Erforscht & Entdeckt

Die Sachsenkriege (Teil 1)

von Martin Marheinecke

Die Franken
Das Frankenreich zur Zeit der Karolinger war ein Vielvölkerstaat, die Franken darin nicht etwa ein „Staatsvolk“, sondern eine aus einem germanischen Stammesverband hervorgegangenen „Herrenschicht“, die zur Zeit Karls (des „Großen“) schon längst nicht mehr zu „Herren“ anderer ethnischer Herkunft abgegrenzt war.

An der Spitze des Reichs stand ein König. Im Gegensatz zu seinen Kollegen in der frühen Neuzeit war er kein absoluter Herrscher. Seine Macht wurde ihm nach dem Prinzip „Geben und Nehmen“ verliehen, theoretisch vom „Volk“, in der Praxis von „den Großen“ (Hochadel, hohe Beamte, hohe Geistliche – oft alles in Personalunion). Der Adel erwies sich oft als Gegenspieler des Königs, gegen seine Interessen lief im Frankenreich wenig. Eine ideologische Grundlage der Herrschaft war nach alten germanischen Vorstellungen das Erbcharisma, das „Königsheil“.
„Heil“ lässt sich ungefähr mit Begriffen wie „Glück, Erfolg, Talent“ umschreiben, z. B. Wortheil (Eloquenz), Pferdeheil („Pferdeverstand“), Kriegsheil (Kriegsglück). „Königsheil“ ist nicht nur das persönliche Heil des Königs, also die Eigenschaften, die ein erfolgreicher König braucht, sondern auch Ausdruck des Heils seines Volkes: Der König ist „Heilsträger“ des Volkes. War ein König „heillos“ d. H. war er unfähig, mangelte es ihm am Charisma oder hatte er einfach Pech, wurde er in der germanischen Stammesgesellschaft kurzerhand abgesetzt.
Bei den Franken war das „Heil“ bis weit in „christliche Zeiten“ an die Königsfamilie der Merowinger gebunden. Die politische Tagesarbeit überließen die Merowingerkönige ihrer „Hausmeiern“. Karl Martell nutzte seine Machtposition als Hausmeier für einen Staatsstreich, übernahm die alleinige Regierungsgewalt und begründete damit das Geschlecht der Karolinger. Sein Sohn Pippin setzte mit tatkräftiger Hilfe des Papstes den bereits funktionslos gewordenen letzten Merowingerkönig Childerich III. ab und regierte als König persönlich. Aber auch die Karolinger beriefen sich auf ihr „Heil“, die abgelösten Merowinger wurden sowohl als „überflüssig“ – König sollte sein, wer wirklich die Macht ausübte – als auch als „heillos“ dargestellt.

Die zweite ideologische Grundlage fränkischer Königsherrschaft war die christliche Vorstellung des „Gottesgnadentums“, die zu Karls „des Großen“ Zeiten das „Königsheil“ eher ergänzte als verdrängte.

Die Regierung bestand aus dem königlichen Hof, der mit Geistlichen besetzten Kanzlei und dem Pfalzgericht. Durchgesetzt wurde die Regierungsmacht, der „Königsbann“, durch die Grafen, ursprünglich „Beamte“, die zur Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenz Land verliehen bekamen. Diese Vasallen (von keltisch Gewas = Knecht) schuldeten dem Herrn im Gegenzug Gehorsam, Abgaben und im Kriegsfall Soldaten. Diesen Grafen unterstanden das militärische Aufgebot, die Gerichtsbarkeit und Teile der Verwaltung – Teile, denn Schlüsselpositionen besetzte Karl lieber mit Geistlichen. In den größeren Territorien an den Grenzen und in den Gebieten der Alemannen, Thüringer und Bayern setzte der König außerdem einen Herzog (Dux) als „Obervasall“ ein. Damit waren die Grundlagen des mittelalterlichen Feudalsystems gelegt.
Die Verwaltung war im Vergleich zu altrömischen Verhältnissen locker, unsystematisch und sehr dezentralisiert, eine einheitliche Gesetzgebung gab es nur in Ansätzen.

Auch auf den unteren gesellschaftlichen Ebenen setzte sich das Feudalsystem zunehmend durch, eine wichtige Ursache hierfür lag im fränkischen Militär. Den buchstäblich harten Kern des Heeres bildeten gepanzerte Reiter, gut ausgebildet und in ständiger Waffenübung, was einen „zivilen Hauptberuf“ rein vom Zeitaufwand her unmöglich machte. Diese Vorläufer der Ritter wurden nicht mit Geld besoldet – dafür fehlte es dem karolingischen Staat an flüssigen Mitteln – sondern sie erhielten Land mitsamt dazugehörigen abhängigen Bauern verliehen, dessen Erträge ihnen das Leben als „Berufssoldat“, die Haltung mehrerer Schlachtrösser und die Anschaffung der kostspieligen Waffen ermöglichte. Die verbliebenen freien Bauern verloren mehr und mehr an Bedeutung.
Karlolingische Reiterei
Karolingische Reiterei. Aus einer Handschrift der 9. Jahrhunderts in der Stiftsbibliothek St. Gallen

Für die Verwaltung des ausgedehnten Reiches waren Geistliche – die einzigen Schriftkundigen dieser Epoche – unentbehrlich. Umgekehrt war auch die Kirche vom König und dem weltlichen Adel abhängig; somit bildeten Staat und Kirche eine eng verflochtene Einheit. Selbst in vielen kirchlichen Dingen war der Wille des Königs ausschlaggebend. Karl, der mit den Päpsten Hadrian I und Leo III. befreundet war, mischte sich sogar in Fragen der Dogmatik und der Bibelexergese ein. Auf der Grundlage der Einheit von Staat und Kirche und angeregt durch Augustinus’ „Gottesstaat“ schuf Karl für sein Reich einen religiösen Unterbau mit totalitärem Anspruch. Das Christentum nach Maßgabe Karls war Staatsideologie, das Bekenntnis zum fränkischen Thron eine Art Gottesdienst. „Ein Gott, eine Kirche, ein Glaube – darum Friede und Einheit unter einheitlicher Führung“, so hatte Karl selbst das Gesetz umschrieben, das er seinem Vielvölkerstaat aufzwang.

Kern der Militärmacht die bereits erwähnte schwere Reiterei, unter der wiederum Karls Gardetruppe, die Scara Francisca, die Elite darstellte. Ihr Vorbild waren die Kataphraktoi des byzantinischen Reichs, die Ostrom erfolgreich gegen die Angriffe der Awaren im Norden und der Araber im Süden verteidigten. Die schweren Reiter der Elitetruppen waren durch Kettenhemden geschützt, für die, wie für die hervorragenden fränkischen Schwerter, ein strenges Exportverbot galt. (Waffenfunde bis nach Schweden zeugen von einem regen Schwarzhandel trotz Todesstrafe für erwischte Waffenschmuggler.) Der sonst übliche Körperpanzer bestand dagegen aus Leder mit aufgenähten Metallringen oder –schuppen.
Da die Franken schon Steigbügel kannten, konnten sie vom Pferd aus Stoßlanzen einsetzen – eine Revolution des Reiterkampfes. Als Zweitwaffe führten die fränkischen Reiter ein zweischneidiges Langschwert. Im Unterschied zu den auf Zeit einberufenen übrigen Truppen blieb die Scara Francisca ständig im Dienst.
Neben den schweren Reitern gab es eine leichte Reiterei, ohne Panzer und mit Bögen bewaffnet, und leicht bewaffnete Fußtruppen, wegen ihrer Herkunft meist „Bauern“ genannt. Berüchtigt war der mit Widerhaken versehene, aus dem römischen Pilum entwickelte fränkische Speer, genannt Ango. Die früher charakteristische fränkische Wurfaxt, die Francisca, war kaum noch im Gebrauch.

Dem „Heerbann“ (Oberbefehl) des Königs mussten seine Vasallen mit ihren Männern folgen. Weltliche und geistliche Grundherren stellten eine nach der Größe ihres Besitzes berechnete Zahl von Soldaten, ausgerüstet mit Waffen, Verpflegung und allem Gerät für den Marsch zum Sammelpunkt und drei weitere Monate. Auch die freien Kleinbauern stellten Truppen, je einen Mann aus einer Gruppe, deren Größe vom dem Vermögen der Bauern abhing.
Obwohl alle Männer, abgesehen von Ordensgeistlichen, somit „wehrpflichtig“ waren und Karl „der Große“ fast ständig Krieg führte, stimmt die Vorstellung eines „Volkes in Waffen“ nicht. In der Regel wurden nur Truppen in dem Kampfgebiet benachbarten Provinzen mobilisiert, und das auch nur teilweise. Ein Grund dafür lag darin, dass für Heere mit mehr als 10000 Mann die nötige Logistik fehlte. Die Kampfkraft der Panzerreiter, denen selbst die hervorragende arabische Kavallerie nicht gewachsen war, und die Fähigkeit, „aus dem Stand heraus“ und an allen Grenzen relativ große Truppen mobil machen zu können, machten das Frankenreich zur führenden Militärmacht seiner Zeit.

Militärisch war das Reich der Franken ein Riese, zivilisatorisch im Vergleich zum byzantinischen Reich im östlichen Mittelmeerraum und den arabischen Staaten in Spanien ein Zwerg. Technik, Wissenschaft und Schriftkultur des alten römischen Imperiums waren selbst im Süden fast vergessen. Das Bildungsmonopol lag bei christlichen Ordensleuten. Dennoch gab es im Frankenreich unter Karl „dem Großen“ eine erstaunlich „schriftlichte“ Verwaltung – sicher einer der Gründe, aus denen er als Erwachsener erfolgreich Lesen und mit mäßigem Erfolg Schreiben gelernt hatte. Karls geistliche Berater stemmten sich dem allgemeinen Kulturverfall mit einigem Erfolg entgegen; der Begriff „karolingische Renaissance“ ist jedoch übertrieben. Nach seinem Tod ging der Verfall munter weiter – das Mittelalter war in Westeuropa nie so „finster“ wie ca. 100 Jahre nach Karl.
Mit dem Verfall des römischen Straßennetzes war auch der heimische Fernhandel fast zusammengebrochen. Religiös begründete Gesetze, vor allem das eng ausgelegte Zinsverbot, behinderten die Geldwirtschaft – die an sich durch Karls Münzreformen gefördert werden sollte. Die Vorstellung, dass im Frankenreich nunmehr der „steinzeitliche“ Tauschhandel vorherrschte, ist jedoch falsch. Der Fernhandel lag in den Händen von friesischen, jüdischen, oströmischen und auch im zunehmenden Maße skandinavischen Händlern.

Die Sachsen
Die Sachsen waren strenggenommen kein Volk und sie bildeten auch keinen Staat. Tatsächlich bildeten die Sachsen (vermutlich Kurzform von ahd. sahsnotas d. h. wörtlich Messer- bzw. Schwertgenossen) einen lockeren Stammesbund, ähnlich den Alemannen. Geschichtlich fassbar sind sie seit 286, als sie von See her in Nordgallien einfielen, historisch bedeutsam ist die Eroberung weiter Teile des südlichen Englands um 450 (gemeinsam mit Angeln und Jüten).
Der Stammesverbund gliederte sich in drei „Schwärme“ (Reinhard Wenskus), die Westfalen, die Ostfalen und die Engern. Eine vierte, in mancher Hinsicht besondere Gruppe, bildeten die Sachsen nördlich der Elbe (Nordalbinger oder Nordluidi) zusammen mit denen im Weser-Elbe-Dreieck nördlich des Teufelsmoors. Wahrscheinlich war das Gebiet beiderseits der Unterelbe „Ursachsen“.

Die Schwärme bestanden aus in Kultur und Abkunft durchaus unterschiedlichen Stämmen im engeren Sinne, wie z. B. den Wigmodier oder Bortharier.
Außerdem gab es eine territoriale Gliederung in Gaue, die oft, aber nicht immer, mit Stammesgebieten zusammenfielen. Zu den Sachsen gehörten nicht nur Stämme, die sich freiwillig angeschlossen hatten, sondern auch Unterworfene.
Sozial befanden sich die Sachsen im Übergang von der Stammes- zur Ständegesellschaft. Es gab vier bereits deutlich voneinander abgegrenzte Klassen, die Edelinge, die Frilinge (freie Bauern auf eigenem Land), die Liten (oder Laten) als Halbfreie (Bauern ohne eigenes Land, abhängig von den Edelingen) und die Sklaven (die es übrigens auch bei den Franken gab). Bei den Nordsachsen gab es dagegen, wie bei den benachbarten Dänen, keine Halbfreien; sie hatten auch ein in Details vom übrigen Sachsen abweichendes Volksrecht.
Noch bestand eine gewisse soziale Mobilität, die aber anscheinend im Schwinden begriffen war.

Einziges zentrales Organ Sachsens war die Landesversammlung (Thing), die einmal im Jahr in Marklo an der Weser stattfand (wahrscheinlich dem heutigen Marklohe bei Nienburg). Jeder Gau entsandte 36 Vertreter: zwölf Edelinge, zwölf Freie und zwölf Halbfreie, die alle dasselbe Stimmrecht hatten. Das klingt recht demokratisch, in Wahrheit konnten die Edelinge mit den Stimmen der von ihnen abhängigen Halbfreien die freien Bauern jederzeit überstimmen. Für die Franken schwer verständlich war, dass es keinen König oder Fürsten gab, dessen Eid Untertanen binden könnte. Ein Sachse schwur nur für sich selbst.

Jeder „Schwarm“ wählte im Kriegsfall auf Zeit einen Herzog als Kriegsherrn und entschied selbstständig über Krieg und Frieden. Damit nicht genug, auch jeder Stamm agierte politisch weitgehend für sich, und sogar einzelne Edelinge mit ihrer „Gefolgschaft“ (Hirdmen), ja selbst spontane Zusammenschlüsse von Freibauern konnten auf eigene Faust Krieg führen.

Die Edelinge und die Freien hatten gravierend unterschiedliche Klasseninteressen, was im Krieg gegen die Franken von großer Bedeutung war.

Der legendäre „Landhunger“ der Sachsen lag vor allem darin begründet, dass nur eigenes Land persönliche Freiheit gewährleistete: wer sein Land verlor, stieg zum „Liten“ ab, wer (z. B. durch Teilnahme an einem erfolgreichen Eroberungskrieg) viel Land gewann und durch Kriegsglück sein „Heil“ bewies, konnte durchaus zum „Edeling“ aufsteigen. Die Edelinge profitierten von Anschluss an das fränkische Feudalsystem, sie stiegen damit zum in jeder Hinsicht privilegierten „echten“ Adel mit unanfechtbarer Machtstellung auf, während die bisher freien Bauern die Verfügungsgewalt über ihr Land und ihre politischen Rechte weitgehend verloren. Außerdem hatten die freien Bauern in einem Ständestaat nicht mehr die Möglichkeit, wie bisher ihr „eigenes Glück zu machen“.
Hinzu kam, dass die Edelinge in sächsisch unterworfenen Stämmen, also vor allem im heutigen Westfalen, für die Bauern eigentlich Fremdherren waren. Die meisten Edelinge waren aufgrund ihrer Interessenlage zur Unterwerfung bereit, der Widerstand kam aus den Reihen der Bauern. Der Sachsenkrieg war deshalb auch ein bewaffneter Klassenkampf.

Militärisch waren die Sachsen theoretisch kein ernstzunehmender Gegner für die Franken. Die Sachsen waren noch Krieger, ihre fränkischen Gegner bereits Soldaten. Ein Krieger handelt grundsätzlich auf eigene Verantwortung, ein Soldat auf Befehl. Obwohl von „eiserner Disziplin“ auch bei den Franken keine Rede sein konnte, konnte ein fränkischer Offizier, wenn es die taktische Lage erforderte, Untergebene in den Tod schicken. „Heeresliez“, Fahnenflucht, galt im Frankenreich als das schwerste Verbrechen überhaupt! Hingegen konnten sich sächsische Heerführer wie Widukind nicht immer gegen die Interessen ihrer Leute durchsetzen, was in einigen Fällen zu aus taktischer Sicht absurden Entscheidungen führte.

Ausrüstung und Ausbildung der fränkischen Reitertruppen war denen der Sachsen in jeder Hinsicht überlegen, deshalb hatten die sächsischen Reiter trotz ihrer Reitkünste und ihrer guten Pferde gegen sie keine Chance. Bei den Fußtruppen war die Kampfkraft beider Seiten ausgeglichener. Wie ein Sachse ausgerüstet war, hing allein von seinem persönlichen Reichtum ab: Nur wenige Sachsen besaßen Helme oder Langschwerter, von Kettenhemden ganz zu schweigen. Die meisten Sachsen kämpften mit dem Sax, einem langen, einer Machete ähnelndem Messer, der Axt und dem Speer, geschützt nur durch den hölzernen Rundschild und eventuell ein Lederwams.
Als einzelne Kämpfer waren die sächsischen Krieger den fränkischen Soldaten hingegen oft überlegen, sie kämpften ja schließlich für sich selbst. Am erfolgreichsten kämpften sie in beweglichen kleinen Trupps von 30 – 50 Mann, die selbständig „Kommandounternehmen“ durchführten. Ein überraschender Vorteil der Sachsen gegenüber den Franken waren ihre Kommunikationsmittel: sie benutzten Hillebillen (Hartholzbretter, die den baskisches Txalaparta ähnelten) und Trommeln als „Buschtelegraphen“, wahrscheinlich auch Stäbe, in die Runenbotschaften eingeschnitten waren.

Die sächsischen Fliehburgen, in der Regel einfache Ringwallanlagen, dienten als Schutzräume für die Landbevölkerung bei Kriegshandlungen. In den Chroniken erscheinen sie nur im Fall der erfolgreichen Einnahme. Daraus lässt sich aber keineswegs schließen, dass diese Burgen im Krieg unwichtig waren.

Kulturell waren die Sachsen den „durchschnittlichen“ Franken keineswegs unterlegen. Die Sachsen waren am friesischen und nordeuropäischen Fernhandel beteiligt, sie waren gute Handwerker und ihre Kultur war keineswegs völlig analphabetisch. Die Sachsen waren allerdings im Verhältnis zu den Franken arm an Ressourcen. Auffällig war die enge Verbindung zum europäischen Norden, sächsische Häuser gleichen ihren dänischen Gegenstücken, Kunststile und Handwerkstechniken entsprachen ebenfalls denen im Norden. Eine klare kulturelle Abgrenzung zwischen Sachsen, Angeln, Jüten und Dänen ist anhand archäologischer Funde kaum möglich, zahlreiche verwandtschaftliche Beziehungen sind nachgewiesen, trotz der deutlich unterscheidbaren Sprachen. Etwas übertrieben kann man sagen, dass vor den Sachsenkriegen Skandinavien bis zum Sauerland reichte.

Die Vorgeschichte des Krieges (bis 771)
Im Krieg gegen die Thüringer 531 waren die Sachsen noch Bundesgenossen der Franken. Aber schon bei der Verteilung der Beute gab es Zank: Es begann die Zeit der „sächsisch-fränkischen Erbfeindschaft“. In den folgenden Jahrzehnten nutzten die sächsischen Stämme die Schwäche des von inneren Auseinandersetzungen erschütterten Frankenreichs aus, um von der norddeutschen Tiefebene aus nach Süden zu expandieren. Um 690 war das heutige Westfalen nördlich der Lippe sächsisch. 693 unterwarfen die Sachsen die im heutigen Ruhrgebiet lebenden Brukterer. Immer wieder berichteten die Chronisten von sächsischen Raubzügen auf fränkisches Gebiet.

Nachdem sich Karl Martell 717/18 zum faktischen Alleinherrscher aufgeschwungen hatte, schlug das fränkische Reich zurück. 718 führte er einen militärischen Vorstoß bis an die Weser, 738 folgte von der Lippemündung aus eine weitere Expedition nach Sachsen hinein. Im Grunde waren auch diese Überfälle Raubzüge – Karl Martell erzwang Tributzahlungen sowie die Stellung von Geiseln. Missionierungsversuche, vor allem irischer Mönche, bleiben zu dieser Zeit weitgehend erfolglos.

743/44 eroberten die Franken das Gebiet um Dortmund und unterwarfen einen Sachsenfürsten namens Theoderich. 748 erzwang Pippin, Karl Martells Sohn, die Erneuerung des Tributs. 751 führte Pippin einen weiteren Feldzug gegen die Sachsen. Zwei Jahre später suchten sächsische Krieger nordhessisches Gebiet heim und zerstörten 30 Kirchen, die im Zuge der bonifatianischen Mission errichtet worden waren. 758 folgte die nächste Strafexpedition Pippins ins westliche Sachsen, er forderte einen Tribut von 300 Pferden.

Diese „Sachsenzüge“ sind nur die in Chroniken auftauchende Spitze des Eisbergs. Es herrschte ein ständiger Kleinkrieg zwischen Franken und Sachsen, wobei nicht nur die Sachsen Raubzüge in fränkisches Gebiet unternahmen, sondern es ebenso fränkische Raubzüge nach Sachsen gab. Nach 760 schien sich aber der Charakter der sächsischen Überfälle geändert zu haben: Zu den üblichen grenznahen Scharmützel kamen gut organisierte Blitzüberfälle kleiner, aber schlagkräftiger Trupps auf weit im Hinterland gelegene fränkische Siedlungen und vor allem Klöster. Ein genaues Gegenstück zu Lande zu den Überfällen der Wikinger von See aus, die ebenfalls um diese Zeit begannen. Berücksichtigt man die kulturellen und politischen Bindungen der Sachsen nach Norden überrascht diese Parallele nicht.

Ein Motiv Karls „des Großen“ Sachsen anzugreifen, war sicher das Bedürfnis, endlich Ruhe für den Nordosten des Reiches zu schaffen. Möglicherweise ergab sich das Ziel, Sachsen in das Reich „einzugliedern“, erst im Laufe der Feldzüge. Vieles spricht allerdings dafür, dass die Expansion nach Nordosten von vornherein geplant war.

Charakteristisch für die Franken war das „Streben nach nassen Grenzen“, also Flussläufen. Sie konnten gut verteidigt werden, denn ihre Truppen waren mit Booten und Flößen vertraut, nutzten Flüsse als effiziente Anmarschwege, konnten von Bord aus kämpfen und verstanden sich auf Landemanöver. Für Karls Gegner – mit Ausnahme der in amphibischer Kriegsführung unübertrefflichen Wikinger und bezeichnenderweise auch den Sachsen – waren Flüsse dagegen Hindernisse. (Es entbehrt nicht der historischen Ironie, dass das mit dem Krieg auf Süßwasser so vertraute Frankenreich trotz Karls Flottenbauprogramm niemals Seemacht wurde.) Vor dem Krieg grenzten sächsische und fränkische Gebiete oft ohne natürliche Grenzen einander, gingen manchmal sogar ineinander über.
Nach planmäßiger „Eingliederung“ Sachsens und des westlichen Sorbengebiets hätte die Elbe die Nordostgrenze des Frankenreichs gebildet. Die Grenze verlief dann am Ende der Sachsenkriege doch etwas anders, die nördlich der Elbe gelegenen sächsischen Gebiete wollte Karl ursprünglich nicht unterwerfen.

Ein weiteres Motiv lag darin, dass Karl wenig eigene Ressourcen hatte und deshalb vom Wohlwollen des landbesitzenden Adels abhängig war – seinem Sohn und Mitkönig Ludwig verweigerten die aquitanischen Vasallen die Tribute, was Ludwig beinahe die Macht gekostet hätte. Karls Elitetruppen trieben dann mit Gewalt die Tribute ein und die eigensinnigen Aquitanier zur Räson. Diese Truppen wurden mit Land „bezahlt“, sie konnten nur verstärkt werden, wenn der König Land zu verleihen hatten – um seine Macht nach innen zu festigen, musste Karl also nach außen erobern. Das Karl mit zunehmendem Alter „friedliebender“ wurde, lag vermutlich weniger an seiner zunehmenden Weisheit, als an seiner immer besser gesicherten Machtstellung.
Ideologische Gründe, sprich die Verbreitung des Christentums, mögen auch eine Rolle gespielt haben, aber sicher nicht die, die ihnen die Annalen zubilligen. Karl zeigte z. B. keine Ambitionen, die mit ihm verbündeten slawischen Abotriten zu bekehren.

Die Sachsenkriege Teil 2

4 Gedanken zu „Die Sachsenkriege (Teil 1)

  • Berghaeuser Hartmut

    Ich bin ein ambitionierter und begeisterter Militär-und Kriegs-Historiker und habe soeben mein erstes Manuskript für ein Buch fertiggestellt, es handelt von der Belagerung, dem Eroberungsversuch und letztendlich der Entsetzung einer grossen, strategisch-militärisch wichtgen Grenzburg Heinrichs des Löwen im Jahre 1172 (Vorspann und 9 Kapitel, insgesamt ca. 150 DIN-A-4-Seiten. Vier weitere Themen plane ich zur Zeit (mein Interessengebiet ist die Zeit vom 8. bis zum 12. Jahrhundert), darunter eine in Erzählungsform abgefasste Darstellung aus der ersten Periode der Sachsenkriege (772 – 778), beginnend mit der ersten Eroberung der Eresburg. Dieser Artikel hier ist für mich eine wahre ,,Goldgrube“, weil hier ganz exakt bei noch einige offenstehende Fragen beantwortet werden. (vornehmlich die politische und militärische Struktur der sächsischen Stämme betreffend, aber auch einige wichtige Ergänzungen die fränkische Heerestruktur betreffend) Deshalb möchte ich dem Verfasser nicht nur meinen tiefen Respekt, sondern auch ein ganz grosses ,,DANKESCHÖN“ für diese hervorragende Publizierung übermitteln!

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