Eine Frage des Blickwinkels – oder: der Teufel steckt in der Annahme
Vor einiger Zeit bezeichnete jemand in einem Internet-Forum die Website der Nornirs Ætt als „Werbeseite einer völkischen Sekte“. Damit nicht genug: im selben Thread behaupte jemand von meinem Artikel „Menschenrassen gibt es nicht!“, er sei ein rechtsextremer Artikel, er sei nicht antirassistisch, und die Überschrift würde täuschen.
Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, wie solche inhaltlich haarsträubenden Missverständnisse zustande kommen. Voreingenommenheit, Vorurteile und Halbwissen (etwa, dass die rassistische „Artgemeinschaft“ sich selbst als „Asatru“ bezeichnet – was zum Missverständnis führt, dass Asatru etwas mit Rechtsextremismus zu tun hätte) führen zu einer verzerrten Wahrnehmung, einer Fehlinterpretation eines Textes. Bin ich aber felsenfest davon überzeugt, dass ein Text von einer „völkische Sekte“ stammt, dann muss der Text einfach rassistisch sein! Ist er es nicht, wird er so lange zurechtinterpretiert, bis er zur vorgefassten Überzeugung passt.
Ein anderes Beispiel: vor Jahren schrieb ich einen Aufsatz über New Age und Ökospiritualismus. Aus meiner Perspektive als „Neuheide“, als Mitstreiter der Nornirs Ætt und als jemand, der Umweltschutz und Spiritualität nicht getrennt sieht,wirkt die Kritik an der Weltanschauung des New Age und des Ökospiritualismus ganz anders, als die eines dieser „Szene“ völlig fern stehenden „Hardcore-Skeptikers“ bzw. „Esoteriker-Fressers“ , der den ganzen Mystik-Quatsch in Bausch und Bogen ablehnt. Genau so klar müsste eigentlich sein, dass ich nichts gegen von durch ökologische Überlegungen geprägte Politik habe.
Trotzdem zitierte ein sehr konservatives Blog einen Absatz aus meinem Text, in dem es über „Ökofaschisten“ ging. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, wäre es nicht in einem Artikel geschehen, in dem sich ein mit Umweltthemen profilierender Politiker (es ging um Al Gore) pauschal als „Ökologist“ verunglimpft und „Ökologismus“ mit „Ökofaschismus“ gleichgesetzt wurde.
In beiden Fällen (es gibt noch mehr Beispiele, aber das sollte genügen) könnte man einfach etwas von „Missverständnis“ sagen, vielleicht noch um die Bemerkung ergänzt: „da hätte sich MartinM eben deutlicher ausdrücken müssen“.
Im ersten Fall folgte aus der irrtümlichen Annahme, dass die Nornirs Ætt eine völkische Sekte sei, dass in einem Text nicht mehr unvoreingenommen das gelesen wurde, was wirklich darin steht.
Im zweiten Fall wurde mir sozusagen das Wort im Mund herumgedreht – indem Kontext weggelassen wurde.
Es kann aber auch Kontext einfach ignoriert werden. Häme und Spott gegen fanatische christlichen Fundamentalisten ist nur dann „Christenbashing“, wenn wirklich das Christentum Ziel der Häme und der Spottes ist – und nicht der Fanatismus, die Heuchelei oder die Menschenverachtung der christlichen Fundamentalisten.
Wie etwas wahrgenommen wird, hängt meines Erachtens sehr vom persönlichen Glauben und Unglauben, in religiöser Bedeutung, ab. Für einen ausgesprochenen Atheisten ist es schwierig, zu begreifen, dass jemand, der noch bei Trost ist, ausgerechnet an germanische Götter „glaubt“. Ein „Klassiker“ in dieser Hinsicht ist der von mir an sich sehr geschätzte Richard Dawkins. Nach seiner Darstellung entspringen Mythen, wie die vom Donnergott Thor, einem unzureichendem naturwissenschaftlichen Wissen: unsere Vorfahren wussten noch nichts von statischer Elektrizität, also erfanden sie einen Donnergott – sozusagen als Ad-Hoc-Hypothese zur Erklärung eines Naturphänonomens. Mit dem heutigen Wissen über Elektrizität und Meteorologie ist die „Hypothese Thor“ als unzutreffend erkennbar. Folglich würde auch kein vernünftiger Mensch mehr an Thor glauben.
Im Falle des Christengottes gäbe es immerhin allgegenwärtige Traditionen, oder handfeste gesellschaftliche Vorteile, die mit einem Glauben (vorgetäuscht oder echt) an Mythen und „höhere Wesen“ verbunden seinen. Bei Neuheiden trifft das nicht zu. Also muss „in Wirklichkeit“ ein anderer Grund dahinter stecken – bei germanischen Göttern ist völkische Ideologie eine nahe liegende Erklärung. Was ich hier für Atheisten dargelegt habe, gilt grundsätzlich auch für überzeugte Christen, die sich mit dem Gedanken schwer tun, dass jemand vernünftigerweise an etwas oder jemanden anders glauben kann, als den Christengott.
Folgenschwerer als der Glaube oder Unglaube an Gott (oder Götter) ist in dieser Hinsicht der Glaube an einen „Antigott“, an den Teufel. Solange dieser Teufel als eine Allegorie des Bösen, oder als eine Personifikation der jedem Menschen innewohnenden Neigung, aus Eigennutz, Hass oder Gleichgültigkeit anderen zu schaden aufgefasst wird, ist der Glaube an den Teufel unproblematisch. (In diesem Sinne glaube ich auch an „den Teufel“.) Unproblematisch ist es auch, wenn der Teufel, wie im Judentum, eindeutig dem einen Gott untergeordnet ist. „Satan“ heißt wörtlich „Ankläger“, und Hiobs Frömmigkeit wird von ihm auf die Probe gestellt – auf die ganz harte Tour, aber im Auftrag Gottes. (Etwa in diesem Sinne ist auch Mephistos Ausspruch in Goethes „Faust 1“ zu verstehen: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will, und stets das Gute schafft.“)
Schwierig wird der Teufel erst dann, wenn er in einem dualistischen Weltbild zum mächtigen Gegenspieler Gottes, zur negativen Gottheit, wird.
Ist der Teufel eine autonome, nahezu allmächtige Antigottheit, Herr über unzählige den Menschen zum Bösen verführende Dämonen, dann gibt es auch ein – ich möchte sagen teuflisch verführerisches – Erklärungsmuster für alles Unheil dieser Welt: es geht mit dem Teufel zu!
Aus diesem Blickwinkel – der Überzeugung es gäbe einen Teufel im Sinne eines Gegenspieler des „Lieben Gottes“ und der Teufelspakt sei eine reale Möglichkeit – mag ein fanatischer Prediger wie z. B. Pat Robertson, als er das schwere Erdbeben auf Haiti auf einen Teufelspakt der Haitianer im Zuge des Voodoo zurückführt, den Haitianer vielleicht im konkreten Fall unrecht tun, aber im Prinzip, das hinter seiner Predigt steckt, hätte Robertson recht: Teufelspakte wären möglich, sie bringen dem Paktierendem kurzfristig Vorteile, aber sie würden gerächt.
Unnötig eigentlich zu sagen, dass einen dieses Denken in „Teufels Küche“ bringen kann.