Aus den Augen aus dem Sinn
Zensur ist das neue Allheilmittel, dass von der Politik gegen das böse Internet, in dem sich Terroristen und Pädophile tummeln, auserkoren wurde – genauer gesagt: Filterung. Also Ausblenden von Inhalt beim Provider, nach einer Liste, die vom Bundeskriminalamt geliefert werden soll. China als leuchtendes Vorbild.
Kinderpornografie wird also dadurch bekämpft, dass Teile des Internets für den normalen Surfer nicht mehr erreichbar sein sollen. Offensichtlich glaubt man, dass Kriminelle dann nichts Kriminelles mehr machen, wenn allen der Blick auf Teile des Internet verwehrt wird. Kriminalität verschwinden lassen quasi durch Wegsehen. Oder auch: Kriminelle ärgern sich und können nichts mehr böses tun, wenn man nur genug Menschen, die mit diesen Sachen nichts zu tun haben, in ihrer Bewegungs- und Informationsfreiheit einschränkt? Die Logik ist hanebüchen, jeder mit etwas gesundem Menschenverstand fragt sich, ob da bei Politikers eigentlich jetzt die letzte Hirnzelle einen einsamen Tod gestorben ist und ob man nun lachen, weinen oder schreien möchte: Anstatt tatsächlich Kriminelle zu jagen und kriminellen Handlungen zu begegnen beschneidet man den Unbescholtenen – wieder einmal mehr – Rechte und Möglichkeiten.
Ein Schelm, wer böses dabei denkt, wenn die Planer sich die Möglichkeiten dessen, was „Filterungswürdig“ sein und werden könnte, für die Zukunft noch weiter offen halten. Der Begriff „illegale Inhalte“ ist am Ende ja beliebig weit dehnbar.
Wohin das – sehr schnell – führt demonstriert Vorreiter England gerade überdeutlich, indem die dortige Zensur mal eben das Internetarchiv „Archive.org“ wegen der im Angebot integrierten „wayback machine“ komplett sperrt und damit alle britischen User von dieser dieser wertvollen Recherchequelle, die neben dem Archiv alter Internetpräsenzen auch über weitere riesige Datenarchive zu Musik, Texten und Filmen verfügt und sie der Öffentlichkeit gratis zugänglich macht, abschneidet.
Das ist am Ende nämlich das Problem, wenn man anfängt zu zensieren: am Ende sitzt da jemand, der die Macht hat, den „Wert“ von Information zu bestimmen und im Zweifel allen anderen vorzuenthalten. Auch Großbritannien führte den Filter ein, um „Kinderpornografie zu bekämpfen“ – und sperrt nach dem größten freien Lexikon des Netzes nun mal mir nichts dir nichts das größte freie Archiv im Internet.
Da bestimmt am Ende jemand, was man sich ansehen darf und was nicht – und der Fall des Scorpions-Covers zeigt, dass es wieder die Kunst sein wird, die zuerst unter Zensur wird leiden müssen. Wer bestimmt, wie weit Kunst geht, was Kunst ist, was Kunst darf? Unmoralisch? Provokativ? Geschmacklos? Am Ende wieder: entartet. Denn wäre das „Kinderpornografie“, wo ist die Anzegige gegen die Scorpions? Wurde jemand von Wikipedia verhaftet oder angeklagt? Nein, es wurde nur gesperrt. Und genau das zeigt, dass es bei dieser „Technik“ eben um eines am Ende genau nicht geht: Kriminelle zu bekämpfen und ihre Taten zu ahnden.
Deutsche Politiker werden freilich aus diesem Beleg dafür, dass solche technischen Zensurmaßnahmen keinen einzigen Kinderschänder von seinem Tun abhalten oder gar dingfest machen, dafür aber allen, die mit solchen Dingen nicht das geringste zu schaffen haben, empfindlich in ihren Informationsmöglichkeiten einschränkt, keinerlei Erkenntnis ziehen. Und am Ende will es dann wieder keiner gewesen sein und hat von nichts gewusst.
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