Je größer die Bevölkerung, desto ausgefeilter die Technologie

15. April 2010 | Von | Kategorie: Wissenschaft

Je mehr Mitglieder eine Gesellschaft hat und je besser die Vernetzung mit den Nachbarn ist, desto vielfältiger und komplexer ist ihre Technologie. Das jedenfalls ist eine gängige Annahme unter Ethnologen wie auch unter Historikern.
Den Zusammenhang zwischen dem Werkzeuginventar einer Gesellschaft und ihrer Populationsgröße wollen Michelle Kline und Robert Boyd von der University of California in Los Angeles jetzt bei pazifischen Inselvölkern aufgezeigt haben. Ihrer Meinung nach könnte es sich dabei um ein universelles Phänomen handeln.

Fortschritt durch Bevölkerungswachstum (spektrum direkt).

Bereits seit Längerem vergleichen Forscher die kulturelle Entwicklung mit der „genetischen Drift“, der zufälligen Ausbreitung bestimmter Genvarianten: Zu einem gut Teil entscheide der Zufall dabei mit, ob eine Innovation – das kann eine Erfindung sein, oder eine Erkenntnis, aber auch z. B. ein Lied – weitertradiert wird oder nicht.
Gibt es viele Menschen gibt es wahrscheinlich auch mehr Ideen. Tauschen diese Menschen ihre Ideen untereinander aus, können sie weiterentwickelt und weitgegeben werden.
Anzunehmen ist, dass in großen Bevölkerungsgruppen, in denen Einfälle bereitwillig getauscht werden, das Risiko sinkt, dass eigentlich sinnvolle Erfindungen und andere nützliche und schöne Errungenschaften wieder verloren gehen. In volkreichen Gesellschaften verteilt sich Spezialwissen auf mehr Köpfe als in kleinen Gruppen – es besteht auf volkreichen Inselgruppen nicht die Gefahr, dass z. B. die Kunst, Schädelverletzungen zu heilen, für ein Inselvolk verloren geht, wenn das Kanu mit der einzigen Heilerin der Insel, die so etwas kann, mitsamt der Nachfolgerin, die sie gerade ausbildet, im Sturm sinkt. Dieses Beispiel zeigt nebenbei auch, dass „exklusiv“ einer kleinen Gruppe vorbehaltenes Wissen leicht verloren gehen kann.

Kline und Boyd erfassten neben der Bevölkerungsgröße und der Vernetztheit der Gesellschaft auch eine Vielzahl weiterer möglicher Einflussgrößen, etwa die Umweltbedingungen der jeweiligen Insel, ihren Artenreichtum und die Häufigkeit von Naturkatastrophen. Keiner dieser Faktoren nahm einen nennenswerten Einfluss auf das technologische Niveau und die Anzahl und Komplexität der Gerätschaften. Die erheblichen Unterschiede im Werkzeuginventar ließen sich daher nicht einfach durch unterschiedliche Anforderungen der jeweiligen Umwelt erklären, meinen die Wissenschaftler.

Sie spekulieren außerdem, dass viele der Entwicklungsschübe, die sich im archäologischen Fundmaterial weltweit ausmachen lassen, auf ein plötzliches Anwachsen der Bevölkerungsdichte zurückgehen könnten.

Die Ausbreitung der polynesischen Völker im Pazifik bietet sich für populationsgenetische, ethnologische und sprachwissenschaftlicher Untersuchungen an, da die Wanderbewegungen und Wechselbeziehungen der Bewohner sind relativ genau bekannt sind. Ob diese unter überschaubaren „Laborbedingungen“ gewonnenen Erkenntnisse sich auch auf andere Kulturkreise und geographische Räume übertragen lassen, ist allerdings nicht unumstritten.

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