„Mit Stämmen ist kein Staat zu machen“ – Teil 4: Die neuen Stämme
„Stammesgesellschaften“ und „Staaten“ sind gegensätzliche Organisationsformen menschlicher Gesellschaften. Sie schließen sich, wie schon der Titel dieser kleinen Reihe andeutet, aus. Dennoch gibt es immer noch zahlreiche Stammesgesellschaften und Häuptlingstümer, die auf dem Territorium von „modernen“ Nationalstaaten existieren. Es gibt seit langem keine Stämme mehr, die völlig unabhängig von Staaten existieren, und nur noch sehr wenige, die den Staat, auf dessen Territorium sie leben, ignorieren. Und in einigen Staaten sind gut organisierte Häuptlingstümer (seltener „echte“ Stammesgesellschaften) de facto mächtiger als die offiziellen staatlichen Organe. In „failed states“ wie Afghanistan liegt die Macht regelmäßig bei „den Stämmen“. In diesen Fällen handelt es sich fast immer um „traditionelle“ Stämme. Wie sieht es aber mit den „neuen Stämmen“ aus? Sind sie tatsächlich Stammesgemeinschaften innerhalb staatlich organisierter Gesellschaften?
Schon seit der Zeit der „politischen Romantik“ Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts gibt es immer wieder Versuche, Stammesgesellschaften und Stammesdenken als Vorbild zu sehen und in positive Zukunftsentwürfe einzubeziehen. Das reicht bis zu regelrechten „Stammesutopien“. Dabei standen nicht-völkische Ansätze lange Zeit völlig im Schatten des nationalistischen „Tribalismus“.
Vorbild romantisierter Stammesutopien: Jungsteinzeitlicher Hof als ländliches Idyll auf einer alten dänischen Schulbuchillustration.
Typischerweise stellen sich Stammesutopisten ihre „neuen Stämme“ als ländliche Gemeinschaften vor, egal ob sie nun politisch rechts „völkisch“ oder politisch links „urkommunistisch“ sind. Tatsächlich fanden und finden die meisten konkreten Experimente, derartige Utopien zu leben, in abgelegenen Gegenden statt.
Stammesutopisten gehen allerdings nur selten so weit wie Daniel Quinn. Der am 17. Februar 2018 verstorbene radikale Zivilisationskritiker rief in seinem Werk „Beyond Civilization” dazu auf, zivilisatorische Errungenschaften und Institutionen komplett hinter sich zu lassen, um neue Stammesgemeinschaften zu gründen.
Zwei Haltungen sind typisch für Stammesutopien: „Ökoromantismus“, was mit Feindlichkeit gegenüber der industriellen Moderne verbunden ist, und sogar bei „völkischen“ Gemeinschaften Harmoniestreben nebst einem mehr oder weniger ausgeprägten Pazifismus. Allerdings existieren die meisten „modernen Stämme“ im urbanen Umfeld, und harmonisch-friedlich geht es bei ihnen auch nicht immer zu.
„Großstadtstämme“
Anfang der 1990er Jahre wurde vom französischen Soziologen Michel Maffesoli das Schlagwort vom „Urban Tribalism“ geprägt. Dabei ging es ihm allerdings nicht um Stämme im traditionelle Sinne, sondern um Subkulturen mit mehr oder weniger selbstgewählter Zugehörigkeit, die er „Mikrogruppen“ nannte.
Solche Mikrogruppen sind z. B. religiöse „Sekten“, Punks, Öko-Dörfler, aber auch Rockerbanden und politische Aktivistengruppen. Um 1980 gab es sogar Mikrogruppen innerhalb der Subkultur der linken „Spontis“, die sich ausdrücklich „Stadtindianer“ nannten. Diese zuerst in Italien auftretenden „Stadtindianer“ knüpften manchmal ironisierend, manchmal romantisierend an die Stammeskulturen amerikanischer Ureinwohner an – was oft mit einem gerütteltem Maß kultureller Aneignung verbunden war.
Egal, ob solche Mikrogruppen „Stammesromantik“ pflegen oder nicht: In allen empfinden Menschen das Bedürfnis, Teil von etwas Größerem zu sein und in der Gemeinschaft und Identität aufzugehen. Maffesoli sah darin einen Gegentrend zur Massengesellschaft. Die Beschreibung vieler – nicht aller! – Subkulturen als „neue Stämme“ ist sinnvoll. Besonders gut passt das bei den MCs der Biker bzw. Rocker. Diese „Motorcycle Clubs“ sind zwar normalerweise formal nach Vereinsrecht organisiert, sie bezeichnen sich selbst aber ausdrücklich als „Bruderschaften“ und betrachten sich wie „echte“ Stämme als „große Familien“ bzw. Familienverbände.
Unter Bikern heißt es: „Ein Bruder mag etwas falsch gemacht haben, aber er ist immer noch ein Bruder“, zugespitzt im Slogan der „Hells Angels“:
A friend will help you move, a brother will help you move a body.
.
Ein Bruder ist also jemand, der für mich sogar eine Leiche beseitigen würde.
Der Begriff „Tribalism“ in „Urban Tribalism“ kann nicht einfach mit dem im ersten Teil erwähnten „Tribalismus“ gleichgesetzt werden. „Neotribal“ ist ein für das Erscheinen „neuer Stämme“ geeigneterer Begriff. Das subkulturell neotribale Denken lässt sich in wenigen Worte zusammenfassen: Bedingungslose Solidarität unter Stammesangehörigen, Loyalität ist alles, Gesetze und moralische „Spielregeln“ der Gesellschaft sind im Zweifel nichts als lästige Hindernisse.
Das mag bei anderen „neuen Stämmen“ weniger deutlich sein als in „Rockerbanden“, alles in allem gilt aber, dass auch mit „urbanen Stämmen“ kein Staat zu machen sein dürfte.
„Nur die Stämme werden überleben!“
Schon einige Jahre früher, und zwar seit den 1970-ern, machte unter zivilisationskritischen radikalen Umweltschützern das Schlagwort „Nur die Stämme werden überleben“ die Runde. Er geht auf Vine Deloria junior, einen Native American-Aktivisten, Theologen und Politikwissenschaftler. zurück. 1970 schrieb er:
Man kann aber nicht ständig von einer Gruppe zur anderen laufen und Bewegungen und Ideen untersuchen um herauszubekommen, ob sich alles richtig entwickelt. Ein besserer Weg, Ereignisse zu verstehen, ist, vorhandene Ähnlichkeiten in der Struktur zu finden. Bei Beachtung der philosophischen Unterschiede können Verallgemeinerungen dieser Art sehr nützlich sein. Es scheint mir, daß die moderne Gesellschaft vor einer Alternative steht. Die Amerikaner werden aufgrund der Kompliziertheit moderner Kommunikations- und Verkehrsmittel in neue soziale Formen gezwungen. Das neue Stammestum konkurriert dabei mit dem Neo-Feudalismus. Der Kampf der Zukunft geht um die Rückkehr – zum Schloß oder ins Tipi. Der Unterschied zwischen Schloß und Tipi ist sehr groß und doch bestehen Ähnlichkeiten, die es erschweren, sie zu unterscheiden. Beide bieten gesellschaftliche Identität und wirtschaftliche Sicherheit innerhalb eines bestimmten gemeinschaftlichen Systems. Wobei der ausgleichende Prozeß innerhalb der Stammesform die erbliche Kontrolle über eine soziale Pyramide verhindert, die feudalistische Form aber die Effizienz besitzt, Technologien zu schaffen und zu kontrollieren. Beides brauchen wir, wenn wir Herren der Maschine bleiben wollen, anstatt uns zu unterwerfen. Viele Menschen können und wollen die Rückkehr zum Schloß unterstützen. Wir haben Camelot überlebt und die universale Sehnsucht nach seiner Wiederkehr. Die Masse der korporativen Unternehmerorganisationen hat uns weit in Richtung Neo-Feudalismus getrieben. Andererseits weist das beständige Scheitern des totalen Wirtschaftssystems beim Versuch, der Bevölkerung wie den Korporationen zu helfen, auf die Notwendigkeit, soziale Ziele mehr in Einklang mit einer stammesmäßigen oder gemeindebildenden Lebensweise anzusteuern.
Aus: Vine Deloria – Nur Stämme werden überleben (We talk, you listen; new tribes, new turf), Göttingen 1996 (Lamuv)
Bei allen Verdiensten im Kampf für die Rechte der Ureinwohner neigte Deloria allerdings dazu, die Stammesgesellschaften Nordamerikas vor der „Weißen Invasion“ sehr zu idealisieren und zu romantisieren. Kurz und polemisch zusammengefasst: „Indianer“ sind die besseren Menschen, einfach weil sie „Indianer“ sind.
Ich halte Deloria für einen ausgemachten Ethnopluralisten, der ungewollt auch weißen Rassisten Argumente lieferte und spätestens seit den 1990-er-Jahren mit vielen für ihn unbequemen wissenschaftlichen Erkenntnissen auf Kriegsfuß stand, etwa mit der, dass die Vorfahren der amerikanischen Ureinwohner über die Beringstraße aus Asien eingewandert waren, oder dass auch Ureinwohner Großtiere bis zur Ausrottung gejagt hatten. Schließlich lehnte er sogar dia Evolutionstheorie ab.
Mit „Stämmen“ meinte Deloria traditionelle und „wiederentstandene“ Stammesgesellschaften. Den Slogan „Nur Stämme werden überleben“ verstanden ökoromantische Zivilisationskritiker allerdings eher im Sinne von „Small is beautyful“. Kleine Gruppen bzw. Kollektive bieten im Katastrophenfall unbestreitbar Überlebensvorteile gegenüber großen, komplizierten, vom Funktionieren moderner Infrastruktur abhängigen Gemeinwesen, jedenfalls dann, wenn sie einigermaßen autark sind. Daraus entwickelte sich die „konkrete Utopie“ miteinander vernetzter kleiner, überschaubarer Gemeinschaften, die zwar stammesartig organisiert sein könnten, aber eben nicht tribalistisch im Sinne von „wir gegen den Rest der Welt“ sein dürften, wenn die angestrebte dezentrale Zusammenarbeit funktionieren soll.
„Digitale Stämme“
Der us-amerikanische Internet-Unternehmer und Autor Seth Godin ist der profilierteste Fürsprecher des „Digital Tribalism“. Das Internet würde sich vortrefflich dazu eignen, neue Stämme im Sinne der „Mikrogruppen“ Maffesolis zu gründen – Stämme, die aus gemeinsamen Ideen und Werten heraus entstehen. Diese Stämme gäben jedem die Möglichkeit, große Veränderungen herbeizuführen. Damit ist er ein „Stammesutopist neuen Typs“, der konsequent auf neue technische Möglichkeiten setzt, anstatt die für andere Stammesutopisten typische Technikfeindlichkeit zu zeigen. Seth Godin über die Stämme, die wir anführen (TED-Vortrag aus dem Jahr 2009).
Wenn in den späten 2010-er-Jahren von „digitalem Tribalismus“ die Rede ist, ist der Tonfall fast immer viel weniger optimistisch.
Der deutsche Kulturwissenschaftler Michael Seemann (besser bekannt unter dem Kürzel „mspro“) sieht in der Spaltung der Gesellschaft in „digitale Stämme“ eine Gefahr für die Demokratie. Ein knappe Einführung von Seemann selbst auf Deutschlandfunk Kultur: „Wahr ist, was gut für uns ist!“:
[…] Leute, die Fake News verbreiten sind vom Rest des Netzwerkes abgekoppelt und folgen sich fast ausschließlich untereinander. Bei der Analyse ihrer Tweets wurde ersichtlich, dass sie ein konzentriertes, geschlossenes Weltbild unterhalten, in dem es fast nur um die Gefahr des Islam, sowie Flüchtlinge und deren Kriminalität geht. Technische und sozialpsychologische Prozesse greifen ineinander und generieren einen „digitalen Stamm“. Netzwerktechnisch verwoben, identitär eingebunden, ideologisch abgegrenzt. Fake News sind nicht der Grund für solche Weltbilder, sondern digitale Stämme sind der Grund für Fake News. Fake News sind nicht, wie es oft angenommen wurde, die Produkte sinistrer Manipulatoren, die damit die öffentliche Meinung in eine bestimmte Richtung lenken wollen. Sie sind vielmehr das Futter für bestätigungshungrige Stämme. Die Nachfrage macht hier das Angebot, nicht andersrum. Fake News sind der identitätsstiftende Treibstoff, der als Abgrenzungsmarkierung nach außen und als soziales Schmiermittel nach innen wirkt.)[…]
Egal, ob nun als Chance oder Gefahr: Der Mechanismus, nach dem „digitale Stämme“ entstehen, ist klar. In vor-online Zeiten war es schwierig, für eine „steile These“, etwa einen Verschwörungsmythos, Zustimmung zu finden.
Das Internet, und vor allem die Plattformen der „sozialen Medien“ machen es, im Guten wie im Schlechten, einfacher, Gleichgesinnte zu finden.
Ähnlich wie im Fanclub eines Fußballvereins stiftet in einer Gruppe gleichgesinnter Anhänger einer umstrittenen Idee der gemeinsame Gegner Identität. Traditionelle Stämme werden durch Verwandtschaft bzw. Verwandtschaftsmythen zusammengehalten, und auch „urbane Stämme“ halten die Idee der „großen, unbedingt solidarischen Familien“ hoch. Hinzu kommen als weitere mögliche zusätzliche Klammern beispielsweise eine gemeinsame Religion, gemeinsame Erfahrungen oder eine gemeinsame Ideologie – aber das Gemeinschaftsgefühl ist entscheidend. Bei digitalen Stämmen liegt der Fokus statt auf der „Verwandtschaft“ (einschließlich Wahlverwandtschaft) auf dem „Thema“. Das Thema ist Dreh- und Angelpunkt des „digitalen Stammes“ und eint ihn manchmal sogar über ideologische Grenzen hinweg. Zugleich grenzt er sich durch das Thema (z. B. „Ausländerkriminalität“) und die Art und Weise, wie dieses Thema verhandelt wird vom „Mainstream“ ab. In „Stämmen“ gleichgesinnter Menschen, die sich immer wieder gegenseitig bestätigen, bildet sich eine ausgeprägte tribalistische Moral heraus – es geht nur noch um „Die“ gegen „Uns“.
Das alles funktioniert auch „offline“, auf der Straße, wie z. B. die Dresdner PEGIDA zeigt, aber auch bei den „islamfeindlichen Spaziergängern“ wirkt die digitale Kommunikation mit ihrer Besonderheiten als Verstärker – ohne „Facebook“ keine PEGIDA.
Auf dem Blog ctrl-verlust berichtet Michael Seemann, anhand einer Analyse des Datenjournalisten Michael Kreil, wie der „digitale Tribalismus“ in der Praxis aussieht. Der lange Artikel ist nicht ohne Brisanz, denn Seemann und Kreil entdeckten einen „rechten Stamm“ und widerlegten die populäre „Filterblasen-These“. Digitaler Tribalismus und Fake News.
Seemann stellt klar, dass man im Grunde jeder losen oder festen Gemeinschaft eine tribalistische Grundlage unterstellen kann. Es gibt aber zahlreiche Szenen und Subkulturen, die vor allem über das Internet kommunizieren („Hacker, Piraten, Weird Twitter, die Netzgemeinde, Telekommunisten, Sifftwitter, 4chan, Prepper, Furrys, Cosplayer, Gamer, Bronies, etc.“). Wenn alle diese Gemeinschaften als „digitale Stämme“ bezeichnet werden, wird der Begriff unscharf. Aber der „rechten Stamm“ hat einige besondere Eigenschaften, die beispielsweise die Cosplayer-Community nicht hat:
Was unser Phänomen so besonders macht, ist dieser spezifische Bezug zur Realität, der sich zudem kongruent in der Netzwerkstruktur abbildet. Weltwahrnehmung und Gruppe – so scheint es – sind eins. Das ist das wesentliche Merkmal der „tribalen Epistemologie“.
Selbstverständlich sind die „digitalen Stämme“ keine Stämme im ethnologischen Sinne, und anders als bei den „urbanen Stämmen“ sind die Parallelen zu traditionellen Stämmen gering. Dennoch ist der Begriff mehr als nur eine Metapher, auch wenn Tribalismus keineswegs auf Stämme und stammesähnliche Gemeinschaften beschränkt ist.
„Themenstämme“
Anstelle von „digitalen Stämmen“ neige ich dazu, von „Themenstämmen“ zu reden: „Bewegungen“, deren „Weltanschauung“ keineswegs einheitlich ist, die allerdings durch eine Handvoll für sie elementar wichtiger Themen und eine gemeinsame Weltwahrnehmung zusammengehalten werden, die salopp als „gefühlte Wahrheit“ beschrieben werden kann. Die „gefühlte Wahrheit“ ist, wie eine religiöse „Glaubensgewissheit“, über jeden Zweifel erhoben, Fakten, die gegen sie sprechen, werden ignoriert. Wichtiger Bestandteil der „gefühlten Wahrheit“ ist die „Feindbildvereinheitlichung“: Hinter jedem Gegner steckt letzten Endes eine einzige bösartige Gruppe, DER FEIND.
Das klassische Beispiel für eine „Feindbildvereinheitlichung“ ist der völkische (absichtlich tribalistische) Antisemitismus der Nazis, der sie nebenbei auch von anderen, in der Regel „nur“ „normalantisemitischen“ Faschisten unterschied: Sowohl der „amerikanische Wallstreetkapitalismus“ wie der „russische Bolschewismus“ gehörten zu den (zahlreichen) Feindbildern der „Nationalsozialisten“. Dass sowohl unter den „internationalen Finanzkapitalisten“ wie unter den kommunistischen Revolutionären einige Juden waren, war für Nazis der „eindeutige Beweis“, dass der Gegensatz nur vorgetäuscht war, und hinter den Kulissen das „Weltjudentum“ die Fäden zog. Das ließ sich auf alle Nazigegner ausweiten, und noch mehr: Hinter allem, was Nazis nicht passte, steckte „der Jude“.
Die für solche „Bewegungen“ typischen „Verschwörungstheorien“ sind letzten Endes Teil einer Rechtfertigungsideologie, erst kommt die „unerschütterliche Überzeugung“, dann die Begründung. Daher ist es völlig egal, ob die behaupteten Verschwörungen plausibel oder völlig absurd sind. Da es auf „gefühlte Wahrheiten“ ankommt, ist es auch völlig legitim, zu lügen, solange die Lügen zur „unerschütterlichen Gewissheit“ passen.
Wie das Beispiel der alten Nazis zeigt, sind „Themenstämme“ kein „Internetphänomen“. Aber die modernen Kommunikationsmittel beschleunigen die Entwicklung solcher wahnhaft anmutenden tribalistischer Bewegungen vom „Stammtisch“ zum nach Millionen zählenden „Stamm“ enorm.
Mein Fazit:
Ein romantisch verklärter Blick auf traditionelle wie moderne Stämme ist nicht angebracht, sondern sogar gefährlich.
Dennoch lässt sich viel von Stammesgesellschaften lernen, wenn es darum geht, Gemeinschaften zu gründen.
Die oben skizzierte Idee dezentraler, kleiner stammesähnlicher Gemeinschaften, die miteinander vernetzt sind, könnte ein brauchbares Modell einer demokratischen, „post-kapitalistischen“ Gesellschaft sein – aber gerade diese „konkrete Utopie“ verträgt nur eine sehr kleine Dosis Tribalismus. Zusätzlich zum bekannten Motto „global denken, lokal handeln“ müsste das Motto der „vereinigten Neo-Stämme“ heißen: „global nichttribalistisch denken, lokal tribal handeln“.
„Gezähmter Tribalismus“ sozusagen. Es ist verdammt schwierig.
Aber nicht unmöglich.
Martin Marheinecke, Mai 2018
Hinweis: In der ursprüngliches Fassung dieses Artikels bezeichnete ich den auf eine alten dänischen Schulbuchillustration abgebildeten jungsteinzeitliche Hof irrtümlich als „bronzezeitlich“. MartinM
habs grad überflogen und lache, weil ich die ganze Zeit über darauf wartete, das „Wir“ zu lesen oder „die Gruppe“ oder „Schwarmintelligenz“. Da hol ich die Fliegenklatsche … *grinsesgrins*
Spannende Überlegungen. Kann dir sehr das Thema Common & Commoning ans Herzen legen. Dort heißt es Kosmos-lokal. Meint: Wissen wird global geteilt und die Erzeugnisse des Wissens lokal umgesetzt. Buchempfehlung: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-4530-9/frei-fair-und-lebendig-die-macht-der-commons/