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„Wikinger-Krieger entpuppt sich als Kriegerin“ – na und?

Die Entdeckung, dass die Gebeine aus einem wikingerzeitlichem Grab mit Waffenbeigaben keine Überreste eines männlichen Krieges, sondern die einer Frau sind, macht zur Zeit Schlagzeile. Dass die Meldung als „Sensation“ wahrgenommen wird, liegt vermutlich einerseits an überholten Vorstellungen über die damalige Geschlechterrollen, anderseits auch daran, dass moderne Wunschbilder vor „Kriegerprinzessinnen“ oder „Amazonen“ in die archäologischen Befunde hineingelesen werden.

Zuerst einmal ist die „Kriegerin von Birka“ beileibe nicht der erste Waffenfund in einem Frauengrab. Vor einigen Jahren erregte z. B eine Studie Aufsehen, nach der in vielen Gräbern skandinavischer Invasoren in England Frauen mit Schwert, Speer und Schild beerdigt würden. Invasion of the Viking women unearthed (USA today).
Allerdings hielten die Zahlen, die in der Studie damals genannt wurden, der genaueren Überprüfung nicht Stand. Es hat nachweislich einzelne Frauen gegeben, die Waffen als Grabbeigabe bekommen hatten – und die englischen Befunde fügen sich damit in das Gesamtbild des „vorchristlichen Nordeuropas“. Dafür, dass Frauen in größerer Anzahl in Schlachten kämpften oder gar für „Amazonenheere“ im europäischen Mittelalter und der europäischen Eisenzeit gibt es hingegen keine Belege.

Phantasie-Kriegerin
„Wikinger-Kriegerin“, garantiert unauthentisch.

Der „Fall Birka“ macht vor allem wegen einer Besonderheit Schlagzeilen: Die „Kriegerin“ aus Grab Bj 581 galt 139 Jahre lang geradezu als Musterbeispiel für einen „mächtigen Krieger“ – dem Grab war ein Schwert beigelegt, eine Axt, ein Kampfmesser und zwei Schilde – ein „Wikingergrab wie aus dem Bilderbuch“. Schon vor einigen Jahren hatten schwedische Archäologen Zweifel an der Geschlechtszuordnung, denn einige anatomische Merkmale des Skelettes sahen weiblich aus. Schließlich gab eine molekularbiologische Untersuchung Gewissheit: es ist kein Y-Chromosom nachweisbar, die Gebeine sind (biologisch) weiblich. (Die anatomisch weiblichen Merkmale sind insofern von Bedeutung, da es Fälle vermeindlicher „Kriegerinnen“ gegeben hatte, bei denen die genetische Befunde sich im Nachgang als Verunreinigungen mit der modernen DNA der Ausgräberinnen/Analytikerinnen herausgestellt haben.)

Berühmter Wikinger-Krieger war eine Frau (Spiegel online). Der zugrunde liegende Aufsatz der schwedischen Forscher_innen: A female Viking warrior confirmed by genomics.

Sehr interessant, aber wo ist die Sensation?

Für Frauen, die kämpften, gibt es gerade im europäischen Norden viele literarische Belege. Sicherlich sind Angaben in Sagas, Heldenliedern, Mythen und mittelalterlichen Chroniken über „Schildmaiden“ mit Skepsis zu betrachten, aber viele Angaben, z. B. in der Hervarar-Saga oder der Ragnars-Saga, wie auch in der Gesta Danorum des Saxo Grammaticus, sind plausibel. Saxo beschreibt, dass Frauen das Leben als Kriegerinnen ergriffen, um einer Heirat zu entgehen, und Aslaug in der Ragnar-Saga begleitet ihre Söhne mehrfach auf Kriegszügen. Für beide Motive gibt es auch belegte neuzeitliche Beispiele – und für Frauen, die wie in der Vinland-Saga in Notwehr zu Waffen greifen, ohnehin.
Aber sowohl die literarischen wie die archäologischen Quellen deuten eher auf Einzelfälle hin. Was, da „die Germananen“ (einschließlich „der Wikinger“), eine patriarchalisch organisierte Geselllschaft hatten, nicht weiter überraschend ist, auch wenn die rechtliche Stellung der Frauen relativ zum südlichen Europa stark war.

Leider war es in der früherer Forschung gängige Praxis, Gräber mit Waffen als Grabbeigaben sofort als „Kriegergräber“ einzuordnen, und wie selbstverständlich zu unterstellen, dass es sich um Männergräber handelt. Das ist in der Presse nebst elektronischen Medien auch heute noch meistens so. Jede Meldung über eine Frau, die mit Waffen bestattet wurde, widerspricht den gängigen Vorurteilen – und wird daher automatisch als „kontrovers“ und „sensationell“ wahrgenommen.

Überinterpretationen und Klischees

Der oben verlinkte „Spiegel“-Artikel, andere Artikel aus Presse und Internet und sogar der zugrunde liegende Aufsatz enthalten Interpretationen, die ich ohne Zögern für Überinterpretatationen halte.

Die reichen Waffenbeigaben deuten nicht zwangsläufig auf einen „Krieger“ hin.
„Krieger“ sind Menschen, die einen Großteil ihrer Zeit dem Kampf und Waffenübungen wildmen, etwa als Teilnehmer eines Feldzuges, als Gefolgsleute eines Herrschers oder als „Miliz“ zur Selbstverteidigung, etwa eines Dorfes. Nicht jeder oder jede, die Waffen trägt, ist Krieger oder Kriegerin. (In der frühen Neuzeit war es z. B. für Adlige und Gelehrte obligatorisch, zumindest einen „Kostümdegen“ als Standesausweis zu tragen.)
Wer oft kämpfte oder gar im Kampf starb, hat typischerweise markanten Verletzungen am Knochenapparat (Hieb-, Stich-, stumpfe Verletzungen). Schon das langjährige regelmäßige Üben mit Schwertern oder Kriegsäxten hinterlässt Spuren an den Knochen (z. B. typische Muskelmarken oder charakteristischen Gelenkverschleiß).
Grabbeigaben müssen mit Vorsicht interpretiert werden: Nicht der oder die Tote entschieden über ihre Grabbeigaben, sondern diejenigen, die die Bestattung vollziehen. Reiche Grabbeigaben können auf persönlichen Reichtum hinweisen – müssen aber nicht, vielleicht wurde der oder die Tote aus irgend einem Anlass besonders geehrt und war im Leben gar nicht reich. Umgekehrt können auch Reiche und Mächtige bescheiden bestattet worden sein. Waffen deuten auf „Krieger“ hin, mehr aber auch nicht: Waffen waren und sind Machtsymbole, also wurden auch Herrscher, die nie selbst gekäpft hatten, so geehrt. Auch ist es denkbar, dass die Mutter oder die Frau eines berühmten Kriegers durch Waffenbeigaben geehrt wurde.
Das alles schließt keineswegs aus, dass die Frau eine Kriegerin war. Aber solange keine Kampf- oder Übungsspuren am Skelett nachweisbar sind, bleibe ich skeptisch.

Übrigens wurden in wikingerzeitlichen Männergräbern auch Webgewichte gefunden – die üblicherweise als Hinweis auf ein Frauengrab gelten.

Ein Brettspiel deutet nicht darauf hin, dass jemand sich tatsächlich in Strategie und Taktik übt.
Dass sich Feldherren beim Schachspiel im strategischen Denken üben, ist ein altes – und oft unzutreffendes – Klischee. Abgesehen davon, dass Schach oder vergleichbare stilisierte Strategiespiele sich nur sehr bedingt als „Schulung“ in Strategie und Taktik eines realen Krieges eignen, schon gar nicht eines Krieges der „Wikingerzeit“ (in der Regel gab es keine großen Heere und fast nie straffe Befehlsstrukturen): Die meisten Spieler spielten wie heute zum Vergnügen. Allenfalls könnte ein Brettspiel als Grabbeigabe darauf hin deuten, dass der oder die Bestattete Muße genug zum Spielen hatte – und, im Falle eines kostbaren Spieles, reich war.

Wer kostbare Waffen hat und sich in Strategie und Taktik übt, muss nicht zwangsläufig militärischer Anführer sein. Geschweige denn „hochrangiger Offizier“!
Außerdem weckt „Offizier“ für die „Wikingerzeit“ völlig falsche Assoziationen. Es ist ein neuzeitlicher Begriff, der vielleicht noch für die Armeen der römischen Kaiserzeit oder die Landsknechtheere der frühen Neuzeit anwendbar ist, aber sogar bei den Ritterheeren des Hochmittelalters in die Irre führt. Er setzt ein straff durchorganisiertes Militär mit festen Befehlsketten und besonders geschulten Anführern voraus. Und überhaupt waren die „Wikinger“ noch Krieger und keine Soldaten. Nur unter Soldaten ist der Begriff „Offizier“ sinnvoll. Der Unterschied: Ein Krieger handelt grundsätzlich auf eigene Verantwortung, ein Soldat auf Befehl. Ein Offizier kann, wenn es die taktische Lage erforderte, Untergebene in den Tod schicken. Fahnenflucht ist für einen Soldaten das schwerste Verbrechen überhaupt. Hingegen konnten sich wikingerzeitliche militärische Führer nicht immer gegen die Interessen ihrer Leute durchsetzen. Die „Gefolgschaften“ ähnelten, ausweislich der Sagaliteratur, eher „Piratenhaufen“ oder der „Leibgarde eines Gangsters“ – sie wurden durch persönliche Loyalität, gemeinsame Interessen, z. B. an Beute, und gegebenenfalls durch unregulierte Gewalt zusammengehalten.

Zur Diskussion möglicher Überinterpretationen schon in der Studie selbst, im Blog „Norse and Viking“: Let’s Debate Female Viking Warriors Yet Again.

Und in der Facebook-Gruppe „Kaptorga – Dienstleistungen für historische Medienproduktionen“.

Genetisch weiblich – aber trotzdem Krieger, nicht Kriegerin.


Es könnte durchaus auch sein, dass die „Kriegerin“ zu Lebzeiten als Mann gelebt hatte.
Historische und aktuelle Beispiele dafür reichen von Frauen, die sich ihren Lebensunterhalt als Söldner verdienten, und sich deshalb als Mann ausgaben, bis zu tatsächlichem Transgender. Liste als Mann verkleideter weiblicher Militärpersonen)
Genetische Frauen, die sich als Männer fühlen, sind ja auch keine Erfindung der Gegenwart. Es gab sie schon immer.
In diesen Fällen wäre die „Kriegerin“ gar keine „Kriegerin“, sein/ihr „Sex“ (genetisches Geschlecht) wäre zwar „weiblich“, aber sein/ihr „Gender“ (soziales Geschlecht) „männlich“. Er/sie wäre also nicht „Kriegerin“, sonden „Krieger“ gewesen!

Die Vorstellung, es hätte im großem Umfang „Wikingerkriegerinnen“ gegeben, ist Wunschdenken.

Es lassen sich bei jenen, die an Kriegerinnen als Normalfall glauben, zwei Typen unterscheiden. Die einen basteln an feministisch orientierten „Vergangenheitsutopien“ von einer ur- und frühgeschichtlichen Gesellschaft, in der die Frauen den Männern in allen Belangen zumindest gleichgestellt, wenn nicht übergeordnet, gewesen wären. Die anderen hegen aus der modernen Fantasy genährte Wunschbilder von Kriegerinnen, die sie sich selbstverständlich als stark, schön, sexy und sebstbewusst vorstellen.

Es ist in beiden Fällen im Grunde das gleiche Spiel: Eine vergangene Epochen wird romantisiert und idealisiert. Nun gab es in der „Wikingerzeit“ bekanntlich auch Hungersnöte, Sklaverei und Kindsmorde – und ob es angebracht ist, Raubzüge und Angriffskriege zum „frisch-fröhlichen“ romantisch-heroischen Abenteuer zu verklären, halte ich für zumindest fragwürdig. Bei Licht besehen war ein „typischer Wikingerkrieger“ ein dritter, vierter oder fünfter Sohn, der in der Heimat „überflüssig“ war, der vielleicht nicht einmal wusste, ob er demnächst noch genug zum Essen haben würde. Das Leben war hart.

Sowohl jene, die aus vergangenen Kulturen nachträglich utopische Gesellschaften machen, als auch jene, die davon träumen, wie spannend es gewesen wäre, eine starke, schöne, selbstbewusste und sexy Kriegerin gewesen zu sein, projezieren moderne Vorstellungen, modernen „Zeitgeist“, auf die Ergebnisse archäologischer bzw. historischer Arbeit. Bleibt das im privaten Rahmen, stört es niemanden. Lassen sich Journalist_innen oder Publizist_innen davon anstecken, tragen sie zu einen unrealistischen Bild der Vergangenheit bei, und im schlimmsten Fall zur Ideologieproduktion. Denken sogar Wissenschaftler_innen selbst so, dann ist das schlicht unseriös.

Nebenbei stellt sich die Frage, ob nicht auch wir, als Nornirs Ætt, aus den „alten Germanen“ ein „vergangenes Utopia“ machen und die „Germanen“ zu „besseren Menschen“ stilisieren. Wir tuen es nicht. Wir sehnen uns auch nicht danach, „damals“ gelebt zu haben, auch aus dem einfachen Grunde, dass einige von uns „damals“ keine Überlebenschancen gehabt hätten.
Wir können von den „Hirsemampfern und Ochensenkarrenfahrern“ durchaus das eine oder andere lernen, und wir haben es mit Göttinnnen und Göttern, die auch sie verehrt hatten – aber wenn wir an einem „utopischen“ Projekt arbeiten, dann ist es eine gegenwärtige, „konkrete Utopie“, hier und jetzt. Die nach meinem Dafürhalten nichts mit „utopischem Denken“ zu tun hat, sondern nur das eine oder andere einfach macht, was andere fälschlicherweise für „utopisch“ halten.

Aber: Wenn es diese selbstbewussten, selbstbestimmten, den Männern in allen Belangen gleichgestellten Frauen „damals“, im „alten Heidentum“ nicht gegeben hat, dann ist das für das modernen Heidentum absolut kein Grund, die damaligen Geschlechterrollen nachzuahmen, als „vorbildlich“ oder „traditionell“ zu preisen oder, was auch vorkommt, als „naturgegeben“ darzustellen!
Wenn sich im Ásatrú ein Frau sich als „Kriegerin“ fühlt und einen entsprechenden (spirituellen) Weg einschlägt, dann ist das völlig normal. Es wäre das sogar dann, wenn es keine „Schildmaiden“ und „Walküren“ in den alten Mythen geben würde. Was ist schon dabei, wenn sich Frauen selbst im Zuge ihrer neopagenen Identität als „Kriegerin“ identifizieren?
Es ist auch völlig legitim, z. B. als Live-Rollenspieler_in eine „Kriegerin“ darzustellen. Vorsicht ist allerdings bei Darstellungen mit historisch belegten Ausstattungen, als „Reenactment“ bzw. „Living History“ angebracht, eben weil weibliche Kämpfer die Ausnahme, nicht die Regel, waren.

Martin Marheinecke

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