Gjallarhorn Weblog

Stille Feiertage gefährden die Religionsfreiheit

Missionierende Atheisten können genau so eine „Landplage” sein wie missionierende Religionsvertreter. Daher bin ich nicht unbedingt ein Freund von Initiativen wie „Religionsfrei im Revier”, obwohl ich mit sehr vielen der Forderungen der „Lobby für Konfessionsfreie” sehr einverstanden bin.

Vor etlichen Wochen erhielt „Religionsfrei im Revier” einen Bußgeldbescheid der Stadt Bochum in Höhe von 300 Euro, weil sie am Karfreitag letzten Jahres zum zweiten Mal an diesem Feiertag den Film „Das Leben des Brian” gezeigt hatte.
Die Initiative „Religionsfrei im Revier” ist der Ansicht, dass eine Strafandrohung gegen Menschen, die sich nicht an dieses Gesetz halten, gegen zentrale Grundrechte der Verfassung verstößt. Sie wird den Film in diesem Jahr erneut am Karfreitag zeigen.
Da „Religionsfrei im Revier” nicht auf die Idee kommt, den satirischen Karfreitagsklassiker Kirchgängern aufzudrängen oder sie bei ihrer Religionsausübung zu stören, ist es in der Tat absurd, so ein Bußgeld zu verhängen. Nach Angaben von „Religionsfrei im Revier” ist aus der Bußgeldakte der Stadt ersichtlich, dass Bedienstete der Stadt die Veranstaltung besucht hätten und berichteten, das niemand gestört würde.
Genauer gesagt, wäre es absurd, wenn das Rechtsgut, das durch das Feiertagsgesetz geschützt wird, anders, als behauptet, gar nicht die Religionsfreiheit ist, sondern eine christlich verstandene „Leitkultur”.
Anderseits ist die Initiative nicht sonderlich traurig über den Bescheid. In der Tat ist die Filmvorführung auch ein gezielter Regelverstoß, um ein Verfahren einzuleiten, mit dem vor dem Bundesverfassungsgericht geklärt werden kann, ob das Feiertagsgesetz mit den Grundrechten auf Meinungs- und Religionsfreiheit zu vereinbaren ist.

Die sogenannten stillen Feiertage, die auch als „stille Tage” bezeichnet werden, genießen einen besonderen Schutz durch die unterschiedlichen Feiertagsgesetze der Bundesländer (Deutschland, Österreich) bzw. Kantone (Schweiz.) Diese Feiertage sind im deutschsprachigen Raum aus Rücksicht auf die jeweils vorherrschende (christliche) Konfession und in geringerem Maße auf regionales Brauchtum unterschiedlich geregelt. Zum Beispiel ist der Aschermittwoch nur in den katholischen Regionen Bayerns „stiller Tag”.
Der Schutz ist in der Tat ein Privileg der christlichen Glaubensgemeinschaften. In Deutschland ist der Volkstrauertag der einzige „stille Tag”, der kein kirchlicher Feiertag ist.

Auffällig ist, dass der Karfreitag in Deutschland auch in mehrheitlich katholischen Regionen der „stillste stille Tag” mit den umfassendsten Einschränkungen ist. In der katholischen Kirche ist er zwar ein strenger Fast- und Abstinenztag, aber eben kein Festtag, weshalb z. B. im katholisch dominierten Österreich der Karfreitag kein gesetzlich arbeitsfreier Tag ist.

Es ist einsehbar, dass die Trauer und Andacht der Gläubigen nicht gestört werden soll. Allerdings gehen die gesetzlichen Regelungen weit über das Gebot der Rücksichtnahme und des gegenseitigen Respekts hinaus.
Die bekannteste Einschränkung ist das fast überall in Deutschland geltende Tanzverbot an stillen Tagen.
Entgegen seines Namens betrifft das Tanzverbot allerdings nicht nur reine Tanzveranstaltungen. Das heißt konkret, dass in Gaststätten, Diskotheken, etc. aber auch bei privaten Veranstaltungen zu Hause oder in der Nachbarschaft keine Musik gespielt und nicht getanzt werden darf. (In der Praxis gilt das Musikverbot für laute Musik, die auch außerhalb der geschlossenen Räume gehört werden kann.) Verboten sind an diesen Tagen Märkte und Verkaufsveranstaltungen jeglicher Art, gewerbliche Ausstellungen, z. B. Messen, Zirkusaufführungen, Sportveranstaltungen oder Volksfeste und auch das Betreiben von Spielhallen und Wettbüros. Ebenso sind an diesen Tagen öffentliche Veranstaltungen, die nicht dem „ernsten und stillen Charakter des Feiertages” entsprechen, untersagt. Auch Theater müssen in ihrem Spielplan die „stillen Tage” berücksichtigen. Erlaubt sind allerdings Veranstaltungen, die der „geistig-seelischen Erhebung oder einem höheren Interesse der Kunst, Wissenschaft oder Volksbildung dienen und auf den ernsten Charakter des Tages Rücksicht nehmen.” In einigen Ländern gibt es darüber hinausgehende Regelungen, vor allem für den Karfreitag. In Bayern gibt es z. B. am Karfreitag ein generelles Verbot „musikalischer Darbietungen jeglicher Art in Räumen mit Schankbetrieb” – auch „ernste Musik” ist nicht erlaubt.
Dieses Verbot ist im Laufe der Jahrzehnte aufgeweicht. Zum Beispiel war es noch bis in die 1980er Jahre üblich, dass im Rundfunk an „stillen Tagen” nur getragene Musik gespielt wurde und dass im Fernsehen reine Unterhaltungssendungen fehlten.

Wegen der sehr weitgehenden Beschränkungen, die das Nordrhein-Westfälische Feiertagsgesetz den Bürgern diese Bundeslandes am Karfreitag auferlegt, setzte sich 2011 der Parteichef der „Grünen” in NRW, Sven Lehrmann, dafür ein, dass die Regel geändert werden sollte. Jeder solle den Karfreitag „nach seiner Fasson begehen”. Es könne nicht sein, dass die Minderheit der Leute, die christlichen Glauben aktiv praktiziert, der Mehrheit vorschreibt, wie sie den Tag zu verbringen hätte.

Sehr bezeichnend und in gewisser Hinsicht entlarvend war die Reaktion der Beauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Kirchen und Religionsgemeinschaften, Dr. Maria Flachsbarth:
Stille und Entschleunigung am Karfreitag tut allen gut.
Ich bin auch der Ansicht, dass Stille und Entschleunigung mir gut tun können. Aber warum wird uns per Gesetz vorgeschrieben, an welchen Tagen wir gefälligst still zu sein und zu entschleunigen haben? Die wichtigsten „stillen Tage” im „germanischen Heidentum” sind, jedenfalls für mich, zum Beispiel die Raunächte nach der Wintersonnenwende.

An und für sich brauchen „stille Tage” gar keinen äußeren Anlass und keinen festen Termin, und schon gar keine von Staats wegen geregelte religiöse Begründung. Auch Atheisten nehmen sich „stille Tage” – wenn sie wollen und wann sie wollen.
2014 regte die „Evangelische Kirche im Rheinland” sogar „stille Feiertage” auch für Juden und Muslime an, wobei Vizepräses Christoph Pistorius offen ließ, welche Tage von Gesetzes wegen geschützt gehören sollen. Für ihn zählten auch muslimische und jüdische Tage, zum Beispiel das Opferfest und Jom Kippur dazu. Das Dumme ist nur: Das Opferfest ist gar kein stiller Feiertag – genau genommen kennt der Islam gar keine „stillen Tage”.
Dem Religionsfrieden wären solche Regelungen jedenfalls nicht zuträglich. Schon jetzt geraten die „stillen” und die „fröhlichen” religiöse Feste der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften heftig aneinander. 2007 lernte der Koordinationsrat der Muslime (KRM) auf die harte Tour, was „stille Feiertage“ in Deutschland bedeuten: Eine von allen vier Religionsgemeinschaften im KRM getragene Gedenkveranstaltung für den Propheten Muhammad musste verschoben werden, weil man irrtümlicherweise den Karfreitag für die Veranstaltung gewählt hatte. Stille Feiertage auch für Muslime?
In einer multireligiösen Gesellschaft kann der Staat nicht an einzelnen Tagen kollektiv Ruhe verordnen – es sei denn, er privilegiert eine bestimmte Religionsgemeinschaft.

Es ist bezeichnend, dass sich Politiker und Kirchenfunktionäre anmaßen, entscheiden zu wollen, was allen Menschen gut zu tun hat. Manche Menschen wollen und brauchen gar keine Stille und Entschleunigung.
Im Grunde ist so ein Tag, an dem wir gefälligst still zu sein haben, eine weitaus größere Bevormundung als der aus den Reihen der „Grünen” stammende Vorschlag eines wöchentlichen „Veggie-Days” in Kantinen, der im Wahlkampf des Jahres 2013 gerade aus den Reihen der „C”-Parteien angefeindet wurde. Selbst bei einem verbindlichen Veggie-Day gemäß „Grünem“ Vorschlag würde mir niemand verbieten, in der Mittagspause an die Currywurstbude oder den Dönerstand zu gehen. Bei einem fleischlosen Tag nach Vorbild der Karfreitagsruhe wäre es dagegen der Gastronomie verboten, Fleischgerichte anzubieten, ja, ich würde sogar ein Bußgeld riskieren, wenn ich abends ein Steak auf einen im Freien aufgestellten Grill legen würde!

Martin Marheinecke

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