Menschen ermöglichen, den Geist, aber auch die Vernunft zu gebrauchen.
Ähnlich dem New Age erwarteten die Ökospirituellen die Wende durch ein geändertes spirituelles Bewusstsein. Im Unterschied zu vielen New Agern erwarten die Ökospirituellen allerdings nicht, dass die Veränderungen sozusagen “von alleine” kommen, wenn die Zeit dafür reif ist – sie wissen sehr wohl, dass sie den Machthabern mühevoll abgerungen werden müssen. Wie aber eine vergleichsweise winzige Minderheit eine (unblutige) Weltrevolution bewirken soll, bleibt vage.
Religion und Ökospiritualität
Es gibt im Ökospitualismus keine “Lehrmeinung” zur Religion. Allerdings orientieren sich viele Ökospirituellen am Gedankengut der Beaulieu-Bewegung, das wiederum auf Denker wie Hans Jonas, Friedjof Capra, aber vor allem auf den “kirchenrebellischen” Theologen Eugen Drewermann zurückgeht.
Für Beaulieu ist es klar, dass der Mensch ein angeborenes Bedürfnis hat, sich spirituell zu entfalten. Menschen brauchen auch ein religiöses Orientierungssystem. Religion entspricht dem menschlichen Bedürfnis nach Verstehen und nach Einheit. (Atheisten – und erst recht Materialisten – verleugnen und verdrängen dem gemäß also ein ureigenes menschliches Bedürfnis.) Das Göttliche und das Spirituelle wohnen überall, auch in jedem Menschen. Gott schuf den Menschen nach seinem Bild. Beaulieu beruft sich hier auch auf die Bibelstelle in Genesis 1.27: “Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er ihn.” Gerade deshalb aber darf sich der Mensch nicht überschätzen. Es geht darum, dem Menschen wieder den richtigen Platz zuzuweisen: als unendlich kleiner Teil der Schöpfung und nicht im Zentrum stehend. Als Randerscheinung der Natur, die auch ohne den Menschen weiterleben wird. Der Mensch ist nur Treuhänder, Verwalter der Schöpfung.
Für Beaulieu ist Gottes Atem überall, alles Geschaffene ist göttlich. Er hat nicht nur die Erde geschaffen, sondern das gesamte Universum. Gott könnte man ein allem zugrunde liegendes Prinzip nennen. Gott gibt es nur einmal. Die Erfahrung des Einsseins ist die Erfahrung Gottes. Über Gott hinaus kann der Mensch nicht gehen. Beaulieu rechnet nicht mit dem erlösenden Eingreifen einer Macht, die Macht ist in uns selber.
Die Beaulieu-Auffassung von Religion ist pan-entheistisch (Gott ist in allem) und eindeutig monotheistisch. Die Idee, damit den gemeinsamen Nenner “alle Religionen” gefunden zu haben, ist bestenfalls naiv.
Martin Marheinecke, 2005
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