Odins Auge Artikel

Der völkische General und die Novemberrevolution (4)

Das Ende des Kaiserreiches – und ein harter Waffenstillstand

Der Tag, an dem das Kaiserreich endete, war der 9. November 1918. Am Morgen dieses ereignisreichen Tages wurde Ebert durch Max von Baden zum Reichskanzler ernannt. Von Baden fungierte eigenmächtig als Stellvertreter des Kaisers, denn Wilhelm II. hielt sich, aus Angst vor den Unruhen in Berlin, im sicheren Hauptquartier der OHL im (noch deutsch besetzten) belgischen Spa auf. Zum Thronverzicht aufgefordert, zögert er. Schließlich wurde es Max von Baden zu bunt, er handelte eigene Faust. Ohne die Entscheidung aus Spa abzuwarten, gab er am Mittag dieses Tages folgende Erklärung heraus:

Der Kaiser und König hat sich entschlossen, dem Throne zu entsagen. Der Reichskanzler bleibt noch so lange im Amte, bis die mit der Abdankung des Kaisers, dem Thronverzicht des Kronprinzen des Deutschen Reiches und von Preußen und der Einsetzung der Regentschaft verbundenen Fragen geregelt sind.

Diese absichtliche Falschmeldung verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Überall im Reich erscheinen Extrablätter, die die noch gar nicht erfolgte Abdankung verkündeten.
Der Unabhängige Sozialdemokrat und Reichstagsabgeordnete Karl Liebknecht, gerade aus der politischen Gefangenschaft freigelassen, rief gegen Mittag des 9. Novembers die „sozialistische Republik“ nach Münchner Vorbild aus. Etwa gleichzeitig rief auch der Mehrheits-Sozialdemokrat Philipp Scheidemann die Republik aus, sehr zum Verdruss Friedrich Eberts, der eigentlich eine „kaiserlich deutsche Sozialdemokratie“ wollte, eher deutscher Patriot als Internationalist und stolz auf das in den Jahren des „Burgfrieden“ Errungene war.

Ebert trat am Nachmittag an von Baden heran und bat ihn, sich offiziell zum Regenten ausrufen zu lassen. Das lief der gleich zwei Mal ausgerufenen Republik zuwider. Max von Baden war unter den gegebenen Umständen dazu nicht bereit und fuhr noch am selben Abend mit der Bahn nach Karlsruhe. Am Morgen des 10. September fuhr Kaiser Wilhelm von Spa in die Niederlande und trat sein Exil an, ohne zunächst jedoch formell als Deutscher Kaiser und König von Preußen zurückgetreten zu sein. Militärjuristisch gesehen hatte der formale Oberbefehlshaber damit desertiert – was ihm den letzten Respekt vieler Offiziere kostete.

Ebert
Friedrich Ebert redet vor Revolutionären, November 1918

Der Kaiser war im Exil, der letzte kaiserlich Reichskanzler zurückgetreten im heimatlichen Baden, Ebert war provisorischer Kanzler, die Machtstellung des Militärs bleibt theoretisch unangetastet. In der Praxis war die Kampfkraft der Truppen gleich Null, denn die kriegsmüden Soldaten wollten mehrheitlich nur noch eines: möglichst schnell nach Hause. Andere schlossen sich den Revolutionären an.

Die von Erzberger geleitete Delegation verhandelte unterdessen über den Waffenstillstand. Wobei es eigentlich nichts mehr zu verhandeln gab: Der Verhandlungsrahmen war sehr eng begrenzt, auch, weil US-Präsident Wilson es mit einem zunehmend deutschfeindlichen Kongress zu tun hatte. Das extreme Misstrauen gegenüber den „Hunnen“ war allerdings nicht unbegründet; auch machte es keinen guten Eindruck, dass die Delegation entgegen den ungeschriebenen Gesetzen von Waffenstillstandverhandlungen nicht von einem hohen Offizier geleitet wurde. Der Verhandlungsleiter auf alliierter Seite, Marschall Foch, fühlte sich dadurch gedemütigt und rächte sich, indem er den deutschen Vertretern einen Zeitrahmen von nur 72 Stunden setzte, und ihnen nur den Dialog mit rangniederen Offizieren gestattet. Foch selbst demütigte den Kriegsgegner durch Abwesenheit.

Der Marschall war ein extremer Hardliner in der Frage, wie man die Besiegten des Krieges behandeln sollte. In vieler Hinsicht war er das französische Gegenstück zu Hindenburg: Ziemlich alt, überaus populär, mittelmäßige militärische Fähigkeiten, die aber von einer „Heldenlegende“ überstrahlt wurden, entschiedener Nationalist.

Sein Ziel war es, jede Aggression gegen Frankreich unmöglich zu machen, auch um den Preis ökonomischer Nachteile. Er trat für eine Aufteilung des Deutschen Reichs in kleinere Staaten, insbesondere die Zerschlagung Preußens ein, sowie für eine Verlegung der französischen Militärgrenze bis zum Rhein. Er forderte gegenüber den britischen und amerikanischen Verbündeten, man müsse zwischen Frankreich und dem Rhein, nämlich auf dem ganzen linken Rheinufer, eine von Deutschland abgetrennte Zone schaffen, die nicht lediglich entmilitarisiert werden sollte – Foch dachte vielmehr an einen separaten, Frankreich militärisch verbundenen Staat. Mit diesen Forderungen stand er weitgehend alleine da, er selbst ruderte schon Anfang 1919 zurück.

Den Deutschen erschienen die Waffenstillstandsbedingungen, die ihnen vorgeschlagen wurden, als sehr hart, doch die Delegation der Entente-Mächte ließ Einwendungen nicht zu. Erzberger wurde von Reichskanzler Ebert nach Rücksprache mit dem Chef der Obersten Heeresleitung, Hindenburg, angewiesen, den Waffenstillstand zu jedweden Bedingungen anzunehmen. Da Hindenburg bereits an der ursprünglich von Ludendorff erfundenen „Dolchstoßlegende“ strikte, kam ihm ein möglichst harter Frieden durchaus gelegen. Trotz alledem gelang es Erzberger einige der Bedingungen abzuschwächen.

Der Vertrag wurde am 11. November zwischen 5:12 Uhr und 5:20 Uhr französischer Zeit unterzeichnet.
Seine wichtigsten Punkte:

  • Einstellung der Feindseligkeiten binnen sechs Stunden nach Vertragsunterzeichnung.
  • Rückzug aller deutschen Truppen aus sämtlichen besetzten Gebieten Belgiens, Frankreichs, Luxemburgs sowie aus Elsaß-Lothringen.
  • Besetzung der linksrheinischen Gebiete und von rechtsrheinischen Brückenköpfen um Mainz, Koblenz und Köln durch französische Truppen.
  • Übergabe von 5.000 Geschützen, 25.000 Maschinengewehren, 3.000 Minenwerfern und 1.700 Flugzeugen an die Entente.
  • Internierung der kampfstärksten Kriegsschiffe in einem britischen Hafen.
  • Die britische Seeblockade wurde bis auf Weiteres nicht aufgehoben, jedoch waren Lebensmittellieferungen über See an Deutschland im begrenzten Rahmen erlaubt.
  • Übergabe von 5.000 Lokomotiven, 150.000 Eisenbahnwaggons und 5.000 Lastkraftwagen in gebrauchsfähigem Zustand.
  • Annullierung des für die deutsche Seite sehr vorteilhaften Friedens von Brest-Litowsk mit Sowjetrussland. (Dass die sowjetische Seite in dieser Angelegenheit auch ein Wort mitzureden gehabt hätte, etwa in dem Sinne, dass Brest-Litowsk durch einen für Russland günstigeren Friedensvertrag ersetzt werden solle, wurde seitens Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der USA großzügig übersehen. Die Annullierung bedeutete theoretisch, dass sich Russland wieder im Kriegszustand mit Deutschland befand. In der Praxis kümmerte das Lenin wenig, denn als da Deutsche Reich an der Westfront geschlagen war, nahmen die Entente-Staaten eine eindeutige antibolschewistische Position ein und betrachteten die Sowjetregierung als nicht legitim.)

Bei all dem sollte man immer daran denken, dass es im Ersten Weltkrieg nicht „die Guten“ oder „die Bösen“ gegeben hätte. Kein Krieg wird für moralische Werte geführt, immer geht es um Interessen, und zwar fast nie die der Bevölkerung. Im Zweiten Weltkrieg sah das etwas anders aus, Nazideutschland war jener Staat, auf den in der Weltgeschichte die Bezeichnung „Reich des Bösen“ am ehesten gepasst hätte, ein Staat, dessen de facto Staatsziel millionenfacher Mord und Vernichtung ganzer Völker und Kulturen war. Gegen dieses Verbrecherregime waren alle Kriegsgegner Deutschlands quasi automatisch moralisch im Recht – und alle Verbündeten des Nazi-Regimes, und meiner Ansicht nach auch alle Neutralen, moralisch im Unrecht. Das Kaiserreich war ein übel aggressiver, imperialistischer und autoritärer Staat, und hatte, zusammen mit Österreich-Ungarn, den Krieg verursacht, aber alle am Ersten Weltkrieg beteiligten Staten waren ausnahmslos imperialistische (Kolonial-)Mächte und entsprechend mehr oder weniger rücksichtslos, wenn es darum ging, ihrer Interessen auf Kosten anderer durchzusetzen. Das moralische Gefälle zwischen den beiden Seiten war viel geringer als im Zweiten Weltkrieg. (Und ein Foche ist in meinen Augen nicht weniger verachtenswürdig als ein Hindenburg!)

Ebert: „Bremser“ an der Spitze der Revolutionsregierung

Am 10. November kamen etwa 3000 Vertreter der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte im Zirkus Busch, der größten verfügbaren Halle, zusammen. Die Mehrheit von ihnen unterstützte die Politik der SPD und die bereits am Vortag zwischen den Parteien beschlossene Bildung eines „Rates des Volksbeauftragten“ als provisorischer Reichsregierung unter Friedrich Ebert. Allerdings setzte die USPD Bedingungen durch, die Ebert noch einen Tag vorher abgelehnt hatte. Damit begann die bis Januar 1919 dauernde Doppelherrschaft von Räteparlament („Reichsrätekongress“) und provisorischer Reichsregierung. Der Rat der Volksbeauftragten beaufsichtigte das eigentliche Regierungskabinett, das weiterhin im Amt war. Faktisch war der „Rat der Volksbeauftragten“ aber die Regierung und bezeichnete sich dann auch ab Ende Dezember selbst als „Reichsregierung“.

Rat der Volksbeauftragten, November 1918
Von links nach rechts: Wilhelm Dittmann, USPD, (Demobilisierung, Verkehr), Otto Landsberg, SPD, (Finanzen, Presse und Nachrichtenwesen), Hugo Haase, USPD, (Äußeres, Kolonien, Justiz), Friedrich Ebert, SPD, (Vorsitzender, Inneres, Militärwesen), Emil Barth, USPD, (Sozialpolitik, Vermittler zwischen Reichsrätekongress und dem Rat der Volksbeauftragten), Philipp Scheidemann, SPD, (Finanzen)

Die Revolutionsregierung erfüllte nahezu alle Forderungen der Sozialdemokraten und der ihnen nahestehenden Gewerkschaften: ein wirklich demokratisches, gleiches Wahlrecht, erstmals auch für Frauen, staatsbürgerliche Gleichberechtigung von Frauen und Jugendlichen, Achtstundentag als Regelarbeitszeit, Arbeitslosenunterstützung aus öffentlichen Mitteln, volle Meinungsfreiheit, unbeschränktes Vereins- und Versammlungsrecht, Amnestie für alle politischen Straftaten.

Das ist ihr bleibendes Verdienst – viele dieser Forderungen wären mit dem bestehenden Reichstag sogar nach den „Oktoberreformen“ nur schwer durchsetzbar gewesen.

Allerdings stand mit Ebert ein ausgesprochener „Bremser“ an der Spitze der Regierung. Noch am Abend des 10. November rief General Wilhelm Groener über die Geheimleitung aus dem Armeehauptquartier den Regierungschef an. Er sicherte Ebert die Unterstützung des Heeres zu und erhielt dafür Eberts Zusage, die militärische Rangordnung wiederherzustellen und gegen die Räte vorzugehen. Die SPD-Führung fürchtete mehr denn je, die Revolution könne nach dem Vorbild der Bolschewiki über eine Räteherrschaft in ein Regime nach Leninschem Muster münden. Sie übersahen: Es gab keinen deutschen Lenin, und die Spartakisten, die wenig später die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gründen würden, waren keine Bolschewiki. Sie übersahen auch, dass sich das kaiserliche Offizierskorps mit so einem Abkommen nicht für die Republik gewinnen ließ. In der Zeit der „heimlichen Militärdiktatur“ Ludendorffs waren die Pragmatiker unter den Militärs an den Rand gedrückt worden, und allzu viele hohe Offiziere hatten Geschmack an der Macht gefunden. Außerdem unterschätzten die „braven Zivilisten“, wie elitär die meist adligen, selten großbürgerlichen, fast alle von Jugend an in Kadettenanstalten auf autoritäres Verhalten gedrillten hohen Offiziere mehrheitlich dachten: Wer kein Mann „aus gutem Hause“ war oder ersatzweise erfolgreich Karriere gemacht hatte, und wer es nicht mindestens zum Reserveleutnant gebracht hatte, war für sie von vornherein „Pöbel“.
Gleichzeitig verstanden die revolutionären Arbeiter und Soldaten und ihre Vertreter Eberts Verhalten immer weniger. Damit büßte die SPD-Führung immer mehr Vertrauen bei ihren Anhängern ein, ohne an Sympathien bei den Gegnern der Revolution zu gewinnen. In den Turbulenzen dieses Tages war fast untergegangen, dass die Regierung Ebert am Morgen nach einer erneuten Aufforderung durch die OHL die harten Bedingungen der Entente für einen Waffenstillstand akzeptiert hatte.

Am Montag, dem 11. November 1918, trat der Waffenstillstand in Kraft. Der Erste Weltkrieg war vorbei. Und in Deutschland ging die Revolution weiter. Da die Führung der SPD, Ebert, Scheidemann, Wels und vor allem Noske, den „russischen Bolschewismus“ fürchtete und hasste, verbündeten sie sich lieber mit den extrem rechten „Freikorps“, als das „Chaos“ einer sozialen Revolution zu riskieren. Damit spielten sie den Plänen Ludendorffs und seiner Gesinnungsgenossen und Unterstützern in die Hände.

Teil 5: Ludendorff nach der Novemberrevolution

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