Wissenschaft

„Reinrassige Germanen“ gab es nie (noch nicht einmal „reinrassige Europäer“)

Seitdem deutsche Nationalisten Tacitus‘ „Germania“ für sich entdeckten, ist die Überzeugung, die „alten Germanen“ seien unvermischt durch Einwanderung, quasi „reinrassig“ gewesen, nicht nur in völkischen Kreisen schier unausrottbar. Immer noch glauben viele Deutsche (und Österreicher) sie seien die Nachfahren von Volksstämmen, die schon seit Urzeiten in Mitteleuropa gelebt hätten und hätten deshalb einen einheitlichen kulturellen und genetischen Hintergrund.

Abgesehen davon, dass es so etwas wie Menschenrassen gar nicht gibt, ist die Vorstellung, die „Germanen“ vor der in der Römerzeit einsetzenden „Rassevermischung“ seien die echten und reinen Ureinwohner Mitteleuropas gewesen, schon lange überholt. Aber selbst jene, die über germantümelnde Rassenquassler oder „besorgte Bürger“, die Panik vor „Überfremdung“ und „Umvolkung“ schüren, nur spöttisch lächelnd die Köpfe schütteln, sind nicht vor diesem Irrtum gefeit. Auch unter ihnen halten viele die Flüchtlinge aus dem Nahen und Mittleren Osten für „völlig fremd“, für „Nichteuropäer“ im Gegensatz zu den „weißen“ Einheimischen.

Ein Artikel im Fachmagazin „Science“ unterstreicht nicht nur die alte Erkenntnis, dass es „unvermischte“ Menschenpopulationen nicht gibt, sondern auch, dass die heutigen Europäer überwiegend Nachfahren von Einwanderern sind.

Schon die „alten Germanen“ zur Zeiten „Hermann, des Cheruskers“ waren keine unvermischten Nachkommen der „Ureinwohner Europas“, also der ersten anatomisch modernen Menschen nach dem Neanderthaler. (Wobei diese gemeinhin Cro-Magnon-Menschen genannten „Ureuropäer“ letzten Endes Nachkommen von Einwanderern Afrika waren.)
Die Cheruskerkrieger Hermanns trugen das Erbgut von mindestens drei großen Einwanderungswellen in sich – und damit von Migranten aus Gebieten außerhalb Europas.

Belege für durch Migrationen geprägte Herkunft schon der „germanischen“,“keltischen“ und „proto-slawischen“ „Ureinwohner Mitteleuropas“ haben in den letzten Jahren gleich mehrere großangelegte Genstudien geliefert. Vergleiche der DNS verschiedener Populationen und von DNS-Spuren aus archäologische Funden ergaben ein unerwartet komplexes Bild der Geschichte der Europäer.
Die ersten Vertreter des anatomisch modernen Homo sapiens waren vor rund 40.000 Jahren nach Europa eingewandert. Nach Ende der letzten Eiszeit vor rund 14.000 bis 19.000 Jahren wanderten Sammler und Jäger aus dem Nahen und Mittleren Osten ein. Mit dem Übergang zur Jungsteinzeit vor rund 9.000 Jahren wanderten die ersten Bauern aus dem Nordwesten Anatoliens ein. Ackerbau und Viehzucht wurden von diesen „Ur-Ackerbauern“ nach Europa gebracht. Sie vermischten sich mit den Bewohnern des damaligen Europa und hinterließen auch genetisch ihr Erbe in nahezu jedem heutigen Europäer.
Die dritte große Einwanderungswelle folgte in der frühen Bronzezeit: Vor rund 5.000 Jahren strömten die Jamnaja, ein halbnomadisches Volk von Steppenreitern, nach Südosteuropa ein. Erst vor Kurzem enthüllten DNA-Vergleiche, dass vor allem die Männer der Jamnaja ihre Spuren im Erbgut der heutigen Europäer hinterlassen haben.
Selbst vermeintlich abgegrenzte europäische Volksgruppen wie die Basken haben sich nach genetischen Analysen als „typische Europäer“ gemischter Herkunft entpuppt.

There’s no such thing as a ‚pure‘ European—or anyone els

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