Stammen die indogermanischen Sprachen aus Anatolien?
Ein internationales Forscherteam hat die wahrscheinliche Heimat der indoeuropäischen Sprachen – im deutschen Sprachraum leicht irreführend auch indogermanische Sprachen genannt – identifiziert: Die riesige Sprachfamilie mit heute etwa 400 Sprachen stammt den Untersuchungen zufolge ursprünglich aus Anatolien in der heutigen Türkei. Die Forscher nutzten ein Verfahren, mit dem Seuchenexperten sonst Virusepidemien analysieren, für die Entwicklung eines Sprachstammbaums.
Einige Berichte:
Indogermanische Sprachen stammen aus Anatolien (scinexx)
Sprachverwandtschaft: Indoeuropäische Sprachen stammen aus Anatolien (spektrum.de).
Deutsch hat Wurzeln in der Türkei (SZ).
Die neuen Ergebnissen des Forscherteams um Studienleiter Quentin Atkinson von der University of Auckland erhärten die „Anatolische Ackerbauern“-Hypothese gegenüber der konkurrierenden „Russische Steppenhirten“-Hypothese. Allerdings gibt es auch Kritik an der Studie. Der amerikanische Archäologe David Anthony moniert beispielsweise, dass sich die Wissenschaftler lediglich auf Wörter konzentriert hätten – und Sprachstruktur, Grammatik und ähnliches ignorierten. Zudem gebe es wirklich sehr gute archäologische Belege, die auf einen Ursprung der Sprachfamilie in der russischen Steppe hindeuteten.
Entgegen der Darstellung in einigen Artikeln ist das über 150 Jahre alte „Ursprungsproblem“ der indoeruropäischen Sprachen noch nicht vollständig gelöst.
Einige Anmerkungen: Der Begriff „indogermanisch“ ist insofern leicht irreführend, da er eine besondere Bedeutung der germanischen Sprachen (und damit des Deutschen) in dieser weit verzweigten Sprachfamilie nahezulegen scheint. Tatsächlich enthalten die germanischen Sprachen so viele vor-indoeuropäische und nicht-indoeuropäische Elemente, dass sie eine ausgesprochene Randstellung in der Sprachfamilie einnehmen. Die heutigen Türken (die eine nicht-indoeuropäischen Sprache sprechen) stammen nur zum Teil von jenen Menschen ab, die zuerst eine indoeuropäische Sprache sprachen – so, wie auch unter den Vorfahren der heutige Deutschen nur wenige „Indogermanen“ zu finden sein dürften. Völkerwanderungen und Populationsvermischungen sind der Normalfall in der Menschheitsgeschichte. Es ist nicht gelungen, ein Gen zu isolieren, das besonders typisch für die Träger der indogermanischen / indoeuropäischen Sprachen wäre oder aus der Genverteilung auf die Wanderbewegungen eine hypothetischen indogermanischen Population Rückschlüsse ziehen zu können.
Selbstverständlich ist auch der schier unausrottbare Glaube an einen „Indogermanischen Volksstamm“ (alias „Arischer Volkstamm“) Unfug.