Der völkische General und die Novemberrevolution (3)
Die Revolution kommt von der See
Die Seekriegsleitung unter ihrem Stabschef Admiral Reinhardt Scheer und der als „Draufgänger“ bekannte Kommandeur der Seestreitkräfte, Admiral Franz von Hipper, hielten auch nach Ludendorffs Entlassung am Flottenbefehl vom 24. Oktober fest. Nach ihm sollte die Schlachtflotte, begleitet von U-Booten, in Richtung Ärmelkanal auslaufen. Eine Niederlage gegen die britische Flotte wäre angesichts des Kräfteverhältnis wahrscheinlich gewesen – was aber im Ludendorffschen Plan wenig ausgemacht hätte, da die Flotte nach einem taktischen Rückzug vor der überlegenen britischen Flotte „weiter vorn“, in Flandern, gelegen hätte, und ihre Rückverlegung in die Heimathäfen ein „Faustpfand“ für Verhandlungen hätte sein könnte. Davon abgesehen wäre nach den Waffenstillstandsbedingungen die Flotte durch die drohende Internierung ihrer besten Schiffe so oder so verloren gewesen. Das bei einer Seeschlacht unweigerlich tausende Seeleute umkommen würden, war den hohen Marineoffizieren offensichtlich egal.
Die großen Kriegsschiffe waren ein Abbild der Klassengesellschaft des Kaiserreiches.
Die Offiziere der Kaiserlichen Marine stammten aus adligen oder großbürgerlichen Verhältnissen – für junge Männer aus „guten Haus“, aber ohne Adelstitel, galt die Marine als gute Karrieremöglichkeit, beim Heer war es für „Bürgerliche“ schwierig, mehr als Hauptmann zu werden. Viele Offiziere neigten dazu, ihre Untergebenen zu schikanieren. Zwischen den „richtigen“ Offizieren und den Unteroffizieren und Mannschaften gab es noch die „Decksoffiziere“, oft dienstverpflichtete Berufsseeleute, die zum Beispiel als Navigatoren oder Maschinisten unverzichtbar waren, aber nur einen Bruchteil des Soldes der Offiziere erhielten. Der Sold für die einfachen Matrosen, vor allem für die schwere körperliche Arbeit leistenden Heizer, „des Kaisers Kulis“ (Theodor Plievier), war jämmerlich. Die Verpflegung der Mannschaften war deutlich schlechter als die ihrer Vorgesetzten. Hinzu kam, dass die „Dicken Schiffe“ nur selten eingesetzt wurden – sie wurden allerdings nicht „sorgfältig geschont“, wie es manchmal hieß. Das bedeutete: Die meiste Zeit entnervend langweiliger „Gammeldienst“, unterbrochen durch Einsätze, bei denen von den Männern „alles abgefordert“ wurde – schließlich waren „die Engländer“ deutlich überlegen.
Gegen die Meuterei der Admirale
Im Zuge der Ludendorffschen letzten Großoffensive mag der Flottenvorstoß strategisch einigermaßen sinnvoll gewesen sein, ohne sie erscheint die Flottenoffensive als Aufbäumen der Admirale gegen die Regierung von Baden. Es war faktisch Meuterei.
Unzutreffende, aber ob der Lage nachvollziehbare Gerüchte, die Admiräle wollten samt ihrer Flotte und tausender Seeleute „ruhmreich im Kampf“ untergehen, machen die Runde. Es folgt die „große Flottenmeuterei“, bei der sich faktisch der Regierung loyale, an einem schnellen Frieden interessierten Matrosen gegen ihre meuternden Vorgesetzten erhoben. Matrosen in Wilhelmshaven verweigern den Befehl zum Auslaufen. Mehr als tausend Seeleute wanderten in die Militärgefängnisse. Immerhin wurde der Auslaufbefehl widerrufen. Aus Sicherheitsgründen blieb nur ein Geschwader in Wilhelmshaven, ein Geschwader wurde in die Elbmündung, das dritte nach Kiel verlegt.
Am 3. November setzten sich Kieler Matrosen für ihre inhaftierten Kameraden ein. Nachdem sie beim Ortskommandanten abgewiesen worden waren, organisierten sie zusammen mit Werftarbeitern einen Demonstrationszug. Der Führer einer gegen die Demonstranten eingesetzten Militärpatrouille, ein Leutnant, verlor die Nerven und ließ in die Menge schießen. Es gab neun Tote und 29 Verwundeten – und ein bewaffneter Matrose erschoss den Leutnant. Damit gab es kein Zurück mehr.
Der Militärgouverneur von Kiel, Admiral Souchon, hatte sich frühzeitig dafür entschieden, mit der neuen Regierung zu kooperieren. Am 3. November 1918 bat er die Regierung, einen führenden Sozialdemokraten nach Kiel zu schicken.
Am 4. November 1918 wählten die aufständischen Matrosen einen Soldatenrat und entwaffneten ihre Offiziere. Nur wenige der Offiziere leisteten Widerstand. Heeressoldaten, die den Aufstand niederschlagen sollten, ließen sich widerstandslos entwaffnen. Die Marinesoldaten der Garnison erklärten sich solidarisch, die Werftarbeiter beschlossen den Generalstreik. Am Abend hatte die aufständischen Matrosen Kiel in der Hand.
Die Regierung in Berlin entsandte den SPD-Verbindungsmann zum Militär, Gustav Noske, nach Kiel. Noske teilte den „Antibolschewismus“ der Militärs und Eberts Abneigung gegen „Unordnung“. Obwohl er sich sowohl mit den Arbeiter- und Soldatenräten wie mit der Kieler Marineleitung gut verstand, gelang es Noske nicht, die Revolution auf Kiel zu beschränken, wie er es vorgehabt hatte. Seine Mischung aus Ordnungsappell und kalkulierter Täuschung war erst einmal erfolgreich, er wurde zuerst an die Spitze des Soldatenrats gewählt und löste dann den Gouverneur ab. Als er mit seinem ersten Befehl, sämtlichen Matrosen Urlaub zu geben, versuchte, den Aufstand zu zerstreuen, half er unfreiwillig, ihn ins ganze Reich auszustreuen.
(Nur wenige Monaten später ließ Noske den offen demokratiefeindlichen Freikorps freie Hand bei ihrem brutalen Vorgehen gegen Streiks und Aufstände. In anderen Worten: „Bluthund“ Noske ließ als Sozialdemokrat geschworene Feinde der „Roten“ auf überwiegend sozialdemokratische Revolutionäre schießen!)
Der Regierung in Berlin entglitt die Situation, auch weil in der entscheidenden Phase der beginnenden Revolution Reichskanzler Max von Baden schwer krank war – wahrscheinlich litt er an der Spanischen Grippe, an der im Oktober 1918 nun auch in Deutschland Millionen Menschen erkrankten. Das bedeutete aber auch, dass die Regierungs- und Polizeiapparate personell geschwächt waren.
Zunächst in den Hafenstädten, dann im ganzen Kaiserreich bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte.
Diese Arbeiter- und Soldatenräte bestanden zum weitaus größten Teil aus Anhängern von SPD und USPD, sie waren demokratisch, pazifistisch und auf Gleichheit bedacht, wobei ihnen „Gleichheit vor dem Gesetz“ nicht ausreichte: sie wollten, als Sozialisten, möglichst gleiche Einkommensverhältnisse. Was sie nicht wollten: Das Blut der Herrschenden. Selbst die radikalsten Spartakisten hielten umfassende Enteignungen für weitaus wichtiger als „blutige Justiz“. Bis Januar 1919 verlief die Revolution erstaunlich unblutig. Nicht gewaltfrei – das wäre nach Lage der Dinge auch naiv gewesen – aber keineswegs brutal. Die wahrscheinlichen Gründe: Die aufständischen Soldaten hatten das Töten satt, die streikerfahrenen Gewerkschaftler wussten um die Macht des passiven Widerstandes und den meisten Revolutionären war bewusst, wie wichtig es war, dass im ohnehin krisengebeutelten Staat kein allgemeines Chaos ausbrach. Hingegen wollten ihre entschlossensten Gegner, elitär denkenden Militaristen, die Gesinnungsgenossen Ludendorffs, sehr wohl das Blut der Aufständischen.
Die Revolution war nicht von „Rädelsführern“ angezettelt worden, schon gar nicht von den gefürchteten Spartakisten. Karl Liebknecht, ihr Anführer, war erst am 23. Oktober auf Geheiß Scheidemanns aus der politischen Haft entlassen worden, und wusste von den Vorgängen außerhalb Berlins auch nur das, was in den Zeitungen stand. Rosa Luxemburg, die „Mutter des deutschen Kommunismus“, wurde erst am 9. November aus der jahrelangen Haft in Breslau entlassen.
Um eine der Revolution und der künftigen Regierung verpflichtete Exekutive zu schaffen und dabei die Behörden arbeitsfähig zu halten, beanspruchten die Arbeiter- und Soldatenräte meistens zunächst nur nur die Oberaufsicht über die Behörden. Die meisten der vormals kaiserlichen Beamten erwiesen sich den Räten gegenüber erstaunlich loyal, wobei sich später als fatal erweisen sollte, dass sie jeder Obrigkeit gegenüber loyal waren. Damit erhielt auch die SPD eine reale Machtbasis auf lokaler Ebene. Doch während die revolutionären Räte glaubten, damit im Interesse der neuen Ordnung zu handeln, sahen die Parteiführer der SPD in Berlin in Verkennung der Tatsachen in ihnen störende Elemente für einen friedlichen Machtwechsel. Die „Bolschewikenangst“ wirkte im Sinne der Feinde der Demokratie.
Erste Revolutionsregierung in München
Die Revolution kam von der See, es war allerdings fernab der Küste, in Bayern, wo die erste regelrechte Revolutionsregierung gebildet wurde. Kurt Eisner, USPD-Politiker und überzeugter Pazifist, gewann die Unterstützung der auch in München gegründeten Arbeiterräte und erklärte am 6. November den König von Bayern für abgesetzt und rief den „Freistaat Bayern“ aus. Die völlig unblutige und überaus disziplinierte Revolution organisierte er praktisch im Alleingang. Am 8. November trat eine provisorische bayrische Staatsregierung zusammen, Eisner wurde erster Ministerpräsident des Freistaates Bayern.
Die Münchner Revolution ist für uns, Odins Auge, besonders interessant, da der Kampf gegen die Revolutionsregierung von einer völkisch-esoterischen, sich als heidnisch-germanisch verstehenden, Geheimgesellschaft koordiniert wurde, der legendenumwobenen „Thule-Gesellschaft“. Es war ein wegen seiner jüdischen Abstammung nicht in die brutal antisemitische Thule aufgenommener völkischer Extremist, Anton Graf von Arco auf Valley, der Eisner am 21. Februar ermordete.
Ein ausführlicher Artikel über die „Thule-Gesellschaft“ ist in Vorbereitung.
Ludendorffs Strategie, die bestehenden Machtverhältnisse zu retten, ging teilweise auf.
Ludendorffs Nachfolger, General Wilhelm Groener, hatte seit 1916 als Chef des Kriegsamtes erfolgreich mit Gewerkschaften und SPD zusammengearbeitet. Groener kannte den SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert persönlich, beide schätzten sich.
Reichskanzler von Baden, Groener und Ebert einigten sich auf eine Art politischen Kuhhandel, bei dem das Kaiserreich fortbestehen würde. Wilhelm II. sollte abtreten, sein Sohn, Kronprinz Wilhelm, sollte auf die Nachfolge verzichten. Der Enkel, ebenfalls mit dem Namen Wilhelm, sollte am seinem 18. Geburtstag im Jahre 1924 den Kaiserthron besteigen. Die Verfassung von 1871 bliebe, in parlamentarisierter Form, in Kraft, Max von Baden sollte als Regent Staatsoberhaupt werden und Ebert Reichskanzler.
Die „soziale Revolution“, die Ebert so fürchtet, fände nicht statt, die „alten Eliten“ hätten, um den Preis demokratischer Reformen und eines SPD-Kanzlers, viele ihrer Privilegien retten können. Das Dumme an diesem Plan: bis auf den rechten Flügel der SPD, einige Liberale und eine handvoll pragmatischer Militärs hatte er praktisch nur Gegner. Kaiser Wilhelm II. wäre nicht Wilhelm II. gewesen, wenn er die Pläne nicht trotzig abgelehnt hätte.
Groener war für Baden und Ebert ein gefährlicher Bündnisgenosse, denn der General wollte die Aufstände (die bis dahin eher friedlich verlaufen waren) mit militärischen Mitteln niederschlagen. Neben dem unruhigen Berlin gilt ihre Sorge München, wo nach Eberts Befürchtung eine Sowjetrepublik nach dem Vorbild der „Oktoberrevolution“ entstehen könnte. Baden und Groener hielten ohnehin, bei allem Respekt vor Ebert, herzlich wenig von „den Roten“. Alle drei fürchteten nach dem 6. November eine Abspaltung Bayerns vom Reich, Groener plante bereits, den „Freistaat Bayern“ militärisch niederzuschlagen.
Die Truppen, die notfalls gewaltsam „für Ordnung“ sorgen sollten, war aber weiterhin an Westfront und Ostgrenze gebunden, daher war aus Groeners, aber auch Eberts, Sicht ein schneller Waffenstillstand nötig. Die Chancen dafür standen nicht schlecht, denn am 6. November traf ein Telegramm aus Washington ein, das Oberkommando der Allierten in Compièngne wäre bereit, eine deutsche Delegation zu empfangen.
Die Verhandlungen sollte ein Zivilist, der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger, führen. Damit war, wahrscheinlich ohne Absicht, ein Teil von Ludendorffs Plan verwirklicht worden: nicht die militärische Führung, sondern die Zivilregierung kapitulierte.
Inzwischen erreichten bewaffnete revolutionäre Matrosen Berlin, wo bereits Arbeiter- und Soldatenräte gebildet wurden.
Teil 4: Das Ende des Kaiserreiches