Sach- und Fachbücher

Hexen, Schamanen und Priesterinnen im Wandel der Zeit

Carola Seeler
Hexen, Schamanen und Priesterinnen im Wandel der Zeit
Traditionelle und moderne Formen in Vergangenheit und Gegenwart
Bohmeier Verlag, Leipzig, 2010, ISBN 978-3-89094-642-9

HexenSchamanen

In „Hexen, Schamanen und PriesterInnen im Wandel der Zeit“ will die Verfasserin, wie sie im Vorwort schreibt, Informationen geben, aber nicht ein bereits definiertes Ergebnis erzielen, schon gar nicht will sie es durch Bildung von Tendenzen vorwegnehmen.
Das deutet auf ein Buch zwischen Nachschlagewerk und Sachbuch hin. In der Tat würde es eine Lücke füllen, zwischen Bücher, deren Autoren ständig Antworten geben (auch wenn es ihnen selbst an Wissen und Einsicht fehlen sollte, auch wenn sie gar nicht gefragt wurden), und solchen, die den Leser oder die Leserin mit Fakten zuschütten, ohne Hinweise, was sie oder er mit diesen Wissen anfangen kann oder was das alles mit dem „normalen Leben“ zu tun hat.

Schon beim flüchtigen Durchblättern fallen die vielen, ausführlichen Fußnoten und das lexikon-ähnliche Glossar auf, was dem Anspruch, dass „Hexen, Schamanen und PriesterInnen“ auch ein „Wissensspeicher“ zum Nachlesen sein soll, entspricht.

Der erste Abschnitt des Buches, mit der Überschrift „Die Hexe und der europäische „Sonderweg““
skizziert in groben Zügen die historische Entwicklung des Hexereibegriffs: Vor dem ausgehenden Mittelalter hätte es zwar, wie überall in der Welt, den Glauben an Schadenzauber gegeben, aber keinen Hexereibegriff: Zum (europäischen) Begriff der Hexerei gehöre untrennbar die Vorstellung eines Teufelspaktes. Ein Abriss über die Hexenverfolgung, in dem auch einige populäre, aber falsche Vorstellungen, z. B. hinsichtlich der Opferzahl, richtig gestellt werden, rundet diesen Abschnitt ab.

Der zweite Abschnitt: „Zurück in die Zukunft – Teil 1“, lenkt, nach einer kurzen historischen Einordnung, den Blick auf die heutige Zeit, auf die „Hexe in uns“, auf die „Hexe als Symbol“ und auf die „moderne Hexen“ und die Zusammenhänge zwischen Hexen und Schamanismus. Damit geht die Verfasserin zum zweiten Hauptthema des Buches, dem „Schamanismus“, über: es folgt ein Abriss über den traditionellen Schamanismus, der auch auf die umstrittene Frage eingeht, ob es einen traditionellen europäischen Schamanismus gäbe..

Der dritte Abschnitt: „Zurück in die Zukunft – Teil 2“ widmet sich zunächst dem modernen Schamanismus und geht insbesondere auf den Kernschamanismus (Core Shamanism) ein. Hauptsächlich geht es in diesem Abschnitt aber um Seher, Orakel und Prophezeiungen. Der abschließende Teil diesen Abschnitts ist den Priestern gewidmet, und zeigt auf, wie unterschiedlich die Funktionen eines „Priesters“ (oder einer Priesterin) im Altertum, bei den Kelten, Germanen und Slawen, im frühen und im modernen Christentum waren. Die Verfasserin arbeitet die großen Unterschiede im Priesterbegriff, auch zwischen den christlichen Konfessionen, heraus – auf die protestantische Vorstellung eines „allgemeinen Priestertums“, in den es keinen Priester im katholischen Sinne gibt, geht sie ausdrücklich ein.

„Schmelztiegel Europa“ ist Fazit und Nachwort der Verfasserin.Es folgt der schon erwähnte ausführliche Lexikonteil.

Dieser schmale, schlicht gestaltete und mit einem eher sperrigen Titel versehene Band steht rein äußerlich im Kontrast zu den bunten, aber inhaltlich dünnen, Büchern über Schamanen oder Hexen im „Esoterik“-Regal der Buchhandlungen. Offen heraus gesagt, halte ich die meisten dieser Bücher schlicht für überflüssig.
Das Buch ist, durchaus im Gegensatz zu vielen der von mir erwähnten „esoterischen“ Bücher über Hexen und Schamanen, gut recherchiert. Obwohl bei Bohmeier, bekannt als „Esoterik-Verlag“ („Fachbücher für Magie und alternative Weltsichten“) erschienen, ist es eindeutig kein „Eso-Buch“ und ist im Grunde in der „Esoterik-Ecke“, zwischen „Hexe Thea“ und „Das Geheimnis der Dualseelen“, fehl am Platze. Überflüssig ist „Hexen, Schamanen, PriesterInnen“ gewiss nicht.
Die Zielgruppe sind offensichtlich interessierte Laien. Dieses Sachbuch verlangt kein Vorwissen, aber ernsthaftes Interesse und die Bereitschaft, selbst weiterzudenken. Es auch kein Buch zum unterhaltsamen Nebenherschmökern.

Im Großen und Ganzen erfüllt „Hexen, Schamanen und PriesterInnen“ den von der Verfasserin erhobenen Anspruch, Informationen zu geben, ohne einen zu festen Deutungsrahmen vorzugeben.
Allerdings hat das Buch leider auch einige Schwächen. Es ist, jedenfalls aus meiner Sicht, etwa konfus geraten. Eine klare, logische Gliederung, etwa nach dem Prinzip: „historische Hexen – modernen Hexen“, „traditionelle Schamanen – moderne Schamanen“ usw. hätte die Nutzbarkeit als Nachschlagewerk sicher verbessert. Konfus ist manchmal auch die Sprache Carola Seelers, es gibt einige Stellen, bei denen ich auch beim dritten Lesen nicht wusste, worauf die Verfasserin hinaus will. Vielleicht hätte ein engagiertes Lektoriat dem Buch gut getan.

Damit bin ich bei etwas, was ich ziemlich schade finde: der, ich kann es leider nicht anders nennen, lieblose Umgang des Verlags mit dem Buch. Das fängt beim Titel an – er sollte, nach Angaben Carola Seelers, ursprünglich „der blinde Fleck“ heißen, denn es geht ja tatsächlich um einen „blinden Fleck“ in der üblichen Wahrnehmung der „christlich-abendländischen“ (neuerdings: jüdisch-christlichen) Kultur. Auch dass das „Binnen-I“ in „PriesterInnnen“ in der Typographie des Titels wegfiel, ist meiner Ansicht nach keine Nebensächlichkeit. Im Inneren setzt sich der Eindruck einer lieblosen Edition leider fort.

MartinM, Januar 2011

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