Gjallarhorn Weblog

Von Brot, Böllern und Moralinsäure

Die „Aktion 3.Welt Saar“ fordert Hilfsorganisationen auf, den Appell ‚Brot statt Böller‘ einzustellen.

„Der Aufruf trägt eine gehörige Portion Lustfeindlichkeit zur Schau. Mit seinem Appell an das schlechte Gewissen richtet er zudem politischen Flurschaden an“, so Roland Röder, Geschäftsführer der „Aktion 3. Welt Saar“.

Ich stehe der Silvesterknallerei mit gemischten Gefühlen gegenüber, und kann Menschen verstehen, die sie z. B. aus Gründen des Unweltschutzes völlig ablehnen. Trotzdem ärgere ich mich über diesen Slogan schon seitdem die Aktion vor über 20 Jahren von der evangelischen Kirchengemeinde in Bargteheide (Kleinstadt in Schleswig-Holstein, zwischen Hamburg und Lübeck) erfunden und wenig später von Brot für die Welt übernommen wurde. Ein Grund für meine Ablehnung ist der auch von Röder erwähnte fehlende Zusammenhang zwischen „überflüssigen Geldausgaben für Silvesterknaller“ und dem Hunger in der Welt. Eben so gut könnte man eine Aktion „Brot statt Weihnachtsbäume“, „Brot statt Fußball-Bundesliga“ oder auch „Brot statt Kirchentage“ ausrufen: Weder kausal noch moralisch ist das Eine mit dem Anderen verbunden. Der Slogan „Brot statt Böller“ ist kein Deut logischer, moralischer oder hilfreicher, als die Mahnung einer Mutter an ihre Kinder, denen das Essen nicht schmeckt, doch an die armen hungernden Kinder in Afrika zu denken.

Röder folge ich auch darin, dass Hunger ist kein Schicksal ist, sondern gemacht wird. Hunger ist in erster Linie ein Verteilungsproblem, die Nahrungsmittelproduktion der Erde reicht (theoretisch) für alle (Weltagrarbericht).

In seiner Forderung nach Abkehr „von der viel gepriesenen Liberalisierung des Welthandels“ mag ich ihm nicht ganz folgen – denn viele, wenn nicht die meisten, Probleme, die er zu recht anprangert, resultieren darin, dass auf dem Agrarsektor von „freien“, ganz zu schweigen von „fairem“, Welthandel keine Rede sein kann. Es stimmt, die EU-Subventionen für Agrarexporte und der Zwang zur Öffnung der Agrarmärkte vernichten in der 3. Welt jeden Tag Existenzen und sorgen dafür, dass Menschen verhungern. Wobei zu ergänzen wäre: die einseitige Öffnung der Agrarmärkte, denn der EU-Markt ist gegen Agrarimporte gut „geschützt“.

Der Erfolg der Kampagne „Brot statt Böller“ beruht, wie die Mahnung der Mutter an ihre essunwilligen Kinder, auf einem Appell ans schlechte Gewissen. Was vielleicht das Portemonnaie potenzieller Spender öffnet, jedoch den Blick für Problemlösungen und Verantwortlichkeiten verschleiert. Der Zweck – das Eintreiben von Spenden – heiligt keineswegs das fragwürdige, an einen „Sündenablass gegen milde Gabe“ erinnernde, Mittel.
In ihren Projekten ist „Brot für die Welt“ schon lange vom mehr schadenden als nützenden (aber das Gewissen beruhigenden) Almosengeben abgerückt. Schon aus diesem Grunde wirkte die Böller-Kampagne von Anfang an wie ein Versatzstück aus dem 19. Jahrhundert.

Es ist meiner Ansicht nach kein Zufall, dass die Aktion von einer evangelischen Gemeinde ausging. Katholiken sind, was Appelle ans schlechte Gewissen angeht, zwar keineswegs zurückhaltender, aber ihre „Lieblingstodsünde“ ist der Sex (außer zu Fortpflanzungszwecken innerhalb einer unauflösbaren heterosexuellen Einehe). Der geflissentliche Verzicht auf alles „Überflüssige“ ist in der Tat sehr protestantisch. Beiden großen Konfessionen gemeinsam ist dann wieder der moralinsaure Unterton – die Weihnachtsbotschaften sind dieses Jahr, vom Papst an abwärts, anscheinend wieder besonders moralinsauer geraten.

Aus der evangelischen Kirchenpolitik ergeben sich z. B. für Silvester paradoxe Konsequenzen: Einerseits wird den evangelischen Christen geraten, von ganzen Herzen Silvester zu feiern – schließlich sind mit beiden Beinen im Leben stehende Lutheraner ja keine säuertöpferischen Puritaner. Aber bitte ohne Geld für Feuerwerk und Luftschlangen zu verschwenden, möglichst auch ohne unangemessenen Lärm, ohne Alkohol und ohne üppiges Essen. Abergläubisches Tun wie Bleigiessen, Neujahrshoroskope oder das Lichtorakel sind ebenfalls zu unterlassen.
Das Erstaunliche dabei ist nicht, dass kaum jemand an so einer „moralisch korrekten“ Feier Spaß hat. Erstaunlich wäre auch nicht das schlechte Gewissen glaubenseifriger evangelischer Christen, die dennoch „moralisch unkorrekt“ mit Alkohol, Feuerwerk und spaßhaftem Orakel feiern.
Erstaunlich ist eher, dass evangelische Kirchenfunktionäre anscheinend den Eindruck haben, keineswegs lustfeindlich oder hypermoralisch zu sein.
Die katholische Kirche ist traditionell weit weniger feier- und ritualfeindlich. Dafür hat sie, gewissermaßen als Ausgleich, ein ausgeklügeltes System von Sünden und Absolution im Angebot – und vertritt weitaus energischer ihren Anspruch darauf, die höchste Instanz in allen Moralfragen zu sein.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert