„Mara und der Feuerbringer“ – „heidnische“ Fantasy in der „Kinderfilm-Falle“
Fantasy-Filme „Made in Germany” haben es offensichtlich schwer. Auch dann, wenn sie in jeder Beziehung gelungen sind. Das ist in diesem Fall besonders schade, denn der mythologische Hintergrund des Films ist bestens recherchiert.
Am 2. April 2015 lief ein außergewöhnlicher Film in deutschen und österreichischen Kinos an – und verschwand, von einigen „Spezialitätenkinos” abgesehen, recht schnell wieder aus dem Programm. Das ist schade, denn „Mara und der Feuerbringer” wagt sich nicht nur an das Genre „Fantasy” – was für einen deutschsprachigen Film schon ungewöhnlich ist – sondern entnimmt seine Themen der nordischen Mythologie – was für einen deutschen Unterhaltungsfilm „für die ganze Familie” immer noch mutig ist.
Außergewöhnliche Filme brauchen außergewöhnliche Filmemacher. Regie führte Tommy Krappweis, u. A. Miterfinder von Bernd, dem immer schlecht gelaunten Brot. Krappweis verfilmte seine eigene literarische Vorlage, den ersten Teil einer erfolgreichen Jugend-Fantasy-Romantrilogie „Mara und der Feuerbringer”.
Der Film
Die Hauptperson ist die 15-jährige Münchnerin Mara Lorbeer (Lilian Prent). Sie ist eine Tagträumerin, die deswegen von ihren Mitschüler, vor allem der arroganten Larissa (Leonie Tepe) gehänselt wird.
Ihre Mutter (Esther Schweins) ist Wicca, die ihre darüber nicht unbedingt erfreute Tochter zu einem Ritual in freier Natur mitschleppt. Mara ist es äußerst peinlich, denn sie sieht, anders als die übrigen Frauen der „Wiccas von der Au”, keinen Sinn darin, zu versuchen, mit Bäumen zu sprechen. Beim Rückweg merkt Mara, dass ihre Mutter einen Zweig in den Haaren hat. Zu ihrer Überraschung redet der Zweig auf einmal mit ihr. Der Zweig kann nicht nur sprechen, sondern hat sogar eine äußerst wichtige Botschaft für sie: Sie sei die letzte Spákona und sie soll Loki wieder binden. Sie muss die ganze Welt vor Ragnarök, der Götterdämmerung, retten. Leider stirbt der Zweig, da er von seinem Baum getrennt wurde, bevor er Mara ausführlich einweihen kann. Er konnte ihr aber noch die Vision eines Mannes mit rabenschwarzen Augen vermitteln, der an einen spitzen Stein gefesselt ist, über sich eine Schlange und eine Frau mit einer Holzschale.
Bei ihren Recherchen im Internet stellt Mara fest, dass Spákona „Seherin” bedeutet, und dass ihre Visionen aus der germanischen Mythologie stammen. Sie sucht Professor Dr. Reinhold Weissinger (Jan Josef Liefers) auf, einen ausgewiesen Experten für die germanische Mythologie. Gemeinsam bekommen sie heraus, dass der gefesselte Mann der Halbgott Loki (Christoph Maria Herbst) ist und die Frau mit der Schale seine Frau Sigyn (Eva Habermann). Sie erkennen, dass Mara die Einzige ist, die den Weltuntergang verhindern kann. Dazu muss sie dem von heftigen Schmerzen gequälten Loki seine entführte Frau zurückbringen, die ihn bisher vor dem ätzenden Gift der Schlange bewahrt hatte. Wenn dies Mara nicht gelingt, wird Loki in seinem Schmerz das Ragnarök (besser und fälschlich bekannt als „Götterdämmerung”) heraufbeschwören und damit die Erde zerstören.
Rätselhaft bleibt vorerst, was es mit dem bedrohlichen „Feuerbringer” namens „Loge” auf sich hat. Mara gerät immer tiefer in eine magische Welt, in der sie all ihren Mut beweisen und über sich hinauswachsen muss. Zusammen mit Professor Weissiger versucht sie, Ragnarök zu verhindern.
Fantasy mit Hand und Fuß
In seiner Romantrilogie knüpft Tommy Krappweis an einige spätestens seit „Harry Potter” etablierte dramaturgische „Strickmuster” an. Außerdem entspricht ihre Handlung der „klassischen Heldenreise”, auf der z. B. auch die ursprüngliche „Star Wars”-Trilogie beruht: Ausgangspunkt ist die gewohnte Welt der Heldin mit ihren Alltagsärgernissen. Sie wird von einem Boten zum Abenteuer gerufen und verweigert sich diesem Ruf zunächst. Ein Mentor („weiser Alter”, obwohl der Professor gar nicht so alt ist – außer vielleicht aus Teenager-Perspektive) überredet sie daraufhin, die „Reise” anzutreten, und das Abenteuer beginnt usw. … – wobei die „Reise” im ersten Band / Film nicht abgeschlossen wird, die „Unterweltsfahrt” ist z. B. Bestandteil des zweiten Bandes. Dennoch endet der Film nicht mit einem „Cliffhanger”, sondern mit einem „Zwischenergebnis”.
Andererseits ist Krappweis gegenüber seinen Vorbildern sehr eigenständig, denn er entschied sich dagegen, eine Fantasy-Welt zu kreieren und dafür, seine Geschichte vor dem Hintergrund der germanischen, genauer, der altnordischen, Mythologie spielen zu lassen. Das ist der definitiv schwierigere Weg, nicht nur, weil er umfangreiche Recherchen erfordert, sondern auch wegen des üblen Erbes der Nazis und ihres Missbrauchs der Mythen. Weissinger, dessen Forschungsgebiet „germanische Mythologie” deshalb im akademischen Abseits – und im Keller der Universität – landete, regt sich darüber lautstark auf.
Szenenfoto: Sigyn (Eva Habermann), Loki (Christoph Maria Herbst) und Mara (Lilian Prent)
Krappweis legt großen Wert darauf, dass die nordisch-mythologischen Teile seiner Romane sachlich korrekt sind. Dass er diesen hohen Anspruch ohne Abstriche auch für den Film anlegt, merkt man daran, dass niemand anders als Prof. Dr. Rudolf Simek die wissenschaftliche Fachberatung übernommen hat. Simek ist Autor des Standardwerks „Lexikon der germanischen Mythologie” und vieler anderer Publikationen zum Thema. Schon in den Romanen lieferte Simek jeweils ein umfassendes, auch für Jüngere lesbares Wort- und Sachregister.
Es ist vielleicht kein Zeichen extremer Unbildung nicht zu wissen, wer Sigyn und Loki sind, aber dass drei unserer Wochentage Namen aus germanischen Mythologie tragen (wenn man Montag nach Mani und Sonntag nach Sol bzw. Sunna dazurechnet, sind es sogar fünf) oder, dass die Germanen und damit auch die Wikinger niemals Hörnerhelme trugen, ist schon ein nettes Stück Allgemeinbildung. Der Film rückt so manche Klischees gerade. („Wickie lügt!”, wie der gute Professor es so schön bei einem seiner cholerischen Ausbrüche sagt.)
Im Vorfeld wurde über die „Sammlung der deutschen Fernsehgesichter” gelästert, die doch nur ihre Klischeetypen ‚runterspielen würden. Die schauspielerischen Leistungen sind jedoch gut und die Rollen ausgezeichnet besetzt – egal, ob durch Newcomer oder „bekannte Gesichter”.
Lilian Prent überzeugt als Mara, einem nicht ganz untypischen Mädchen in der Pubertät, das von seiner peinlichen Mutter, mobbenden Mitschülerinnen und überhaupt so ziemlich allem ziemlich angenervt ist. Jedenfalls ist sie eine unwillige, alles andere als souveräne und gar nicht heroische Weltretterin. („Allerdings bin im Weltenretten etwa so talentiert wie ein Pinguin im Beachvolleyball.”) Dass sie behauptet, dass ihr der angehenden Lindwurmtöter Siegfried (Alex Simon), den der respektlose Professor als „Unterwäschemodel” bezeichnet, ziemlich gleichgültig wäre, um darauf hin mit gierigem Blick mittels Smartphone zahlreiche Fotos vom gut gebauten Helden zu machen, passt ins Bild des „Normalteenagers”, genau so, wie dass sie die von Loki verliehenen Zauberkräfte auch gegen die fiese Mitschülerin Larissa einsetzt – allerdings auch, um einen jüngeren Mitschüler in Schutz zu nehmen.
Jan Josef Liefers ist als etwas exzentrischer, aber alles andere als weltfremder Professor Dr. Reinhold Weissinger, einer Mischung aus Abenteurer und Gelehrtem, die perfekte Besetzung. Dass Liefers exzentrische Professoren „kann”, bewies er als ebenso genialer wie arroganter münsteraner Rechtsmediziner Professor Dr. Karl-Friedrich Boerne im „Tatort”. Weissinger ist, trotz einige Ähnlichkeiten, etwas anders angelegt: genau so fähig, aber weniger arrogant, dafür cholerischer – meistens aus gutem Grund – und deutlich chaotischer (Aufräumen ist wirklich nicht seine Stärke). Er neigt zu knappen, treffenden und manchmal sarkastischen Aussprüchen. Nein, er ist, obwohl er oft einen Hut aufhat, keine Indiana-Jones-Kopie.
Das Loki ausgerechnet von Christoph Maria Herbst, bekannt als „Stromberg” (der Chef, den wohl niemand gern als Chef hätte), dargestellt wird, stimmte mich skeptisch. Zu unrecht, denn Herbst ist ein ausgezeichneter Schauspieler, der den selbstverliebten, zwiespältigen, undurchsichtigen, aber nicht wirklich bösen göttlichen Chefchaoten verkörpert. Es gibt einen witzigen Outtake, in dem Herbst aus Spaß den Loki im „Stromberg”-Stil darstellt, der auch deshalb so groteskt wirkt, da Herbst als Loki sonst ein völlig anderer Typ ist. Da Loki gefesselt ist, sind die von Herbst eingesetzten schauspielerischen Mittel sparsamer als die der übrigen Hauptdarsteller, die in diesem Film mehr oder weniger zum „Overacting” neigen. Was allerdings bei Mara und Weissinger nicht wirklich stört; die „Theatralik” passt.
Für ihr „Overacting” berüchtigt ist Esther Schweins, die mir bisher nur als Komikerin einigermaßen gefiel. Als überspannte „Esoterik-Hexe” Christa Lorbeer ist sie allerdings die meiner Ansicht nach perfekte Besetzung.
Eva Habermann überzeugt als Sigyn und Leonie Tepe als mobbende Mitschülerin Larissa.
Die Nebenrollen sind, bis hin zu den Komparsen, gut besetzt. Die meisten Kleindarsteller und Komparsen waren LARPer, Cosplayer und Reenactors, die den Film somit unterstützt haben, und agierten sehr professionell vor der Kamera.
Interessant sind drei kleine Rollen: der wissenschaftliche Berater des Films, Professor Dr. Rudolf Simek, spielt den Geschichtslehrer Haase, Heino Ferch den windigen Seminarleiter Dr. Thurisaz, der in den beiden nächsten Folgen noch wichtig werden wird – Kenner der Runen werden schon am Namen erkennen, was es mit dem angeblichen Doktor auf sich haben könnte – und wer genau hinschaut, erkennt in der Rolle eines schottischen Touristen Billy Boyd, den Darsteller des Hobbit Pippin in Peter Jacksons „Hobbit”-Trilogie.
Special-Effects-Designer war John Nugent, der schon bei der „Matrix”-Trilogie und den „Herr der Ringe”-Filmen beteiligt war. Der Standard der gut dosiert eingesetzten Effekte ist durchweg hoch, obwohl man an einige Stellen doch merkt, dass „Mara und der Feuerbringer” ein deutlicher kleineres Buget als ein „Herr der Ringe”-Film hatte. Das Budget zwang zu einigen Kompromissen bei der Verfilmung, wobei verwendete „billige” Lösung mindestens einmal die originellere ist: Im Buch wütet der Lindwurm im „Godzilla”-Stil und zerstört die Ludwigsbrücke über die Isar. Stundenlang eine eine wichtige Brücke sperren zu lassen kam nicht infrage. Die statt dessen gefilmten Szenen, in denen der Lindwurm – interessanterweise nicht als typischer feuerspeiender Drache, sondern als in Sumpf und Wasser lebendes Amphibium dargestellt – einen Mittelaltermarkt(!) im Innenhof der Münchner Residenz heimsucht, sind eindrucksvolle Action-Szenen. Sehr überzeugend geriet der Feuerbringer, der unzufälligerweise an den Balrog aus „Herr der Ringe – Die Gefährten” erinnert.
Kein Spezialeffekt ist, dass Mara in der „mythologischen Welt” strahlend blaue und in der „Realwelt” braune Augen hat. Lilian Prent trug als „Realwelt-Mara” braune Kontaktlinsen.
„Mara und der Feuerbringer – Der Kinofilm“ hatte ein Budget von 6,5 Millionen Euro, im Vergleich zu den ca. 90 Millionen US-$ (ca. 81,7 Millionen Euro), die ein „Herr der Ringe”-Filme kostete. Daher wäre es naiv, monumentales Genre-Kino zu erwartet. Krappweis schaffte dafür etwas anderes: Einen phantastischen Film mit eigenem Stil und „Lokalkolorit”.
Ein Kinderfilm?
Um die naheliegende Frage vorwegzunehmen: Nein, „Mara und der Feuerbringer” ist trotz FSK-Freigabe „ab sechs Jahren” und seinem Fehlen im Abendprogramm kein Kinderfilm.
In der Tat ist „FSK 6” etwas, auf das sich Eltern, Großeltern und sonstige „Begleitpersonen” nicht verlassen sollten, nicht im Allgemeinen, und ganz speziell nicht bei „Mara”: es gibt in diesem Film einige Szenen, bei denen sich etwas sensiblere Kinder im Grundschulalter die Augen zuhalten. (Ich habe das bei einem kleinen Jungen, der zusammen mit seinem – mutmaßlichen – Großvater in der Reihe vor mir saß, beobachtet.) Auch inhaltlich dürfte er die meisten Sechsjährigen überfordern. Realistischer wäre eine Freigabe ab acht Jahren gewesen, wobei ich, außer bei Kindern, die sehr „weit” für ihr Alter sind, den Film erst ab zehn Jahren empfehlen würde.
Selbstverständlich ist es eine Jugendbuchverfilmung, allerdings die eines Jugendbuchs, das wie „Harry Potter” auch erwachsene Leser anspricht. Im direkten Vergleich ist „Mara und der Feuerbringer” deutlich „erwachsener” als die „Harry Potter”-Filme, außer vielleicht dem letzten.
Vor der Premiere äußerten sich viele Fantasy-Fans lobend über den Film, vor allem auf „sozialen Medien” wie Facebook. Über diese „Vorschusslorbeeren” waren einige Filmfreunde genervt. Und es wurde sehr viel über diesen Film gelästert – leider auch von professionellen Filmkritikern. Diese Lästereien – Tenor: „Fantasy aus Deutschland? Das kann doch nichts sein, lasst mal lieber Hollywood dran!” – wurden dann geradezu massenhaft weitergetragen – witzigerweise meistens von Leuten, die diesen Film gar nicht gesehen hatten und auch die Romanvorlage nicht kannten.
Wie gefiel mir der Film? Ausgesprochen gut! Nicht perfekt, aber besser, als ich es erwartet hatte.
Ich muss gestehen, dass auch ich so meine Vorurteile habe, wenn es um deutschsprachige Filme geht. Sehr oft sind sie banal, inhaltlich schlicht gestrickt – und wenn sie Komödien sein sollen, eher albern als lustig. Oder sie sind überambitioniert: „Filme für Filmkritiker”, wie es ausgerechnet ein Filmkritiker angesichts eines besonders auf „Anspruch” gequälten deutschen Filmes ausdrückte. Es gibt ja mehr als genug Bestätigung für diese Vorurteile.
Seit der „Unendlichen Geschichte”, die in etwa die selbe Zielgruppe hatte, also seit mehr als 30 Jahren, gab es keine vergleichbaren deutschsprachigen Produktionen mehr – der ebenfalls gelungene Film „Krabat” nach Otfried Preußlers Romanadaption einer sorbischen Volkssage ist aus mehreren Gründen nicht vergleichbar. Die Märchen- und Sagenverfilmungen fürs Fernsehen zähle ich, wie auch die „Bibi Blocksberg”-Filme, nicht mit, da sie nicht zur „selben Liga” gehören. Diese Filme sind jedoch in der Regel sehr liebevoll und gekonnt gemacht und gehören zu den besseren Teilen der deutschen bzw. österreichischen Filmlandschaft.
Die Mischung aus der „Realität” des heutigen München und der „Fantasywelt” nach Vorbildern der nordischen bzw. germanischen Mythologie ist gelungen und es wird eine wirklich nette, spannende und trotz des „apokalyptischen” Themas oft ausgesprochen lustige Geschichte erzählt. Die oft ironische, augenzwinkende und manchmal satirische Haltung hätte ich (siehe oben) bei einem „deutschen Film” nicht erwartet. Ungewöhnlich sind die sonst im deutschsprachigen Kino peinlich vermiedenen Anspielungen auf andere Filme und Medienphänomene. Fans fallen zahlreiche kurze Dialog-Zitate und kleine, gutmütige Seitenhiebe von „Star Wars” bis „Marvel”, von „Harry Potter” bis „Herr der Ringe”, von der britischen 60er-Jahre Band „The Who” bis „Dr. Who” und noch viel mehr auf. (Und Wagnerianer müssen richtig tapfer sein 😉 .)
Tolle Sets, gut ausgesuchte Drehorte, in München und in freier Landschaft, gute schauspielerische Leistungen und gut gemachte Spezialeffekte in der richtigen Dosierung runden meinen positiven Eindruck ab. Das keineswegs unwichtige I-Tüpfelchen sind die germanischen Kostüme. Da stimmt, soweit ich es beurteilen kann, jedes Detail. Dagegen fallen fast alle „Historienfilme” und sehr viele „Dokudramen” ab – von der hochgelobten Serie „Vikings” ganz zu schweigen.
Zumindest in Sachen Ideenreichtum lässt er viele US-Fantasy-Filme weit hinter sich.
Völlig subjektiv, nach meinen ganz persönlichen Geschmack, hätte ich gern eine generell düstere Stimmung gehabt. Das wäre allerdings in einem „Familienfilm” nicht machbar gewesen. Es gibt auch einige kleine Logikfehler. Eine gewissen Schwäche für einen an sich temporeichen Film sind Maras vielen Off-Kommentare – aber ganz ohne sie würden Zuschauer ohne Kenntnisse des Romans in der ersten Hälfte des Films vieles nicht verstehen.
Wicca-Bashing?
Maras (von Esther Schweins dargestellte Mutter) Christa Lorbeer ist, was ausdrücklich und mehrmals im Film gesagt wird, Wicca. Sie und ihre Gruppe (der Fachbegriff „Coven” kommt nicht vor), die „Wiccas von der Au”, erfüllen so ziemlich jedes Klischee über überspannte „Esoterik-Hexen”.
Das stieß einigen Wiccas übel auf. Besonders, weil „Mara und der Feuerbringer” wahrscheinlich der erste deutschsprachige Unterhaltungsfilm ist, in dem Wiccas Teil der Handlung sind.
Übrigens wird in keiner mir bekannten Filmkritik erwähnt, dass Frau Lorbeer eine Wicca wäre, selbst der Begriff „moderne Hexe” kommt sehr selten vor. Die meisten Kritiker und Kritikerinnen bezeichnen sie als „Esotante”.
Was sie ja auch ist. Wiccas, die ihr Wiccatum ernst nehmen und die Quellen ihrer Spiritualität kritisch hinterfragen, werden wahrscheinlich nicht so viel Geld für esobärmlichen Firlefanz und fragwürdige Seminare ausgeben, wie Christa Lorbeer dies tut.
Außerdem werden die „Wiccas von der Au” gnadenlos subjektiv aus der Perspektive der von ihrer Mutter angenervten Mara gesehen. Im Roman heißt es:
Wicca war angeblich ein altenglischer Begriff für Hexe, aber Mama wurde immer sauer, wenn Mara sie fragte, ob sie wieder zu ihrer Hexengruppe ging. Denn laut Mama waren ihre Wiccas »ein Zusammenschluss weiser und starker Frauen, die wissen, worum es in der Welt wirklich geht«. Für Mara hingegen waren sie »ein Zusammenschluss weichkeksiger Schabracken, die von der Welt überfordert sind und sich darum eine eigene bauen«.
Als durchaus auch hexisch orientierter Heide musste ich erst einmal schlucken, als ich das las. Es kam mir fast so übel vor, als hätte Tommy Krapweis eine Gruppe teutsch-völkischer Fanatiker mit starkem politischen Rechtsdrall als „germanische Heiden” eingeführt.
Auf den zweiten Blick ist Frau Lorbeer keine bösartige Karrikatur einer Wicca. Ich kenne nämlich „Lametta-Hexen” (erkenntlich daran, dass sie vor lauter magisch-mystischem Schmuck kaum noch aufrecht gehen können) und noch mehr „ich-habe-da-ein-tolles-Buch-gelesen-und-bin-jetzt“-Wicca, nebst jeder Menge Möchtegern- und Mode-Hexen, die sich original so wie Christa Lorbeer verhalten, bis in sprachliche Details und Details ihrer sehr new-ageigen Wohnungseinrichtung hinein. Es sind Klischees, ja, aber solche, die leider im prallen Heidenleben gar nicht mal so selten sind. Tommy Krappweis scheint ein guter Beobachter der „Eso-Hexen-Szene” zu sein.
Ärgerlich ist daran allenfalls, dass weder im Buch noch im Film Wiccas vorkommen, die nicht so weltfremd und konsum-esoterisch sind wie die „Wiccas von der Au”. Dass die meisten Hexen und Heiden ruhige und vernünftige Menschen sind, die im Alltag gar nicht weiter auffallen, weiß Krapweis nämlich aus eigener Erfahrung ganz genau.
Wobei Frau Lorbeer ja auch ihre sympathischen Seiten hat und durchaus ernsthaft an heidnischer Spiritualität interessiert ist; nur hatte sie das Pech gehabt, auf einen kostspieligen Irrweg geraten zu sein. Es ist absolut kein Zufall, dass Professor Weissinger und sie sich näher kommen.
Das Zielgruppendesaster
Ich habe diesen Film in einer Vorabendvorstellung gesehen. Im Abendprogramm lief „Mara” nicht, und sogar in einer Metropole wie Hamburg war es schwierig, überhaupt ein Kino zu finden, in dem der Film nicht ins Nachmittagsprogramm oder die Matinee verbannt war. Der Kinosaal war übrigens fast leer.
Im April 2015 schien noch alles gut für „Mara und der Feuerbringer” zu laufen. Die Premiere lief grandios, die Kritiken waren gut, er erhielt den „Fantasy-Award” der „Role Play Convention” als „bester deutscher Fantasyfilm seit über zwanzig Jahren” und das Prädikat „Wertvoll” der Deutschen Film und Medienbewertung (FBW).
Doch an der Kinokasse endete die Euphorie. Der Film war falsch platziert, hatte ungünstige Spielzeiten und wurde zu schnell wieder aus dem Programm genommen. Es gab kaum Werbung, kaum Promotion, und der schlimmste Fehler überhaupt: der Filmverleih hatte ihn ausdrücklich als Kinderfilm vermarktet. Dass er zeitgleich mit mutmaßlich lukrativen Action- und Familienfilmen aus den USA startete, war Pech – die schlechte Vermarktung nicht. Gerüchteweise heißt es, „Mara” wäre nur im Nebenprogramm gestartet worden, weil von vornherein nur geringes Zuschauerinteresse erwarten wurde – wenn das so ist, ist es der typische Fall einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
Ein Grund für die katastrophale Vermarktung dürfte die „Kinderfilm-Falle” sein. „Fantastischer Film aus Deutschland” bedeutet nun einmal nach aller Erfahrung „Märchenfilm”. Und „Märchenfilm” bedeutet, trotz „Krabat”, in den Köpfen der meisten Menschen hierzulande „Kinderfilm”. Mit einer Zielgruppe, die altersmäßig in etwa da aufhört, wo die von „Mara” beginnt.
Der Filmverleih (Constantin) hätte es natürlich besser wissen können. Trotzdem verfiel man dort auf die Idee, „Mara und der Feuerbringer” als Kinderfilm zu deklarieren und zu versuchen, den Kinos unerfüllbare Verleihkonditionen aufzudrücken. Ich werde den Verdacht nicht los, dass „Mara” gar nicht erfolgreich sein sollte.
Es ist in Deutschland aus diversen Gründen schwer bis unmöglich, Genrefilme groß und erfolgreich zu platzieren. In den 1980er Jahren, als außer der „Unendlichen Geschichte” auch Science-Fiction-Filme wie „Das Arche Noah Prinzip”, „Moon 44” oder „Enemy Mine” in Deutschland gedreht worden, war das ansatzweise anders. Seit ca. 1990 wurden einerseits vor allem in den USA zahlreiche erfolgreiche Science Fiction-, Mystery- und Fantasyfilme und -serien produziert, während man in Deutschland auf die „erfolgreichen Nischen” setzte: Filme über vergangenen deutsche Diktaturen, Milieustudien und ausschließlich für den deutschsprachigen Markt produzierte Komödien. Betriebswirtschaftlich und auf kurze Sicht betrachtet ist das vielleicht verständlich – aber eine Zukunftsperspektive sieht anders aus.
Über den seit langem fehlenden Mut der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, auch mal etwas abseits von „Schema F” zu bringen, möchte ich mich hier nicht auslassen. Privatsender wie RTL (der „Mara” mitfinanzierte), wagen sich immerhin hin und wieder an die phantastischen Genres, leider meistens mit wenig überzeugenden Resultaten. Der schlechte Ruf deutscher Phantastik dürfte auch auf allzu billig und lieblos gemachte Produktionen der Privatsender zurückzuführen sein.
„Mara” hätte das ändern können!
Martin Marheinecke
Die DVD/BluRay erscheint im Oktober 2015!.
Offizielle Website des Films: Mara und der Feuerbringer