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Wo gehörst du hin?

Wer Heidentum für „unpolitisch“ hält, braucht sich mit (zum Beispiel) Astrologie, Orakeln gleich welcher Art und erst recht so Sachen wie sympathetischer Magie oder ähnlichem gar nicht erst abzugeben.

Denn wenn die Sterne Einfluss auf unser Geschick nehmen, Gottheiten verschiedenster Herkunft und Ausformung uns persönliche Zeichen geben und sich sogar zu Handlungen durch menschengemachte Rituale bewegen lassen – wieso sollte dann ausgerechnet das, was wir im Alltag tun oder lassen, überhaupt keine Wirkung haben auf unsere Umgebung und (in letztlicher Folge und deren Nachfolgeereignisanstößen auf) den Rest der Welt? Wieso hat ein „rückläufiger Merkur“, eine aufrechte oder gestürzte Rune oder welche Göttin auch immer irgendeine (zumindest gefühlte) Relevanz in unserem Gemüt – aber all das, was wir sonst so meinen, denken und tun, angeblich keine? Ein Essay für das Einnehmen von Haltung: dafür einzustehen, was wir bewirken, was wir auslösen, was wir ermöglichen oder verhindern – das eine durch unsere Taten, das andere durch deren Ausbleiben.

Wo gehörst du hin?

Neulich in den Social Media: In einem Thread zum Tagesgeschehen kam die Kornblume Norbert Hofers zur Sprache. Hofer (FPÖ) war gerade aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat Österreichs (der erst eine Stichwahl später knapp unterliegen sollte) – und sein Ansteckerchen am Revers war bereits unter den Nazis des 20. Jh. (vor dem „Anschluss“ Österreichs ans „Großdeutsche Reich“) heimliches bis unheimliches Erkennungszeichen einer entsprechenden Gesinnung gewesen. Entsprechend besorgt und bewegt kommentierte das auch die Mehrzahl der online diskutierenden Gemüter (viele aus Deutschland). Ein Beitrag jedoch stach in merkwürdiger Weise hervor, er erklärte den Gedankenaustausch zu diesem Thema nämlich indirekt für überflüssig. Eine (mir flüchtig bekannte) bekennende Heidin lehnte jegliche inhaltliche Interpretation solch fragwürdiger Symbolik ab: Für sie sei eine Kornblume einfach nur ein „schönes Gewächs“ und mehr brauche, so ihr Begehr, dahinter nicht gesehen zu werden. Das sei, so holte sie weiträumig aus, das Gleiche „wie mit dem Hakenkreuz“, das als Swastika bis heute in anderen Teilen der Welt, zum Beispiel in Indien, ein uraltes religiöses Symbol und dort auch ganz friedlich „nach wie vor verbreitet“ sei, ohne „gleich“ mit Nazis und Völkermord (dessen Erwähnung hier von mir) in Verbindung gebracht werden zu müssen.

Kornblume

Ich war in Versuchung, zu fragen, ob sie dann auch bei Rot über die Straße gehe (oder dies anderen, zum Beispiel Kindern, empfehle), weil Rot doch eine schöne Farbe sei und nicht immer und überall „gleich“ die Bedeutung von „Stopp, Gefahr, Autoverkehr“ haben müsse … ließ das aber bleiben, als ich sah, dass die anderen Diskutierenden den einsamen Aufruf zur Ignoranz nicht weiter beachteten, sondern unbeirrt beim Thema blieben – so weit, so hoffnungsvoll. Aber der Einwurf machte mich schon nachdenklich: hinsichtlich seiner möglichen Absicht – die mir allerdings ein Rätsel blieb. Wieso stört sich ausgerechnet eine bekennende Heidin daran, dass über Bedeutung von Symbolik diskutiert wird und in diesem Zusammenhang ein Symbol, das Erkennungszeichen erklärter Menschenverächter, Tyrannenfans und späterer Völkermörder war, auch heute noch – und gerade wieder – Besorgnis erregt? Zumal, wenn dem erwähnten prominenten Träger auch anderweitig ein eher zwiespältiges Verhältnis zum demokratischen Wertegefüge nachgesagt werden darf, nein: muss!

Wo gehörst du hin?

Ich fragte nicht extra nach, vor allem, um das Niveau besagten Threads nicht in die Niederung zu drücken, warum und weshalb fragwürdige Symbolik überhaupt diskutiert werden sollte. Aber ich nehme den kleinen Vorfall hier zum Anlass, allgemein die Frage zu stellen: Was soll das? Denn gerade unter Heiden begegnet mir die nämliche Haltung (die genau genommen einen Mangel an Haltung erkennen lässt) zu oft. Die allermeisten Heiden bekennen sich zu einer persönlichen Ahnentradition, legen Wert auf profunde Detailkenntnis meist weit zurückliegender historischer Epochen und sind zudem magiegläubig, das heißt, sie glauben an Verbundenheiten und Zusammenhänge über rational erklärbare Kausalketten hinaus – das häufige Zitat, dass „alles mit allem“ zusammenhänge, darf Bände sprechen für Mehrheiten der Szene. Doch dieselben AhnenverehrerInnen, die so genau Bescheid wissen über Einzelheiten mittelalterlicher Tracht und Bräuche, ignorieren allzugern maßgebliche Geschehnisse der letzten zwei Jahrhunderte. Die behandeln sie am liebsten gar nicht oder als würde damit etwas (offenbar doch Störendes) aufgebauscht und ärgerlicherweise immer wieder erwähnt – das sie dann oft mit geradezu angeekeltem Widerwillen abzuschütteln bestrebt sind: wohlgemerkt nicht das historische Geschehen oder den Ungeist, der da wütete, sondern die Auseinandersetzung mit beider Folgen.

Als Heiden ignorieren sie meist noch viel mehr, nämlich die Tatsache, dass geschätzte 99,9 Prozent ihrer Vorfahren die letzten anderthalb Jahrtausende lang mehr oder minder fromme Christen gewesen sein dürften … (Religionsfreiheit, die Wahl des persönlichen Glaubens, ist nämlich eine Errungenschaft erst der Aufklärung und ihrer Folgeereignisse – und bis heute ausschließlich in demokratischen Systemen zu finden und nur dort gefahrlos praktizierbar. Zu Beltane nicht bürofrei zu kriegen, mag ärgerlich sein, das Verehren x-beliebiger Gottheiten ruft aber hierzulande weder Inquisition noch Polizei auf den Plan – und bis jetzt bürgerseidank keine Bürgerwehr. Wer es nicht erträgt, belächelt zu werden, hat vielleicht ein Problem mit dem Selbstbewusstsein, kriegt aber keines mit der Freiheit, weiterzumachen wie’s beliebt.) Wobei ich mich frage, ob diese vielen christlichen Ahnen nicht irgendwann ein bissi sauer reagieren könnten auf eine angebliche Ahnenverehrung, die so viele Generationen nonchalant übergeht und stattdessen (fast immer nur) eine Altvorderenzeit favorisiert, über deren vorchristliche Kultbräuche so gut wie nichts bekannt ist, während sich die letzten Wurzelfasern selbst ältester und gepflegtester Stammbäume und Verwandtschafts-Ahnungen doch bereits spätestens einige Jahrhunderte rücklings im streng christlichen Irgendwo verloren haben dürften … Andererseits ist das nicht mein Problem und wäre ein Extra-Thema.

Was aber ein Problem ist, das über unsere heidenszenische(n) Blubberblase(n) weit hinausreicht, sind die Autoritätsgläubigen in ganz Europa: Geschürte Angst treibt sie auf die Straße – und in den Wahlkabinen dazu, populistische Pappnasen mit Einweg-Ideen in Parlamente zu hieven, die dort nichts verloren haben dürften, weil sie den Parlamentarismus, die Konsens- oder Kompromissfindung über Streitgespräche bürgerlich Gleichberechtigter, schlicht abschaffen wollen – die einen mehr, die anderen schon sehr viel weniger verhohlen. Noch sind sie (in Österreich und Deutschland wenigstens) Minderheiten – aber, obwohl demokratisch gewählt, keine demokratischen.

In Talk Shows und auf anderen öffentlichen Plattformen geben ihre AushängekrakeelerInnen längst den Ton an, die Tonart vor: Blitzlichtbeknattert, gefilmt und zigfach zitiert, verbreitet und in höchster Breitenwirkung beachtet, beklagen die als „Tabubrecher“ („…das wird man doch wohl noch sagen dürfen…“) Gefeierten, dass „man“ bestimmte Sachen „nicht mehr sagen“ dürfe. Unentwegt zählen sie alles das auf, was angeblich „nicht mehr“ gesagt werden darf. Sie und wir können all das überall nachlesen und angucken, wie sie es aussprechen. Sie sind als Lieblingsböcke geladen, wo und wann immer über Gärtnerei „diskutiert“ wird – oft sogar ziemlich ausschließlich: ohne relevante oder kompetente Gegenstimmen. Es ist ja soviel interessanter geworden, was solche Böcke übers Gärtnern zu sagen haben, als irgendwelche „Linksgrünversifften“, die sich fürs Blühen und Gedeihen von Gewächsen interessieren und das womöglich sogar studiert haben. Und so erklären die Böcke munter, was alles Unkraut und endlich auszureißen sei. Und die emsig Jätenden in den Gärten spüren ihre schmerzenden Rücken und – stimmen zu (vor allem die Unterbezahlten): Ja, warum nicht einfach weg mit der blöden Herumpflanzerei, Heger- und Blumengießerei? Wird Zeit, dass da eine starke Hand durchgreift!

Was sie aber als „Zensur“ empfinden, ist jeglicher Widerspruch. Sie kämpfen dafür, sich keine Widerworte mehr anhören zu müssen. Mit Meinungsfreiheit meinen sie ausschließlich ihre eigene. Das entspricht, genau genommen und nur ein klein wenig weitergedacht, einer Demokratie, in der nur noch eine einzige Stimme zählt: die verordnete. Ein solches System müsste sich dann in der Tat eine Diktatur heißen lassen. Die Denkweise ist nicht nur AntidemokratInnen zu eigen. „Alternativlos“ ist das Ende jeglicher Wahlmöglichkeiten. Die deutsche Kanzlerin mag dieses Unwort zu widerwärtiger Hoffährtigkeit popularisiert haben – eine „Diktatur“ mag ihr daraus aber nur ebenso nachsagbar sein wie mir die Weltherrschaft. Denn wir beide, Merkel und ich, ernten immer noch eines gemeinsam: Widerspruch. Wer akademisiert sich so lächerlich, den Nachweis zu bemühen, wer von beiden – eine Bundeskanzlerin und ein freischaffender Künstler – mehr Gegenwind erführe? Dies ist keine Gehaltsfrage. Auch keine des persönlichen Bekanntheitsgrades oder messbarer Einzelwirkung. Im Weltgeschehen geht es, ungeachtet heroisierender Geschichtsschreibungen, nicht um Personen. Es geht um Bewegungen. Und da gewinnt – langfristig, wie ich meine – meine: deren geringster Teil ich sein mag – aber ich befördere sie mit allem, was ich bin und habe und tue. Ja, Freunde: Es zählt Haltung. Meine verschafft mir Ahnen-Verbündete, von denen der ganze kleingeistige – und geistfeindliche – Kapitalismus keine Ahnung hat. Ich bin ein Schürer des Feuers von Itchatchilatlan, ein Diener des Grauen Wanderers, ein Liebling der Großen Sau … und noch viel lustigerer Gestalten. Ich nenne mich Ásatrú, auch wenn – oder weil! – die Dynamik, die sich daraus ergibt, für meinen Teil schon lange nicht mehr ausschließlich zwischen die Buchdeckel einer Edda passt. Ich hatte es noch nie mit Buchreligionen – und lasse mir auch aus den besten Büchern keine machen. Dafür ist meine Fantasie zu stürmisch – und mein Lebenswille zu gestaltungswütig. Mit mir kommen die wirkmächtigsten Großen, die je zwischen Feuer und Eis ihre Hämmer warfen – Thor küsst Crazy Horse … mit solidarischem Gruß … und die göttliche Stute Loki gebiert ein neues Fohlen. Vielleicht ist es sechzehnbeinig, diesmal? Warum die Globalisierung denen überlassen, die sich nur persönlich bereichern wollen? Wir sind viele, wir sind viel mehr, wir haben die stärkeren – und weitaus älteren – Wurzeln. Die unseres Geistes, unserer Herzen, unserer Leidenschaft!

Wer Deutschland von einer „Merkel-Diktatur“ unterjocht wähnt, (hat nicht nur vergessen, dass Regierungen selbst in angegriffenen, ausgehöhlten und erodierenden sprich gefährdeten Demokratien immer noch abwählbar sind oder wären, sondern …) fühlt sich wahrscheinlich auch von mir Linksgrünversifftem, obwohl ich weder links noch grün bin, sondern nur blond und zornig, meinungszensiert. Denn ich widerspreche, tanze, singe, tobe – und argumentiere. Und weder gedruckte noch ungeschriebene Gesetze halten mich auf dabei. Ihr werdet, so meine Götter genehmigen, weiter mit mir leben müssen… und selbst, wenn ich gleich stürbe, mit meinen Folgen, Kurzatmige! Dies ist eine Drohung – und ein Versprechen. In aller Göttinnen und Götter Namen. Zurück zur Eingangsfrage. Sie ist nur sinnvoll auf Augenhöhe. Daher zielt sie auf Kopf und Rückgrat – und damit aufs Herz. Nicht auf den Fußboden … und schon gar nicht auf das Blut, das ihn besudelt. Meins ist rot – und deins? Wie blutest du? Was lässt dein Herz bluten, was hoffen?

Wo gehörst du hin?

Ich gehöre zu denjenigen, die in Sonne und Mond mehr sehen als lediglich astronomisch Messbares und die Göttinnen und Götter nicht nur aus mythologischen Erzählungen kennen, sondern aus eigener Erfahrung – und solchen (selbstverständlich nur subjektiv gefühlten) Erfahrungen Bedeutung beimessen. Das allein mag zunächst Privatsache sein und bleiben: als Recht jeglichen Glaubens, den – ebenso zu Recht – jede und jeder andere als Spleen und Spinnerei belächeln, verspotten oder schlichtweg als irrelevant geringschätzen darf. Was die Anschauung im Grunde transzendenter oder zunächst nicht (zumindest nicht allgemein) alltagsrelevanter Welterklärungsfragen aber dann doch – und das womöglich sehr schnell und weitreichend – in gesellschaftlich sehr wohl relevante Bereiche rückt, sind die Folgen einer solchen Haltung: denn die bestimmt das Tun und Lassen, ob du willst oder nicht. Behaupten lässt sich ja viel. Ein Denken, das sich nicht in konkreten Entscheidungen niederschlägt, ist tatsächlich ziemlich wurscht. Solange ich in der trockenen Stube hocken bleibe, ist es egal, ob oder wie ich von Wind und Wetter schwärme. Ich kann auch oberschlau vom Schwimmen, Tauchen, Segeln oder Paddeln daherschwadronieren, ohne je mit mehr Wasser in Berührung zu kommen, als der Wasserhahn oder die Augen meiner möglichen Fangemeinde hergeben… Aber sobald ich mich all dem aussetze, wovon ich rede, werde ich zugeben müssen, damit zu tun zu haben – und mich auch daran messen lassen, wie ich mich dabei anstelle. Ich kann natürlich auch beteuern, mich weder für Wasser, Wind noch Wetter irgend zu interessieren – vielleicht hocke ich ja nur im Boot, weil mir seine Farbe oder die Planken so gut gefallen, oder weil ich auf authentisches Ölzeug oder Froschanzüge stehe … oder weil es irgendwie super ist, Seemannsgarn zu spinnen … Am Ende mach ich den Törn ja eh nur mit, weil mich der nächste Landausflug so reizt, die Geselligkeit und das Miteinander dabei und danach? Hand aufs Tauchgerät: Tatsächlich kommen mir Teile der Heidenszene ziemlich genau so vor. Was ist wohl das verbreitetste „Krafttier“ im so genannten Neuheidentum? Wolf oder Krähe? Weder noch. Dem Verhalten nach zu urteilen, ist es der Vogel Strauß. Das Problem ist nur: Es gibt zuwenig Sand hier für die vielen Köpfe – die sich stattdessen in der Wüstenei gleichförmiger Ausreden verstecken. Aber immer schön lästern über die angebliche „Wüstenreligion“, wa? Deren sattsame Sündenbock-Rezeptur wenden hex und heid weiter an (oder sitzen ihr auf), auch wenn ihnen das Wasser der Wirklichkeit bald bis zum Hals steht. Oder gerade deswegen?

Der Rechtsruck in weiten Teilen Europas mag wütend, verzweifelt oder ratlos (oder all das zugleich) machen – wer es fertigbringt, darüber die Schultern zu zucken und gänzlich unbeeindruckt zu bleiben davon, ist entweder Teil dieses Phänomens, begrüßt also (mehr oder minder zustimmend) diese Entwicklung, oder will sie nicht wahrhaben: in der womöglichen Hoffnung, es möge nicht schlimmer werden oder wenigstens nicht weiter spürbar für eine/n persönlich (zumal es ja einstweilen andere, weniger privilegierte Bevölkerungsteile treffen mag, die unter zunehmender Ausgrenzung, Ethno-Infiltrationsverdacht und Schikanierung leiden: oft bereits wegen „passenden“ äußerlichen Anscheins). Vielleicht – oder muss ich sagen: wahrscheinlich sogar? – gehen manche Heiden mit dem bequem propagierbaren Feindbild Islam d’accord und halten das Kopftuch der Nachbarin für eine Bedrohung für Pentagramm oder Thorshammer auf der eigenen Brust. Mehr denn je sind altgermanische Zeichen, Symbole und Begriffe jedoch von ganz anderer Überfremdung und Okkupation bedroht und geplagt: dem Zugriff und der Aneignung durch Nationalisten, deren Germanengetümel nicht weiter reicht als die Nächstenliebe des christlichen Massenmörders Breivik. In Finnland marodiert eine durchgeknallte Bürgerwehr als „Soldiers of Odin“. Wo bleibt der neuheidnische Aufschrei über dreiste Anmaßungen wie diese? Aber die muslimische Familie nebenan soll sich gefällist von den Pariser Killern distanzieren, die „Allahu Akbar“ schrien beim Niedermähen von Theaterpublikum? Die Mörder kamen aus Frankreich und Belgien. Bombardiert wurden daraufhin Ziele (also Menschen) in Syrien. Auf Facebook verwandelten sich zahlreiche Icons in bunte Peace-Eiffelturm-Symbole, die Anteilnahme war bewegend und unübersehbar. Ich muss zugeben, dass auch ich nicht die leiseste Ahnung habe, welche Farben die syrische Flagge überhaupt trägt. Aber ich erspähte auch kein einziges solidarisches Icon, das mich genötigt hätte, diese Bildungslücke zu schließen.
Über tausend Asylbewerberheime wurden 2015 in Deutschland angezündet, aber gefürchtet wird sich in deutschen Fernsehzimmern vorwiegend vor muslimischen Milizen, die in Nordafrika und Nahost viele Christen und noch mehr Muslime umbringen mit deutscher Munition aus deutschen Waffen. Wo waren die Dresdener Montagsmarschierer – diese Verteidiger eines Abendlandes, dessen Werte sie (von Religions- bis Pressefreiheit) abschaffen wollen, als ihre Steuergelder rausgeschmissen wurden zur Rettung hemmungsloser Räuberbanken (was übrigens zifgach mehr kostete als alle bisherigen Flüchtlinge zusammen)?

Klar, das alles ist weder lustig noch einfach zu lösen, Aufmunterung tut not (mein‘ ich echt ernst). Sprechen wir von was Schönerem. Erzählt mir, wer die authentischste Gewandung trug am Mittelaltermarkt. Aber hört auf, zu beteuern, dass alles mit allem zusammenhinge, außer natürlich ihr selber mit dem Rest der Welt. Und dass euch die Verehrung eurer Ur-Ahnen wichtig sei, während ihr von den Symbolen und Konflikten eurer unmittelbaren Ahnen keine Ahnung haben wollt – oder zeigt. Sonst müsste ich fragen: Seid ihr blöd? Das will, nein: kann ich nicht glauben. Oder sollte ich so blöd sein, zu tun als ob?

Wo gehörst du hin?

Vor 20 Jahren, zu meinen (heidnischen) Anfangszeiten, waren es nur ein paar randständige heidnische Grüppchen, die im Trüben rechtslastiger Quellen fischten und einander auf Linie hielten – und es waren nur ein paar fast ähnlich Aussehende, aber ganz anders Gesinnte, die sich solchen altgedienten Vor- und Nachplapperern autoritärer Denkweisen in den Weg stellten – und ihn freikämpften für ein aufgeklärtes Heidentum, das sich seither in vielen bunten und respektablen Spielarten und Gruppierungen ausgebreitet hat.

Heute hat der einstige Nischenkonflikt (wie hex und heid – nein: leut – zu den Menschenrechten stehen) ganz Europa am Wickel, die Zusammenhänge reichen rund um Mama Globus und sie betreffen keineswegs nur spirituelle Kleingrüppchen wie unsereiner, sondern ganze Bevölkerungen überall: Wer steht – nicht nur hex und heid, sondern alle Welt, jede und jeder Einzelne – zu den Menschenrechten? Zeigen wir Haltung, unabhängig von Herkunft, kultureller Prägung, sexueller Neigung, Aussehen, Form und Geschlecht – und halten diese Werte auch anderen und allem anderen gegenüber hoch, als Angebot, Garantie und Forderung gleichermaßen – oder erwidern wir Hass mit Wut, Verachtung mit Verächtlichmachung und lassen uns aus lauter Angst zu Ebenbildern unserer Feinde machen? Nicht Bomben, Mauern und Stacheldraht verändern die Welt zum Besseren, sondern Ideen und diejenigen Menschen, die sie leben. Das lehrt die Geschichte. Es gibt keine Randgruppen. Wir sind alle mittendrin.

Ich stelle die Eingangsfrage, weil es nicht mehr möglich ist, ihr ehrenhaft auszuweichen. Sie unbeantwortet zu lassen, beantwortet sie auch.

Duke Eibensang, im Mai 2016

3 Gedanken zu „Wo gehörst du hin?

  • Bodecea

    Starke Worte. Danke!

  • Unbehagen in der Hippiekultur

    Mh…beruhigt mich nachvollziehen zu können, wie ihr Heiden völkisch sein könnt ohne zwangsläufig rechts zu sein. Doch der Materialist in mir bleibt kritisch: auch wenn unserer Vorstellung von Objektivität ein subjektiver Ursprung immanent ist – oder gerade deswegen – bleibt uns doch nichts anderes übrig als uns mit dem zu begnügen, was das Alltagsbewusstsein nüchtern als „Ist“ betrachtet. Wie kommt ihr auf die Idee es gibt soetwas wie Götter bzw. was versteht ihr darunter? Es gibt noch viel zu lesen. Weiter so! =)

  • Nun, wir sind zwar Heiden, aber garantiert nicht völkisch. Wenn wir völkisch wären, könnten wir uns allenfalls verbal von rechten Positionen abgrenzen, also letzten Endes nur behaupten, wir wären nicht „rechts“. („Rechts“ jetzt verstanden als „kulturell konservativ bis reaktionär und nationalistisch“, „rechts“ fängt nicht erst bei explizit faschistischen Positionen an. Die CSU ist eine „rechte Partei“, ohne deshalb gleich demokratiefeindlich oder menschenrechtswidrig zu sein. An und für sich akzeptabel – aber einige prominente CSU-Politiker argumentieren durchaus völkisch, was leider mehr ist als bayrische Folklore.)
    Was die Götter angeht, muss niemand an Götter glauben. Im Prinzip könnten auch Atheisten in der Nornirs Ætt mitmachen und in der Praxis sind einige von uns eher Agnostiker als „Asengläubige“. Was die Natur der Göttinnen und Götter angeht, würde wohl jede und jeder von uns eine andere Antwort geben. Spiritualität ist eben sehr persönlich und hochgradig subjektiv.

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