Hexenjäger
Wir leben im Zeitalter der Hexenverfolgung. Und zwar im ganz wörtlichen Sinne – laut Wikipedia sind seit 1960 vermutlich mehr Menschen wegen Hexerei hingerichtet oder umgebracht worden als während der gesamten europäischen Verfolgungsperiode in der Frühen Neuzeit. Meines Erachtens unterschätzt der Wikipedia-Artikel sogar noch das Ausmaß der modernen Hexenjagd!
Der Begriff „Hexe“ ist reichlich verwaschen und mit unterschiedlichen Assoziationen beladen. Bei historischen und modernen Hexenverfolgungen und Hexereihysterien sind aber stets zwei Vorstellungen von „Hexerei“ entscheidend:
- Hexerei als Schadenzauber,
- Hexerei als „Ketzerei“ gegen die Religion des Verfolgers, oft verbunden mit der Vorstellung eines „Teufelspaktes“.
Dass auch die zweite Vorstellung noch aktuell ist, und zwar bei Fundamentalisten verschiedener Religionen, legte ich bereits hier im „Gjallarhorn“ dar: “Hexenpanik” näher betrachtet.
Heute wie in der Frühen Neuzeit ist in Hexereiprozessen das Gericht der „verlängerter Arm“ des Lynchmobs, weshalb Verfolgungen typischerweise mit schwacher bzw. defekter Justiz und Verwaltung einhergehen.
Ausnahmen von der Regel, dass es in Gebieten mit starker Administration nicht zu Verfolgungen kommt, waren und sind Staaten, in denen „Hexen“ bzw. „Zauberer“ als Staatsfeinde gelten wie z. B. heute in Saudi-Arabien.
Wenn auch die „neuen Hexen“ nicht viel mit jene Frauen und Männer, die in Teilen Afrikas, in Indonesien, Indien, Südamerika und mehreren arabischen Staaten um ihr Leben fürchten müssen, gemeinsam haben, und von einer Hexenverfolgung in Europa, Nordamerika und Ostasien keine Rede sein kann, stehen sie durchaus im Fokus der von Hexenpanik erfüllten Fundamentalisten.
Außer Fundamentalisten, die alle Hexen – einschließlich „neuer Hexen“ – buchstäblich zur Hölle wünschen, weil sie Magie für möglich halten, gibt es auch Menschen, die „neue Hexen“ für kriminell halten, weil sie davon überzeugt sind, dass es Magie nicht gibt. Wobei ihre Motive, anders als die fundamentalistischer Hassprediger, völlig ehrenwert und im Grunde nur zu begrüßen sind.
Der Saarbrücker Historiker Dr. Herbert Rätz äußerte in einem Interview zum Thema „Hexenrehabilitierung“ in der GWUP-Zeitschrift „Skeptiker“ (1/2012):
[…]Rechtmäßig verurteilt worden wären die Beschuldigten, wenn sie tatsächlich Magie ausgeübt hätten.
Insofern sind die blödsinnigen Behauptungen moderner „Hexen“, dass sie über magische Kräfte verfügen, eine Verunglimpfung von Justizmordopfern, weil damit implizit behauptet wird, dass die Opfer rechtmäßig ermordet wurden. Ich bin der Auffassung, dass solche Behauptungen aufgrund ihrer menschenverachtenden Tendenz sogar mit Strafe belegt werden sollten. […]
Ich halte diese Argumentation für absurd.
Oft wurden vermeintliche „Hexen“ neben Schadenzauber und „Hexerei“ (sprich: Teufelspakt) auch wegen Giftmischerei angeklagt und hingerichtet. Wenn ich behaupte, ich könne tödlich wirksame Gifte herstellen, käme wahrscheinlich niemand auf die Idee, ich würde damit behaupten, zu Unrecht hingerichtete vermeintliche Giftmischerinnen, die ihr Delikt unter Folter gestanden hätten, wären rechtmäßig ermordet worden.
Der Unterschied ist allerdings der, dass Schadenzauber im Gegensatz zur Giftmischerei heute bei uns als objektiv unmöglich, bzw. als „folgenloses Wahndelikt“ gilt.
Für mich besser nachvollziehbar wäre die Vermutung, dass, wenn neue Hexen behaupten, über magische Fähigkeiten zu verfügen, dies dazu führen könnte, dass wieder mehr Menschen Angst vor Schadenzauber bekämen – was wiederum der „Hexenpanik“ christlicher Fundamentalisten Gehör verschaffen könnte. Allerdings sagt Rätz das nicht ausdrücklich in diesem Interview, und für die Frage, ob Opfer historischer Justizmorde rehabilitiert gehören, ist es ohnehin irrelevant.
Im Kontext des „Zeit“-Artikels Die Hexe von East Village (den ich seinerzeit hier kritisierte) stellte Bernd Harder (Pressesprecher der GWUP) im GWUP-Blog die aktuelle Hexenverfolgung „neue Hexen“ (bzw. Wiccas) gegenüber: Hexen, Hinrichtungen und Hirnverbranntes.
Unser Vorschlag an das gelangweilte Damenkränzchen:
Bevor’s an Mondanbeten geht – erst mal die von Amnesty International empfohlenen Aktionen zur Rettung der an Leib und Leben bedrohten “Hexen” und “Hexer” in anderen Teilen der Welt unterschreiben.
Wie war das gleich nochmal mit der widerwärtigen Egozentrik der Eso-Szene?
Unbestritten gibt es Esoteriker, die permanent auf Ego-Trip sind und statt Licht und Liebe rücksichtslosen Egoismus praktizieren. Unbestritten ist das, was im heutigen Sprachgebrauch „Esoterik“ genannt wird, meistens „käufliche Spiritualität“ (wie Ursula Caberta das nannte – der Witz dabei ist natürlich, dass sich Spiritualität ebenso wenig kaufen lässt, wie Liebe, Talent oder Seelenfrieden). Unbestritten, dass manche, die sich selbst „Hexen“ nennen, besonders unverschämt „Spiritualität verkaufen“ (und Liebe – die gegen Geld „Liebeszauber“ wirkende Hexe ist leider mehr als ein Klischee der Boulevardmedien).
Aber woher will Harder überhaupt wissen, dass die New Yorker Wiccas um Starr ein „gelangweiltes Damenkränzchen“ seien, dem es völlig egal sei, dass anderswo Menschen unter dem Vorwurf der Hexerei hingerichtet werden?
Die „Skeptiker“ in der GWUP stehen für Aufklärung und gesunden Menschenverstand. Sie stehen manchmal aber auch für eine dogmatische Haltung. Entgegen der üblichen Bedeutung, dass ein „Skeptiker ein „Zweifler“ sei, haben die in der Skeptiker-Bewegung nicht seltenen „dogmatischen Ablehner“ eben keine Zweifel mehr daran, dass „das alles“ (Esoterik, Parapsychologie, Magie usw. usw. ) „Spinnerei“ sei und die Welt davor bewahrt werden müsse.
Diese dogmatische Haltung kann weder mit Materialismus noch mit Naturalismus gleichgesetzt werden. Tatsächlich neigen nach meiner – natürlich nicht repräsentativen – Erfahrung überzeuge Christen (vor allem Protestanten) eher zu dieser Form des Dogmatismus als atheistische Naturalisten, die jede Form der Metaphysik ablehnen. Als Grund für diese erstaunliche Beobachtung vermute ich, dass z. B. magische Praktiken (im weitesten Sinne) für Naturalisten einfach irrelevant sind, und damit auch, von Betrug und Bauernfängerei abgesehen, harmlos, hingegen für Christen (oder auch für nicht gottgläubige, aber tief vom christlichen Denken geprägte Sittenchristen) mit dem Kernbereich ihrer Ethik kollidieren.
Nun könnte ich mich, als moderne Hexe (männlich, ásatrú-bezogen), entspannt zurücklehnen, da mir ja nachweislich weder die Opfer der realen Hexenverfolgung egal sind, noch entmündigende und bevormundende esoterische Heilslehren verbreite, noch magische Kinkerlitzchen zu astronomischen Preisen verkaufe, noch als selbstverliebter, egoistischer und rücksichtsloser Selbstoptimierungs-Esoteriker in Erscheinung trete.
Allerdings gehöre ich, allein dadurch, dass ich mich mit Zauberei (nicht zu verwechseln mit der Bühnenmagie eines Illusionisten) befasse, in „dogmatisch-skeptischer“ Sichtweise (die zum Glück nicht alle „Skeptiker“ teilen), zu den „Bösen“. (Es sei denn, ich könnte eine Psychose nachweisen, dann wäre ich halt „krank“.)
Dass mir das die GWUP, deren Aufklärungsarbeit ich grundsätzlich begrüße und deren Esoterikkritik ich respektiere, oft sogar teile, nicht eben sympathischer macht, dürfte verständlich sein.
MartinM
Was meinst du denn mit „Selbstoptimierungs-Esoteriker“?
Im Endeffekt ist doch das Ziel der meisten Methoden Erleuchtung zu finden, also sich zu verbessern?
Es geht einem „Selbstoptimierungs-Esoteriker“ höchstens aus Versehen um „Erleuchtung“. Ich meine mit Selbstoptimierungs-Esoterik Praktiken, die sich in erster Linie auf das „Selbst“ konzentrieren, und zwar weniger das „Selbst“ wie in „Selbstfindung“, sondern eher das „Selbst“ wie in „Selbstsucht“. Typische Ziele sind „Karriere“, „Ansehen gewinnen“, „belastbarer werden“, „schneller lernen“, manchmal unverhohlen „reich werden“. Sich selbst mit „esoterischen“ Techniken so zurichten, dass man unter verschärft kapitalistischen Bedingungen optimal funktioniert. Der bizarre Irrtum, man könne Spiritualität kaufen, ist unter Selbstoptimierungs-Esoterikern weit verbreitet. Man erkennt sie oft am gequälten „Positiv-Denker“-Lächeln, und daran, dass sie jeden Satz mit „Ich“ beginnen. Auch jene, die ständig betonen, wie „weit“ sie doch seien, sind oft Selbstoptimierungs-Esoteriker.
Im Prinzip steckt dahinter die selbe Mentalität wie hinter „Hirndoping“ mit Drogen.
Und natürlich sind „Selbstoptimierungs-Esoteriker“ die bevorzugten Opfer von „Psycho-Kulten“ und „Erfolgs-Gurus“.
Diese Form der Esoterik ist egozentrisch, egoistisch und meistens antisozial. Sie macht einen verdammt großen Teil des „Esoterik-Marktes“ aus. So sehr, dass manche Esoterik-Kritiker glatt übersehen, dass es noch andere, ehrlichere, rücksichtsvollere, sozialere Formen der Esoterik gibt,
Wie immer ein lesenswerter Artikel.
Allerdings kann ich mich nicht ganz deiner Einschätzung anschließen, dass die Skeptiker-Bewegung (bzw. die GWUP im Speziellen) für „Aufklärung und gesunden Menschenverstand“ stehen und nur „manchmal“ zu dogmatischen Ansichten neigen. Ich setze mich nun schon seit mehr als 10 Jahren mit diesen Leuten auseinander und bin eher zur diametral entgegengesetzten Einschätzung gelangt, dass es in diesen Kreisen nämlich in allerallererster Linie um dümmlich-naive Polemik auf finsterstem „Penn&Teller´s Bullshit!“-Niveau geht und lediglich hin und wieder mal Lippenbekenntnisse auf „Aufklärung“ und „wissenschaftliche Neutralität“ abgelegt werden.
Darüberhinaus finde ich solche Organisationen im Hinblick auf wissenschaftliche Informationen zu Esoterik und sogenannten Parawissenschaften auch reichlich überholt und überflüssig. Gibt es doch mittlerweile weitaus seriösere Informationsquellen zu diesen Themen, wie z. B. die von enttäuschten Ex-GWUPlern mitbegründete Gesellschaft für Anomalistik, die bei mir den Eindruck erweckt, dass sie einem wissenschaftlich-weltoffenen Agnostizismus weitaus mehr Bedeutung beimisst, als einem engstirnigen, zornigen Ablehner-Atheismus, der blindwütig auf alles einprügeln will, was auch nur entfernt „nicht-materialistisch“ riecht.
Grüße, Martinito
Edgar Wunder hat zwar recht, wenn er bemängelt, dass die GWUP kaum Untersuchungen zum Nachweis paranormaler Phänomene durchführt, aber das ist, was Wunder und die Gesellschaft für Anomalistik auch nicht so recht auf dem Schirm zu haben scheinen, so schwierig wie mit Stäbchen Suppe zu essen. Naturwissenschaft und „Esoterik“ – jetzt nicht im Sinne von Kommerz-Eso gemeint – behandeln unterschiedliche Fragestellungen mit unterschiedlichen Methoden. Ich wüsste z. B. nicht, wie ein Rutengeher den „PSI-Test“ der GWUP bestehen könnte, egal welche Erfolge er in freier Natur mit Rutengehen schon hatte. Es ist eine Frage der Methodik. (Allerdings zum Teil auch der Dogmatik.)
Dass die GWUP sich primär der Öffentlichkeitsarbeit für ein naturwissenschaftlich geprägtes Weltbild widmet, finde ich übrigens gar nicht schlecht. (Siehe z. B. der Vormarsch des Kreationismus.)
“Penn & Teller´s Bullshit!” ist ein Kapitel für sich, weil die Sendereihe auch eine politische „Hidden Agenda“ hatte, gegen Teile der Umweltschutzbewegung z. B.. Die GWUP arbeitet meines Erachtens tatsächlich zu oft mit dem Hohn- und Spottprinzip und verkürzter Kritik, aber das ist leider auch der heutigen Medienlandschaft geschuldet: es muss sensationell sein, kurz, knackig und darf niemanden überfordern, sonst geht es (angeblich) unter.
Zum Glück gibt es Skeptiker, die zeigen, wie man es besser macht, z. B. Florian Freistetter Astrodicticum Simplex. (Einem meiner Lieblingsblogs.)
Öffentlichkeitsarbeit für ein naturwissenschaftlich geprägtes Weltbild zu betreiben, finde ich ebenfalls löblich. Soweit es aber die GWUP (und artverwandte Organisationen wie CSICOP und JREF) betrifft, stelle ich diese Motivation – nämlich für ein naturwissenschaftliches Weltbild einzutreten – in Abrede. Nach deren medialem Gesamtauftreten zu urteilen, scheint es dort nämlich vielmehr um Öffentlichkeitsarbeit für ein atheistisches und materialistisches Weltbild zu gehen.
Letzteres wäre ja auch in Ordnung, wenn man sich offen „Bund der Atheisten und philosophischen Materialisten“ nennen würde oder „Tote, unbewusste Substanzklumpen = gesamte Realität e.V.“. Bei einer Organisation, die vorgibt, „paranormale“ Behauptungen wissenschaftlich zu überprüfen, ist dies jedoch blanker Etikettenschwindel. Wissenschaft besteht nun mal nicht darin, ein vorbestehendes Weltbild für seine gläubigen Anhänger immer wieder zu (schein-)bestätigen bzw. mit diesem Weltbild in Konflikt stehende Phänomene polemisch wirksam „debunken“ zu wollen.
Und wenn solche Vereine dann auch noch in übelster, propagandistischer Weise bloße Weltanschauungen wie Atheismus etc. pauschal mit „Wissenschaft“, „Vernunft“ und „gesundem Menschenverstand“ per sé gleichgesetzen, kann es – sorry – mit der intellektuellen Redlichkeit dieser frömmelnden Clubs nicht weit her sein.
Natürlich wird es auch innerhalb der organisierten Skeptiker-Bewegung Leute geben, die es besser machen. In diesem Kontext halte ich auch den (meines Wissens nach von Marcello Truzzi geprägten) Begriff „Pseudoskeptiker“ für hilfreich, um diejenigen, die lediglich persönliche Ideologie verteidigen, von denen zu trennen, die tatsächlich an Wissenschaft und Aufklärung interessiert sind.