Erforscht & Entdeckt

Wieso Rutengehen funktioniert, obwohl die Wünschelrute nicht funktioniert

Mit diesem Artikel werde ich es mir wahrscheinlich mit vielen RutengeherInnen verderben – und mit mindestens ebenso vielen „Skeptikern“.
Das Problem ist nämlich, dass es sich einerseits nach allen Regeln der Naturwissenschaft experimentell nachweisen lässt, dass die Wünschelrute nicht funktioniert. Es gibt auch schon lange eine gute Erklärung für das „Zucken“ und „Ausschlagen“ der Rute. Anderseits lässt sich kaum leugnen, dass einige RutengerherInnen überzufällig oft brauchbare Ergebnisse erzielen.

Seit wann Wünschelruten eingesetzt werden, um Wasser oder Erzvorkommen zu finden, ist ungewiss. Die ersten genauen Beschreibungen stammen aus der Frühen Neuzeit.
Georgius Agricola beschrieb 1556 in seiner Schrift „De re metallica“ ausführlich und mit der Abbildung eines Rutengängers illustriert, wie zu seiner Zeit Bergleute mit der Wünschelrute nach Erz suchten.
Schon damals war das Rutengehen umstritten. In der Renaissance hatte die Kunst des Rutengehens sich zu einer differenzierte Technik entwickelt. Bei den Bergleuten standen dabei praktische Fragen, etwa welche Hölzer für welche Metalle geeignet seien, im Vordergrund. Aber auch schon damals gab es Rutengeher, die die Fertigkeit, Wasser und andere Bodenschätze zu finden, mit einem komplizierten theoretischen Überbau versahen, auch um zu zeigen, dass der Erfolg nicht etwa von Zauberei abhängen würde. Es war schließlich die Zeit der Hexenverfolgung, und der Verdacht, Magie zu praktizieren, konnte sehr unangenehme Folgen haben. Es käme, schrieben sie, nicht auf irgendeinen Zauber an, sondern zum Beispiel auf die Größe der Rute, ihre Form, ihr Material, die Anziehungskraft der Metalle, die Handhabung der Rute und so weiter und so fort. Einige wiesen außerdem darauf hin, dass viele Menschen eine besondere hinderliche Veranlagung besäßen, die die Anziehungskraft der Metalle außer Kraft setze und verantwortlich dafür sei, dass Überprüfungen durch ungeeignete Personen fehlschlügen. Es ging wohlgemerkt nicht darum, dass man eine besondere Gabe haben müsse, um erfolgreich Rutengehen zu können, denn das könnte ja auch eine magische Fähigkeit sein, womöglich eine durch Teufelspakt erworbene. Eine hinderliche persönliche Eigenschaft fiel nicht unter diesen Verdacht.
Dem standen jene gegenüber, die als Erklärung für die Wirkung nicht eine Anziehungskraft der Metalle, sondern nur die Zaubersprüche der Rutengänger gelten lassen wollten. Selbstverständlich gab es auch damals schon Skeptiker, die die Rutengeherei für unnütz und wirkungslos hielten.
Agricola schrieb einerseits die Wirkung Zaubersprüchen zu, die er nicht wiedergeben wollte, anderseits dem Zufall und seiner geschickten Ausnutzung durch die Rutengänger. Er empfahl beim Suchen nach Metallen stattdessen auf deren natürliche Anzeichen zu achten.

Zur Zeit der Frühaufklärung beschrieb Johann Gottfried Zeidler in seinem um 1700 erschienenen „Pantomysterium oder das Neue vom Jahre in der Wünschelrute“ seine Beobachtung, dass die Rute sich auch dann bewegt, wenn ihr Träger nur glaubte, den gesuchten Gegenstand gefunden zu haben. Das legte nahe, dass der Erfolg einer Mutung nicht von der Rute, sondern vom Wissen des Menschen, der sie trägt, abhängt.
Rutengeher im 18. Jahrhundert

Im angeblich „aufgeklärten“, in Wirklichkeit von einer weit verbreiteten unkritischen „Wissenschaftsgläubigkeit“ durchdrungenen 19. Jahrhundert standen zunächst allerlei pseudowissenschaftliche Hypothesen im Vordergrund, etwa der „tierische Magnetismus“, der auch für das damals noch rätselhafte Phänomen der Hypnose verantwortlich gemacht wurde. Die vom Naturforscher Carl Freiherr von Reichenbach (1788 – 1869) angenommene Lebenskraft „Od“ hat große Ähnlichkeit mir den traditionellen „Energie“-Vorstellungen, wie Qi, Ki, Prana, Mana usw., erhielt allerdings zeittypisch einen „naturwissenschaftlichen“ Anstrich.
Schließlich begründeten unter anderem Gilbert, Marechaux, Erman und Pfaff die Auffassung, dass es sich beim Rutenausschlag lediglich um unbewusste Bewegungen handle. Das ist die heute allgemein anerkannte Erklärung – wenn man von den Radiästheten absieht.

Rutengeher beschränken sich schon lange nicht mehr auf ihre traditionellen Gebiete, dem Aufspüren von Wasser oder Bodenschätzen, oder vermissten Gegenständen oder Menschen. Das einträglichste Gebiet – und das, welches am meisten Skepsis, Spott und Ablehnung hervorruft – ist das Aufspüren von angeblich gesundheitsschädlichen „Erdstrahlen“.
Diese ominösen „Erdstrahlen“ gelten in der Radiästhesie als die Ursache für die verschiedenen Ausschläge, die Rutengänger und Pendler an verschiedenen Orten erhalten. Der Begriff „Erdstrahlung“ wird oft und wohl auch zurecht als pseudowissenschaftlich bezeichnet – wer von „Erdstrahlung“oder „Störzone im Kraftfeld“ redet, klingt jedenfalls irgendwie so, als ob sie oder er Ahnung hätten, was auch mit unserem Sprachgebrauch und mit unserer kulturellen Prägung zusammenhängt. „Ich spüre einen Ort der Kraft“ und „die Apperzeption zeigt eine lokal begrenzte starke Strahlung im Bereich von über 18000 Bovis-Einheiten“ beschreiben tatsächlich den selben Sachverhalt, aber das pseudowissenschaftliche Bla-Bla klingt für viele Zeitgenossen eben sehr viel überzeugender.
Anderseits gibt „Strahlung“ recht gut die subjektive Empfindung beim Rutengehen wieder, und schließlich eignet sich der Begriff auch dazu, kurz und bündig über die Ergebnisse einer Mutung zu sprechen (z. B. „hier herrscht stärkere Strahlung als da drüben“).
Radiästhesie bedeutet wörtlich „Strahlenfühligkeit“. „Fühlen“, nicht „messen“, was angesichts des ausgesprochen „psysikalischen“ Vokabulars („Erdstrahlen“, „Wellenlängen“, „Globalgitter-Netz“ usw.) gern vergessen wird.
Physikalisch untermauert ist die Hypothese der „Erdstrahlen“ jedenfalls nicht, tatsächlich ist es beim derzeitigen Stand der Naturwissenschaft sogar äußerst unwahrscheinlich, dass „Erdstrahlen“ im selben Sinne Strahlen sind, wie z. B. Lichtstrahlen, Röntgenstrahlen oder Partikelstrahlen.
Als sprachliches Bild für einen unanschaulichen Sachverhalt könnten „Erdstrahlen“ trotzdem nützlich sein. Leider kreisen die Diskurse über diesen Begriff seit gut 150 Jahren fast nur um die Frage, ob „Erdstrahlen“ nun physikalisch real sind oder nicht. Ein wissenschaftlicher Nachweis von „Erdstrahlen“ im physikalischen Sinne konnte nicht erbracht werden, was gern zu „Erdstrahlen gibt es erwiesenermaßen nicht“ verkürzt wird, was wiederum zu heftiger Gegenwehr der von ihren pseudo-physikalischen Begriffen nicht lassen wollenden Radiästheten führt.

Es ist eigentlich unnötig, auf die vielen Scharlatane auf dem Gebiet der Radiästhesie hinzuweisen. Davon gibt es so viele, dass schon der Begriff „ehrlicher Rutengeher“ von manchen Mitmenschen für einen Witz gehalten wird.
Der an sich eher rutengängerfreundliche „Wünschelruten-Report“ von H. L. König und H.-D. Betz, TU München (1989) kommt zum Schluss, dass Rutengänger ihre eigenen Fähigkeiten maßlos überschätzen und ihre Treffsicherheit gering sei.
Noch weitaus ernüchternder ist die Einschätzung der GWUP: Ihr zufolge sind weltweit alle

„(…)gut kontrollierten und doppelblind durchgeführten Versuche, die die verschiedensten Behauptungen von der Wassersuche über das Finden von Gold bis hin zur Suche nach elektrischen Leitungen prüften, bisher negativ ausgegangen(…)“

Beim Rutengehen kommt es tatsächlich regelmäßig zu plötzlichen, nicht willentlich gesteuerten Bewegungen der Wünschelrute. Wie auch beim Gläserrücken, dem Oui-Ja-Board bzw. Hexenbrett oder dem Pendel ist daran nachweislich nichts Mysteriöses, geschweige denn „Übernatürliches“. Auslöser sind zum einen winzige Muskelbewegungen, die unbewusst mit gedanklichen Inhalten und Vorstellungen verbunden sind, auch „Carpenter-Effekt“ (nach dem englischen Naturforscher William Benjamin Carpenter, 1813-1885) genannt. Hinzu kommt das Kohnstamm-Phänomen (benannt nach dem deutschen Neurologen und Psychiater Oskar Kohnstamm, 1871-1917). Es entsteht, wenn Muskeln nach längerer, intensiver Anspannung wieder entspannt werden. Der Effekt wirkt umso überraschender, da er nicht unmittelbar nach der Entspannung eintritt, sondern mit einer Verzögerung von etwa zwei Sekunden.

Andererseits setzte z.B. die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit eine Zeit lang Rutengänger für die Wassersuche bei Projekten im Brunnenbau ein – übrigens mit Erfolg. Es gibt auch Brunnenbohrunternehmer, die auf die Rutengänger schwören und sie für zuverlässiger halten als geologische Untersuchungen. Nun gibt es sicher auch abergläubische Brunnenbohrer, aber allzu viele trocken gebliebene Bohrungen, oder solche, bei denen erst in sehr großer Tiefe Wasser gefunden wird oder die Wasservorkommen gering sind, würden einen professionellen Brunnenbohrer ziemlich schnell in die Insolvenz führen.

Dieser scheinbare Widerspruch zwischen einer in kontrollierten Experimenten widerlegten und in der Praxis manchmal erfolgreichen Rutengängerei lässt sich aufklären, wenn man von dem ausgeht, was Zeidler schon vor über 300 Jahren erkannte: Die Rute selbst macht gar nichts. Das „Messgerät“ ist auf jeden Fall der Mensch. Prüft man das Rutengehen so, wie man ein Messgerät prüfen würde, dann ist es angesichts der Subjektivität des Verfahrens nicht überraschend, wenn dabei heraus kommt, dass Rutengehen nicht signifikant besser abschneidet als bloßes Raten. Es ist auch nicht verwunderlich, dass die Mutungen verschiedener Rutengänger nicht immer übereinstimmen.
Wie auch das Pendel oder das Oui-Ja-Board zeigt die Wünschelrute nur die feinen Reaktionen der Muskeln an, die sonst unbemerkt geblieben wären. Diese feinen Bewegungen, die unbewusst mit gedanklichen Inhalten und Vorstellungen verbunden sind, taugen, wie Experimente mit Pendeln zeigen, dazu, unbewusste bzw. unterbewusste Vorgänge zu entdecken. Die Wünschelrute kann ein Zugang zum unbewussten Wissen und unter der Bewusstseinsschwelle bleibenden Wahrnehmungen sein.
Das ist eine elegante Erklärung, wieso Versuche unter kontrollierten Bedingungen, bei denen Rutengänger etwa herausfinden sollen, welches vergrabene Wasserrohr Wasser führt und welches trocken ist, so völlig versagen, während die selben Rutengänger in freier Landschaft regelmäßig erfolgreich Wasser finden: In der Natur gibt es subtile Anzeichen von Wasser, etwa winzige Abweichungen im Pflanzenwuchs, oder ein gar nicht bewusst wahrnehmbarer schwacher Geruch, eventuell sogar eine „spürbare“ Abweichung im Magnetfeld, die verraten, dass dicht unter der Erdoberfläche Grundwasser zu finden ist. Erfahrene Wassersucher und erfahrene Erzsucher können außerdem eine Landschaft „lesen“, wer sehr viel Erfahrung hat, „liest“ diese geologischen Besonderheiten einer Landschaft sogar völlig automatisch und ohne bewusstes Nachdenken. Hinzu kommt ihre Intuition – eine Fähigkeit, die sich trainieren lässt. Sie wissen einfach, das da Wasser oder Bodenschätze sind, können aber nicht immer genau sagen, wie sie darauf kommen. Der Ausschlag der Rute kann dieses nicht bewusste Wissen zutage fördern.
Das setzt allerdings eine gute Wahrnehmungsgabe und die Abwesenheit irritierender „Oberflächengedanken“ und störender Gefühle voraus.
Was wiederum bedeutet: es gibt auf diesem Gebiet nur wenige wirkliche Könner. Weil diesem Häufchen meistens völlig unprätentiöser Praktiker eine Unzahl Selbstdarsteller, die wenig können, und eine nicht minder große Anzahl Scharlatane, die außer Schummeln und Lügen gar nichts können, gegenüber steht, kann ich es den Skeptikern nicht verdenken, dass sie Wünschelrutengehen grundsätzlich und immer für Humbug, Betrug, Aberglauben und Selbstüberschätzung halten.

Martin Marheinecke (August 2012)

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