Hain & Trommel

Runenorakel – eine Einführung von Eibensang

Von allen denkbaren Orakelformen (Tarot, Kaffeesatz- oder Rauchdeuten, Pferdewiehern, Gummibärchen usw. usf.) ist das Werfen oder Ziehen von Runen nicht die idealste. Ganz einfach deshalb, weil es dem Versuch entspricht, einen Nagel in die Wand zu klopfen mit Hilfe eines Schuhabsatzes. Was nicht unmöglich ist – nur etwas unpraktisch. Was natürlich erst einleuchtet, wenn man/frau Runen eher zur Welterkenntnis und Lebensgestaltung verwendet – und sich damit weißdiegöttin andere Möglichkeiten erschließt, was aber die meisten nicht tun. Im Folgenden daher ein paar Tipps zur Sache, die helfen mögen, ein paar typische Fehler und Irrtümer zu vermeiden, und mit den Ergebnissen von Runenorakeln leichter klarzukommen.

Die Einleitung klingt kryptisch? Für mich sind Runen Ausdruck bzw. Bestandteil einer größeren Sache, die ich Ásatrú nenne – und deren Werte sich von gängigeren Weltauffassungen (zumindest meine Lebensart betreffend) unterscheiden. Zuweilen nur marginal – aber auch das führt unter Umständen zu unerwarteten Ergebnissen. So ähnlich, wie auf einer Tastatur das Drücken ein- und derselben Taste ganz unterschiedliche Folgen haben kann: je nach gerade aktiver Software, die diese Tasten mit ureigenen Funktionen belegt. Und egal, an was du glaubst oder wie du spirituell orientiert bist: Mit den Runen rufst du germanische Gottheiten an – und begibst dich damit in deren „System“. Ob dich das interessiert oder nicht. Da ich von Letzterem ausgehe 😉 , sei dieser wichtige Hintergrund hier nur ansatzweise angeleuchtet – ganz ignorieren kann ich ihn bei diesem Thema nicht! Denn nur so lassen sich einige typische Effekte erklären.

In sich geschlossene magische Systeme funktionieren als solche natürlich immer. Simpelstes Beispiel ist das Werfen einer Münze – Kopf oder Zahl – auf eine Entscheidungsfrage. Dazu bedarf es keinerlei spiritueller Bindung – es sei denn, wir betrachten die Bereitschaft, sich nach dem Ergebnis solch launigen oder auch spielerischen Münzwurfs zu richten, bereits als spirituellen Akt. Was in den wenigsten Fällen so intendiert sein dürfte. „Aberglaube“ würde ich das aber auch nicht nennen – solange die genannte Bereitschaft eine freiwillige ist und nichts Zwanghaftes hat. Womit ich nur sagen will: Selbstverständlich lassen sich Runen werfen, ziehen und deuten, ohne dass die betreffende Person dafür im Bunde mit germanischen Gottheiten sein muss. Die werden ggf. auch ungefragt aktiv.
Eibensangs Orakelrunen

Historischer Hintergrund

Etwa 6.500 historische Runeninschriften sind bis heute bekannt; die allermeisten davon lassen sich dem so genannten „Jüngeren Futhark“ zuordnen: jenem auf 16 Zeichen reduzierten Runensystem, das die Wikinger (als Angehörige einer letzten altgermanischen, also noch als vorwiegend heidnisch titulierbaren Kultur) zwischen dem 8. und 11. Jahrhundert über die damals bekannte Welt verbreiteten; die meisten dieser Inschriften finden sich auf Gedenksteinen. Dort wurden im Wesentlichen einzelne Ereignisse festgehalten – Schiffsunglücke oder Jagdglück und dergleichen, in aller Regel ohne Hinweise auf weitere Zusammenhänge, was eine wertende Einordnung erschwert.

Das älteste Runensystem, das aus 24 Zeichen besteht und das auch ich verwende, das so genannte Ältere Futhark, ist historisch ab dem 2. bis 3. Jh. nachweisbar und kam bereits Ende des 7. Jh. außer Mode. Etwa 350 Funde sind bis heute vorhanden, davon zeigt nur eine Handvoll das komplette System (dies in zwei unterschiedlichen Versionen). Die so genannten gemein-germanischen Namen der Runen wurden – samt ihrer wahrscheinlichen Grundbedeutungen – aus späteren (letztlich bereits mittelalterlichen) Gesängen bzw. deren Aufzeichnungen so weit als wissenschaftlich möglich recherchiert. Runen sind germanische Ritzglyphen, also Ritzzeichen mit möglicher Mehrfachbedeutung und Symbolik. Außer Älterem und Jüngerem Futhark entstanden (in der Spätzeit: vor 1000 n.Chr.) noch weitere historische Systeme wie das Angelsächsische Futhark aus ca. 33 Zeichen, das Friesische und andere. Die Bezeichnung Futhark beruht – nur hier analog zum ABC – auf den ersten Zeichen des Systems: Fehu, Uruz, Thurisaz, Ansuz, Raidho, Kenaz. (Die Betonung germanischer Begriffe liegt übrigens immer auf der Stammsilbe, dem Anlaut!)

Germanische Kulturen dürfen dennoch als schriftlos gelten; das Ritzen von Runen war Eingeweihten, so genannten Erilar (Runenkundigen) vorbehalten. Magische Absichten sind – besonders in der Frühzeit des Älteren Futhark – historisch wahrscheinlich, wenn auch nicht beweisbar. Runen sind nicht verwandt mit dem keltischen Ogham (einem Ritzzeichensystem, das die Druiden, Angehörige der bei keltischen Stämmen üblichen Priesterkaste, verwendeten: für die es in germanischen Kulturen keine Entsprechung gab – dies nur am Rande erwähnt). Die Herkunft bzw. Ableitung der ersten Runen aus ertruskischen, italischen sowie auch phönizischen Alphabeten ist sehr wahrscheinlich, auch wenn sich nicht genau sagen lässt, wie die geheimnisvolle Kunde des Schreibenkönnens nach Skandinavien gelangte, wo das Runenritzen vor rund oder knapp 2000 Jahren zuerst praktiziert wurde. Die anfangs ausschließliche Verwendung von geraden und schrägen (nicht aber waagrechten) Strichen mag als Hinweis herhalten, dass Runen zunächst in Holz geritzt wurden (gegen die Maserung, um die Zeichen davon abzuheben), was wiederum die – ledigliche (wissenschaftlich nicht belegbare) – Vermutung zulässt, dass das Ältere Futhark ein oder zwei Jahrhunderte früher entstanden sein mag, als die ältesten Funde nachweisen können: Holz und vergleichbare Materialien verrotten eben mit der Zeit.

Für divinatorischen Gebrauch von Runen in historischer Zeit gibt es keinerlei Hinweise, geschweige denn Belege. Andere germanische Orakelformen – wie das Deuten von Pferdewiehern oder das Verbluten von Opfern über Steinen – sind überliefert; doch selbst der Römer Tacitus (der selbst nie in germanischem Gebiet war) erwähnt in seiner „Germania“ nur das Ziehen und Werfen von Holzstäbchen, die einem „fruchttragenden Baum“ entstammten – kein Wort darüber, ob in diese Stäbe irgendwelche Zeichen eingeritzt waren oder gar defintiv Runen. Demnach dürfen wir das Runenorakel als einen neuzeitlichen Brauch betrachten.

Achtung, Gift!

Apropos neuzeitlich: Das heutzutage dank absolut unkritischer Eso-Schreiberlinge immer noch sehr weit verbreitete sog. „18er Runensystem“ ist überhaupt keins. Dieses auch „Armanen-Futhork“ genannte Zeichensystem aus 18 „Runen“, die Runen insofern täuschend ähnlich sehen, als sie willkürlich aus dem Jüngeren Futhark gefleddert wurden, hat sich eingangs des 20. Jh. der Ideologe Guido „von“ List ausgedacht – der den späteren Nazis und vergleichbaren Rassisten damit den okkulten Überbau für ihre höchst ungermanischen Ansichten und Umtriebe lieferte. Das „18er System“ ist so germanisch wie ein Smartphone, nur viel gefährlicher: Es existiert nur aus dem einen Grund, Menschen in „wertige“ und „unwerte“ „Rassen“ aufzuteilen. Es ist Bestandteil der Ariosophie, einer okkult konstruierten Lehre, die ebenfalls besagter Guido „von“ List verantwortet (und die das noch giftigere Kind der ebenfalls ziemlich menschenfeindlichen „Theosophie“ einer gewissen Helena P. Blavatsky ist – gleichwohl deren Unsinn zumindest in Versatzstücken bis heute durch alle möglichen esoterisch vernebelten Gehirne spukt und äußerst fragwürdige Urständ‘ feiert: dies gern auch ohne bewusstes Wissen der NachbeterInnen, deren Wahrheitsdurst in Wahrheit aus kontinuierlichem Wegschauen und anhaltender Denkverweigerung besteht). Letztlich rechtfertigt diese Lehre Kolonialismus – und die Ableitung zum „Herren- und Untermenschentum“ der Nationalsozialisten ist kein Unfall gewesen, sondern in dieser Denkart folgerichtig. Das „18er Runensystem“ oder „List-Futhork“ unterstützt diese Denke – und keine andere – magisch.

Nein, man stirbt nicht sofort bei Benutzung. Genausowenig wie von Genfood, Glutamat, dem Fleisch industriell gequälter Tiere oder dem Gebrauch von Atomstrom, der BILD- oder Kronen-„Zeitung“ und vergleichbaren Angstverstärker-Journaillen oder Heroin oder Crack oder permanentem Fernsehkonsum unter Ausschluss von Alternativen. Nicht alles, wovon abzuraten ist, hat sofort spürbare Direktfolgen für uns. Aber alles macht was. Verstehst‘! Von wegen „Bewusstsein“ und „ganzheitlicher“ Lebensführung und so!

Ebenfalls gewarnt sei vor dem als meditativ oder gar als kenntnisfördernd apostrophierten Nachstellen von Runenformen mit dem eigenen Körper, so genanntem „Runen-Yoga“ (zuweilen auch mit altnordisch klingenden Begriffen wie „Stadha / Stödhur“ belegt, was den Scheiß aber weder historischer noch irgendwie germanischer macht). All dieses Geturne und Genöhle, ohne das bis heute so gut wie kein esoterisches Runenbuch auskommt (freilich, ohne die Quelle zu nennen!), geht auf einen einzigen Menschen zurück: Friedrich Bernhard Marby. Seine 1934 erschienene Broschüre hieß – lasst euch den Titel auf der Zunge zergehen, bevor ihr ausspuckt und gründlich spült – „Rassische Gymnastik als Aufraffungsweg“. Und hat nur diese Bedeutung – samt magischem Flashback.

Es gibt m.E. keinen auch nur halbwegs vernünftigen Grund – zumindest nicht für magisch kundige oder interessierte Menschen, die doch sonst so gern auf „Zusammenhänge“ verweisen und wissen, dass alles „miteinander verbunden“ ist –, solchen Quellen durch Nachmachen oder Nachturnereien auch nur die geringste Energie zuzuführen.

(Teil 2)

Ein Gedanke zu „Runenorakel – eine Einführung von Eibensang

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