2. Eine im 19. Jahrhundert neu begründete „echte“ Tradition: Der Adventskranz

8. Dezember 2017 | Von | Kategorie: Kultur & Weltbild

Neue Traditionen

Im Gegensatz zu erfundenen Traditionen im Sinne Hobsbawms stehen neu begründete Traditionen.
Jede noch so alte Tradition muss irgendwann einmal von irgendjemandem begründet worden sein, da sie sich schwerlich im Zuge der biologische Evolution parallel zum aufrechten Gang und dem weitgehenden Verlust des Fells über Jahrmillionen herausgebildet haben kann. Auch wenn manche Traditionen, insbesondere solche aus monotheistischen Religionen, gern auf „göttliche Offenbarung“ zurückgeführt werden, können sie nicht einfach fix und fertig vom Himmel gefallen sein. Und so, wie manche Traditionen verschwinden, bilden sich immer wieder neue Traditionen heraus. Der entscheidende Unterschied zur „erfundenen Tradition“: Eine neue Tradition ist erst einmal keine!

Eine Tradition, von der sich eindeutig sagen lässt, wann und von wem sie begründet wurde, die buchstäblich einen Erfinder hat, und die dennoch „echt“ ist, ist der Adventskranz.

Nicht nur in heidnischen Kreisen wird der Adventskranz gern für ein uraltes Jahreskreis-Symbol gehalten. Und in der Tat liegt so eine Symbolik nicht fern: Liegt es nicht nahe, den Jahreskreis oder das Jahresrad irgendwie auch durch Tannenzweige darzustellen? Könnten die vier Kerzen nicht für die Jahreszeiten, die Elemente und die Himmelsrichtungen stehen?

Solche Deutungen finde ich als Teil einer synkretistischen Spiritualität – beziehungsweise einer in seltener Einigkeit von überzeugt religiösen Christen und überzeugt atheistischen Religionskritikern abfällig so genannten Patchwork-Religion – sehr sympathisch. Es sind aber Umdeutungen. Eine gute Freundin stellte in ähnlicher Neuinterpretation einen Schoko-Nikolaus als „Odin“ auf ihren improvisierten Jul-Altar. Historisch gesehen ist aber die Behauptung, der Adventskranz sei ein uraltes heidnisches Symbol, so hohl wie besagte Schokoladenfigur.

Der Erfinder des Adventskranzes

Der Adventskranz hat in der Tat einen bestimmten Erfinder, nämlich den evangelisch-lutherischen Theologen, Erzieher und Mitbegründer der „Inneren Mission“ und Begründer der Evangelischen Diakonie, Johann Hinrich Wichern (1808–1881). Es lässt sich auch mit einiger Sicherheit sagen, wo und wann der erste Adventskranz aufgehängt wurde: 1839 im „Rauhen Haus“.

Johann Hinrich Wichern
Johann Hinrich Wichern

Der Hamburger Theologe Wichern gehörte zu jenen Christen, die die „Nächstenliebe“ nicht nur predigten, sondern auch tatkräftig praktizierten. Im exportorientierten Hamburg und den damals zu Dänemark gehörenden Nachbarstädten Altona und Wandsbek setzte die „Industrielle Revolution“ früher ein als in den meisten Teilen des durch unzählige Zoll- und Währungsgrenzen geteilten „Deutschen Bundes“ (der teils noch aus politisch in der feudalen Vergangenheit lebenden Fürstentümern bestand). Dem durch Handel und Industrie enorm reich gewordenem, gar nicht biederem Großbürgertum der Biedermeierzeit stand das geballte proletarische Elend der frühen Industriezeit gegenüber.
Wichern, der das Kind gerade noch als Kleinbürger geltender „einfacher Leute“ war und schon als 15-Jähriger als Privatlehrer arbeiten musste, lernte während seines Studiums zahlreiche Menschen kennen, die sein späteres Leben und Wirken sehr beeinflussten, unter anderem die Theologen Schleiermacher und Neander sowie den Arzt Nikolaus Heinrich Julius. Letzterer hatte vor allem Einfluss auf Wicherns Engagement in der preußischen Gefängnisreform. Als Erneuerer des Gefängniswesens biss der engagierte junge Theologe bei den Behörden auf Granit, mehr Erfolg hatte er als Sozialreformer. Wichern war nach der Aussage seiner Mitstreiter ein umtriebiger Mensch, der von der simplen Idee beseelt war, Menschen retten zu wollen.

Die andere Seite Wicherns war sein missionarisches Pathos. Er stand den konservativen protestantischen „Erweckungsbewegungen“ nahe, die sich gegen einen aufklärerischen Rationalismus wendeten. Politisch war er weniger konservativ: er empörte sich gegen die Unfähigkeit der Kirchen und des Staates, auf die Armut und die katastrophalen Zustände in den Industriegebieten angemessen zu reagieren.

1832 erlebte Wichern als Sonntagsschullehrer die Not im Armenviertel der Hamburger Vorstadt St. Georg aus nächster Nähe. Die Menschen – besonders die Kinder – lebten hier unter entsetzlichen sozialen und hygienischen Bedingungen. Für Wichern stand fest, dass er vernachlässigten Kindern am besten helfen könnte, indem man sie aus den städtischen Elendsverhältnissen herausführte.
Für seine Idee eines „Rettungshauses“ fand er die Unterstützung des reichen, aber dennoch sozial engagierten hamburgischen Senatssyndikus Karl Sieveking. Sieveking besaß ein Flurstück im damals noch ländlichen Horn, heute einem Stadtteil Hamburgs. Zu dem Stück Land gehörte auch eine Bauernkate, die von alters her „Ruges Hus“ genannt wurde, was irgendwann einmal als „Rauhes Haus“ verhochdeutscht geworden war.
Hier gründete 1833 der damals gerade 25-jährige Lehrer und Theologe sein Haus zur „Rettung verwahrloster und schwer erziehbarer Kinder“. Beide Seiten Wicherns – der eifrige bis eifernde „innere Missionar“ und der pragmatische, politisch denkende Helfer – spiegelten sich in seiner Gründung wider.

Das Rauhe Haus war keines der damals üblichen Arbeits- oder Waisenhäuser, sondern eine Einrichtung, in der die „Zöglinge“ in familienähnlichen Verhältnissen aufwachsen sollten. Hier wurden Kinder und Jugendliche aufgenommen, die straffällig geworden waren oder vernachlässigt oder verwahrlost waren. Das Ziel der Arbeit im Rauhen Haus war es, die „Zöglinge“ zu befähigen, ihren Platz im Leben zu finden und auf eigenen Füßen zu stehen. Wichern beschränkte sich darauf, dass die jungen Menschen auf das harte Leben in Armut vorbereitet wurden. Ein „Sozialrevolutionär“, der die Ursachen der Armut anging, war er, da er pragmatisch seine Grenzen erkannte, aber wohl auch aus seiner konservativen Gesinnung heraus, nicht. Die Arbeit im Rauhen Haus sollte nach Wichern ausschließlich von der christlichen Gemeinde bezahlt werden und ohne staatlichen Zuschuss erfolgen – Wichern misstraute den „weltlichen Obrigkeiten“.
Unterwiesen wurden die „Zöglinge“ von den „Brüdern“ – von Wichern ausgebildete Männer, zumeist Handwerker – die mit ihnen zusammenlebten. Die Einrichtung hatte von Anfang an großen Zulauf und entwickelte sich auch über die Grenzen Hamburgs hinaus zu einem Vorbild moderner Jugendfürsorge. Anderseits war es Wichern enorm wichtig, die jungen Menschen vor „üblen Einflüssen“ zu isolieren und zu vorbildlichen frommen Christen zu erziehen.

Mit der Professionalisierung des Dienstes am Nächsten legte Wichern den Grundstein für das Diakoniewesen und war einer der Begründer der modernen Sozialpädagogik. Die im Rauhen Haus ausgebildeten Gehilfen oder „Brüder“ arbeiteten bald in ganz Deutschland und verbreiteten so auch Wicherns Ideen.

Genug des erklärenden Hintergrund-Exkurses. Kommen wir endlich zum Adventskranz!

Gemeinschaftliche Feiern und feierliche Gottesdienste waren wichtige Bestandteile der Erziehung im Rauhen Haus. Die Idee zum Adventskranz soll Wichern gekommen sein, als ihn die Kinder während der Adventszeit immer gefragt hätten, wann denn endlich Weihnachten sei. Jedenfalls baute er 1839 aus einem Wagenrad einen Holzkranz mit 20 kleinen roten und vier großen weißen Kerzen als Kalender. Jeden Tag der Adventszeit wurde eine weitere Kerze angezündet, an den Adventssonntagen je eine große Kerze, sodass die Kinder die Tage bis Weihnachten abzählen konnten. Der Holzkranz wurde einige Jahre später durch einen Kranz aus Fichten- oder Tannengrün ersetzt. Dieser große Adventskranz mit bis zu 28 Kerzen ist praktisch nur in Norddeutschland verbreitet, und zwar fast nur in Kirchen. In der Advents- und Weihnachtszeit hängt so ein großer Kranz beispielsweise im Kirchenraum des „Michels“, der Sankt-Michaelis-Kirche in Hamburg, und natürlich im Rauhen Haus.
Da so ein mächtiger, über einen Meter durchmessender Lichterkranz für den Hausgebrauch doch etwas unhandlich war, kam ab etwa 1860 eine kleiner Ausführung, der Adventskranz mit vier Kerzen, auf.

Adventskranz, in der von Wichern eingeführten Form
Der wichernsche Adventskranz
CC BY 2.5

Es waren evangelische Familien Norddeutschlands, in denen der adventliche Zeitmesser den privaten Raum erreichte. Anfangs war das feierliche Entzünden der Adventskerzen in diesen frommen Kreisen mit einer Art Hausliturgie nach wichernschem Vorbild verbunden, mit Gesang, Gebet und selbstverständlich Bibellesung. Weniger glaubenseifrige Zeitgenossen übernahmen den festlichen Vorfreudeverstärker, allerdings mit deutlich reduzierter „Liturgie“. Indem der von Wichern initiierte Brauch sich seitdem durch Mundpropaganda und Nachahmung verbreitete und von Generation zu Generation weitergegeben wurde, wurde er zur echten, wenn auch jungen, Tradition.

Erst Ende des 19. Jahrhunderts breitete sich diese neue Tradition auch in katholischen Gegenden aus. Die naturbegeisterte Jugend- und Kunsterzieherbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts trug viel dazu bei, den Adventskranz populär zu machen. Jugendstil-Weihnachtkarten hatten immer wieder den immergrünen Kranz als Motiv. Im Ersten Weltkrieg schließlich erlebten katholische Soldaten in Lazaretten, wie evangelische Krankenschwestern den Adventskranz aufhingen. Wie die „Kriegsweihnacht“ generell führte das dazu, die zuvor ziemlich rigiden Grenzen zwischen den christlichen Konfessionen abzubauen: Eine Art „Schützengrabenökomene“ bildete sich heraus, und der Adventskranz war nach 1919 sogar in den „erzkatholischen“ Gegenden zu finden.

1925 wurde dann zum ersten Mal ein Adventskranz in einer katholischen Kirche aufgehängt, und zwar sicher nicht zufällig in einer der Hochburgen des liberalen „rheinischen Katholizismus“, in Köln. In Gegenden, in denen strengere Richtungen des Katholizismus dominierten, wurde der Adventskranz noch lange Zeit von der Kanzel herab bekämpft, unter anderem auch mit der Behauptung, dies sei ein „heidnischer Brauch“, der in einer gut christlichen Familien keinen Raum haben dürfe.
Das könnte eine der Ursachen dafür sein, wieso die Idee, der Adventskranz sei „heidnischen Ursprungs“, so weit verbreitet ist.

Mögliche und unmögliche Vorläufer

Ob Wichern sich auch von jüdischen Chanukka-Leuchter zu seiner Erfindung inspirieren ließ, ist umstritten. Immerhin waren Hamburg, Altona und Wandsbek Hochburgen des liberalen Reformjudentums, das dort ziemlich selbstbewusst und patriotisch auftrat. In vielen assimilierten jüdischen Familien bürgerten sich vom christlichen Weihnachtsfest übernommene Bräuche zwischen Gänsebraten und Tannenbaum ein, sie feierten „Weihnukka“. Umgekehrt übernahmen ihre christlichen Nachbarn einige Bräuche jüdischen Ursprungs, zum Beispiel in Öl gebackene Speisen wie Krapfen oder Kartoffelpuffer als traditionelles Weihnachts- und Silvesteressen.
Am ersten Chanukkaabend wird ein Licht entzündet, und an jedem weiteren Abend ein Licht mehr, so dass am achten Abend insgesamt acht Lichter angezündet werden. Zu diesem Zweck wird ein Chanukkaleuchter mit acht Flammen verwendet. Die Kerzen werden sobald am Himmel die ersten Sterne zu sehen sind sofort nach dem Abendgebet angezündet. Solange die Lichter brennen, ruht jede Arbeit. Die Lichter müssen mindestens eine halbe Stunde lang brennen.
Der Chanukkaleuchter muss so aufgestellt werden, dass er der Öffentlichkeit ins Auge fällt. Hinter diesem Gebot steht die Absicht, das Wunder publik zu machen.
Die Ähnlichkeit mit der evangelischen Adventskranztradition ist so stark, dass ich nicht an einen Zufall glauben möchte: Die Adventskranzkerzen werden nach einem Gebet nach Anbruch der Dunkelheit angezündet. Solange die Lichter brennen, ruht jede Arbeit. Die Lichter müssen mindestens eine halbe Stunde lang brennen und der Adventskranz wird so aufgestellt, dass er von möglichst vielen Menschen gesehen werden kann, z. B. in der Nähe des Fensters.

In Teilen Altbayerns und Österreichs hat der aus dem Norden stammende Adventskranz einen einheimischen Konkurrenten, das Paradeisl oder Paradeiserl. Es besteht es aus vier roten Äpfeln, die mit meist bemalten oder als Schnitzarbeit verzierten Stöcken zu einer Dreieckspyramide verbunden werden. Auf jedem Apfel ist eine Kerze angebracht. Jeden Adventssonntag wird eine der Kerzen angezündet. Am vierten Adventssonntag leuchtet die Kerze auf der Spitze der Pyramide. Das Paradeiserl steht, wie sein protestantisches Gegenstück, oft auf einem mit Weihnachtsgebäck, Nüssen oder Äpfeln geschmückten Teller.
Ob die Tradition des Paradeisls wirklich, wie behauptet, älter ist, als die des Adventskranzes, konnte ich nicht erhärten. Wenn ja, ist es eine mögliche Inspirationsquelle Wicherns.

Zum Santa-Lucia-Fest (14. Dezember) ist es in Schweden üblich, dass ein Mädchen, in der Familie traditionell die älteste Tochter, die Lucia spielt. Sie trägt dabei ein weißes Gewand, ein rotes Band um die Taille und einen Kranz mit Kerzen auf dem Kopf. Obwohl heutige Lucias der Verbrennungsgefahr wegen heute überwiegend elektrische Kerzen tragen, ähnelt der Kranz einem Adventskranz. Zwar wurde das Lucia-Fest auch im damaligen Herzogtum Schleswig, vor allem von den dort ansässigen Dänen, gefeiert, allerdings wurde die schwedische Form der Lucia mit Lichterkranz dort erst im 20. Jahrhundert übernommen, sodass Wichern jedenfalls dorther keine Anregung für seinen Adventskranz finden konnte. Auch in Schweden war dieser Lucien-Brauch im 19. Jahrhundert nur regional, in Teilen Westschwedens, verbreitet – ob Wichern ihn kannte, ist ungewiss.

Kränze aus grünen Zweigen wurden bei friesischen Bauern als Abwehrzeichen gegen unheilvolle Gewalten an Türen und Fenstern aufgehängt. Allerdings ist hierbei die Wahrscheinlichkeit einer Querverbindung zum „Adventskranz“ ähnlich gering, wie die zum mittelalterlichen Kranzsingen (das im Sommer stattfand).

Wie auch immer: Überkommene Kranzbräuche, vom Brigittenkranz zu Lichtmess bis zum Entedankkranz, vom Siegeskranz bis zum Gedenkkranz, erleichterten den Siegeszug des Adventskranzes. Jedenfalls gab es von Anfang an genügend Floristen, die sich auf das Winden von Tannenkränzen verstanden. Die Floristen werden über die neue Tradition froh gewesen sein; sie wird bis heute von ihnen nach Kräften gefördert.

Völkische Traditionserfinder

Aber auch mit dem Adventskranz sind „erfundene Traditionen“ verknüpft. Die populärste, die von der „heidnische Herkunft“ des Lichterkranzes, entstammt ziemlich wilden Spekulationen völkisch gesonnenen Germanentümler und auch, im nicht zu vernachlässigen Maße, von gleichfalls völkischen Keltomanen. Das ging bis zum durch keinerlei archäologische Funde oder Schriftquellen gedeckten „Erkenntnis“, dass es bereits in der Germanenzeit einen Lichterkranz mit mehreren Kienleuchten gegeben habe.

Besonders eifrige Erfinder „uralter Traditionen“ waren, wie sollte es auch anders sein, die Nazis. Der nationalsozialistische Weihnachtskult hatte weniger das Ziel, den christlichen Glauben zu verdrängen, als das, Führerkult und übersteigerte Mütter- und „Helden-“Verehrung in das volkstümliche Brauchtum einzuarbeiten. Dennoch waren die „heidnisch-germanischen“ Elemente im braunen Weihnachts- bzw. Jul-Mystizismus reichlich vertreten, was sich nicht nur in Symbolen aus der germanischen Mythologie und Runenschmuck für den Tannenbaum niederschlug. Jedenfalls wiesen Sonnenräder aus Stroh und Weihnachtspyramiden mit Wikingermotiven mehr oder weniger dezent auf den angeblich „germanischen Ursprung“ dieses Festes hin.

Der traditionelle Adventskranz wurde von der NS-Propanganda umgedeutet, besonders auffällig in dem vom Hauptkulturamt in der Reichspropagandaleitung der NSDAP herausgebrachten Kalender „Vorweihnachten“. Die Beziehung vom „Sonnwendkranz“ mit seinen vier Lichtern zum Sonnenrad, das wiederum mit dem Hakenkreuz gleichgesetzt wurde, wurde betont – natürlich „uralt“, selbstverständlich „germanisch“, älter als das Christentum – das „Rauhe Haus“ war in diesem Kontext viel zu spät, zu christlich, zu sozial, um überhaupt erwähnt zu werden. Es gab sogar „zeitgemäße“ Lichterkränze in Hakenkreuzform!

Die NS-Weihnacht samt Vorweihnacht war eine Mischung aus NS-Symbolik, germanisch-heidnischer Mythologie, Volksbrauchtum und „entjudetem“ Christentum. Einen offenen Bruch mit der etablierten Weihnachtstradition riskierten die Obernazis nicht – wenn sie ihn denn überhaupt wollten. Die bestehende Tradition einer „deutschen Weihnacht“ zu instrumentalisieren war jedenfalls in ihrem Sinne effizienter, als die erfundene Tradtion eines pseudo-germanischen Julfestes flächendeckend zu etablieren.

Das Ganze wurde reichlich mit heroisierender Naturmystik dekoriert: In einem zum Anzünder der Kerzen vorzutragenden „Lichterspruch“ ist zum Beispiel vom „Lichterkranz“ die Rede, dessen beständiges Grün, bestückt mit den vier „Wünschelichtern“, den Sieg über den „Wintertod der Natur durch die ewige Macht des Lichtes“ darstellen würde.
Dieser Naturmystizismus, der dem Tod als existenzieller Voraussetzung für das Leben huldigte, war für die Nazi-Weihnachtszeit ungemein typisch. Es war viel von der Neugeburt des Lichtes und noch mehr von der Auferstehung des deutschen Reiches die Rede – nicht davon, dass für diese „Auferstehung“ nicht nur millionenfach gestorben, sondern auch millionenfach gemordet wurde.

Weiter: 3. Erfundene Traditionen für tradionelle Textilien.

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