Odins Auge Artikel

Der völkische General und die Novemberrevolution (5)

Ludendorff nach der Novemberrevolution

Ludendorff hatte sich der juristischen und politischen Verantwortung durch Flucht nach Schweden entzogen. Das war auch ein „Plan B“: Zu Beginn der Novemberrevolution wollte sich Ludendorff eigentlich in das militärische Hauptquartier in Kassel-Wilhelmshöhe begeben. Kriegsminister Schëuch war darüber entsetzt und nicht bereit, das zu akzeptieren. Ludendorff, der nun für einige Zeit offiziell persona non grata war, tauchte mit Hilfe einiger Sympathisanten unter. „Gute Freunde“ verschafften ihm auch einen finnischen Diplomatenpass auf den falschem Namen Ernst Lindström – damit er sich nicht durch Monogramme mit den Initialen E. L. verraten würde. Er trug bei seiner Flucht einen falschen Bart und eine blau getönte Brille. Über Kopenhagen, wo er einige Zeit verbrachte, floh er nach Schweden.

Seiner Frau Margarete, die übrigens gar nicht von der Flucht begeistert war, da sie die öffentliche Entwürdigung ihrer Ehemannes fürchtete, vertraute er an:

„Die größte Dummheit der Revolutionäre war es, daß sie uns alle am Leben ließen. Na, komme ich mal wieder zur Macht, dann gib´s kein Pardon! Mit ruhigem Gewissen würde ich Ebert, Scheidemann und Genossen baumeln sehen!

Aus der Sicht Ludendorffs war Humanität Schwäche. Mit „uns alle“ meinte er übrigens völkisch gesonnene Offiziere, die gefährlichsten Feinde der Revolution. Wäre Wilhelm der II. geköpft worden, hätte der ex-kaiserliche Ex-General das sicherlich bedauert, aber verschmerzt, solange „wir alle“ am Leben waren und mit Hilfe von reichen und einflussreichen Gesinnungsgenossen die verhassten Demokraten bekämpfen könnten. Sein Ziel war ja keine „Monarchie um jeden Preis“, sondern eine „Volksgemeinschaft“ unter der diktatorischen Herrschaft einer militärischen Elite, notfalls auch ohne Kaiser als „Galionsfigur“.

Tatsächlich waren es dann meist völkisch, immer jedoch autoritär denkende Offiziere, die den Zerfall der kaiserlichen Armee nicht hinnehmen wollten, und ab Januar 1919 „Freikorps“, also quasi kleine „Privatarmeen“ gründeten. Auch wenn fast alle Soldaten kriegsmüde waren, gab es dennoch genügend „moderne Landsknechte“, die in den Freikorps weiterkämpfen wollten: Völkische Fanatiker, fanatische Kaisertreue, fanatisierte Antikommunisten, durch den Krieg Entwurzelte, Berufssoldaten, die nie etwas anderes als Kämpfen gelernt hatten, vorwiegend antisemitische Verschwörungsideologen, Kriminelle, selbstverständlich auch Abenteurer und Glücksritter – die meisten der Freikorpskämpfer gehörten mehreren dieser Kategorien an, erstaunlich viele sogar allen. Da die reguläre Armee zu schwach war oder zu unzuverlässig, stützte sich das Oberkommando der deutschen Streitkräfte seit Anfang 1919 immer mehr auf die Freikorps.
Dass ein Sozialdemokrat wie Noske, mit Rückendeckung des Sozialdemokraten Ebert, diese prä-faschistischen und gewaltverliebten Demokratiefeinde ganz überwiegend sozialdemokratisch (und nicht etwa „bolschewistisch“) gesonnene Revolutionäre einfach über den Haufen schießen ließ, das ist bestenfalls ein schreckliches Versagen, wahrscheinlich aber glatter Verrat an der jungen Demokratie. Ein Verrat mit durchaus guter Absicht: Um Ordnung herzustellen. Die Frage, wieso sie die „bolschewistische Gefahr“ so maßlos überschätzten, wieso sie „Ruhe und Ordnung“ anscheinend als Selbstzweck sahen, wieso sie auf die Disziplin und Loyalität rücksichtsloser Landsknechtnaturen vertrauten – diese Fragen und andere sind nur mit dem Hinweis auf die „deutsche Untertanenmentalität“ zu beantworten. Sie ist das Gegenstück zur rücksichtslosen Selbstgerechtigkeit ihrer sich als „über dem Recht“ stehende Elite wähnenden Feinde. Beides – Untertanenmentalität und „Herrenmenschen“-Mentalität – sind Ausprägungen der autoritären Persönlichkeit. Damit lässt sich vieles erklären, aber nichts entschuldigen.

Was notwendig gewesen wäre: ein „scharfer Schnitt“, notfalls mit, besser ohne Fallbeil

Hätte es also etwas genützt, wenn die Revolutionäre die völkisch gesonnen Offiziere, zu denen ja auch der überaus populäre Hindenburg gehörte, einfach umgebracht hätten? Ich denke nicht, denn es wären schwerlich alle erwischt worden. Aber die, die „es erwischt“ hätte, wären Märtyrer des „wahren Deutschlands“ geworden, für die, die davon gekommen wären.

Wäre es denn sinnvoll gewesen, wenn die Revolutionsregierung die Generale, aber auch die Fürsten, Junker, Militärrichter, „Kriegsgewinnler“, herrischen Unternehmer oder Polizeioffiziere und Staatsanwälte, nicht zu vergessen Kriegshetzer und Propagandaschreiber, zur Rechenschaft gezogen, oder, in der ersten Wut, ohne Prozess gelyncht hätten?

Im Sinne einer erfolgreichen Revolution vielleicht schon, wie das Beispiel der russischen Revolution zeigt. Allerdings um den Preis, dass sich dabei meistens, wie in Russland, nicht die besonders Gerechten, sondern die besonders „Harten“ durchsezen. Und auch um den Preis, dass auch Unschuldige bestraft – also unter revolutionären Bedingen realistischerweise umgebracht – worden wären.
Vielleicht aber auch nicht. Die Französische Revolution, um das bekannteste Beispiel zu nennen, kam durch Robespierres „Kopf ab“-Politik ihren Zielen nicht näher. Und das, obwohl Robespierre ein Gerechtigkeitsfanatiker war und zurecht „der Unbestechliche“ genannt wurde und, bis er selbst geköpft wurde, einer der besten Köpfe der Jakobiner gewesen war.

Auch wenn Männer wie Ludendorff „Geschichte machten“ – mit schrecklichen Folgen bis heute – handeln sie nicht unabhängig von Strukturen. Die Strukturen eines autoritären Staates, geprägt durch rücksichtslosen Kapitalismus, soziale und politische Ungleichheit, eine privilegierten „Oberschicht“, einem ausgeprägten „Militärisch-Industriellen-Komplex“, hochgradiger „Staatsgläubigkeit“, Staatsbediensteten, die bedingungslos der Autorität loyal sind, und einer über die reichen und einflussreichen „Eliten“ hinnausreichden Illusion, allen anderen Nationalstaaten überlegen zu sein, die lassen sich nicht einfach dadurch tilgen, dass „ein paar Köpfe rollen“ – egal ob im übertragenen oder buchstäblichen Sinne.

Was hätte geschehen müssen, wäre ein ganz anderer „scharfer Schnitt“ gewesen. Auflösung der kaiserlichen Armee, Gründung einer provisorischen Armee mit der Revolutiosregierung loyalen Offizieren. Bekämpfung der Freikorps (ja, das wäre Bürgerkrieg gewesen- aber den gab es ohnehin, ohne zuverlässige Truppen auf Seiten der Republik). Auslieferung von Kriegsverbrechern, wie von den Entende-Mächten gefordert. Eine demokratisierte Verwaltung. Ein umfassende Justizreform. Enteignungen von Großgrundbesitz und Schlüsselindustrien, vor allem Schwerindustrie, Bergbau, chemische Industrie – und zwar nicht einfach „Verstaatlichungen“, sondern Überführung in genossenschaftliches, demokratisch kontrolliertes, Eigentum.
Natürlich auch personelle Veränderungen. Wer illoyal ist, wer zu sehr in alte Strukturen und neue Seilschaften verstrickt ist, oder eine Vergangenheit als Leuteschinder hat, der darf, unabhängig von der strafrechtlichen Seite, keine Posten mit Entscheidungsverantwortung übernehmen – und auch keine, die Gelegenheit zur Sabotage bieten.
Nicht alles entspricht rechtsstaatlichen Prinzipien, aber auf diesen Grundlagen hätte ein stabilerer Rechtsstaat gegründet werden können, als es die „Weimarer Republik“ dann war.

Ludendorff nach 1920

Zurück zu Ludendorff. Nach seiner Rückkehr würde er zur Leitfigur der deutschen extremen Rechten. 1920 beteiligt am Kappputsch. Am 9. November 1923 unternahm er gemeinsam mit Hitler einen Putschversuch, den Marsch auf die Feldherrnhalle in München. Während Hitler immerhin zur Festungshaft verurteilt wurde, blieb der verehrte Weltkriegsfeldherr Ludendorff im folgenden Prozess trotz des schwerwiegenden Belastungsmaterials ungeschoren.
Mit Adolf Hitler, Gesinnungsgenosse und Rivale, kooperierte er, zerstritt er sich und kooperierte erneut. Unter dem Einfluss seiner zweiten Frau Mathilde wurde er vollends zum völkischen Esoteriker, seine Verschwörungsideologien nahmen immer wahnhaftere Züge an – und wurden trotzdem von den mit ihm rivalisierenden Nazis gern zwecks Angstpropaganda aufgegriffen.

1930 gründete Erich und Mathilde Ludendorff den Verein „Deutschvolk“. Dessen vorgebliche Ziel war es, dafür zu sorgen, dass die „Deutsche Gotterkenntnis“ als Religion in der Weimarer Republik anerkannt werden sollte. 1937 gelang das unter NS-Herrschaft, der „Bund für Deutsche Gotterkenntnis“ wurde als Religionsgemeinschaft Nachfolgeorganisation des 1933 verbotenen Vereins „Deutschvolk“. Auch wenn die „Ludendorffer“ bis heute die „Gegnerschaft“ der Ludendorffs zum Nationalsozialismus behaupten und sogar eine „Verfolgung“ im NS-Staat herbeiphantasieren, durften die Ludendorffs beinahe uneingeschränkt weiterpublizieren. Die „Ludendorffer“ waren zwar Konkurrenten, aber keine Gegner der NS-Ideologie. Der legendäre Ruf des „Feldherrn“ Ludendorff und die ideologische Nähe vor allem Mathilde Ludendorffs zu Auffassungen des SS-Reichsführers Heinrich Himmlers schützte sie wirksam.

Erich Ludendorff starb 1937. Vielleicht war er in seinem letzten Lebensjahrzehnt tatsächlich partiell unzurechnungsfähig oder gar paranoid gewesen. Ich nehme eher an, dass er konsequent da weitermachte, wo er als OHL-Stabschef aufgehört hatte: Er war ein leidenschaftlicher Verschwörer und Intrigant, außerdem extrem narzisstisch. Wahrscheinlich konnte er sich eine Welt, in der keine finsteren Verschwörer hinter allem standen, was Ludendorffs Zielen zuwider lief, gar nicht vorstellen. Außerdem war er, wie Hitler, überzeugter Sozialdarwinist.
Ludendorff plante und verwirklichte als „stiller Diktator“ viel von dem, was unter Hitler in noch stärkerem Maße unmenschliche Praxis wurde: Zwangsrekrutierung von Fremdarbeitern für die Rüstungsindustrie, die Strategie des Vernichtungskriegs und massive Propaganda. Er praktizierte den „totalen Krieg“ und wurde sein bedeutendster Theoretiker.

Ludendorff war nicht nur zeitweiliger Bündnisgenosse und zeitweiliger Rivale Hitlers, er war auch sein Vorläufer und Vorbild – ideologisch und praktisch. Der „stille Diktator“ Erich Ludendorff, der Urheber der „Dolchstoßlegende“, war nicht nur der „Totengräber des Kaiserreiches“ gewesen, sondern auch der „böse Geist der Novemberrevolution“, und war auch für das Scheitern der „Weimarer Republik“ mitverantwortlich.

Martin Marheinecke, November 2018

Da das hier kein Artikel mit wissenschaftlichem Anspruch ist, verzichte ich auf einen Fußnotenapparat.

Meine Hauptquellen sind außen den „üblichen Verdächtigen“ Wikipedia, BpB, diversen Lexika usw. zwei Bücher:

„Ludendorff: Diktator im Ersten Weltkrieg“ von Manfred Nebelin, Siedler, München, 2011, und „Die deutsche Revolution 1918/19“ von Sebastian Haffner, Rowohlt Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg, 4. Auflage 2004.

Ich orientierte mich weitgehend an Haffners Buch, das schon zum 50. Jahrestag der Revolution erschien, aber immer noch die meiner Ansicht nach beste Einführung in das damalige Geschehen ist.

Titelbild: Die verratene Revolution

Titel der gebundenen Erstauflage von 1969 ist „Die verratene Revolution“ – was die Kernaussage Haffners auf den Punkt brachte. Ich verstehe nicht, warum der Verlag den Titel in den aktuelleren Auflagen änderte, denn das Motiv des Verrat war für den Verlauf der Revolution in vieler Hinsicht entscheidend – angefangen beim mehrfachen kaltblütigen Verrat Ludendorffs.
Das Buch ist eine historisch-politische Analyse der deutschen Revolution von 1918/19, im gut lesbaren journalistischen Stil gehalten. Der entschiedene Antifaschist Haffner warf darin vor allem einen kritischen Blick auf die Rolle der „Mehrheits-SPD“ unter Ebert, die die Revolution blockierte.
Haffners Blick war dabei jedoch differenzierter als z. B. jener der DDR-Geschichtsschreibung, die z. B. dazu neigte, die Rolle der „Spartakisten“ in einer Art Heldenmythos zu überschätzen – wobei das „offizielle“ DDR-Bild der Revolution dem Geschehen immer noch weitaus gerechter wurde, als das in meinem alten „westdeutschen“ Schulgeschichtsbuch, das den Eindruck erweckte, Deutschland wäre durch ein „Zweckbündnis“ zwischen der Regierung Ebert und rechten Antidemokraten vor dem drohenden Bolschewismus gerettet worden.
Als aufrichtiger Publizist und Historiker leugnete Haffner nicht den eigenen Standpunkt, sondern machte ihn transparent. Daher ist „Die verratene Revolution“ eine gute Grundlage für historisch-politische Diskussionen.
Gerade die Parallelen zur momentanen politischen Situation in Europa machen dieses Buch erschreckend aktuell.

MartinM

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