Wogenrösser und Sonnensteine – Die Schiffe

24. Oktober 2008 | Von | Kategorie: Erforscht & Entdeckt

Wikinger und Drachenschiffe – das gehört zusammen wie Gin und Tonic, Currywurst und Pommes, Italien und Pasta, Kuwait und Öl. Und so geistert die Vorstellung, die alten Normannen hätten ihre spektakulären Atlantikfahrten mit diesen schlanken, offenen Fahrzeugen angetreten, nicht nur durch Filme, Romane Comics und Werbung, sondern sogar durch die populärwissenschaftliche Literatur.
Sie ist genau so falsch wie das nicht ausrottbare Klischee vom „Hörnerhelm“.
Knorr (Seitenansicht)

Wie in den meisten Epochen unterschieden sich auch bei den Wikingern Kriegs- und Handelsschiffe grundsätzlich. Die Normannenzüge waren „Blitzkriege“, die Wikingerkrieger nutzen stets das Überraschungsmoment. Infolgedessen bevorzugten sie eine „Zuschlagen- und Abhauen“-Taktik („strandhaag“) und eine „amphibische“ Kriegführung mit Landeoperationen. Ihre Seeschlachten waren eigentlich Landschlachten auf dem Wasser, Enterkämpfe. Entsprechend sahen ihre Kriegschiffe, die „Langschiffe“ aus: kombinierte Segel- und Ruderschiffe mit geringem Tiefgang, ganz auf Geschwindigkeit konstruiert.

Kaum eine Epoche der Seefahrt und des Schiffbaus vor dem 17. Jahrhundert ist so gut dokumentierbar wie die der Wikinger. Das verdankt die Archäologie teils der Sitte, Stammesfürsten und Könige in ihren Schiffen beizusetzen (z. B. das berühmte Gokstadt-Schiff), teils Unterwasserfunden in Ostseeförden, in deren brackigem Wasser Schiffsbohrwürmer nicht gedeihen und deren Bodenschlick sehr sauerstoffarm ist (z. B. die Skuldelev-Schiffe).
Die ersten vollständig ausgegrabenen Wikingerschiffe waren Grabschiffe, die ein detailliertes, aber etwas schiefes Bild des nordgermanischen Schiffbaus gaben. Diese Schiffe waren nämlich die persönlichen Schiffe der in ihnen bestatteten Häuptlinge, Jarls, Heerführer und Könige – erstaunlich viele der so bestatteten Hochedlen waren übrigens Frauen. Man fand also kleinere Kriegschiffe oder Privatjachten nach dem Muster der Kriegsschiffe, wie das reich verzierte Oseberg-Schiff. Schlichte, schmucklose Handelsschiffe wurde ebenso wenig „bestattet“ wie die großen Kriegschiffe. Es gab verschiedene Langschiff-Typen, die sich vor allem durch ihre Größe voneinander unterschieden: Skuta, Karfi, Snekka, Skeith und als größter Typ die Dreki , „Drachen“, mit bis zu 50 m Länge. Das Gokstadt-Schiff mit ca. 23 m Länge ist entweder eine große „Karfi“ oder eine sehr kleine „Snekka“, das 21 m lange Oseberg-Schiff eine „Karfi“, der zweitkleinste Typ.
Nachbauten dieser Langschiffe erwiesen sich als überaus seetüchtig und sehr schnell. Sie erreichten unter Segeln Dauergeschwindigkeiten von über 12 Knoten, ein Tempo, das erst die Schnellsegler des 19. Jahrhunderts 1000 Jahre später überbieten konnten. Ein Nachbau des Gokstadt-Schiffes schaffte schon 1892 die Atlantiküberquerung in weniger als der halben Zeit, die ein Nachbau der „Santa Maria“ des Christoph Columbus brauchte.
So konnte sich die Idee, dass die Erforschung und Besiedelung von Island und Grönland, die Vorstöße nach Nordamerika, mit Schiffen vom Gokstadt-Typ gemacht worden seien, sogar in Sachbücher einschleichen, obwohl aus Saga-Texten hervorging, dass es sowohl erheblich größere Langschiffe wie auch geräumige, bauchige Handelsschiffe, genannt „Knorr“, gab.

Erst in den 1960er Jahren wurden eindeutig als Knorren identifizierbare Schifee auf dem Grund von Ostseeförden gefunden; die am besten erhaltene Schiffe dieses Typs fand man im Roskilde-Fjord bei Skudelev in Dänemark, andere in der Danziger Bucht bei Brzeźno (Brösen) oder in der Schlei vor Haithabu. Wir wissen heute also recht gut über die Schiffe bescheid, auf denen Erik der Rote und Leif Eriksson segelten.

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Die Skudelev-Wracks, Wikingerschiffsmuseum Roskilde (Foto: Volkmar Kuhnle)

In mancher Hinsicht ähnelten die Knorre den Langschiffen. Sie waren wie diese geklinkert , das heißt, die Planken überlappten sich dachziegelartig. Als Material bevorzugte man Hartholz wie Eiche, Esche und Rotbuche, für weniger beanspruchte Teile Kiefernholz. Die Planken wurde nicht gesägt, sondern mit Keilen aus dem Stamm herausgespalten.
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Herstellung von Planken – Wikingerschiffsmuseum Roskilde (Foto: Volkmar Kuhnle)

Diese Planken waren, um Gewicht zu sparen, erstaunlich dünn, zwischen 20 und 30 mm stark – bei Rumpflängen bis zu 30 m. Da das Holz beim Spalten entlang seiner gewachsenen Fasern riss, waren die Planken sehr elastisch. Ein kräftiges Skelett aus Spanten auf einen breiten Kielbalken, der meistens von einem darüber liegenden zweitem Balken, dem Kielschwein, verstärkt wurde, verlieh den Wikingerschiffen zusätzliche Stabilität. Der leicht gebogene Kielbalken wurde aus dem Kernholz eines geeigneten Baumes gehauen, beim Kiel größeren Schiffen verdübelte man auch mehrere Balken miteinander. Es folgen die Steven, dann die Planken, die eine frei tragende Schale bildeten, erst dann wurden die Spanten eingezogen.

Die Planken waren untereinander und mit den Spanten mit Metallnieten verbunden, unter der Wasserlinie manchmal auch mit Lindenbast „vernäht“, was das Schiff sehr flexibel machte. Schon ab etwa dem 10. Jahrhundert waren die Spanten sägenartig dem Plankenprofil angepasst. Bug und Heck liefen spitz zu. Klinkerplanken in diese spitzen Steven einmünden zu lassen, ist ein schiffbautechnischen Problem. Die Wikinger lösten es äußerst elegant mit Formsteven . Ein geschickter Schiffszimmermann haute treppenförmig den Plankenansatz samt Steven aus einem einzigen Holzblock heraus.

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Steven aus der Wikingerzeit – Wikingerschiffsmuseum Roskilde (Foto: Volkmar Kuhle)

Diese Stevenbauer waren die höchstbezahlten Handwerker der Wikingergesellschaft, sie übertrafen sogar die ebenfalls oft sehr wohlhabenden Waffenschmiede und Goldschmiede. Der Mast steckte in einem großen Mastschuh, wegen seiner Form „Mastfisch“ genannt, und konnte bei Bedarf niedergelegt werden. Auch die immer an Steuerbord angebrachte Ruderanlagen aus Pinne, einen kugelgelenksartigem Lager und profilierten Ruderblatt, und die einfache, aber raffinierte Takelage mit dem einzelnen großen Rahsegel entsprechen völlig denen den Langschiffen.

Im Unterschied zu den Langschiffen wurden die Knorre breiter, kürzer und mit höherem Freibord (größerer Seitenhöhe) gebaut. Knorre hatten scharf gebaute Unterwasserschiffe, über der Wasserlinie waren sie dagegen völlig gebaut. Im Vor- und Achterschiff befand sich ein Deck für Mannschaft und Passagiere, mittschiffs lag die Ladung in einem offenen Laderaum. Die Steven waren manchmal mit Schnitzereien verziert, allerdings ohne die abnehmbaren grimmigen Tierköpfe – Drachen, Schlangen, Wölfe, Löwen, Adler, aber auch Elche, Pferde und Raben – der Kriegsschiffe.

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Nachbau eines hochseetüchtigen Langschiffes – Wikingerschiffsmuseum Roskilde (Foto: Volkmar Kuhnle)

Die kleine Skudelev-Knorr war 13,80 m lang, 3,40 m breit und mittschiffs 1,40 m hoch und hatte ca. 10 m³ Landeraum, die große Skudelev-Knorr maß 16,30 m Länge, 4,50 m Breite und mittschiffs 2 m Höhe bei ca. 35 m³ Laderaum. Auch diese „große“ Knorr dürfte zu den eher kleineren Exemplaren ihres Typs gehört haben. In der Biskupasøgar wird eine Länge von etwa 21 m für eine Knorr angegeben, der Brösen-Schiffsfund entspricht in etwa diesen Abmessungen.
Mit einem Breiten-Längen-Verhältnis von 1:4 und ihrem scharf geschnittenen Unterwasserrumpf war die Knorr ein hervorragender Segler. Mit einer spezielle Spiere, dem Breitsass , konnte das Segel schräg gestellt werden. Damit konnten die Schiffe der Wikinger sehr viel höher am Wind segeln, als dies normalerweise mit Rahsegeln möglich ist. Wie die Schiffe des Mittelmeerraumes mit ihren dreieckigen Lateinsegler segelten sie auch bei Wind „schräg von vorn“ – im Unterschied zu ihnen liefen die Schiffe der Wikinger aber auch gut vor dem Wind, bei Wind von achtern (hinten). Ein weiterer Vorteil der nordländischen Segler: Ihre Segel konnten bei Sturm problemlos gerefft, also verkleinert, werden. Mit dem tragflächenartig profilierten seitlich angebrachten Ruderblatt ließen sich die Schiffe der Wikinger hervorragend steuern. Schon ab dem 12. Jahrhundert wurden die normannischen Nefs und friesischen Hoggen, beides Weiterentwicklungen der Knorr, mit dem heute üblichen mittig angebrachten Stevenruder gebaut – als erster Schiffstyp überhaupt. (Abgesehen von den chinesischen Dschunken, die, offensichtlich unabhängig von diesen, erstaunlich viele Baumerkmale mit den nordländischen Frachtseglern gemein haben.)
Problematische Hafeneinfahrten und Flauten meisterte man mit Hilfe von vier bis sechs Riemenpaaren – eben genug, um das Fahrzeug durch Rudern voranzubringen. Die Knorr konnte notfalls von einer dreiköpfigen Besatzung gesegelt werden, in der Regel hatte sie 8 bis maximal 12 „Mann“ Besatzung (es fuhren nicht selten Frauen mit). Wenig verglichen mit den mindestens 40 Mann, die ein Schiff vom Gokstad-Typ brauchte, wenig auch im Vergleich zu den gut 30 Seeleuten eines etwa gleichgroßen Lateinseglers. Die 25 Mann, die mit Leif Eriksson segelten, erklären sich dadurch, dass seine Reise eine Erkundungsfahrt in unbekanntes Gebiet war und man die Männer notfalls als Krieger brauchte. Außerdem dürfte seine Knorr zu den größeren Schiffen ihres Typs gehört haben.

Nef und Hogge sind Abarten der Knorr, ebenso das „Windarskip“ , Wendenschiff, der westslawischen Ostseehändler. Ab dem 13. Jahrhundert entstand aus Nef und Hogge die Kogge der Hansezeit. Um 1400 wurde die Kogge zum Hulk , einem größeren, schon mehrmastigen Schiff. Die Verschmelzung von Hulk und den Schiffen des Mittelmeers brachte die Karrakke hervor – Columbus „Santa Maria“ war eine kleine Karrakke. Aus der normannischem Nef und arabischen Schiffen entwickelten die Portugiesen die Karavelle, das wichtigste Schiff der großen Entdeckungsreisen. Letztlich gingen also alle großen europäischen Segelschiffe der Neuzeit direkt oder indirekt aus der unscheinbaren Knorr hervor.
Alles im allem waren die Knorre sehr seetüchtige und leistungsfähige Schiffe. Nachgebaute Knorre überquerten den Atlantik auf der „Grönlandroute“ und ritten dabei selbst schwere Stürme ab. Sogar eine Weltumseglung gelang mit einer nachgebauten kleinen Knorr. Es gehört aber trotzdem einiges dazu, mit solchen halboffenen Schiffen den Nordatlantik, das „stürmische Nebelmeer“, zu überqueren. Ein kleiner Vergleich als Illustration: auf der „Columbus-Route“ zwischen den kanarischen Inseln und der Karibik wird jedes Jahr der Atlantik von rund 6.000 Segelyachten überquert. Über die Handvoll Segler, die den Nordatlantik auf der „Wikinger-Route“ meistern, wird in der Fachpresse ausführlich berichtet. Anschließend schreiben die Nachfolger Leif Erikssons oft Bücher über ihre Fahrten – oder halten wenigsten Diavorträge.

Teil 3: Die Navigation

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