Die Bahn und die Erinnerungs(un)kultur
Solange es den Zug der Erinnerung gibt, so lange gibt es auch den kleinkariert-schikanösen Umgang der Deutschen Bahn AG mit dieser viel gelobten und politisch angesehenen Initiative. Der Zug der Erinnerung ist eine „rollende Ausstellung“, die an die Deportation von mehreren hunderttausend Kindern aus Deutschland und dem übrigen Europa mit der damaligen Reichsbahn in die nazideutschen Vernichtungslager erinnert.
Bisher ging es hauptsächlich um Geld – die Bahn ist dazu nicht bereit, auf Trassen- und Stationspreise zu verzichten oder (falls das aus rechtliche Gründen nicht möglich sei) durch Spenden auszugleichen – und um verweigerte Bahnhofsaufenthalte (z. B. durfte der Zug nicht im Berliner Hauptbahnhof stehen). Bisher. Denn was sich in den letzten Tagen in München abspielt, ist keine kleinkarierte Schikane mehr, sondern offene Feindseligkeit: Bericht auf br-online –
Die Bahn wartete bis zum Ende der Eröffnung durch den Münchner Oberbürgermeister Christian Ude und nutzten die anschließende Abwesenheit der Medien, um sämtliche Hinweisschilder mit den Fotos der Opfer zu beschlagnahmen. Vor den Ausstellungswagen ließen sie bewaffnete Sicherheitskräfte aufmarschieren – angeblich um „Schutz vor Rechtsradikalen“ zu leisten. Der traurige Höhepunkt war eine angebliche Überprüfung, weil aus der Lok Flüssigkeit ausgetreten sei und man feststellen wollte, ob es sich um gefährliche Substanzen handele. Tatsächlich rückte ein Katastrophenschutzteam an und streute gekörntes Bindemittel in das Gleis und auf das komplizierte Antriebsgestänge der Dampflok, der 90 Jahre alten P8 „2455 Posen“, einer der ältesten fahrtüchtigen Dampfloks Deutschlands.
Zug der Erinnerung – Medienberichte.
Anfangs sah es noch so aus, als ob die Deutschen Bahn so täte, als könnte das Bekenntnis zur eigenen Geschichte den „guten Ruf beflecken“. Inzwischen hat die Bahn aber so viel schlechte Presse wegen ihres Verhaltens erhalten, dass sie ihren ohnehin vom Abhörskandal gebeutelten Ruf mit den Münchner Vorgängen geradezu mutwillig ruiniert. Wenn es der DB tatsächlich um ihren Ruf gegangen sein sollte, ist das ein grob fahrlässige verursachtes PR-Desaster der Güteklasse A.
Was ist es, außer schlechter PR? Ein weiteres Ergebnis des selbstherrlichen Führungsstils des nun ehemaligen Bahnchefs Hartmut Mehdorn? Eine Trotzreaktion? Eine Machtprobe?
Ich fürchte, der Grund liegt tiefer. Er liegt zum Teil bei jener „Verdrängungskultur“, die auch in anderen deutschen Großunternehmen mit „brauner Vergangenheit“ zu finden ist: „Wir haben freiwillig (also unter öffentlichem und politischen Druck) in den Zwangsarbeiterentschädigungs-Fond gezahlt, also haben wir wieder eine weiße Weste. Und überhaupt ist die Deutsche Bahn AG ja ein ganz anderes Unternehmen als die Reichsbahn.“
Aber das erklärt noch nicht alles. Denn die rollende Ausstellung ist anders als die üblichen Museums- und Gedenkstätten-Schauen. Der „Zug der Erinnerung“ steht buchstäblich mitten im Alltag – nicht im umhegten Raum der Gedenkstätten. Vor allem führt er drastisch vor, dass der Holocaust nicht nur ein Werk überzeugter Nazi-Fanatiker war, sondern auch, dass er ohne die Unterstützung normaler, meist „unpolitischer“, oft nicht einmal sonderlich antisemitischer deutscher Bürger niemals durchführbar gewesen wäre. Ohne die zahllosen Weichensteller, Lokführer und Fahrdienstleiter hätten die Züge in den Tod ihr Ziel nie erreicht. Es waren die tief verwurzelten autoritären Strukturen des deutschen Reichs und die seiner Reichsbahn, die das ermöglichten.
In einem Unternehmen, das seinen eigenen Mitarbeitern, bis hinunter zum Schaffner, hinterherspioniert, ist etwas mit der Unternehmenskultur oberfaul. Die Faulstelle ist eine autoritäre bis autokratische „Herr im Haus“-Mentalität, nicht nur des Ex-Vorstandsvorsitzenden Mehdorn. Daran erinnert zu werden, wohin autoritäre Strukturen, gerade bei der Bahn, führen, muss sie peinlich berühren.
Zur Ergänzung: Die Bahn soll erhobene Gebüren an den „Zug der Erinnerung“ spenden.
Zur „Erinnerungskultur“ der Deutschen Bahn:
Streit um „Zug der Erinnerung“ eskaliert – Verein fordert die Schließung der NS-Abteilung im Nürnberger DB-Museum.
»Erst durch das Leugnen entsteht ein Imageproblem«.
Es geht hier nicht um ” Schuld “. Nicht um Schuld der Deutschen Bahn, nicht um Schuld des Einzelnen, erst recht nicht um Schuld aller – und der Begriff ”Kollektiv-Schuld” ist schlicht Unsinn.
Es geht vielmehr um Verantwortung. Um die Bereitschaft, zur vergangenen Verantwortung zu stehen. Und um die, sich der Verantwortung für die heute Lebenden zu stellen. Da drückt sich die Bahn leider.