Wissenschaft

„Wozu sind Kriege da?“ – Mathematische Geschichtsforschung

Eine allgemeine Antwort darauf, aus welchen Gründen Kriege geführt werden und wieso immer wieder aus unterschiedlichen Kulturen – bei den Ägyptern, Persern, Römern, Indern, Chinesen, nicht zu vergessen den Aztekten und Inkas – Imperien hervorgingen, kann die „mathematische Geschichtsforschung“ natürlich nicht geben. Aber immerhin hat ein Team aus britischen und US-amerikanischen Forschern um Peter Turchin von der University of Connecticut Computer-Modelle entwickelt, die mit Mitteln der Mathematik jene Prozesse nachbilden, die zur Entstehung von Großreichen führen.
Die Simulationen können die Entwicklung komplexer Kulturen und ihre Machtbereiche mit hoher Übereinstimmung zur tatsächlichen Weltgeschichte wiedergeben.

Das Forscherteam entwickelte mathematische Modelle, die die soziokulturelle Evolution, die Ausbreitung von verschiedenen Technologien und kriegerische Auseinandersetzungen simulieren. Dabei konzentrierten sie sich auf Europa, Afrika und Asien in der Zeit von 1500 v. u. Z. bis 1500 u. Z.. Die Simulationen geht von Umwelt-Parametern aus, ob z. B. die betreffende Gesellschaft in der Steppe, an Flußläufen, im Waldland oder in den Bergen angesiedelt ist, und auf soziale und technologische Parameter, ob es z. B. Ackerbau gibt.

Es zeigte sich, dass die Modelle die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung und Ausbreitung von Reichen zwischen 1500 v. u. Z. und 1500 recht gut simulierten. Sie ergaben mit 65 Prozent Genauigkeit im Vergleich zur bekannten Geschichte, wann und wo die größten komplexen Gesellschaften in der Geschichte der Menschheit entstanden sind. Die wichtigste Einflussgröße, die den Grad der Übereinstimmung zwischen Modell und der tatsächlichen Historie bestimmte, waren die Berechnungen von kriegerischen Auseinandersetzungen und die Ausbreitung von Waffen-Technologien. Dies hatte wiederum Bezug zu landschaftlichen Gegebenheiten. So konnten beispielsweise Steppen-Völker wie die Mongolen großen Einfluss auf die Entwicklung der Geschichte nehmen. Sie überrannten benachbarte Agrar-Kulturen mit Reiter-Armeen oder Streitwagen und konnten so Großreiche entwickeln.

Die Ausbreitung von Reichen in der Theorie und in der tatsächlichen Geschichte: Video

Kommentar: Das Ergebnis ist wenig überraschend, aber dennoch ernüchternd. Ob eine Gesellschaft Macht gewinnen und ein Großreich aufbauen kann, hängt demnach vor allem davon ab, wie gewaltbereit ihre Machthaber sind, und von der Qualität ihrer Waffen im Vergleich zu denen ihrer Gegner. Dem gegenüber scheinen sogar ökonomische Faktoren, gar nicht zu reden von zivilisatorischen, nachrangig zu sein.

Turchin stammt übigens aus Russland und ist Sohn eines prominenten Sowjetischen Dissidenten. Daher ist diese „Wachse-oder-weiche“-Logik für ihn offensichtlich.

Wenn Co-Autor Sergey Gavrilets behauptet, die Aufklärung der Ursachen von historischen Ereignissen hülfe uns, die Gegenwart besser zu verstehen, und uns sogar hülfe, einen Blick in die Zukunft zu werfen, dann könnte er er meiner Ansicht nach zwar recht haben, aber es stimmt nicht gerade optimistisch, was z. B. Menschenrechte oder soziale Gerechtigkeit angeht.

Peter Turchin explains War – what is it good for?

Originalarbeit der Forscher: War, space, and the evolution of Old World complex societies

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