Gjallarhorn Weblog

„Sich schämen“ hilft niemandem!

Angesichts brennender Flüchtlingsunterkünfte und „besorgter Bürger“, in Heidenau, Freital und anderswo, die nichts anderes als dumpfe Rassisten sind, und auch angesichts der Reaktionen deutscher Politiker und deutschen Medien darauf, gibt es nicht wenige Deutsche, die sich „schämen, ein Deutscher zu sein“.

Nun ist Scham, hoffentlich im Sinne von „Fremdschämen“, eine durchaus verständliche erste Reaktion. Hilfreich ist sie aber nicht, für niemanden, und erst recht nicht für die Opfer von Rassismus und Gewalt.

Ich drücke es mal ganz undiplomatisch aus:
Wenn Du von rassistischen Übergriffen, von potenziell tödlichen Anschlägen gegen Hilfesuchende liest oder hörst, und Dein vorherrschendes Gefühl dabei „ich schäme mich so“ ist, und Du dabei keinen Zorn, keine Angst, kein Mitgefühl und keine leidenschaftliche Hilfsbereitschaft spürst, dann halte besser die Klappe! Ob Du Dich persönlich unwohl fühlst, ist irrelevant. Zumal dann, wenn auf Deine Gefühle kein Nachdenken und kein hilfreiches Handeln folgen.

„Scham“ ist, einfach gesagt, das Gefühl, bloßgestellt zu sein. Auch Menschen, die bei etwas ertappt wurden, was nach allgemeinem Verständnis unehrenhaft und unanständig ist, schämen sich. Die „verletzte Ehre“ ist typischerweise ein Element der Scham. Die übliche Reaktion auf Scham ist der Versuch, das, wofür man sich schämt, zu verbergen. Ganz wörtlich bei der Körperscham. Bei anderen Formen der Scham wird eher vertuscht, verschleiert, verharmlost, relativiert und unter den Teppich gekehrt. „Nicht alle Sachsen (Deutschen) sind so … „, „Anderswo gibt es aber auch … „, „Schlimm, aber kein Mensch redet über den Skandal, dass …“ usw. usw.. Scham und Heuchelei bzw. Scham und Selbstgerechtigkeit liegen oft verdammt nah beieinander!
Wenn auch unsere christlich geprägte Kultur eher eine „Schuldkultur“ ist – kurz, eine Kultur der Gewissensprüfung und der „Bekämpfung des Bösen“ zwecks Gewissensentlasstung – ist das „gesellschaftliche Ansehen“ als Quelle der Scham ungemein wichtig. Sagten damals die Eltern dem ertappten Kind: „Schäm dich! Was sollen denn die Leute denken?“, so sagt der sich ertappt fühlende Erwachsene: „Ich schäme mich! Was soll das Ausland nur über uns Deutsche denken?“

„Sich schämen“ macht außerdem passiv. Zum Schämen auf die „Stille Treppe“, wie es Pädagogen, die diese Bezeichnung nicht verdienen, praktizieren. Still und verschämt in der Ecke hocken und ansonsten passiv bleiben ist übrigens eine von uns durchaus erwartete und erwünschte Reaktion, jedenfalls in einer (immer noch) autoritären Gesellschaft.

Es gibt noch einen Grund, warum es irrelevant ist, ob sich jemand für ihre oder seine rassistischen Mitbürger schämt. Es ist nämlich so, dass von Rassismus bedrohte Menschen seit Jahren erzählen, was in Deutschland passiert – und wie tief rassistisch dieses Land immer noch (oder schon wieder?) ist. Nur wer ihnen niemals richtig zugehört hat, kann sich ertappt fühlen, wenn der Rassismus unübersehbar und nicht mehr wegzuleugnen ist. Kann sich schämen.
Geleugnet wird, weil dieses Land ja kein „Rassismusproblem“ habe und es immer nur „Einzelfälle“ seien. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Deshalb werden auch Studien über gruppenbezognene Menschenfeindlichkeit gern ignoriert: „Schlimme Sache, betrifft mich ja nicht. Ich bin ja kein Rassist!“
Mag sein, aber wir leben in einer rassistisch geprägten Gesellschaft! Wir – vor allem jene, die als Weiße, Einheimische, „Abendländer“ durch Rassismus privilegiert sind – sind nicht frei von rassistischem Denken. Das ist nicht „unsere Schuld“ und auch nichts, weswegen wir uns still schämend in die Passivität verkriechen sollten. Das eigene rassistische Denken, und, was schwerer ist, das rassistische Fühlen überhaupt zu erkennen, ist der erste Schritt, Rassimus zu überwinden.

„Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein“ ist übrigens genau so ein Quark wie „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“! Deutscher bin ich aus Zufall. Dafür kann ich nichts.

Wenn „ich schäme mich“ niemandem – auch mir selbst – nicht hilft, ist „ich fühle mich betroffen“ eine glatte Zumutung für diejenigen, die wirklich betroffen sind. Ich – als Weißer, als „Geburtsdeutscher“ – bin nicht von Rassismus betroffen. Ich bin auch vor religiös begründetem kulturellem Rassismus einigermaßen sicher, während ich, wäre ich Moslem, wahrscheinlich, wäre ich Jude ganz bestimmt, darunter zu leiden hätte.
Die Rechtfertigung, dass ich mich nur aus diesem Gefühl der „Betroffenheit“ heraus („Ach, das macht mich aber jetzt auch irgendwie betroffen!“) engagieren könnte, ist Teil des Problems. Zuhören und danach handeln – und zwar bitte schön nicht paternalistisch „von oben herab“, letzten Endes wieder (rassistisch) bevormundend!

Zurück zum Anlass: Es gibt mittlerweile so viele Anschläge auf Flüchtlingsheime, dass es eine Sogwirkung hat und immer mehr wird. Denn die Täter fühlen sich sicher. Es passiert ihnen ja nichts.

„Rechtsextremismus“ und Rassismus, den es nicht nur „rechts“ gibt, ist nichts, was durch Worte aus der Welt geschafft werden kann. Oder durch „mehr Bildung“ allein.
Faschisten – ich benutze dieser Wort in voller Absicht und in Kenntnis, wie „vernutzt“ es vor allem durch den DDR-Sprachgebrauch ist – werden allein durch Taten in ihre Schranken verwiesen!

Es gibt zum Glück Menschen, die etwas tun. Nicht, um das „Ansehen Deutschlands in der Welt“ zu retten, sondern um Menschen in Not beizustehen. Der Fernsehjournalist Ranga Yogeshwar hat dazu etwas sehr Kluges und Mutmachendens auf seiner Facebook-Seite geschrieben. So schlimm und verurteilenswert die rassistischen und wohlstandchauvinistischen Angriffe auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte sind, und so bitter nötig es ist, über sie zu berichten, so bedauernswert ist es auch, dass die Hilfsbereitschaft in der Berichterstattung untergeht.

Aber wir „einfachen Bürger“ können nicht alles machen.
Wir können weder die durch zur Gewalt bis hin zum Mord Bedrohten wirksam schützen, noch Versammlungen „besorgter Bürger“, sprich, rassistischer und wohlstandschauvinistischer Arschlöcher, auflösen, wenn verbale in tätige Gewalt übergeht, verdächtige Personen kontrollieren, observieren und gegebenenfalls verhaften. Das ist Aufgabe der Polizei. Die allzuoft „rechtsblind“ agiert, was übrigens letzten Endes politische Gründe hat. Die Bekämpfung des „Rechtsextremismus“, von „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ (Rassismus, Sexismus, Antisemitismus usw. usw.) ist eine politische Aufgabe!

Hierzu empfehle ich folgenden Text auf „Spreeblick“: Entscheide dich endlich, Deutschland!

Ich empfehle auch dringend folgende, von „Ættlingen“, verfassten Texte:
Warum ich wenig Geduld mit „besorgten Bürgern“ habe? von Sven und
Wer Deutschland nicht liebt … von Eibensang.

Martin Marheinecke, 25. August 2015

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