Kalendarium Glauberg: Problem Re-Konstruktion
Das „Kelten-Kalendarium“ in Glauberg gehört seit vier Jahren zu den Attraktionen des Freilichtmuseums Keltenwelt am Glauberg. Für ein Kalenderbauwerk sprachen Verfärbungen im Boden, ehemalige Pfostenlöcher, in zum Teil regelmäßigem Abstand, die bis zu 1,5 Meter tief ein gerammt waren. Seit Anfang 2011 gibt es jedoch ernsthafte Zweifel an dieser Rekonstruktion.
Nach Forschungsergebnissen des ehemaligen hessischen Landesarchäologen Fritz-Rudolf Herrmann wurden die 16 Pfähle am früheren keltischen Fürstengrab in mehreren Phasen errichtet. Sie wurden zudem auf verschiedene Weise genutzt. Einige Holzpfosten könnte die Stütze für einen Speicher gewesen sein, während andere eine Brücke getragen und wieder andere eine Art Tempel gewesen sein könnten. Rätselraten um keltische Pfosten auf dem Glauberg (faz.net)
Nun gehört es zum Wesen der Wissenschaft, dass Rekonstruktionen durch neuere Forschungsergebnisse revidiert werden müssen. Im Fall „Glauberg“ gibt es allerdings Besonderheiten.
Die erste Besonderheit liegt darin, dass das „Kalenderbauwerk“binnen Kurzem eine Art Wahrzeichen des Museums wurde. „Markenzeichen ohne Not nicht so schnell verändern“ (Kreis-Anzeiger)
Die zweite Besonderheit liegt darin, dass der Anstoß für die Rekonstruktion als „Kalenderbauwerk“ von einem „Fachfremden“, dem Astrophysiker Professor Dr. Bruno Deiss, kam. Die „Keltenwelt“ ist sicher keinem Außenseiter / „Spinner“ oder einer „Sensationtheorie“ auf dem Leim gegangen. In der Archäoastronomie – egal, ob sie von „Fachfremden“ oder Fachleuten vertreten wird – gibt es leider immer wieder die Tendenz, Objekte aus dem kulturgeschichtlichen Kontext zu lösen.
Das entspricht dem alten Spott, dass ein Archäologe jeden Funde, den er nicht versteht, als „Kultgegenstand“ bezeichnen würde. Im Falle des Astroarchäologen träte an Stelle des „Kultgegenstandes“ die „Kalendermarke“.
Dabei darf aber auch nicht übersehen werden, dass der Diskurs in der Astroarchäologie manchmal stark weltanschaulich aufgeladen ist. (Oder, wie im Fall der Externsteine, der wissenschaftliche Diskurs unter dem Schutt weltanschaulicher Auseinandersetzungen begraben liegt.)
Das Problem jeder Rekonstruktion ist, dass sie vom modernen Wissensstand auf vergangene Epochen schließt und dabei heutige Ansichten, Deutungen und Vorurteile auf den Fund projiziert. Jede Rekonstruktion ist zugleich Konstruktion, die oft mehr über ihre Schöpfer verrät, als über das re-konstruierte Objekt.
Ein typisches Beispiel sind die unterschiedlichen Rekonstruktionen der berühmten Eismumie aus dem Ötztal, dem „Ötzi“:
Gleich nebenan ist ein Familientreffen von fünf lebensgroßen Ötzi-Puppen zu sehen, die in Museen verschiedener Länder standen und die Brigitte Niedermair großformatig fotografiert hat. Das Erstaunlichste war für sie:
„Jeder Mann steht für eine Nation. Der ist ein Norweger. Er ist der einzige mit blonden Haaren, und in Norwegen haben die Männer blonde Haare. Also es geht immer wieder um das Bild des eigenen Bildes. Ich glaube jedes Land hat seinen eigenen Ötzi… irgendwie, es ist immer eine gegenseitige Beeinflussung. „
Der deutsche Ötzi schaut sich ängstlich nach Verfolgern um, der österreichische müht sich ums Feuer und sieht Reinhold Messner ähnlich, und der französische hat den Blick von Gerard Depardieu, irgendwie. Aber alles seien nur starre Puppen, die in Felle gesteckt wurden, meint Brigitte Niedermair. Auch jener, der bisher für das Bozener Museum stand.
Der Mythos aus dem Eis (Deutschlandfunk) Auch die neue „Ötzi“-Rekonstruktion ist fragwürdig: die Hände sind viel zu groß.
Es bleibt das Fazit: unser Wissen über die Vergangenheit ist bruchstückhaft, jede, auch die gewissenhafteste, Rekonstruktion ist fragwürdig. Jede (wissenschaftliche) Rekonstruktion ist eine Hypothese. Es sollte allerdings das Sparsamkeitsprinzip der Hypothesenbildung, auch „Occam’s Razor“ genannt, beachtet werden: je wenige Annahmen gemacht werden, desto besser.