Knallfreies Silvester?
Es gibt gute, sehr gute, Gründe dafür, zu Silvester nicht zu ballern.
Außer den oft genannten – und richtigen – Gründen, dass der Pulverrauch in Städten zu geradezu abenteuerlichen Feinstaub-Belastungungen führt („Neujahrssmog“) und auch, dass Tiere (nicht nur Haustiere) unter dem „akustischen Dauerbeschuss“ leiden, gibt es nicht wenige schwer traumatisierte Menschen, die durch lautes Knallen angetriggert, d. h. retraumatisiert werden: Kriegsflüchtlinge, Ex-Soldaten mit Postraumatischen Belastungsstörungen, aber auch jene nun alten Menschen, zu deren ersten – und schwersten – Kindheitserinnerungen heulende Sirenen, explodierende Bomben und knatterndes Flak-Feuer gehören.
Keine guten Gründe sind jene, die nunmehr wie alle Jahre von diversenen karitativen Organisationen von „Brot für die Welt“ bis „WWF“ genannt werden: „[irgendeine wohltätige Spende] statt Böller!“ Diese Argumentation läuft auf einen primitiven Apell ans schlechte Gewissen hinaus. Ein Slogan wie „Brot statt Böller“ ist kein Deut logischer, moralischer oder hilfreicher, als die Mahnung einer Mutter an ihre Kinder, denen das Essen nicht schmeckt, doch an die armen hungernden Kinder in Afrika zu denken!
Es spricht überhaupt nichts dagegen, für einen wohltätigen Zweck zu spenden – insofern die spendensammmelde Organisation seriös arbeitet. Aber es spricht sehr viel dagegen, eine einmalige Spende zum Jahreswechsel aus erfolgreich aktiviertem schlechten Gewissen heraus abzudrücken. Als eine Art „Sündenablass gegen milde Gabe“ in der „sittenkatholischen“ Variante. Oder, „gut protestantisch“, als geflissentlicher Verzicht auf alles „Überflüssige“.
Es gibt einfach keinen Zusammenhang zwischen „überflüssigen Geldausgaben für Silvesterknaller“ und dem „Hunger in der Welt“ – oder mangelndem Tierschutz, zerstörten Biotopen, fehlender Kinderbetreuung, maroder Infrastruktur, geschlossenen Kultureinrichtungen usw. usw. . Eben so gut könnte man eine Aktion „Brot statt Weihnachtsbäume“, „Tierschutz statt Fußball-Bundesliga“ oder auch „Schulkantinen statt Kirchentage“ ausrufen: Weder kausal noch moralisch ist das Eine mit dem Anderen verbunden.
Kampagen wie „Brot statt Böller“ oder „Spenden statt Feuerwerk“ beruhen, wie die Mahnung der Mutter an ihre essunwilligen Kinder, auf einem Appell ans schlechte Gewissen. Was vielleicht das Portemonnaie potenzieller Spender öffnet, jedoch den Blick für Problemlösungen und Verantwortlichkeiten verschleiert.
Der Zweck – das Eintreiben von Spenden – heiligt keineswegs diese fragwürdigen, mit einer gehörigen Portion Lustfeindlichkeit und dem paternalistischen „Almosengeben“-Prinzip verbundenen Werbeaktionen.
„Moralisch korrekte“ Feiern ohne Partylärm, ohne Alkohol und ohne üppiges Essen, ohne „abergläubisches Tun“ wie Bleigiessen, Neujahrshoroskope oder Lichtorakel verfehlen den Sinn einer Silvesterfeier ganz gewaltig. Feiern bedeutet Extase, Überschwang der Gefühle – Selbstkontrolle gibt es im Alltag genug! Das gilt nicht nur für frohe Feste: Eine Trauerfeier, bei der niemand wirklich Trauer zeigt, ist eine verdammt traurige Angelegenheit.
Auf Feuerwerk aus Rücksichtnahmen auf Mitmenschen und Mittiere zu verzichten, ist in Ordnung – sich ob dieses Verzichtes für einen besseren Menschen zu halten, nicht!