Keine Überraschung: „Erster Brite“ war dunkelhäutig

11. Februar 2018 | Von | Kategorie: Wissenschaft

Die Meldung, dass der „Cheddar Man“ dunkle Haut hatte, wäre vor 100 Jahren ernsthaft und vor 50 Jahren ein wenig überraschend gewesen. In das moderne Bild der europäischen Urgeschichte passt sie hingegen gut. Dennoch zeigen sich viele Kommentatoren über diese Erkenntnis überrascht. (Womit ich keineswegs jene rassistischen Kommentatoren meine, bei denen eine „Was uns nicht passt, kann nicht wahr sein“-Haltung vorherrscht.)

Leider überwiegt bei der Berichterstattung über dieses Thema wieder einmal der „Sensationseffekt“.

Ein knapper, aber erfreulich sachlicher und sachkundiger Artikel über die Genetik des „Cheddar Man“ stammt von Lars Fischer: Erste moderne Briten waren wohl dunkelhäutig. Auch der Beitrag der BBC, der den meisten seriösen Medienbeiträge zu diesem Thema zugrunde liegt, ist guter, faktenorientierter Wissenschaftsjournalismus: Cheddar Man: DNA shows early Briton had dark skin.

Übrigens ist die Aussage: „Der Cheddar-Mann war so dunkel wie ein Afrikaner“ (was angesichts der Vielfalt an Hautfarben auf dem Kontinent Afrika sowieso Unfug ist) und die Rekonstruktion als „Schwarzer“ mit einigen Unsicherheiten behaftet.
An der Vererbung der Hautfarbe ist eine Vielzahl von Genen beteiligt, was daran erkennbar ist, dass die Vererbung der Hautfarbe nicht klar den mendelschen Gesetzmäßigkeiten folgt. Viele für die Hautfarbe verantwortlichen Gene sind noch nicht identifiziert. Außerdem sind die Umwelteinflüsse – die sich auch auf epigenetische Ausprägungen auswirken – gerade bei der Hautfarbe relativ wichtig. Eindeutig ist allerdings, dass der rund 10000 Jahre alte „Cheddar Man“ nicht das 374F genannte Allel des OCA 4-Locus des MATP-Gens trug, das bei über 90% der heutigen Europäer vorkommt und das für eine blasse Hautfarbe verantwortlich ist. Alle sehr hellhäutigen Menschen haben ein entsprechende Allel, aber nicht alle Menschen mit diesem Allel eine sehr helle Haut – gerade unter „alteingesessenen“ Europäern variiert die Hautfarbe sehr stark. (Und dass „hellhäutig“ und „weiß“ keineswegs dasselbe sind, hatte ich schon 2013 in diesen beiden Artikeln dargelegt: Weiß ist keine Hautfarbe, Teil 1 und Weiß ist keine Hautfarbe, Teil 2.)

Alltagssprachlich ausgedrückt:
Es lässt sich nicht genau sagen, wie dunkel die Haut des „Ur-Briten“ war, er wird allerdings mit Sicherheit eine wesentlich dunklere Haut als die meisten heutigen Europäer gehabt haben.

Das gilt übrigens auch für ein erheblich jüngeres Fossil aus Spanien, das des ca. 7000 Menschen von La Braña, der ebenfalls die heute ungewöhnliche Kombination „helle Augen / dunkle Haut“ aufwies.

Der anatomisch moderne Homo sapiens entwickelte sich in Afrika und hatte eine an das sonnenreiche Klima angepasste dunkle Haut. Trotz einiger mehr oder weniger begründeter Zweifel ist die „Out of Africa“-Theorie zumindest soweit durch genetische, archäologische und sprachwissenschaftliche Erkenntnisse erhärtet, dass sich sagen lässt, dass das „tropisch-afrikanische“ Erbgut in allen heute lebenden Menschen bei weitem überwiegt. Alle heute lebenden Menschen stammen von schwarzen Afrikanern ab.

Als die ersten anatomisch modernen Menschen vor rund 50.000 Jahren nach Europa zogen, kamen sie in deutlich sonnenärmere Gefilde. Das brachte Probleme bei der Versorgung mit dem in der Haut unter UV-B-Strahlung gebildeten Cholecalciferol (Vitamin D). Ihre dunkle Haut war hier eher ungünstig, da helle Haut UV-Licht besser absorbieren kann, was einen Vitamin-D-Mangel vermeiden hilft, der wiederum vor allem zu Fehlbildungen bei Kindern und damit zu einer erheblich erhöhter Kindersterblichkeit führt. Daher wurde vermutet, dass die Einwanderer relativ schnell nach seiner Ankunft in Europa eine helle Haut entwickelten. Ein Blick in andere Erdregionen bestätigt augenscheinlich diese Vermutung: Menschen in sonnenarmen Regionen haben in der Regel eine helle ererbte Hautfarbe als in sonnenreichen. Das Merkmal „helle Haut“ ist mehrmals entstanden, etwa bei den Ostasiaten und den Europäern. Wahrscheinlich waren auch die europäischen Neanderthaler hellhäutig.

Allerdings bietet eine dunkle Haut nicht nur einen wirksamen Schutz gegen das Eindringen erbgutschädigenden UV-Strahlen, die auf lange Sicht zu Hautkrebs führen können. Außerdem zerstört UV-A-Strahlung, die tief in die Unterhaut eindringt, das wichtige Vitamin Folsäure (Vitamin B 9), wodurch es zu Fehlbildungen beim Nachwuchs kommen kann, wenn eine hellhäutige Mutter in der Zeit ihrer Schwangerschaft sehr stark UV-Strahlen ausgesetzt ist. Eine dunklere Haut schützt dagegen. Außerdem wirkt sich ein Folsäuremangel negativ auf die Spermienproduktion aus. Mangel an Folsäure kommt überwiegend bei hellhäutigen Menschen vor.

Es stehen unter europäischen Sonnenverhältnissen zwei fortpflanzungsrelevante Vitamine in Konkurrenz: Sonnenlicht zerstört ein Vitamin (Folsäure, Vitamin B 9) und hilft, ein anderes (Cholecalciferol, Vitamin D) zu bilden.
Hinzu kommt, dass Sammler und Jäger unter den nacheiszeitlichen Verhältnissen recht gut über die Nahrung mit Vitamin D versorgt wurden – Fisch, Innereien und in geringerem Ausmaß Wildpilze sind reich an diesem Vitamin.
Das „Blässe-Allel“ 374F war entweder noch nicht vorhanden oder kam nur vereinzelt vor. Im ersteren Fall hätte sich auch bei größeren Druck durch Vitamin-D-Mangel keine extrem hellhäutige Population herausbilden können, im zweiteren Fall konnte es sich nicht durchsetzen, weil der relative Fortplanzungvorteil für blasse Menschen nur gering war.
Wie auch immer: Der „evolutionäre Druck“ in Richtung einer hellen Haut war wahrscheinlich eher schwach, weshalb sich hellere Haut nur langsam durchsetzte. Die Einwohner Europas vor 7000 Jahren dürften im Durchschnitt eine hellere Haut gehabt haben als ihre Vorfahren vor 50000 Jahren, aber nach heutigen europäischen Maßstäben noch ziemlich dunkelhäutig gewesen sein. Jedenfalls so dunkel, dass sie heute nicht als „weiß“ wahrgenommen werden würden.

Tatsächlich ist „Weißsein“ im Sinne von „sehr helle Haut haben“ nur bei Ernährung überwiegend auf Getreidebasis, bei Sonnenmangel und bei aus klimatischen oder kulturellen Gründen fast ständig getragener voller Bekleidung vorteilhaft.

Genau das alles traf auf jene Einwanderer aus Vorderasien zu, die den Ackerbau nach Europa brachten. Ihre Nahrung enthielt ausreichend Folsäure – enthalten vor allem in Hefe, in Getreidekeimen, Hülsenfrüchten und in Blattgemüse – aber wenig Vitamin D. Folglich setzte sich helle Haut relativ schnell im jungsteinzeitlichen Europa durch. In den sonnenarmen Regionen Nordeuropas setzten sich sogar Menschen durch, die eine weitaus hellere Haut als die vorderasiatischen „Urbauern“ hatten.

Den viel diskutierten Einfluß der „sexuellen Selektion“ klammere ich mangels stichhaltiger Beweise aus, was nicht heißt, dass es sie nicht gegeben hätte. Immerhin ist es plausibel, dass eine hellere Hautfarbe irgendwann als als Signal von Gruppenzugehörigkeit gesehen wurde, und Menschen mit „passendem Erscheinungsbild als Sexualpartner die besseren Chancen hatten.

Martin Marheinecke, Februar 2018

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