Eurasische Vorgängersprache: Sprechen wir heute noch „Steinzeit“?
Sprechen wir heute noch Worte, die unsere Vorfahren in der Steinzeit schon benutzten?
Ja, sagen Forscher aus Großbritannien. Aus ihrer Sicht blieben einige Nomen, Verben und Adjektive größtenteils unverändert erhalten – aus einer gemeinsamen eurasischen Sprachfamilie, die vor 15.000 Jahren existiert haben könnte. Im Fachmagazin „PNAS“ schreiben die Forscher, einige Wörter, wie zum Beispiel „ich“, „du“ oder auch „Mutter“ hätten sich derart langsam verändert, dass sie in etwa so alt – also 15.000 Jahre alt – sein müssten. Dies sei Ergebnis ihrer Untersuchungen mit Computermodellen.
In früheren Forschungen hatten die Wisseschaftler die Sprachentwicklung weltweit untersucht und warum manche Wörter überleben und andere nicht.
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derartige Computersimulationen, deren Modelle z.T. aus der Genetik („Mitochondriale Eva“) abgeleitet sind, sind teilweise grob irrefuehrend, so wies Colin Renfrew (konservativer Oberhausabgeordneter aber gleichzeitig kompetenter Archaeologe) in „Archaeology and Language“: The Puzzle of the Indo-European Origins“ darauf hin, dass wenn mensch bspw. derartige Modelle auf die romanischen Sprachen anwenden wuerde ein Ergebnis, dass diese sich zwischen 1400 und 1800 aus einer gemeinsamen Wurzel entwickelt haben wuerden, herauskommen wuerde. Da die fruehromansichen Sprachen aber einigermassen gut dokumentiert sind, wissen wir, dass diese sich zwischen den vierten und neunten Jahrhundert u.Z. aus dem Latein entwickelten
Ich sehe solche Simulationen, vor allem dann, wenn ihre Ergebnisse nicht durch „konventionelle“ ärchologische und historische Forschung abgesichert sind, auch mit großer Skepsis. Es erinnert mich an die „C14-Euphorie“ der 1950 und 1960er Jahre, in der viele Archäologen (und noch mehr geschichtsbegeisterte Laien) glaubten, eine einfach durchführbare und „physikalisch präzise“ Datierungsmethode zu Haben. Nun ist die C14-Methode in der Tat leistungsfähig, aber es müssen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden, die seinerzeit nicht bekannt waren oder schlicht ignoriert wurden.
Was Colin Renfrews Beispiel angeht: eine Datierung der „gemeinsamen Wurzel“ der romanischen Sprachen auf die Frühe Neuzeit würde eine Geschwindigkeit der Sprachwandels vorraussetzen, die meines Wissens allenfalls bei Kreolsprachen überhaupt möglich ist. Damit benennt er allerdings den Schwachpunkt solcher Überlegungen: die Geschwindigkeit des Wandels.
Bei einer C14-Methode weiß ich immerhin, dass der radioaktive Zerfall zeitlich gleichmäßig erfolgt, die Mutationsrate der Mitochondrialen DNA kann jedoch stark schwanken, und bei den Sprachen ist die Wandlungsgeschwindigkeit höchst unterschiedlich.
Mittelhochdeutsch können heutige Deutsche in aller Regel nicht verstehen, hingegen können moderne Griechen ohne altgriechischen Sprachkenntnisse die hellenistische Koine, die gut doppelt so alt ist wie das Mittelhochdeutsche, einigermaßen verstehen. (Wenn sie Katharevousa können, sogar mühelos und ganz, aber Katharevousa ist als „Gelehrtensprache“ ein Sonderfall, dessen Gegenstück bei den romanischen Sprachen eher „neulateinisch“ als „italienisch“ wäre).
Anderes Beispiel: Neuhochdeutsche Texte aus dem frühen 17. Jahrhundert zu lesen ist durchaus mühsam, hingegen ist es für jemanden, der einigermaßen gut Englisch kann, kein Problem Shakespeare sprachlich zu verstehen.