Ragnarök findet nicht statt! (Vorläufig jedenfalls …)
Wieder einmal stehen wir vor dem … (Regieanweisung: drei Minuten Kunstpause, dabei panikerfüllt dreinblicken) … WELTUNTERGANG !!!!1111!!11111!!!!!!!
Am 22. Februar 2014 ist Ragnarök. Das ist der Kampf der Götter und Riesen, in dessen Folge die ganze Welt untergeht!!!!!! Wir werden alle sterben!!!!!!!!!!! (hier 687 Ausrufezeichen einfügen)! (Bis auf Líf und Lífþrasir … )
Zugegeben, 2012 hat es mit diesem Maya-Kalender nicht geklappt, aber auf die tiefe Weisheit der altnordischen Spruchdichtung ist Verlass! Die Völva Heiði redet in der Völuspá doch kein Blech!!!
Dass „die Wikinger“ den Beginn der Rägnarök für den 22. Februar 2014 vorhergesagt hätten, stand in diversen britischen Zeitungen, und schwappte dann über die „sozialen Medien“ in die bekannten eso-dämlichen Kreise, die insgeheim wohl enttäuscht sind, dass sie am 21. Dezember 2012 nicht in eine bessere Welt entrückt bzw. von UFOs abgeholt wurden.
Schon ein kleiner Blick in die Lieder-Edda zeigt das, was auch ein sachkundiger Blick auf den echten Maya-Kalender gezeigt hätte: Auch an diesem Weltuntergangstermin ist nichts dran.
Zuerst einmal wird in der „Weissagung der Seherin“, wie auch in anderen Teilen der „Lieder-Edda“, und selbst nicht in der Edda Snorris, der schon versuchte, „System“ in die aus heidnischer Zeit überlieferten Mythen zu bekommen, kein Datum genannt.
Es gibt noch nicht einmal einen Hinweis darauf, wann in etwa Heimdal auf seinem Gjallarhorn Alarm blasen wird. Wenn man einige Tatsachen über das „Germanische Weltbild“ berücksichtigt (etwa die, dass das „germanische“ keine Zukunft hat), ist es sogar mehr als nur fraglich, ob die Völva überhaupt eine „Vorhersage zukünftiger Ereignisse“ gegeben hat, bzw. ihre Zeitgenossen ihre Weissagung als Aussagen über „die Zukunft“ aufgefasst hätten.
Andere Götterlieder der „Liederedda“, namentlich das Wafthrudnirlied, ergänzen das mythologische Bild vom „Götterschicksal“, wie man Ragnarök übersetzen könnte. Nimmt man noch einige Aussagen aus der Snorri-Edda hinzu, ergibt sich eine Abfolge von globalen Katastrophen.
Drei Jahre heftiger Kämpfe unter den Menschen („Wolfszeit“) und dann ein ebenfalls drei Jahre langer schrecklicher, ununterbrochener Winter, der Fimbulwinter, gehen dem „letzten Gefecht“ zwischen den Göttern („Ordnungsmächte“ Anführer: Odin) und den Riesen („Chaosmächte“, Anführer: Loki) voraus.
Sonne und Mond werden verschlungen, die Sterne fallen vom Himmel, die Erde bebt, Berge stürzen ein, die Fesseln des Fenriswolfs brechen, die Midgardschlange kommt an Land, welches überflutet wird. Die Überschwemmung macht das Totenschiff Naglfar flott. Die Feuerriesen, Muspells Söhne, kommen unter dem Kommando Surts herbeigeritten. Sie überqueren die Brücke Bifröst, die daraufhin einstürzt. Dann ziehen die Muspellsöhne zur Ebene Wigrid, wo sie sich mit dem Fenriswolf, der Midgardschlange, Loki, Hrym (dem Steuermann von Naglfar), allen Hrimthursen (Reifriesen) und Hels Gefolge treffen. (Dass diese in mehrfacher Hinsicht chaotische Truppe dort ausgerechnet eine Schlachtordnung einnehmen soll, passt nicht ganz ins Bild.)
Heimdall bläßt mit aller Kraft in sein Gjallarhorn, ein Rufhorn, und warnt damit alle Götter, die sich beraten, aber ziemlich ratlos sind. Odin reitet zu Mimirs Brunnen, um Rat zu holen. Die Asen und alle Einherjer, d. h. die in Schlachten gefallenen Toten aus Walhall, treten danach zum letzten Gefecht an, Odin reitet, wie es sich für einen Kriegsgott gehört, aber für einen Kriegsherrn untypisch wäre, persönlich voran.
Was folgt, ist ein totales Gemetzel, in dem sich die Hauptvertreter von Ordnung und Chaos gegenseitig umbringen. Schließlich schleudert Surtr Feuer über die ganze Welt, das alles zerstört, was die vorangegangenen Katastrophen überstanden haben sollte.
Durch den Ausgleich von Ordnung und Chaos entsteht ein neues Gleichgewicht, was eine Wiederherstellung der Welt unter einem neuen Himmel mit einer neuen Sonne möglich macht. Ein neuer Weltenbaum wächst. Die Söhne des im Kampf umgekommenen Thors, Magni und Mod,i treffen sich mit Odins überlebenden Söhnen Vidar und Vali. Balder und sein unfreiwilliger Mörder Hödur, die schon mal tot waren, kehren aus Hel zurück. Líf und Lífþrasir, den einzigen überlebenden Menschen, sind die Vorfahren einer neuen Menschheit. Unbesäht tragen die Äcker Früchte, alles Böse vergeht.
Alles in Butter, Friede, Freude, Paradies? Nö, denn bei Heidens sind die Dinge zyklisch, so was wie ein „Reich Gottes auf Erden“ gibt es nicht, auch wenn Snorri sicherlich so mancher Brocken aus der Apokalypse des Johannis in seine Ragnarök-Systematisierung geriet.
Der Nidhöggr, der Menschenwürger, der die entseelten Leiber aussaugt, hat offensichtlich überdauert. Eine neue Runde des Schicksals beginnt!
Wie sich schon aus dieser kurzen Zusammenfassung ergibt, passt ein genauer Termin überhaupt nicht ins Konzept. Der „Weltuntergang“ zieht sich über Jahre hin, wenn man den Mythos probeweise mal wörtlich nimmt. Was man eher nicht tun sollte, denn Mythen erzählen das, was nicht erklärt werden kann. Vor allzu platten Allegorien, etwa „Wolfszeit“ = „weltweite Kriege und Bürgerkriege“ oder „Fimbulwinter“ = „neue Eiszeit“ sollte man sich hüten. Und überhaupt: „die Zukunft“, die gibt es bekanntlich gar nicht, nur das, was wir aus dem, was geworden ist, machen. Wir alle haben ein Schicksal, und sterben müssen wir bekanntlich auch alle, aber schicksalsergeben zu resignieren kommt gar nicht in die Tüte! „Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren!“ Nicht aus der Lieder-Edda, sondern von Brecht, trifft den Nagel aber auf dem Kopf!
So viel zum Mythos.
Bleibt die Frage, wieso das Gerücht, „die Wikinger“ hätten den Weltuntergang für den 22. Februar 2014 „vorhergesehen“, in die Welt kam.
Darüber hat der gute Florian Freistätter etwas auf seinem Blog zu sagen: Kein Weltuntergang am 22. Februar 2014. Auch nicht durch die Säurewolke. Oder den Asteroid 2011 AG5. Oder Ragnarök.
Die Sache ist, wie nicht anders zu erwarten, einigermaßen absurd. Die ganze Geschichte mit dem Weltuntergang am 22. Februar ist eine etwas alberne PR-Aktion eines englischen Wikingermuseums, die ein wenig aus dem Ruder lief.
Das Jórvík Viking Centre ist ein Museum in England, in dem das Alltagsleben der Wikinger anschaulich rekonstruiert worden ist. Dort feiert man im Februar das 30. Jorvik Wiking Festival und wie es sich so bei Wikinger-Festivals eingebürgert hat, gibt es einen zünftigen Schaukampf. Weil es nicht irgend ein Festival ist, nimmt dieser Schaukampf das Ausmaß einer Schlacht an.
Weil der Eintritt zu dieser Veranstaltung mit 12 Pfund für Erwachsene nicht ganz billig ist, und weil Klappern nun mal zum Handwerk gehört, übertrieb es das Museum ein klein wenig in der Ankündigung und machte aus der Schau-Schlacht einen Weltuntergang:
“THE WORLD WILL END IN 100 DAYS” Ragnarok – the Viking Apocalypse – predicted for 22 February 2014
.
Das, weitergetragen nach dem „Stille-Post“-Prinzip (hübsches Beispiel aus der österreichischen Presse), und angereichert durch die weltuntergangshungrige Phantasie einiger Vollzeit-Esodödel, ist alles, was an der „sensationellen“ Geschichte dran ist.
Nebeibei zeigt der Werbetext auch noch, dass man es beim „Jorvik Viking Festival“ mit der überlieferten Mythologie nicht ganz so genau nimmt – aber dafür solide Museumarbeit in attraktiver Verpackung liefert:
During the week of the JORVIK Viking Festival, we will be doing everything we can to equip the people of York, and visitors from afar, with the tools to survive the apocalypse, from hunting for the mightiest and strongest warriors to training children in combat skills,” adds Danielle. “Following a study published in 2010* that bearded men are more trustworthy than those without, we’re also looking for fantastic displays of facial hair, so that we can identify those with the potential to take us into the brave new world that is foretold to follow Ragnarok.
Da bekanntlich von allen Menschen nur Líf und Lífþrasir überleben, wird, nimmt man den Mythos beim Wort, keiner der Einherier, die im Ragnarök an der Seite Odins kämpfen, überleben. Was immer „überleben“ bei einem Totenheer bedeuten mag …
Ich danke Florian für sein tolles Blog und seine guten Recherchen und bitte alle etwas ungestümeren Anhänger der „Großen“, davon abzusehen, ihm mittels einer Streitaxt einen tiefen Scheitel zu ziehen, auch wenn er schrieb:
Aber mit der Realität haben diese alten Geschichten natürlich genau so wenig zu tun wie alle anderen mythologischen Geschichten und Märchen.
😉
MartinM
Hab beim Lesen durchgehend schmunzeln müssen ! Hat was angenehm Schwankartiges…für mein Dafürhalten im Stile der mancher Eddalieder; Klasse ! 🙂
HAllo!
Könnte es nicht sein dass Ragnarök nicht schon passiert ist? Ich meine, die nordische Kultur ging zu grunde, eine neu Gottheit erhob sich usw. Und wir sind die Nachfahren von Líf und Lífþrasir, welche von der Kirche Adam und Eva genannt wurden. Naja könnte doch möglich sein oder? 🙂
Ich kenne diese Interpretation, sie kam meines Wissens erst seit dem 18. Jahrhundert auf, seitens einer Geschichtsschreibung, die die Chrianisierung als großen und unvermeidlichen kulturellen Fortschritt sah, aber neben diesem damals aufkommenden Fortschrittsgedanken an der alten Vorstellung von der Irrtumslosigkeit der biblischen Offenbarung ausging. Außerdem waren die Historiker und vor allem Theologen, die solche Ansichten vertraten, wie schon Theologen seit der Spätantike, davon überzeugt, dass auch Nichtchristen, sofern „nicht verstockt“, einen Teil der „Wahrheit“ (sprich: christlichen Lehre) intuitiv erkennen können. Diese Historiker und Theologen projizierten ihre Sicht der Dinge auf die in der Tat schon christlichen Aufzeichner und Bearbeiter der eddischen Texte.
Moin.
Guter Gedanke Thomas. Was wär denn wenn es in jedem Zyklus Lif und Lifthrasir, Adam und Eva oder Kevin und Schackeline gäbe, und wir uns schon im dritten oder 4. (n-ten) Durchlauf befinden?
Viele Grüsse,
Tom