Kleinfamilie ist historische Ausnahme
Vater, Mutter, Kind – das ist eine historische Ausnahme.
Das sagte Soziologin Corinna Onnen der Katholischen Nachrichtenagentur. Sie warnt in der Debatte um eine Gleichstellung von Homo-Ehe und Ehe vor falschen Familienbildern. Die bürgerliche Kleinfamilie sei historisch gesehen eine Ausnahme der Nachkriegszeit. Die traditionelle Normalfamilie sieht Onnen auf dem Rückzug. Stattdessen rechnet sie mit immer vielfältigeren Lebensläufen und auch Lebensformen.
Außerdem erläutert die Soziologin ihre Sicht auf den besonderen Schutz der Familie durch das Grundgesetz. Demnach war es das Ziel der Väter und Mütter des Grundgesetzes angesichts totalitärer Regime klar zu machen, dass nicht der Staat, sondern die Familien für die Erziehung und Versorgung der Kinder zuständig sind. Es sei also damals um eine Abwehr gegen staatliche Allmacht gegangen und nicht um ein bestimmtes Ehe- und Familienmodell.
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Unter Historikern, Soziologen und Ethnologen ist die Erkenntnis, dass die Kleinfamilie historisch und im Kulturvergleich eine Ausnahme ist, zwar ein alter Hut, aber dass Frau Onnen in der katholischen Nachrichtenagentur zu Wort kommt, ist ein gutes Zeichnen. Schließlich gibt es im deutschsprachigen Raum keine Instution, die sich so sehr für das (angeblich) „traditionelle Familienmodell“ einsetzt, wie die römisch-katholische Kirche. Wichtig ist auch, dass sie den historisch gesehen tatsächlichen Grund für den besonderen Schutz der Familie im deutschen Grundgesetz ausdrücklich nennt und klarstellt, dass mit Familie kein bestimmtes Familienmodel gemeint ist.
Die „Kleinfamilie“ (Vater, Mutter, Kinder) kam bis zum 19. Jahrhundert praktisch nur in der wohlhabenden Oberschicht vor, und zwar als Ausnahme, wobei z. B. Adelsfamilien so viele Hausangestellte hatten, dass auch diese „Kleinfamilien“ nicht dem „tradionellen“ Modell entsprachen. Zum Massenphänomen wurde die Kleinfamilie erst mit der Industrialisierung und der Verstädterung, zuerst beim Bürgertum, während Arbeiter (notgedrungen) oft ziemlich beengte „Wohngemeinschaften“ bildeten, und es auch bei „Kleinfamilien“ üblich war, z. B. die Großeltern in der Wohnung mitwohnen zu haben. Außerdem war unter Arbeitern das „bürgerliche“ Modell des väterlichen Alleinverdieners im 19. Jahrhundert schon aus finanziellen Gründen kaum realisierbar.
Für besser verdienende Arbeiter und kleine Angestellte wurde das Modell „Kleinfamilie mit Alleinverdiener“ nach „Gutbürgerlichem“ Vorbild ab Ende des 19. Jahrhunderts zum prestigebesetzten Ideal. Schliesslich wurde dieses Kleinfamilienmodell dann auch staatlicherseits gefördert – mit der Vorstellung, so die Geburtenrate zu heben und den Arbeitsmarkt von den „Doppelverdienern“ entlasten zu können.
Frau Onnen spricht von einer „Ausnahme der Nachkriegszeit“. In der Tat wurde erst in den 1950er Jahren die Kleinfamilie, bei der die Frau zumindest solange kleine Kinder zu erziehen sind, keiner Erwerbsarbeit nachgeht, zur vorherrschenden Familienform in der (west-)deutschen und österreichischen Gesamtgesellschaft. In der DDR herrschte zwar auch die Kleinfamilie vor, aber berufstätige Mütter waren hier eher die Regel als die Ausnahme.
Schon Ende der 1960er Jahre zeigte das „traditionelle“ Modell Kleinfamile, das de facto nur gut 20 Jahre lang die große Mehrheit der Haushalte bildete, Erosionserscheinungen.