Odins Auge Artikel

Das Jul-Problem – Braune Weihnachten

Teil 1 – „Wie heidnisch ist Weihnachten?“

Die NS-Weihnacht lehnte sich sowohl an die “traditionelle deutsche Weihnacht” als auch an nationalromantisch-(pseudo-)heidnische Vorstellungen an.
Im 19. Jahrhundert hatte sich die “bürgerliche deutsche Weihnacht” als Familienfest mit geschmücktem Baum in der guten Stube, Bescherung und üppigem Essen herausgebildet. In die selbe Zeit fällt auch die Epoche der Nationalromantik , die in Deutschland mit einer wahren “Germanen-Manie” verbunden war.

Die Nationalromantik
Da über die authentischen Feste und Bräuche der Germanen damals noch weit weniger bekannt war als heute (und auch heute ist das Wissen bruchstückhaft), ergänzten Vermutungen, Spekulationen, Projektionen und freihändige Erfindungen die mageren Fakten. Es entstanden “Wunschgermanen”, je nach Vorliebe in den Ausführungen “edle Wilde”, “todesmutige Krieger” oder “Kulturschaffer aus dem Norden”. Ab der Biedermeierzeit wurden auch “germanische” Sonnenwendfeiern “wiederbelebt”, oder besser, auf der Grundlage weniger Quellen neu erschaffen. Selbst gewissenhafte Gelehrte wie die Gebrüder Grimm erlagen dem “Germanenkomplex”: neben vielen verdienstvollen Beiträgen zur Mythenforschung finden sich z. B. in Jacob Grimms “Deutscher Mythologie” auch aus heutiger Sicht allzu kühne Interpretationen. So ist die von Grimm postulierte germanische Frühlingsgöttin Ostara eher ein Produkt der Spekulation als der Quellenforschung. Schon Zeitgenossen machten sich über den Hang der Grimms lustig, jeden bunten Hahn und jede schwarze Katze in Volksmärchen als “germanische Gottheit” zu deuten.

Verhängnisvoller als die sich herausbildende “altgermanische” Fantasiewelt der Nationalromantik wirkt bis heute die nationalistische Gleichsetzung von “germanisch” und “deutsch”. Einerseits, weil es die slawischen, romanischen, keltischen usw. Vorfahren “der Deutschen” unterschlägt, andererseits, weil auch Dänen, Engländer, Isländer, Niederländer, Norweger, Schweden usw. nach Sprache und Kultur “Germanen” sind – sich aber in Mentalität, Selbstverständnis und Geschichte drastisch von den Deutschen unterscheiden.

Übrigens entwickelte sich auch in Nordeuropa, in Dänemark, Norwegen und vor allem in Schweden, ein nationalromantischer “Germanenkult” mit allen Begleiterscheinungen – nur als Warnung für jene, die glauben, alle Jul-Bräuche “aus dem Norden” seien garantiert authentisches nordgermanisches Brauchtum!

Kalkulierte Geschichtslügen – Nazideutsche Weihnachten
Einen traurigen Höhepunkt erreichte die in “völkischen Kreisen” seit Mitte des 19. Jahrhunderts verbreitete Legende vom “germanischen Weihnachtsfest” in der Nazizeit. Hier geriet die Legende vollends zur kalkulierten Geschichtslüge.
Ungeachtet der Quellenlage wurde von offiziellen Stellen (vom Propagandaministerium über den Schulungsdienst der Hitlerjugend über den Lehrerbund bis zum Oberkommando der Wehrmacht) vehement ein durch und durch “urdeutsch / germanisches” Weihnachtsfest propagiert.

SS-Julleuchter
Julleuchter – ein beliebtes Geschenk Himmlers an verdiente SS-Angehörige.
Vorbild war ein archäologischer Fund aus Schweden – die Fund-Deutung als „Julleuchter“ ist umstritten.

Die “Julfeier” am Tag der Wintersonnenwende war zwar keine Propagandaerfindung der Nazis, ihre Ausgestaltung und ideologischer Inhalt schon. Das Fest sollte überall im Reich nach einer einheitlichen Inszenierung ablaufen: Schweigemarsch, Entzünden des Julfeuers, Kranzwurf, Ahnengedenken, Lichtersprüche usw. Die Verbindung zwischen dem öffentlich gefeierten Julfest und dem familiären Weihnachtsfest sollte ein frei erfundenes “altes” Ritual, genannt “Heimholung des Julfeuers” schaffen: am öffentlich brennenden Julfeuer sollten die Kerzen für den heimischen Tannenbaum entzündet werden.
Wenn auch das “Vollbild” dieser nationalsozialistischen Julfeier abgesehen von Feiern der SS oder der Partei kaum realisiert wurde, wirkt die “normale” NS-Weihnacht bis heute nach. Vor allem die militärisch inszenierte “Soldatenweihnacht” der Kriegsjahre hinterließ bleibende Eindrücke. Auch viele der “traditionellen” Weihnachtsmärkte verdanken ihre Existenz den NS-Propagandabteilungen. Selbst in den bekanntesten Weihnachtsmarkt, den Nürnberger Christkindlmarkt, griff die Reichsleitung der NSDAP ein – so wurde der Markt auf “Führerwunsch” in die Innenstadt verlegt, genaue Vorschriften zur Gestaltung der Stände und des Sortiments erlassen usw. – ein eher banaler weihnachtlicher Jahrmarkt wurde zum “einzigartigen nationalen festlichen Ereignis” uminszeniert.

Die Langzeitwirkung der „braunen Weihnacht“
Elemente der nationalsozialistische Weihnachtsideologie haben sich bis heute erhalten. NS-Propaganda ist die Deutung des Adventskranzes als “germanischer Jahreskranz” – der Adventskranz wurde erst im 19. Jahrhundert eingeführt, und zwar von Johann Hinrich Wichern am “Rauhen Haus” in Hamburg. Auch die “blaue Kerze” im Gedenken an fern der Heimat feiernde Freunde wurde ursprünglich für die fern des Reiches feiernden “Volksdeutschen” entzündet. Typisch für das Ahnenerbe der SS war die religionsgeschichtlich absurde Vorstellung, der Nikolaustag am 6. Dezember sei ursprünglich das Wodansfest gewesen.

Schwerer wiegt, dass die Weihnachtsideologie der Nazizeit, die praktisch alle Weihnachtsbräuche im “germanischen” Sinne uminterpretierte, Eingang in die Handbücher und Lexika der damaligen Zeit fanden. Auch nach 1945 wurde diese Bücher benutzt, so dass die NS-Interpretation in viele Bücher und Artikel der Nachkriegszeit Eingang fand – oft ohne dass den jeweiligen Autoren bewusst war oder ist, dass die vermeintliche “volkstümliche Überlieferung” aus den Giftküchen von Goebbels Propagandaministerium oder der SS-Stiftung “Ahnenerbe” stammt.
Schon seit einiger Zeit finden sich Versatzstücke aus der NS-Weihnachtsideologie nicht nur “per Zufall” in Büchern und Zeitschriften, sondern auch offensichtlich beabsichtigt in unverdächtigen “Hausbüchern für die Weihnachtszeit”.
Ein markantes Beispiel ist das vor einigen Jahren im Arun-Verlag erschiene Buch “Geweihte Nächte” von “Björn” Ulbrich. Andere Weihnachtsbücher, die Fragmente (neu-) rechten Denkens und reichlich Weihnachtliches aus der NS-Festliteratur enthalten, sind “Weihnachten feiern” (”Fêter Noel”) von Alain de Benoist, dem “Vordenker” der neuen Rechten oder Dieter Muniers “Hausbuch Deutsche Weihnacht”. Auch „echte“ Neonazis wie der Ober-Artgemeinschafter Jürgen Rieger nehmen sich des Themas “Julfest” in Buchform an: “Weihnachten – Brauchtum im Artglauben”.

Judith Breuer, Autorin des für den Einsatz in Schule und Erwachsenenbildung konzipierten Buches „Von wegen Heilige Nacht! – Das Weihnachtsfest in der politischen Propaganda“ (Verlag an der Ruhr 2000), vermutet nicht ohne Grund eine Strategie hinter solchen Weihnachtsbüchern mit braunen Einsprengseln. Die Weihnachts-Propaganda ist „unverdächtig“, denn wer vermutet schon rechtsextremistische Inhalte in Weihnachtsbüchern? Mit der Weihnachtspropaganda erreicht die „Neue Rechte“ auch Zielgruppen, die sich von ihrem Gedankengut sonst mit Grausen abwenden würden: traditionell eher links gerichtete Kreise aus der Öko-Bewegung, “unpolitische” Esoteriker, zivilisationkritische Naturreligiöse.

Zumindest im Falle der Neuen Rechten aus dem Benoist-Lager dürfte Frau Breuer mit ihrem Verdacht, dass das Weihnachtsfest im metapolitischen Konzept (kulturelle Vorherrschaft, Besetzen von Schlüsselbegriffen usw. ) instrumentalisiert werden soll, recht haben. Darüber, ob auch ein Stefan “Björn” Ulbricht politische Ziele hat, lässt sich nur spekulieren – dass sein Buch dazu beiträgt, “völkisches” Gedankengut stückweise salon- bzw. wohnzimmerfähig zu machen und somit metapolitisch wirkt, ist eindeutig.

Erosion der Abgrenzung durch Julfeiern?
In einem Punkt ist der Ansatz der Autorin problematisch: Die nicht zu bezweifelnde Tatsache, dass es über die tatsächlichen Festgebräuche der “alten Germanen” recht wenig gesichertes Wissen gibt, interpretiert sie in dem Sinne, dass alles, was an “germanischen Bräuchen” kursiert, freie Erfindung (zu Propagandazwecken) sei. Das stimmt nicht!

Selbst wenn z. B. die Schilderung einer germanischen Feier in einem Jugendbuch mit der auf einer neurechten Website übereinstimmt, heißt das nicht, dass besagte Schilderung rechtsextrem sei. Sie könnte z. B. ohne weiteres in beiden Texten aus der historischen Fachliteratur übernommen worden sein. Ebensowenig folgt aus der Tatsache, dass Weihnachten kein “urwüchsig-germanisches” Fest ist, dass jede Art von heidnischer Deutung des Weihnachtsfestes auf die Nazis zurückgehen würde. Es ist auch nicht wahr, dass es überhaupt keine germanischen Traditionselemente im Weihnachtsfest gäbe.
Damit schießt Frau Breuer, die eine “Erosion der Abgrenzung” gegen Nazi-Traditionen feststellt, über das Ziel hinaus. Sie meint z. B. dass es sich um nationalsozialistisches Gedankengut handle, wenn in einer pädagogischen Fachzeitschrift ein Text steht, in dem behauptet wird, dass das Weihnachtsfest “altes germanisches Brauchtum mit christlich geprägten Vorstellungen” vereint.

(…) 3. Erschwert wird eine saubere Abgrenzung und Stellungnahme gegen das “Julfest” im nationalsozialistischen Sinne außerdem durch die begriffliche Vermischung mit dem skandinavischen “Jul”, eingedeutscht “Julfest” als Feier der (v.a.) schwedischen Weihnacht. Dieser “Julfest” Begriff im Sinne skandinavischer Lebensart ist hierzulande inzwischen weit verbreitet (”IKEA Phänomen”) und auch absolut positiv besetzt.

Und weiter unten zum selben Punkt noch schärfer:

(…) Die in den letzten Jahren sprunghaft angestiegene, aber vielfach unkritische Verwendung des Begriffes “Julfest” im alltäglichen Sprachgebrauch ist ein Beispiel für die Besetzung und Umwertung von Schlüsselbegriffen (”kulturelle Hegemonie”).

Ihr Problem ist offensichtlich, dass ein Begriff, den sie in Deutschland bislang eindeutig als rechtes Schlüsselwort angesehen hat, offensichtlich doch nicht so eindeutig verwendet werden kann. Anstatt ihren Schlüsselwortkanon infrage zu stellen, sieht sie stattdessen im Wort “Jul” einen Beweis für den Einzug rechtsextremer Begriffe in den sprachlichen Normalraum.
Dieses Wort kann überhaupt nur im Deutschen als Nazibegriff gedeutet werden. Damit sieht sie im Prinzip den skandinavischen Sprachraum, wo dieser Begriff schlicht Alltagssprache ist – und daher auch als übernommenes Fremdwort unproblematisch sein sollte – völlig durch die “deutsche Brille”.
Überspitzt hieße das: “Wer schwedische Weihnachtbräuche samt den dazugehörigen Begriffen aufgreift, der schwächt die Grenzbefestigung zu den Rechtsextremisten.”
Sie torpediert dadurch, dass sie sich auf Reizworte konzentriert, die als Beweise für rechte Ideologie herhalten sollen, unnötigerweise ihre Argumentation, denn ihre Gegner könnten sie – wegen einiger offensichtlich fragwürdiger Schlüsse – schnell in die Ecke der nicht ernst zu nehmenden “Nazi-Hysteriker” stellen, in die diese verdienstvolle Aufklärerin nun wirklich nicht gehört.

Auch in der NS-Zeit gebräuchliche Reizworte wie “Sinngebäck”, “Lichtersprüche” oder “Jahreskranz” sind sicher Indizien dafür, das es ratsam ist, den besagten Text inhaltlich auf “rechtes Gedankengut” abzuklopfen, aber keine hinreichenden Beweise, dass er wirklich rechtsextreme Ideologie enthält.
Begriffe wie “Julfest”, “Sonnenwendfeier” oder “germanisch” sind, für sich genommen, noch nicht einmal Indizien für rechtes Gedankengut.

Martin Marheinecke, Dezember 2003, überarbeitet im September 2008

2 Gedanken zu „Das Jul-Problem – Braune Weihnachten

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