Hain & Trommel

Runenorakel – Teil 3

(Teil 2)

Der große Wurf

Vor über 20 Jahren, als ich alltägliche Runenerfahrungen noch – tatsächlich auch – über vorwiegendes Orakeln erwarb, leitete ich meine Methoden erstmal vom Tarot ab: übertrug dort populäre „Legebilder“ aufs Runensystem, indem ich sie zuerst übernahm, um sie dann zunehmend zu verändern. Zusätzlich ließ ich mich von dieser und jener esoterischen Runenliteratur zu weiteren Orakelformen inspirieren – auch wenn ich die Runeninfo in den Büchern selbst meist eher kärglich, blödsinnig oder sonstwie daneben fand. Ich versuchte gewissermaßen, mir die „Perlen herauszupicken“ – besser: selber welche daraus zu generieren. Die einfachen Formen einzelner Runen verführten mich zudem dazu, ganze Orakelmuster bzw. „Legespiele“ in Runenform zu erhirnen. Nach einer Weile hatte ich ein dickes handgeschriebenes Büchlein zusammen: Würfe mit gern blumigen Titeln wie „Sleipnirs Wiehern“, dem „Feuerwurf“, „Lokis Eibenast“ – oder gar dem höchst aufwendigen „Charakterwurf“ (den ich mir nur ein einziges Mal antat), bei dem ich ein komplettes Futhark aufzeichnete und darauf ein komplett blind gezogenes Futhark Zeichen für Zeichen legen ließ, um aus den Beziehungen der Runen untereinander ein dadurch 48fach facettiertes „Charakterbild“ zu schlussfolgern – wozu ich in jenem Fall eine halbe Woche brauchte, von der grafischen und verbalschriftlichen Doku dazu ganz zu schweigen … Hex tut sich ja sonst nix an, wa. 😉

In der Praxis stellte ich fest, dass ich ohnedies eine Vorauswahl treffen musste für meine Klientel – die in den allermeisten Fällen mit der Fülle der Wurf- bzw. Legemöglichkeiten heillos überfordert war. In jenen ersten Jahren meines bekennenden Heidentums hätte ich mich „nordisch orientiert“, aber noch nicht Ásatrú genannt – tat also genau das, was ich später nicht mehr so gut verstand: mich nämlich mit Runen zu beschäftigen, ohne mich der Kultur nahe oder gar zugehörig zu fühlen, der sie entstammen. Nach meinem definitiven Bekenntnis zu Ásatrú, dem Bund mit germanischen Gottheiten (der eine noch gewichtigere kulturell-gesellschaftliche Komponente hat als die Frage nach einer bestimmten spirituellen Orientierung – aber die Erörterung dieses Komplexes führte hier deutlich zu weit), vereinfachten sich meine Methoden so grundlegend wie sie sich plötzlich ungleich stärkerer Wirkung erfreuten. Im Klartext: Ich legte das dicke, zerfledderte Handbuch mit den 1001 selbsterknobelten „Runenwürfen“ auf irgendein Weißtenoch-Regal – und offerierte nurmehr zwei Wurfformen. Da der eine überhaupt nie gewählt wurde von irgendjemandem – nämlich drei Runen aus dem Beutel zu ziehen und die dann zu deuten – biete ich seit langem nur noch eine einzige Orakelform an, den so genannten „freien Wurf“: das blinde Erfühlen, Befummeln und alsbaldige Werfen aller 24 Runen des Älteren Futharks auf ein Leintuch (oder, in jüngerer Zeit, gern auf das große Fell meiner alten Rahmentrommel).

Das ergibt ein meist sehr differenziertes Bild auf-, über-, unter- und nebeneinander liegender Runen – etwas mühsam zu dokumentieren in veranschaulichend erinnernder Grafik, aber umso ergiebiger in der Deutung. Auffällig oft zeigt sich bei diesem Wurf nur ein Viertel bis ein Drittel der 24 Runen lesbar – der meist überwiegende Rest fällt aufs Gesicht und kann ignoriert werden – aber es gibt Ausnahmen. (Anmerkung: Ich benutze Holzscheibchen mit darauf eingebrannten Runenzeichen. Jüngst habe ich auch mit Runensets in Stabform experimentiert – und einige davon verkauft –, aber die Herstellung ist schwieriger für mich und die handwerkliche Gestaltung gelingt mir da weniger als bei den altvertrauten, meist mehr oder minder ovalen Scheibchen, die sich gut aus halbwegs geraden Ästchen dieses oder jenes Holzes sägen lassen.)

Werfen lasse ich die Runen in Nordrichtung – wichtig für die Lesart des Orakelbildes. (Weniger, dass es Norden sein muss, als vielmehr, dass ich das Bild aus derselben Raum- bzw. Richtungsperspektive der Person lese, die den Wurf getätigt hat.)

Neben teils eindeutig aufrecht, teils gestürzt lesbaren Zeichen kommen dabei etliche Runen in Schrägstellungen zu liegen, die interessante Zwischentöne ergeben. Nahezu waagrecht liegende Zeichen deute ich dabei als „wichtig fürs Thema, aber in neutraler, gewissermaßen noch zu entwickelnder Richtung“. Ansonsten messe ich schräg liegende Runen danach, ob sie graduell eher zum Kopfstand oder zur aufrechten Lage neigen – der jeweilige Neigungsgrad zu diesem oder jenem Zustand sagt zusätzlich etwas aus.

Zuweilen decke ich auf dem Gesicht liegende Scheibchen, die ihre Zeichen nicht zeigen (und sich dadurch als unerheblich ausweisen für die Orakelfrage), dennoch auf: um zu erfahren, welcher Aspekt KEINE Rolle spielt – was der genauesten Ratsfindung dienlich sein mag. Oder sichtbare Runen überdecken einander halb oder ganz, weil ihre „Datenträger“ 😉 mehr oder minder aufeinander zu liegen kamen: Hier zeigen sich eng verbundene Aspekte, die es zu deuten gilt. Wieder andere Runen mögen weiter entfernt liegen – während sich manche regelrecht stauen: All das fließt ins Lesen mit ein. Live und in Farbe: in laufendem Gespräch mit der Person, die das Orakel warf.
Eibensang (Duke Meyer) beim Vortrag

Die Ausschlussprüfung

Es gibt einen guten Check, die Interpretation einer einzelnen Rune in einem solchen Wurf bezüglich ihrer Bedeutung im Zusammenhang (Bezug aufs erfragte Thema) zu überprüfen: Wäre das, was ich vermute, durch eine andere Rune besser ausdrückbar gewesen? Wenn das der Fall ist, stimmt meine Interpretation nicht – und ich muss sie entsprechend korrigieren. Wenn meine Detail-Interpretation durch keine andere Rune besser ausdrückbar ist als die vorliegende, darf ich davon ausgehen, dass ich richtig deute. Das ist bei 24 möglichen Zeichen nicht der bequemste Weg, aber der im Zweifelsfall sicherste. Zumal ja – nach dem Werfen aller 24 Runen gleichzeitig – nicht mehr die Möglichkeit besteht, auf eine Rune, deren Deutung im Zusammenhang fraglich, widersprüchlich oder nebulös bleibt, noch eine weitere zu ziehen: um Antwort auf dieses Detail zu erhalten.

Lesegewohnheiten

Der Wurf aller 24 Runen auf ein begrenztes Feld (Runen, die abseits davon zu liegen kommen, sind ganz wurscht in dem Fall) ist nicht umsonst ein „freier“. Ganz von Fragestellung und Thema hängt ab, wie ich räumliche Häufungen von Runen oder ihre Distanz zueinander deute – und inwieweit ich daraus auf mögliche zeitliche Abläufe oder Entwicklungstendenzen im Gesamtbild schließe. Tendenzell ordne ich weiter „unten“ liegende Runen einer „Ausgangslage“ oder „jüngeren Vergangenheit“ zu, während ich Runen weiter „oben“ im Bild (immer aus Wurfrichtung gesehen) als mögliche „Ergebnisse“ oder „Ziele“ lese. Kernpunkte der befragten Angelegenheit finden sich gern mitten im jeweiligen „Gewühl“ aufeinander oder nah beieinander liegender Zeichen; aus der Entfernung links oder rechts davon liegender Runen lese ich – je nachdem, wie prägnant sie mir erscheinen – beeinflussende bis tragende Aspekte. Aber das ist nur eine grobe Lesetendenz, die sich im Zweifelsfall nicht verallgemeinern lässt. Ich verlasse mich da ganz auf meine Intuition – und den Gesprächsaustausch mit der fragenden Person, um deren Angelegenheit es geht. (Es versteht sich hoffentlich von selbst, dass ich über die jeweiligen Inhalte absolutes Stillschweigen bewahre! Wenn ich je ein besonders anschauliches Beispiel irgendwo und -wann zum Thema mache, um irgendetwas damit zu erklären, dann vollständig anonymisiert. Nichtmal der Fragesatz muss wörtlich zitiert werden, um eine bestimmte Konstellation von Runen und ihre mögliche Deutung bei anderer Gelegenheit zu erörtern. Personen, Zeit oder Umfelder aber zu offenbaren oder auch nur erratbar zu machen für wen auch immer, sind absolute Tabus.)

Da die meisten Menschen, die sich Orakel von mir deuten lassen, eher nicht runenkundig sind, erkläre ich ihnen nach getätigtem Wurf zunächst die lesbaren Zeichen einzeln, um im gemeinsamen Gespräch schritt- bzw. scheibchenweise 😉 den möglichen Zusammenhang und seine Conclusio zu erfassen. In den besten Fällen bin es gar nicht ich, der den letztlichen Rat ausspricht – die beratene Person formuliert ihn (oft unvermittelt bzw. plötzlich) selbst: aus den erkennbar werdenden Zusammenhängen des Gesamtbildes und Gesprächs heraus.

Spirituelle Aspekte

… kommen umstandshalber auch zum Tragen, wenn die fragende Person selbst mit Ásatrú soviel zu tun hat wie ich mit Investmentfonds (oder wie so Zeug heißt). Nehmen wir zum Beispiel das Thema Liebe: Unabhängig von persönlichen Auffassungen oder Sehnsüchten – sowohl meinen als der der fragenden Person – kann ich Runen nur in Kenntnis und Erfahrung der dahinter und durch sie wirkenden Kräfte lesen und deuten. Von Freyja, der Liebesgöttin (nicht nur, aber auch!), weiß ich, dass sie alles tut, um liebende Menschen – einschließlich derer, die „nur scharf“ sind aufeinander (aber dieses „nur“ ist bereits eine moralische Wertung, die der Großen Sau so schnuppe ist wie euch der Federhall meines ollen Gitarrenverstärkers) – unter allen Umständen zusammenzubringen. Das tut bzw. unterstützt bzw. provoziert sie unter Aufbietung sämtlicher verfügbarer Kräfte: Gerade Liebende wachsen ja gern mal über sich und alle ihnen zugedachten Erwartungen hinaus, wenn es gilt, das Ziel der Begierde zu erreichen – und sei es in 180-Grad-Wenden bisheriger Lebensläufe, Gewohnheiten, Moralvorstellungen oder sämtlicher dagegen gerichteten Umstände. (Anders hätte vermutlich die Menschheit, engstirnig und verstockt wie sie wohl seit je war, ihre ersten Generationen nicht wirksam überlebt… 😉 ) Wer hat nicht schonmal die ganze Welt untergehen lassen – oder hätte dies getan – um einer ersehnten Begegnung oder gar Vereinigung willen! Das ist – in meiner Sichtweise – Freyjas Art und Methode. Wozu gehört, dass sie nach „erfolgter Zusammenführung“ die ProbandInnen allein lässt mit ihrem Glück, Pech oder Geschick! Für den „Rest“ sind andere Große zuständig – Freyja kümmert sich sozusagen nur um die „Möglichmachung“ der wie auch immer titulierbaren Liebesbegegnung. Dies gilt selbstverständlich völlig unabhängig von jeweils herrschenden Sitten, Gebräuchen, Gesetzen, Gewohnheiten: Die beeinflussen, wie das alles in der Praxis verläuft und was daraus erfolgen mag. Aber nicht die Sache selbst: ihren Ursprung und dessen Tendenz.

Nur ein Beispiel von vielen, wo mir das Wirken von Göttern, so wie ich es erfuhr, die Ausdeutung auch und gerade von Orakelbildern diktiert: in Kenntnis einer Systematik, die auf persönlichen Zuordnungen beruht, die wiederum ausschließlich persönlicher Erfahrung entsprechen. Und die ich gelernt habe, auch auf Menschen und Situationen zu übertragen, die sich in ganz anderen spirituellen Sphären und Weltbildern bewegen: ab da, wo ich deren Situationen in Runen ausgedrückt sehe. Es ist bestimmt nicht die einzig mögliche Lesart – nur die einzige, die ich für meinen Teil verantworten kann, weil ich von ihr genug verstehe.

Entsprechend unerwartet oder krass mögen Aspekte meiner Deutungen ausfallen: Sie richten sich nach dem, wie ich meine Großen erlebe seit vielen Jahren. Wie sie wirken, auf was sie Wert legen – und was von ihnen erwartbar ist (soweit sich das empirisch schlussfolgern lässt für mich). Wer sich Rat mithilfe von Runen einholt, begibt sich in dieses Wirkungsfeld – und das hat weniger mit lieblichen Allgemeinplätzen auf farblich übersättigten (und eher sterilen) Blümchenbildern zu tun als vielmehr mit den gewaltigen Kräften einer überbordend verschwenderisch agierenden und durch und durch unmoralischen Natur, die stets dynamische Gleichgewichte anstrebt – und es dabei, wenn’s drauf ankommt, auch gehörig krachen lässt… Dass ich ihre Aspekte in Form göttlicher Wesenheiten deute und übersetze, noch dazu germanischer, ist meine Art, damit klarzukommen. Gelänge mir das nicht, hätte ich mir längst etwas anderes gesucht zur Welterklärung. (Dass ich mir mein System weniger gesucht habe als es mir vielmehr „zustieß“, ist eine andere Geschichte… die hier aber keine Rolle spielt. 😉 ).

Im Klartext: Wenn ihr ausschließlich nette Sachen hören wollt, die eure lauesten Sehnsüchte bestätigen – seien die nun realistisch, wenigstens traum- oder visionsgetrieben oder gänzlich neben jeder Kappe –, dann geht zu irgendeinem Beschwichtigungs-Weissagungstantchen oder -onkelchen, das euch genau den Schmarren von den Lippen abliest und so nach- oder vorgackert, wie ihr ihn hören wollt. Ist ja euer Geld! Und euer Leben. Von und mit Leuten wie mir aber gibt’s nur Tacheles: Klartext, der kein Blatt vor den Mund nimmt, sondern zeigt, was es mit eurer speziellen Situation – die ihr zudem selber aufdröseln müsst, um überhaupt zu einem sinnvoll deutbaren Wurf zu kommen – auf sich hat. Seelische Hilfestellung in einer ganz bestimmten Lebenslage – oder Klarstellung einer solchen. Nicht mehr und nicht weniger. Ich brauche dafür – neben eurem persönlichen Vertrauen und der jeweiligen Offenheit – nur 24 Zeichen, die des Älteren Futharks. Mir erklären sie – dies ganz unabhängig von Orakeln – die ganze Welt. Seit über 20 Jahren, die mich persönlich glücklicher machten als die über 30 davor. Aber das ist eine andere Geschichte, die ich gern an anderer Stelle erzähle.

Vom selben Autor kürzlich erschienen: „Runen-Jause – für die kleine Erleuchtung zwischendurch“ – die täglichen Runenportraits aus den ersten zwei Jahren „Orakeldienst Eibensang“ auf Facebook (siehe auch dort), erhältlich als E-Book in den Formaten MOBI/AZW für Kindle sowie als EPUB oder PDF (300 Seiten) für alle anderen Lesegeräte.

Duke Meyer gibt im gesamten deutschsprachigen Raum Workshops unter dem Titel „Eibensangs Magische Runen-Reise“: buchbar überall ab 6 teilnehmenden Personen.

Zusätzlich bietet das „persönliche Online-Seminar“ individuelle Runenkunde-Kurse via Skype.

Neben einem ständig wechselnden Angebot selbstgefertigter Runensets aus diversen Holzarten sind auch persönliche Amulette / Talismane u.ä. bestellbar.

Weitere Bücher und Schriften Duke Meyers hier.

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