Hörnerhelme und Rauschebärte: Film „Hermannschlacht“ von 1924
1922 war er als nationales Propagandastück geplant, als er 1924 in die Kinos kam, war er ein erfolgreicher Monumentalfilm, heute wirkt er unfreiwillig komisch: Der Stummfilm „Die Hermannschlacht“.
Nein, kein Asterix-Film und keine Parodie – das war 1924 ernst gemeint! (Quelle: Kleist.org)
Aus Anlass des Varusjahres hat das Medienzentrum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe den historischen Film zu neuem Leben erweckt. „Wir wollen damit nicht ein zu Unrecht vergessenes Beispiel früher Filmkunst rehabilitieren, sondern auf die Verführungskraft hinweisen, die dem Medium zu allen Zeiten eigen war“, sagt Dr. Volker Jakob vom LWL-Medienarchiv für Westfalen in Münster.
Fast 70 Jahre lang galt der Monumentalfilm als verschollen. 1992 wurde er in einem Moskauer Archiv wiederentdeckt.
Das „Kolossalgemälde aus germanischer Urzeit“ wurde in den Jahren 1922 und 1923 in und um Horn, vor allem in der Nähe der Externsteine, gedreht. Regisseur Leo König setze immerhin 1000 Komparsen und 200 Pferde ein – mehr als in so manchem berühmten Hollywood-Monumentalstreifen. Weniger hollywood style sind die auch nach damaligem Standard lächerlichen Kostüme und die zahlreichen Patzer, die hart mit dem Pathos und der überzogenen Theatralik kontrastieren.
Für den heutigen Betrachter ist der Film nicht nur ein amüsantes Kinoerlebnis, sondern auch ein einzigartiges Dokument über die Stimmung und Gemütslage im Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg und für die deutschnationale Propaganda dieser Zeit. Er war eine ins Historische projizierte tagespolitische Parabel. Der Film beschwor die „vaterländischen Einheit“ und den Kampf gegen die „Römer“, hinter denen man unschwer die Franzosen erkennt.
Zum Erfolg trug sicher bei, dass 1923 die Franzosen das Ruhrgebiet besetzten. (Wikipedia-Artikel über die Ruhrbesetzung.)
Artikel der Ahlener Zeitung: Der Asterix vom Teuto: Stummfilm über Varusschlacht
Artikel auf Kleist.org mit Szenenfotos: Die Hermannschlacht (Stummfilm von 1922)
Der alte Stummfilm „Die Hermannschlacht“ diente neben den Dramen von Grabbe und Kleist als Vorlage für die Parodie: „Die Hermannsschlacht“ von 1993, die im Rheinland und im Teutoburger Wald realisiert wurde. Der Film ist ebenfalls (seit 2005) als DVD erhältlich. Buch und Produktion: Christian Deckert, Hartmut Kiesel, Christoph Köster, Stefan Mischer und Cornelius Völker. Außerdem existiert eine weitere Kinoversion des klassischen Stoffs, die ab Ende der 1960er Jahre im früheren Jugoslawien, Italien und Deutschland produziert wurde.
“Die Hermannschlacht” ist ein herrlicher, großartiger, bewegter, geschichtlich-wertvoller Stummfilm von 1924 und wird oft als “Deutschtümelei” stigmatiert und verhöhnt – wieso ?
“Deutschtümelei”? Was für ein unsinniger, verblendeter und auch unwürdiger Begriff! Deutschland kann – ebenso wie z.B. England oder Frankreich auf seine 4000jährige Vergangenheit und Geschichte stolz sein!
Wenn in den USA tausende von Fahnen bei Veranstaltungen oder wenn vor fast jedem Haus eine US-Flagge weht, spricht man nie von “USA-Tümelei”! Wieso ?
Nur in Deutschland hat sich der blödsinnige und machoistische (Un)-Begriff von der “Deutschtümelei” eingebürgert – ein Begriff, den ich für blanke Volksverhetzung ansehe. Eine Volksverhetzung gegen Kulturwerte, wie z.B. jener Film.
Ebenso ist es Volksverhetzung, wenn ständig gestänkert und gehetzt wird gegen Ostdeutsche Menschen und diese herabsetzend “Ossis” genannt werden! Das ist eine unerträgliche Stigmatisierung gegen eigene Landsleute!
Diese Volksverhetzung gehört strengstens bestraft – weil die schlimmste Volksverhetzung, welche es gibt – gegen das eigene Volk und eigene Land ist.
Warum wird dieses Verbrechen nicht endlich unter Strafe gesetzt?
N.S. Warum sollen wir als einziges Volk auf der Welt nicht stolz auf unsere jahrtausende alte Geschichte sein?!
Lieber Thomas F. Guthörle!
Eines vorweg: französischer, britischer, dänischer oder amerikanischer Hurrapatriotismus ist um kein Stück besser als deutscher Hurrapatriotismus. Wobei Hurrapatriotismus und -Tümelei nur am Rande mit Stolz auf die eigene Kultur, aber sehr viel mit Überheblichkeit und Engstirnigkeit zu tun haben.
Nur ist der alte, unfreiwillig komische, Film über die Hermannschlacht aber ein deutscher Film über ein (fälschlicherweise) als „deutsch“ dargestelltes historisches Ereignis. Weil er aber mit „Germanen“ zu tun hat, und ebenso weit verbreitete wie falsche Germanenklischees enthält, gehört er zur „Baustelle“ der Nornirs Ætt – während z. B. unsäglich hurrapatriotischer Hollywoodschinken (ich denke da z. B. an Rambo III – oder an alte Kavalleriewestern, in denen das Abschlachten von Ureinwohnern verherrlicht wird) eher nicht dazu gehören würden. Andere Baustelle, daher für die „Nornirs Ætt“-Website kein Thema, aber nicht, weil diese Filme besser oder wenigstens harmloser wären als die „Hermannschlacht“.
Es stimmt auch nicht, dass es nur in Deutschland einen Begriff wie “Deutschtümelei” gäbe. Im Englischen gibt z. B. den Begriff „jingoism“ für einen aggressiv-dummen (amerikanischen oder britischen) Nationalismus.
„Volksverhetzung“ (in Deutschland § 130 Absatz 1 des Strafgesetzbuchs) liegt dann vor, wenn jemand zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, und zwar auf eine Weise, die den öffentlichen Frieden stört. Anders gesagt: es geht dabei um verbale Gewalt, die reale Gewalt nach sich zieht oder nach sich ziehen könnte.
Stänkern gegen „Ossis“ (nebenbei: etwas, was in der Nornirs Ætt nicht vorkommt, und nicht geduldet wird – und das nicht nur, weil es auch „Ossis“ unter uns gibt) fallt doch eher unter „schlechte Manieren“ als unter „zum Hass aufstacheln“. oder gar zu „Gewalt schüren“. Auch eine sarkastische Kritik an einem alten Stummfilm – selbst wenn er kulturell wertvoll sein sollte – fällt schwerlich darunter. Es wäre etwas anderes, wenn jemand dazu aufrufen würde, Besucher des Films „Hermannschlacht“ gewaltsam am Besuch des Kinos zu hindern.
Übrigen ist Ihr Nachsatz ein klassisches Strohmannargument: Von einigen „Antideutschen“ (zu denen wir nicht gehören) abgesehen, gibt es niemanden, der Deutschen verübelt, stolz auf die deutsche Traditionen und deutsche Geschichte zu sein. Es sein denn, es ginge etwa um die Geschichte des 12-jährigen Reiches, die auch aus einem deutsch-patriotischen Blickwinkel nur als „Verbrechen und Fiasko“ beschrieben werden kann.
Auf einem anderen Blatt steht es, nationalistische Behauptungen, wie die, dass die deutsche Geschichte „Jahrtausend alt“ wäre, zu entlarven. Denn Armins Cherusker waren Cherusker und keine „Deutschen“.
Jepp. Ergänzend amüsiere ich mich über die „4000-jährige deutsche Geschichte“ – eine absurde Zahl, es wäre schon gewagt, überhaupt germanische Kultur auf einen solchen Zeitrahmen ansetzen zu wollen, geschweige denn „deutsche“ *lol*
Streng genommen müsste man ja von einem „Deutschland“ im nationalen Sinne erst ab 1871 sprechen. Bestenfalls kann man eine Kultur , die man irgendwie „deutsch“ nennen könnteauch vorher schon ausmachen, die aber hat nichts mit Nationalitäten zu tun sondern eher mit verwandtschaft in Sprachen (Es gab da noch echte Dialekte, und wer sich bewusst macht, dass die Unterschiede zwischen „Bairisch“, „Schwäbisch“ und „Hochdeutsch“ kaum als Dialekt sondern nur noch als munartliche Färbung bezeichnet werden kann, kann sich vielleicht auch vorstellen, dass ein „echter“ bairischer Dialekt 1700-Ungrad aus heutiger Sicht einem nicht-Bayern tatsächlich so unverständlich sein musste wie eine „echte“ Fremdsprache. 4000 Jahre sind da völlig lächerlich, mit viel gutem Willen kann man mal max. 200-300 Jahre als realistisch ansetzen, wenn man von „deutscher Geschichte“ in einem so national verstandenem Sinne reden will wie von „amerikanischer Geschichte“ oder „französischer Geschichte“.
Davor gabs noch etwas preußische, bairische, hessische, fränkische, sächsische etc. pp. Geschichte, die mit „deutsch“ nicht mehr zu tun hat als eine enge sprachliche Verwandtschaft der in der heutigen als „Deutschland“, aber auch „Österreich“, Teilen von „Schweiz“ und kleinen Teilen von Grenzgebieten anderer Staaten bezeichneten Region Europas gesprochenen Einzeldialekte.
In Bezug zu der tausendjährigen Geschichte der Deutschen muss ich sagen, daß die von Herrn Guthörle angegebenen 4.000 Jahre doch keineswegs so lächerlich sind, wie es manche Kommentatoren hier meinen. Es ist wohl eher eine Frage der Betrachtung bzw. eine Frage davon, wie man denn das fasst, was man hier als „deutsche Geschichte“ bzw. als „deutsch“ ansieht.
„Streng genommen müsste man ja von einem “Deutschland” im nationalen Sinne erst ab 1871 sprechen.“
Dies bezieht sich wohl eher auf das französische Verständnis und ist gerade nicht zu verstehen in einem nationalen Sinne – eher wäre es verständlich im patriotischen Sinne, wenn man nach der Etymologie gehen will. Denn, weshalb sollte das „Deutsche“ im nationalen Sinne (also bezogen auf die geburts- und blutsmäßige Zugehörigkeit zu einer Gruppe) abhängig sein von Grenzziehungen, Staatenbildungen, usw.?
Auch die Beziehung auf die Sprache ist keine Rückbeziehung in einem nationalen Sinne. Sonst müsste man – überspitzt gesagt – einen Deutschen, der nach Australien auswandert und dort Englisch spricht, nicht mehr als Deutschen sehen. (Ob er sich nun passmäßig als Australier einbürgern lässt oder nicht tangiert diese Frage in keiner Weise.)
Sprache ist doch etwas, was sich wandelt und immer wieder den Umständen anpasst. Sie ist daher wohl kaum bzw. nur sehr bedingt als ein entscheidendes Merkmal zur Definition einer solch bedeutsamen Frage heranzuziehen.
Selbstverständlich mögen nun manche einwenden – und ich will die Einwände gleich vorwegnehmen -, daß es schon seit jeher Völkerwanderungen, Kulturaustausch, usw. gab, so daß auch die von mir aufgezeigte nationale, d.h. geburtsmäßige, Umgrenzung des Deutsch-Seins hinfällig sei. Dieser Austausch war aber keineswegs ein solcher Austausch, wie man es sich vielleicht mit der `heutigen Brille` vorstellen mag; es war keineswegs eine `antike` oder `mittelalterliche Globalisierung` – viel eher war es so, daß die sozialen Strukturen, die sich nun einmal hauptsächlich auf die Verwandtschaft und damit die Geburt gründeten, zum aller größten Teil bestehen blieben.
Das dies womöglich eine heutzutage unbeliebte Ansicht ist, ist mir bewusst. Dennoch erscheint mir dieses Verständnis als dasjenige, welches die Geschichte am Besten und Sinnvollsten deuten und erklären kann.
Viele Grüße,
Heiko.
Hi Heiko,
sorry, aber „Deutsch“ ist immer national zu verstehen, alles andere mag – noch dazu im weitesten Sinne „germanische Kultur“ sein (und schon die auf 2000 vor anzusetzen ist relativ sportlich gedacht, die Sprachwissenschaft sieht das als ein rein willkürlich gewähltes und mehr oder weniger fiktives Datum an, die für eine Konstruktion einer hergeleiteten, also ausschließlich „errechneten“, Sprachstufe, die man als „urgermanisch“ bezeichnet und deren Vokabular deshalb stets ein „*“ am „*germ.“ hat, weil eben kein einziges dieser hergeleiteten Worte tatsächlich belegt/belegbar wäre. Und selbst wenn eine solche „germanische“ Kultur als Ganze nachweisbar wäre, sie hat nichts mit „deutsch“ zu tun, denn „Deutsch“ ist eine ebensolche regionale Ausformung der letzten Handvoll hundert Jährchen wie Englisch, Schwedisch, Norwegisch, Niederländisch und auch Französisch (ich wüsste jetzt auch nicht, was eine „französische Sicht“ bitteschön sein sollte, mal davon abgesehen).)
Jedenfalls: wenn es, wie Sie implizieren, darum ginge, zu erfragen und das „Deutschsein“ daran festzumachen, ob jemand sich als „Deutscher“ selbst identifiziert – nunja, dann behaupte ich mal, dass sie ebenfalls nicht viel weiter in die Vergangenheit kommen als ein paar hundert Jahre. Davor warens nämlich Baiern, Chatten, Goten, Langobarden, Angeln, Franken, Sachsen, usw. usf. – und nein, auch das hl. röm. Reich „deutscher“ Nation versteht unter „deutsch“ was völlig anderes.
Achso, und was die Integrationsfähigkeit der germanischen Stämme betrifft: Nein, mitnichten waren diese Verwandtschaften rein oder hauptsächlich „blutsverwandtschaftlich“ zu sehen, auch wenn das aus heutiger nach wie vor „ius sanguis“-Sichtweise und aus einem laienhaften Verständnis, das noch in linearen Stammbäumen denken mag, u.U. schwer verständlich ist. Aber ich denke, dass es auch hierzu verlorene Liebesmüh‘ ist, hier nochmal ins Detail zu gehen, denn freilich sind diese Dinge schon seit Jahrzehnten bekannt und in der seriösen Welt unbestritten, würden Sie solche Erkenntnisse berücksichtigen, wir würden uns hier garnicht über diesen Kram unterhalten (müssen). Somit beende ich die Diskussion bevor ich sie richtig beginne., da ich wenig Sinn darin sehe. Ist ja eh nur „französische Sichtweise“ oder so, im Zweifel.
Lieber Heiko Nietschke,
vielen Dank für den ausführlichen Kommentar.
„4000 Jahre deutsche Geschichte“ sind, egal, wie man das deutsche Volk definiert, Unsinn. Damals gab es noch nicht einmal Volkstämme, die man mit gutem Gewissen als „Germanen“ oder „Kelten“ bezeichnen könnte. Es ist, wenn man die Geschichte eines abgrenzbaren geographischen Raums beschreibt, natürlich legitim, etwa von 8000 Jahren ägyptischer Geschichte oder 6000 Jahren chinesischer Geschichte zu schreiben – wobei man sich im klaren sein muss, dass es selbst bei diesen alten Kulturen historische Brüche gibt – „China“ als Nation ist ja ebenso ein Konstrukt wie die Deutsche, wahrscheinlich sogar weitaus willkürlicher, allerdings deutlich älter (Begründung des Kaiserreichs 221 v.u. Z durch Kaiser Qín Shǐhuáng ) – vorher gab es in China verschiedene Reiche, die ebenso wenig eine einheitliche Nation bildeten, wie die heutigen EU-Staaten eine „Nation Europa“ bilden würden. Erst im Nachhinein wurde die Geschichte des geographischen Raumes China seit den halb legendären „drei Erhabenen“ und „fünf Kaisern“ der Vorzeit (vor 2100 v.u.Z.) als „chinesische Geschichte“ interpretiert. Genau so kann es sein, dass es irgendwann einen europäischen „Nationalstaat“ geben wird und die europäische Geschichte als „Nationalgeschichte“ erzählt wird, in der die Polen, Deutschen, Franzosen, Italiener usw. genau so „aufgehen“, wie die Franken, Sachsen, Baiern, Friesen, Schwaben, Wenden (Westslawen) usw. in „Deutschland“ aufgingen.
Um es in einem Satz auszudrücken: Nationen, und zwar alle, sind Konstrukte, sie wurden gemacht und entstanden nicht von alleine. Das Konstrukt „Deutscher Nationalstaat“ von 1871 schloss die Österreicher – die vorher jeder als „Deutsche“ bezeichnet hätte – aus dem Nationalverband aus, und schloss dafür z. B. Polen, Lothringer, Dänen, Katschuben, Sorben, deren Muttersprache nicht deutsch war, und die vor 1871 auch nicht auf die Idee gekommen wären, sich als „Deutsche“ zu begreifen, ein.
Für die „Nation“ gehe ich von der „französischen“ Definition aus – weil alle andere Definitionen zu schwammig und zu willkürlich sind. Eine Frage der Pragmatik.
Mit „deutschem Blute“ kann ich nichts anfangen, mit Traditionen und kultureller Überlieferung dafür umso mehr. Allerdings ist dabei nie wirklich eindeutig zu klären, ob eine bestimmte „ethnische Gruppe“ nun deutsch oder irgend etwas anderes ist. Sind die Sorben Deutsche? Oder die Nordfriesen? Oder die seit Jahrhundert in Mitteleuropa lebenden Sinti? Nach ethnographischen Kriterien: eher nein, nach politischen und juristischen: unbedingt ja, nach historischen: eindeutig Teil der deutsche Geschichte.
Pragmatisch kann man, da gebe ich Ihnen Recht, auch vor 1871 von „deutscher Geschichte“ sprechen, wenn man sich darüber im Klaren ist, dass „Deutschland“ vorher eben kein Nationalstaat war, und die Geschichte des später „Deutschland“ genannten mitteleuropäischen Raums eben keine „Nationalgeschichte“ war.
Aber sinnvoll ist der Begriff „Deutschland“ auch in Anführung erst ab dem hohen Mittelalter. Vorher gab es einfach nichts, was man „deutsch“ hätte nennen können.
Denn das durch Sprache, Kultur und gemeinsamen Traditionen definierte „deutsche Volk“ entstand erst zu dieser Zeit, zwar, anders als „die Nation“, nicht geplant, nicht bewusst konstruiert, aber etwas „Gemachtes“ ist das „deutsche Volk“ auch.
Gedankenexperiment: Karl „der Große“ hätte die Sachenkriege nie geführt und das Frankenreich hatte die Stammesgebiete der Sachsen nie erobert. „Die Deutschen“ hätte es in dieser politischen Konstellation wohl nie gegeben. Man kann sich ohne Mühe vorstellen, dass „Skandinavien bis zum Sauerland“ reichen würde, und das heute in „Sachsland“ ein völlig andere Sprache gesprochen würde und eine andere Kultur herrschen wurde als in „Frankenreich“.
Oder, anderes Gedankenexperiment: ein Ethnologe besucht das „Heilige Römische Reich“ („deutscher Nation“) um 1510. Er stellt fest, dass die Menschen im Süden dieses lockeren politischen Verbunds eine andere Sprache sprechen als die im Norden: ein Hamburger Kaufmann, dessen Umgangssprache Plattdeutsch war, korrespondierte mit seinem Augsburger Geschäftsfreund wahrscheinlich auf italienisch (es sei denn, einer der beiden hätte „Oberdeutsch“ oder „Niederdeutsch“ als Fremdsprache gelernt) während ein Gelehrter aus Brandenburg mit einem aus Baden auf lateinisch kommuniziert hätte. Der Ethnologe würde, über die Sprache hinaus, zwischen den unterschiedlichen Teilen des Reiches starke Unterschiede feststellen, während über die „Reichsgrenzen“ hinweg ein kulturelles Kontinuum bestünde.
Zusammengefasst: der Begriff „deutsche Geschichte“ ist frühestens ab der Zeit um 1000 sinnvoll, so etwas wie ein Bewusstsein dafür, zum „deutschen Volk“ zu gehören, gab es frühstens seit der Reformationszeit (in Abgrenzung zur „römisch-katholischen“ Idee eines Universalreiches); erst ab dieser Zeit wird das „Heilige Römische Reich“ gelegentlich als „Heiliges Römischen Reich deutscher Nation“ bezeichnet. Aber sogar die Frage nach der „Nationalität“ so bedeutender Menschen wie Kopernikus oder Wallenstein ist in der frühen Neuzeit noch nicht wirklich sinnvoll zu beantworten.
Von einer „Geschichte Deutschlands“ kann mit Fug und Recht erst ab der „Reichsgründung“ geredet werden.
Also äußerstenfalls 1000 Jahre „deutsche Geschichte“ als grober, enthnologisch und politisch nicht klar abgrenzbarer, Orientierungsbegriff, vielleicht 500 Jahre „deutsche Geschichte“ im Sinne eines irgendwie zusammen gehörenden Kulturraumes (erst ab der Lutherbibel gibt es so etwas wie eine überregional verstandene hochdeutsche Sprache) – und nicht einmal 140 Jahre „Geschichte Deutschlands“.
Die Idee einer „deutschen Kulturnation“ halte ich für höchst problematisch, die eines „deutschen Blutes“, also der einer gemeinsamen Abstammung, für unsinnig und überdies rassistisch.
Noch etwas zu meinem persönlichen Verständnis – ich spreche wohlgemerkt für mich, nicht die „Nornirs Ætt“: ich habe es „mit den Germanen“ (nicht ganz ungewöhnlich für einen „germanischen Heiden“ 😉 ) – d. h. ich identifiziere mich mit einem bestimmten historischen Kulturkreis. Da ich mir stets bewusst bin, dass ich unter anderem auch slawische, römische und keltische Vorfahren habe (was für jeden „eingesessenen Deutschen“, auch ohne „Migrationshintergrund“ zutrifft), erscheint mir der Gedanke eines „Deutschen Blutes“ einigermaßen absurd zu sein. Anderseits käme ich nie auf die Idee, „Germane“ mit „Deutsch“ gleichzusetzen – die Hauptquelle meiner sprituellen Tradition kommt aus Island, und ich käme nie auf die Idee, mich für einen Isländer oder die Isländer für ein „Brudervolk“ der Deutsche zu halten, habe aber auch nicht das Gefühl, mich bei eine „fremden Kultur“ zu „bedienen“.
Ich bin aus Notwendigkeit Mensch, Deutscher aus Zufall, und „Germane“ aus Neigung.
Liebe Grüße,
MartinM
Ich finde die ganze Streiterei mehr als traurig, beschämend und entsetzlich!
Anstatt wir Deutschen alle zusammenhalten und zusammenstehen, wird um
jede Kleinigkeit, aber auch um höchstwichtige Dinge, nur ewig gestritten.
Kein Wunder, daß das Ausland darüber lacht…..
Man sollte sich ein Beispiel an den stolzen Spaniern, den stolzen Norwegern
und den stolzen Japanern nehmen. Die stehen felsenfest zu ihrer Geschichte –
und wer darüber lästert und sich darüber lächerlich macht – wird zu Recht
geächtet und als Verräter angesehen!
Übrigens: Wer die wichtigen Gedankengänge über unsere lange Geschichte
nicht versteht (oder verstehen kann/ bzw. will), sollte das Buch von Kurt Pastenaci
lesen: „Das viertausendjährige Reich der Deutschen“.
Für Unwissende sehr geeignet, um fehlenden Wissenstand zu ergänzen…
Beste Grüße
Thomas F. Guthörle
Ich vermute, es hat keinen Sinn, wenn ich darauf hinweise, dass es nicht meinen Erfahrungen entspricht, dass etwa die „stolzen Spanier“ oder die „stolzen Norweger“ felsenfest zu ihrer Geschichte stünden, und jeden, darüber lästert und sich darüber lächerlich macht, ächten und als Verräter angesehen würden. Es sei denn, Du verstehst unter „stolzen Spaniern“ bzw. Norwegern bzw. Japanern stramme Nationalisten. Ja, und von dem Buch: “Das viertausendjährige Reich der Deutschen” habe ich auch schon gehört. Aber warum denn nur 4000 Jahre?
Nebenbei: danke, mit dieser Buchempfehlung hast Du Dich endgültig als Rechtsextremist / Neonazi geoutet – woran sowieso nur wenig Zweifel bestanden. (Das Buch „Das viertausendjährige Reich der Deutschen“ erschien erstmals 1940 im Nordlandverlag, dem Verlag der SS.)
Guthörle, Sie sind raus.
Keine Grüße
Sven
War ja klar, daß der berüchtigte Guthörle irgendwann hier auftauchen würde. Bei amazon hat er es mit seiner rechtsnationalen Propaganda immerhin unter die Top1000-Rezensenten geschafft.
Ich kann diese geschichtlichen Falschbehauptungen einfach nicht unkommentiert stehenlassen. Eine 4000jährige Geschichte der Deutschen ist in der Tat stark übertrieben, aber eine 1000jährige ist völlig korrekt. Ab wann kann man von einem deutschen Volk sprechen? Hat schon einmal jemand daran gedacht, einfach die geschichtlichen Überlieferungen sprechen zu lassen? Von einem deutschen Nationalbewußtsein kann man allerspätestens (!) seit dem 15. Jahrhundert reden. Ab dem Zeitpunkt war jedem Deutschen die Tatsache, daß er deutsch war, eine absolute Selbstverständlichkeit, was durch Zeugnisse aus dieser Zeit eindeutig belegt wird. Inwiefern? Nun, zu dieser Zeit begann ein eindeutig als nationalistisch zu bezeichnendes Schrifttum. Politiker, Kaiser, Reichsfürsten, der Klerus, Humanisten und Dichter schrieben und sprachen von der deutschen Nation und lobpreisten sie. Sie beriefen sich auf das deutsche Volk und die „alten Teutschen“ (Germanen), die doch so rühmlich gewesen seien. Und auch der einfache Mann war sich sehr wohl seiner nationalen Zugehörigkeit, seines Deutschtums, bewußt, auch wenn sie für ihn weniger wichtig gewesen sein mag als im 19. Jahrhundert. Wir wissen das aus Gerichtsprotokollen oder Befragungen (heute würde man sagen: Meinungsumfragen) von Untertanen. Oder daher, daß es schon damals regelrechten Streit, durchaus auch mit Toten, wegen der Nation gab. Wenn deutsche Landsknechte mit ausländischen Söldnern in einem Heer dienten, in Streit mit den Ausländern gerieten und die „teutsche Nation“ anriefen, zeigt das, daß sich auch die Unterschicht des Volkes, aus der sich die Söldner rekrutierten, bewußt war, deutsch zu sein.
Als Maximilian I. starb und ein Nachfolger gewählt werden sollte, kandidierten Franz I. von Frankreich, Karl I. von Spanien und Heinrich VIII. von England. Der Wahlkampf wurde nicht weniger intensiv geführt als heute ein Wahlkampf des US-Präsidenten. Die Kandidaten mußten u.a. ihre deutsche Abstammung beweisen, da nur ein „geborner Teutscher“ Kaiser werden konnte. Der Botschafter Heinrichs VIII. schickte seinem Herrn einen Brief, in dem er eindeutig erklärte, Heinrich habe als Ausländer keine Chance, Kaiser zu werden, weil das Volk niemals einen Nichtdeutschen akzeptieren würde und ein Aufstand ausbräche, wenn die Wahl doch auf ihn fiele. Franz I. war bemüht, seine Abstammung von Karl dem Großen, der eindeutig als Deutscher galt, zu belegen, um so ebenfalls als Deutschstämmiger durchzugehen.
Die Nation war zum damaligen Zeitpunkt eine Selbstverständlichkeit und wichtiger als heute, denn im 21. Jahrhundert verlangt niemand mehr einen Deutschblütigkeitsausweis vom künftigen Bundespräsidenten. Man grenzte sich von Nichtdeutschen ab und schloß alle übrigen Deutschen ein, unabhängig vom Dialekt, den sie sprachen.
Wie jetzt irgendwelche neunmalkluge Besserwisser ernsthaft behaupten können, ein deutsches Volk gebe es erst seit 1871, ist mir unverständlich. Genausogut könnte man behaupten, ein deutsches Volk gebe es erst seit 1949. Oder ein französisches Volk gebe es erst seit Gründung der 5. Republik. Unsinn³.
Was ich noch zu den Germanen als Vorfahren der Deutschen anmerken möchte:
1. Es ist eine geschichtlichte Tatsache, daß sich das deutsche Volk vom Mittelalter bis, grob gesagt, 1945, also 1.000 Jahre lang, als germanisches Volk verstand. Ab der Wiederentdeckung von Tacitii „Germania“ erfand man sogar einen deutschen Stammvater: Thuiskon (von ihm existieren mangels amtlich festgelegter Orthographie unzählige Schreibvarianten). Diesen Stammvater findet man auch bei Klopstock und noch vereinzelt im 19. Jahrhundert. Für die Deutschen der damaligen Zeit war es eine absolute Selbstverständlichkeit, daß auch die Mitteleuropäer zur Zeit Roms Deutsche („alte Teutsche“) waren und daß das deutsche Volk schon jahrtausendealt ist. Das ist ein historischer Fakt, den man nicht einfach ignorieren kann, unabhängig davon, wie man zur Aussage steht. Man kann nicht einfach 1.000 Jahre der Selbstdefinition ignorieren.
(Die Gebrüder Grimm, Fichte und andere bezeichneten übrigens auch die anderen germanischen Völker als „Deutsche“.)
2. Zum historischen Wahrheitsgehalt: Heute wissen wir, daß in der Tat auch slawisches, keltisches und vereinzelt römisches Blut „in uns steckt“, ABER: Als das deutsche Volk vor ungefähr 1.000 Jahren entstand, waren an dieser Ethnogenese nur germanische Stämme beteiligt: die Baiern, die Alemannen, die Franken, die Sachsen und die Thüringer. An der Ethnogenese des deutschen Volkes waren keine keltischen oder slawischen Stämme und auch keine römischen Legionen beteiligt. Diese germanischen Stämme hatten keltisches und slawisches Blut in sich, ja, aber nichtsdestotrotz waren es germanische und keine keltischen oder slawischen Stämme. Die keltoslawischen Einflüsse waren lange vor der Ethnogenese des deutschen Volkes sozusagen assimiliert worden. Das deutsche Volk ist nicht „rein“. Nichts und niemand ist „rein“. Aber es ist definitiv germanischer Abstammung. Genauso wie die Isländer, Dänen, Schweden, Norweger und Engländer. Was falsch daran sein soll, Isländer deshalb als Brudervolk zu bezeichnen, was sie unzweifelhaft sind, leuchtet mir nicht ein.
Die ganze Diskussion über die germanische Abstammung und das Alter des deutschen Volkes hängt doch nur mit unserer Nationalneurose zusammen. Wenn wir ein normales, entkrampftes Verhältnis zu uns selbst hätten, gäbe es die ganze Diskussion nicht. Aber da wir uns als Nation unwohl fühlen, sind wir darum bestrebt, unsere Wurzeln zu leugnen und unsere Geschichte zu verkürzen, die Nation also zu marginalisieren. Das ist aber falsch. Man kann die Geschichte nicht ändern, nur weil sie einem nicht gefällt.
Ich aber kann ohne Scham sagen: Ich bin Deutscher und damit Germane, auch wenn meine persönliche Abstammung unbekannt und durchaus slawisch sein kann. Und mein Volk ist 1.000 Jahre alt, so wie die meisten europäischen Völker, und nicht nur 130 Jahre. Und das Volk meine Frau, einer geborenen Chinesin, hat eine noch ältere, mythologisch angehauchtere Geschichte als wir, wobei niemand weiß, was daran wahr oder falsch ist. Und unsere Kinder sind jetzt Sinogermanen. Und das ist gut so.
Hab nicht die Muße, Deinen ganzen Kommentar auseinanderzunehmen, daher nur was dazu:
„Zum historischen Wahrheitsgehalt: Heute wissen wir, daß in der Tat auch slawisches, keltisches und vereinzelt römisches Blut “in uns steckt”, ABER: Als das deutsche Volk vor ungefähr 1.000 Jahren entstand, waren an dieser Ethnogenese nur germanische Stämme beteiligt: die Baiern, die Alemannen, die Franken, die Sachsen und die Thüringer. An der Ethnogenese des deutschen Volkes waren keine keltischen oder slawischen Stämme und auch keine römischen Legionen beteiligt.“
1. Blut – gibts ins A, B, 0 und MIschungsverhältnissen davon. Alles andere ist imo – sorry – unbelegbares, romantisches Blabla.
2. zum Wahrheitsgehalt Deines Beitrages über historische Wahrheitsgehalte: In der Ethnogene des deutschen waren neben Baiern, Alamannen, Franken, Sachsen und Thüringern u.a. auch (slawische) Polaben, Liutizen, Obodriten, Wiltzen und Sorben (von letzeren gibts sogar heute noch Reste in der Lausitz) und im Westen zumindest die (keltischen) Treverer (sicher auch noch andere, hab ich aber grad nicht greifbar), die, nach erfolgter Romanisierung, bis ins Mittelalter hinein ihr Moselromanisch sprachen.
Mal davon ab, das für so manchen „deutschen Stamm“ noch nichtmal klar ist, ob germanisch, keltisch, beides, oder eines davon, mit dem anderen in der Ethnogenese drin.
Und dazu: „(Die Gebrüder Grimm, Fichte und andere bezeichneten übrigens auch die anderen germanischen Völker als “Deutsche”.)“
Was für deren Zeit – der Hoch-Zeit der Nationalromantik – auch nix Ungewöhnliches war. Selbige Leute schrieben genausogerne über „deutsche Stämme“, man könnte genausogut nach Gutdünken die gegenteilige Aussage daraus ableiten. 😉
Und, so könnt man munter weitermachen… Interpretationen und Wunschdenken != Fakten!
*stolz-auf-’ne-4-Milliarden-Jahre-währende-Ahnenreihe-und-lebendiges-Kulturschaffen-dazu*
Felicitas