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ISIL: Politik durch Denkmalzerstörung

Der Vormarsch der islamistischen ISIL / ISIS bzw. Daaisch macht zur Zeit – nachdem er lange Zeit nur „Nebenthema“ in den meisten Medien war – Schlagzeilen. Angesichts von Mord und Vertreibung wirkt es fast frivol, die Zerstörung historischer Stätten zu thematisieren – im Sinne von „Was sind schon ein paar alte Gemäuer, wenn es um Menschenleben geht?“
Abgesehen davon, dass kulturelles Erbe auch einen Eigenwert hat, macht die ISIL mit solchen Zerstörungsaktionen Politik. Sie lassen sich meines Erachtens nicht auf „religiösen Fanatismus“ reduzieren, auch wenn dieser selbstverständlich eine wichtige Rolle dabei spielt.

Der Archäologe Rainer Schreg schreibt im Fachblog Archaeologik, dass die radikalislamistische ISIL schon früher dadurch aufgefallen, dass sie archäologische Funde zerstörte (Ein Denkmal als Kriegsvorwand? Syrien im März 2014 (Archaeologik 2.4.2014); Syrien im Mai 2014 (Archaeologik v. 1.6.2014). Paul Barford weist in seinem Blogbeitrag Where ISIS Is Gaining Control in Iraq and Syria darauf hin, dass sowohl Syrien als auch der Irak das historische Erbe benutzten, um ihre Staaten bzw. Regime zu legitimieren. ISIL beruft sich auf „islamische Tradition“ (oder das, was sie dafür ausgeben) und wendet sich gegen eben jene Staaten bzw. Regime. Aus der Sicht des „einfachen Daaisch-Kämpfers“ sind die Monumente damit Überbleibsel gottloser heidnischer Götzenanbeter aus der finsteren Zeit vor dem Propheten Mohammed, auf die sich brutale, ungerechte und den Befehl Gottes frech missachtende Regime berufen. Aus ihrer islamisch-fundamentalistischer Perspektive ist es Totenkult, die eigenen Ahnen zu verehren, und besonders verbrecherisch ist dieser gräulische Totenkult, wenn er götzenanbetrischen Vorfahren gilt. Gemäß den von der ISIL aufgestellten Regeln sind alle Schreine, Denkmäler und Mausoleen, an denen Tote verehrt werden, ausnahmslos und restlos zu zerstören.
ISIS Thugs Take Mosul: historic Nineveh faces eradication

Damit steht ISIL nicht allein. In Mali hatten es Islamisten ebenfalls in besonderem Maße auf Schreine abgesehen: Terroristen, Milizen und Glaubensfanatiker – Instrumentalisierung des Kulturerbes in Mali (Archaeologik 28.1.2014).

Es ist eine alte, schlechte und leider wirksame Machttechnik von Eroberern, die Kulturgüter der Gegner und später der Unterworfenen zu zerstören. Hinzu kommt die besondere Form des „Glaubens“ von Extrem-Fundamentalisten, die sich deutlich von der anderer Gläubiger und Ideologen unterscheidet: In dieser Weltsicht ist der geringste Zweifel am Glauben – auch der im Gedanken – schon Verrat. Ein Verrat, der unweigerlich mit Höllenstrafen geahndet wird. Das motiviert wahrscheinlich stärker als die viel zitierten Belohnungen für Märtyrer im Paradies. (Die Parallele zum christlich-fundamentalistischen Denken, von allem in seiner evangelikalischen Ausprägung, ist unübersehbar.)

Diese Form des Fanatismus ist keine „Spezialität“ der neuzeitlichen Islamisten.
In allen Gesellschaften, in denen Religion und Politik eng verwoben sind und in denen eine breite „Volkfrömmigkeit“ herrscht, sind Religionsdebatten nicht nur für einen kleinen Zirkel von Theologen interessant, sondern werden mit Leidenschaft auch gerade in den unteren Bevölkerungsschichten geführt. Das ist kein Wunder, denn einerseits hoffen gerade die im „Diesseits“ Benachteiligten auf ausgleichende Gerechtigkeit im „Jenseits“, anderseits glauben sie, dass die Seele jedes Menschen, der einer „falschen Lehre“ anhängt, verloren ist.
Zwei drastische Beispiele auf „unserer“ europäischen Kultur sind „Siegeszug des Christentums“ in der Spätantike, der mit blutigen Auseinandersetzungen zwischen den sich nur in Nuancen unterscheidenden Glaubensrichtungen und massiven mutwilligen Kulturgutzerstörungen einher ging, und die „Glaubenskriege“ in der Frühen Neuzeit nach der Reformation.
Wobei immer wieder auffällt, dass „oben“, bei den um die Macht kämpfenden Eliten, „eiskaltes“ politisches Kalkül überwiegt, dass den „heißen“ und subjektiv Glaubeneifer derer „unten“ rücksichtslos instrumentalisiert. (Was ideologischen Fanatismus „oben“ keineswegs ausschließt – im Gegenteil, wer sich absolut im Recht wähnt, ist deshalb besonders skrupellos, wenn es darum geht, andere Menschen für seine Interessen zu gebrauchen.)
Ach ja, und dass „der Westen“ und die reichen arabischen Ölstaaten, ohne Sinn und Verstand nach dem Prinzip „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ die Islamisten lange Zeit unterstützten, ist ein weiterer Beleg für die These, dass „eiskaltes“ politisches Kalkül regelmäßig zugleich verbrecherisch und strunzdumm ist!

Ein Gedanke zu „ISIL: Politik durch Denkmalzerstörung

  • Zu den historischen und religiös-idiologischen Hintergründen:
    Pressemitteilung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Universität Münster vom 1. Juli 2014
    „ISIS kopiert jahrhundertealte Eroberungspraxis“
    Islamwissenschaftler Marco Schöller zum Konzept des Kalifats früher und heute.

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