Friedenspreis des deutschen Buchhandels für Aleida und Jan Assmann
Mit dem Ehepaar Aleida und Jan Assmann erhalten zwei Kulturwissenschaftler den Friedenspreis, deren Arbeiten für uns Heiden ungewöhnlich relevant sind.
Beide Assmanns sind mit stehenden kulturwissenschaftlichen Begriffen verbunden, die sogar in politische Debatten eingegangen sind. Aleida Assmann prägte den Begriff „Kulturelles Gedächtnis“, und wird für ihre engagierten und wissenschaftlich fundierten Studien zu Geschichtsvergessenheit und Erinnerungskultur ausgezeichnet. Jan Assmann spitzte seine religionsgeschichtlichen Erkenntnisse im Schlagwort „Mosaische Unterscheidung“ zu. Die Arbeiten des Ägyptologen sind ein seltenes Beispiel dafür, dass Erkenntnisse über eine lange vergangene Epoche (die des Pharaos Echnaton) internationale Debatten über die kulturellen und religiösen Konflikte unserer Zeit anstoßen.
Aleida Assmann untersuchte in ihrem 2006 erschienenen Buch „Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik“ die Spannungen zwischen persönlicher Erfahrung und offiziellem Gedenken, gab Ratschläge für eine angemessene Erinnerungskultur und plädierte dafür, dem Gedächtnis einen „gemeinsamen Erinnerungsraum“ zu geben, der sich auch in einem Gedenktag wiederfinden sollte. In ihrem jüngsten, 2017 erschienenen Buch „Menschenrechte und Menschenpflichten“ plädiert sie angesichts der aktuellen Flüchtlingsdebatte für einen neuen Gesellschaftsvertrag, für den die Menschenrechte, Werte wie Empathie und Solidarität sowie ein Kanon von Regeln für ein faires und respektvolles Zusammenleben von Einheimischen und Zugewanderten maßgeblich sind.
Jan Assmann revidiert mit seinen ägyptologischen und kulturwissenschaftlichen Arbeiten das (immer noch gängige) „biblische“ Bild des Alten Ägyptens als einer versklavten Gesellschaft unter pharaonischer Willkür. Er porträtiert stattdessen eine Zivilisation, die von Ordnungs- und Gerechtigkeitsvorstellungen geleitet wurde. Berühmt wurde Jan Assmann für seine Arbeiten zur Entstehung des Monotheismus, dessen Anfänge er in dem Auszug der Israeliten aus Ägypten sieht. In dem 2016 erschienenen Buch „Totale Religion. Ursprünge und Formen puritanischer Verschärfung“ schlägt Jan Assmann schließlich einen Bogen zur aktuellen Diskussion über das Gewaltpotential monotheistisch geprägter Gesellschaften.
Zusammen mit seiner Frau Aleida gründete Jan Assmann 1978 den Arbeitskreis „Archäologie der literarischen Kommunikation“, der Vertreter verschiedener Disziplinen und Kultur-Fächer in einen Dialog bringt. Ebenfalls gemeinsam arbeiten die Assmanns am Konzept des „kulturellen Gedächtnisses“, das sie als offiziell institutionalisierte, konstruierte Form kollektiven Erinnerns vorstellen, und das sie von den rein subjektiven persönlichen Erinnerungen abgrenzen. Dabei scheuen sie sich nicht, brisante Themen der aktuellen Gegenwart aufzugreifen, wie zum Beispiel die Frage der individuellen und kollektiven Erinnerung an den industriell betriebenen, millionenfachen deutschen Mord an Juden und anderen als „Volksschädlingen“ definierten Menschen. Sie machen es sich zur Aufgabe, auch die Erforschung von Literatur in diesen weiten kulturwissenschaftlichen Rahmen zu stellen.
Der mit 25.000 Euro dotierte Friedenspreis wird zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse am 14. Oktober in der Paulskirche verliehen.
Friedenspreis geht an Aleida und Jan Assmann (Deutschlandfunk)
Wir gratulieren den Assmanns zu der verdienten Ehrung. hre Arbeiten sind für moderne menschenrechtsorientierte Heiden allgemein und unser „Odins Auge“-Projekt im Besonderen enorm bedeutsam.
Vor allem Jan Assmann hat mit seiner Arbeit über das Wesen des Monotheismus und Polytheismus das moderne Heidentum beeinflusst und viele andere Autoren angeregt.
Für den Preis vorgeschlagen wurden die Assmanns unter anderem vom Medienwissenschaftler Jochen Hörisch. Das interessante Interview, das Hörisch dem „Deutschlandfunk“ gab, ist aus unserer Sicht gleich mehrfach bemerkenswert. Hörisch betont, wie wichtig die Arbeiten des Ehepaars Assmanns zum „kulturelle Gedächtnis“ sind:
(…) Wie gehen wir um mit den Erinnerungen, die uns eher unangenehm sind? Wie geht eine Kultur etwa damit um, dass sie traumatisierende Ereignisse in die Welt gesetzt hat? Ich denke an Nazi-Deutschland. Ist das, um das grauenhafte Wort von AfD-Politiker Gauland zu zitieren, ein Vogelschiss, der vergleichsweise unbedeutend ist auf dem Hintergrund tausendjähriger deutscher Geschichte, oder ist das „Tausendjährige Reich“ ein Ereignis, das man auch gedächtnispolitisch ernst nehmen muss?
Und genau so argumentieren Jan und Aleida Assmann, wenn sie vom kulturellen Gedächtnis sprechen. Es gehört ja zu den eigentümlichen Erfahrungen, die wir machen und die man nicht häufig genug analysieren und herausstellen kann, dass Deutschland in dem Maße, wie es sich seiner Vergangenheit gestellt hat und nicht darum herumgeredet hat, stärker, selbstbewusster und weniger pathologisch geworden ist als etwa mit einer Politik der Verdrängung all der Traumata, die durch Nazi-Deutsche in die Welt gekommen sind.(…)
Hörisch betont, dass mit den Assmanns Leute mit streitbaren Thesen ausgezeichnet worden. Besonders umstritten sind dabei Jan Assmanns Thesen zum Monotheismus:
(…) Und besonders umstritten ist die für mich absolut überzeugende These von Jan Assmann, dass monotheistische Religionen, die an einen Gott und an nur einen Gott glauben, ein großes Eskalationspotenzial haben.
Man kann sich die Überlegung sofort plausibel machen. Der Polytheismus hat heitere Dimensionen, wir überlassen den anderen ihre Götter, machen uns darüber lustig. Es gibt aber kein großes Konfliktpotenzial, weil die Götter der anderen uns allenfalls aus einer heiteren Perspektive amüsieren. Wir nehmen sie nicht ernst. Und wir ahnen dunkel, dass wir auch unsere eigenen Götter, wenn wir Polytheisten sind, also an mehrere Götter, einen für die Ernährung, einen für die Liebe, einen für den Krieg und so weiter glauben, dass wir dann kein großes Problem haben.
Wenn ich unterscheide zwischen der wahren Religion, die sich offenbart hat, muss ich sofort auch die Unterscheidung machen von Gläubigen und Ungläubigen, von Heiden und von Christen. Man merkt dann sehr schnell, wie stark das polemische Potenzial ist. Jan und Aleida Assmann befinden sich da in einer besten Gesellschaft. Sie argumentieren wie Goethe, nämlich so, dass man sagt, es ist offenbar, dass Gott nicht offenbar ist. Wer anders argumentiert, versündigt sich gegen den Gott, den er glaubt, verteidigen zu müssen.
Gerade die Monotheismus-kritische Analyse von Jan Assmann hat ganz großes Befriedigungs- und Befriedungspotenzial, weil sie die allgemeine falsch verstandene Toleranz nicht mitmacht. Man ist nicht tolerant, wenn man monotheistisch argumentiert. Man ist dann geradezu verpflichtet, intolerant zu sein. (…)
Im Interview spricht Hörisch bemerkenswert positiv über den Polytheismus. Das ist selten, vor allem im oft und nicht ganz zu unrecht als „Kirchenradio“ bespöttelten Deutschlandfunk.
Martin Marheinecke, 13. Juni 2018